Mittwoch, 10. Juni 2020

Größenverhältnis

Bei Michel de Montaigne über
Römische Größe gelesen die
Sich vor allem darin zeigte
Dass sie errungene Reiche
Gerne Besiegten zurückgaben
Die dann Könige von Gnaden
Roms wurden in der Schuld standen
Der Sieger treue Diener wurden
Dazu bringt Montaigne Beispiele
Von Cäsar und Cicero wie aus
Der übrigen römischen Welt
Wo als reich galt wer abgab
Besser noch zurückgab um
Der Verbindung Dauer zu geben
Dem Reich damit Stabilität statt
Sich auf Eroberungen stolz nur
Auszuruhen oder sie zu plündern
Wie es die Kolonialherren taten
Deren Reiche darum viel weniger
Lange Bestand hatten für deren
Schäden bis heute bezahlt wird
Mehr noch müsste ginge es
Gerecht auf dieser Welt zu
Bestimmten nicht meist Sieger
Wohin die Welt sich bewegt
Was aber ist wie es ist darum
Keiner weiteren Klage hier wert
Montaigne klagt an anderer Stelle
Gegen Sklaverei und Kolonien
Gerade dieses Erbe aber belegt
Wie weise Rom in vorchristlicher Zeit
Als Überbringer von Kultur handelte
Um dauerhafte Stabilität zu sichern
Wenig dauerhaft dagegen waren
Stets die unrechten Eroberungen
Ohne hier über die Krim zu streiten
Auch den Osten der Ukraine lieber
Schweigend zu übergehen um sich
Auf das was Größe ausmacht lieber
Zu besinnen und damit also
Großzügig sich zu zeigen was
Wohl den gerade an Würde deutlich
Geschrumpften Mitgliedern der
Untergegangenen UDSSR sichtlich
Schwerer fällt als deren Funktionären
Einst die sich ganze Regionen noch
Scheinbar legitim als Volkseigentum
Brüderlich gern zuschoben um dann
Regional neu zu besiedeln weil die
Kommunistische Sekte zu gerne
An die Internationale glaubte auch
Damit ihren Glauben verbreiten wollte
Wie bis heute erfolglos in Afghanistan
Über das schon Tolstoi ähnlich schrieb
Denn wirkliche Größe zeigt sich erst
Gegenüber den Verlierern statt sie
Gut christlich bekehren zu wollen
Wobei da die Jünger Mohamed
Keineswegs besser abschneiden
Wie dieser Geist der getragen war
Von republikanischer Bescheidenheit
Sich im Kaiserreich langsam verflüchtigte
Wäre ein Grund zu politischer Klage
Was nicht nur dem Christentum hierbei
Anzulasten ist aber zumindest auch
Was als Sekte so erfolgreich wurde
Weil es lautstark das Gegenteil predigte
Vont dem was es mit Ungläubigen tat
Die manche immer noch bekehren wollen
In angemaßter Überlegenheit wie gerade
Zu Zeiten Montaignes es geschah aber
Auch aus deutscher Geschichte sind
Eroberungen bei denen Sieger wieder
Die Besiegten als Herrscher einsetzten
Noch teilweise bekannt wie etwa bei
Heinrich dem Löwen der die Obotriten
Aus dem Geschlecht Mecklenburg getauft
Vom Sohne ab wieder einsetzen ließ als
Damit längstes regierendes Geschlecht
Dem nur die Greifen von Vorpommern
Als Hezöge noch nahe kamen womit sich
Stabile Verhältnisse erklären lassen
Dahingestellt ob die Worte des märkischen
Junkers Bismarck dort geschehe alles
Hundert Jahre später je passend waren
Wie demokratisch republikanisch sich die
Wähler in Mecklenburg zeigen werden
Bei den nächsten anstehenden Wahlen
Besteht zumindest die Chance dabei
In der demokratischen Mitte anzukommen
Statt wie Thüringen mehrheitlich Parteien
Jenseits dieses Spektrums zu wählen
Sei es aus Trotz oder Unverständnis noch
Weil die DDR nicht demokratisch erzog
Aber Montaigne wäre nicht der Denker
Der berühmt wurde und blieb wenn seine
Gedanken nicht zeitlose Wirkung hätten
Es braucht keinen peinlichen Trump
Zu belegen wie weise der Edelmann
Aus dem Périgord einst handelte als er
Den aktuellen Herrschern die ihn lasen
Weil er sie wie die Franze oder Henry
Beriet oder mit ihnen korrespondierte
Wie etwa mit Königin Elisabeth I. 
Damit deutlich die Leviten wohl las
Also an deren Stolz appellierte und sich
Dazu auf die alten Römer berief die
Sonst gerne von den Apologeten des
Untergangs als schlechtes Beispiel
Genannt schon damit weise handelte
Sicher im Sinne seiner humanistischen
Ausbildung nur zu wünschen wäre
Mehr läsen ihn heute zu verstehen
Echte Größe liegt in der Hingabe
Des gerecht eroberten als Gnade
Nicht etwa christlich gedacht dabei
Sondern aus Gründen der Vernunft
Die so Stabilität am ehesten gewährt

jens tuengerthal 10.6.20

Dienstag, 9. Juni 2020

Bauliteratouren


Mal wieder ein Essay von Joachim Fest gelesen, nach der wunderbaren Lektüre von Adam Smiths Reise nach Frankreich, der inzwischen in Paris ankam, dem natürlich Hauptziel der Reise und dort in den Salons der Aufklärung verkehrt aber dazu in den nächsten Tagen mehr, wenn ich über alle Salons, die er besuchte las - heute möchte ich den Gedanken von Fests Versuch über die Geburt der Hässlichkeit folgen, weil sie ein spannendes Bild einer Zeit im Umbruch entwerfen, auch wenn sie mittlerweile schon vor 13 Jahren veröffentlicht wurden, bleiben die Gedanken des verstorbenen Herausgebers der FAZ und klugen Essayisten spannend und wichtig.

Die Hässlichkeit wurde Fest zufolge im 19. Jahrhundert geboren mit der Industrialisierung der Kunst und fand deutlichen Ausdruck im überbordenden Wilhelminismus, wofür übrigens der Berliner Dom ein wirklich herausragendes Beispiel völlig misslungener Baukunst ist, die das Weltkulturerbe Museumsinsel empfindlich stört, die Bauten großer Architekten mit unproportioniert protziger Hässlichkeit, die nur eine Kuppel größer als der Petersdom wollte, auf plumpe Art in den Schatten stellt, wie sie dem auch sonst minderbegabten Wilhelm II. so ganz entsprach. Diesen spricht Fest nicht ausdrücklich an, lästert nur über den Wilhelminismmus, das tat dafür Franz Hessel in seinem Flaneur in Berlin, dem ich zu gerne dabei folge, weil diese Kirche der Inbegriff von geschmackloser Häßlichkeit in einem wunderbaren Ensemble ist und das Protzertum des unklaren Wilhelminismus so wunderbar ausdrückt, einer der unpassendsten Bauten Berlins ist, auch wenn der grauenvolle Alexanderplatz, der trotz viel Fassadenkitt noch immer beredter Ausdruck des totalitären und beschränkten Denken des real existierenden Sozialismus der DDR ist und eine ähnlich grau kalte Stimmung verbreitet, wie sie jenseits uniformierter Paraden vielfach herrschte.

Doch wirft Fest es dem Leser nicht so schnell an den Kopf, wie ich es hier der Überraschung wegen, die Aufmerksamkeit erringt, sogleich tat, auch wenn manche meiner Leserinnen diese Abneigung meinerseits schon kennen werden. Es kann nicht oft genug gesagt werden, wie fehl am Platz dieser Bau ist auch neben dem bald vollendeten Humboldtforum, dass die alte Schlossfassade rekonstruierte und sich damit wunderbar in das Ensemble der Insel einpasst, dahingestellt, ob es ein Armutszeugnis der neueren Architektur ist, keine Formensprache gefunden zu haben, die dort besser hinpasste, als die Rekonstruktion eines noch von klassischer Formensprache geprägten Schlosses, sie hatten ja keine Wahl und ich bin sehr froh darüber, bis auf eine Seite, die schlicht kubisch anmutet, was einseitig noch erträglich ist. Der Autor leitet es vielmehr langsam mit dem Blick auf die klassische Formensprache der Antike und das alte Handwerk her.

Seltsamerweise nimmt Fest aber die Malerei der Romantik von seinem Verdammungsurteil aus - mal einige Schinkels und Caspar David Friedrichs ausgenommen, würde ich gerade da längst den grausamen Kitschverdacht hegen, der besagt, die entsprechenden Werke seien schlicht belanglos und nett, insbesondere bei den Nazarenern fällt es mir schwer, nicht wegzusehen von diesem peinlichen Versuch von Romtouristen ihren mittelalterlichen Katholizismus zu zelebrieren, beginnt für mich in vielem schon hier die Hässlichkeit, allerdings noch vorindustriell und handwerklich - Gebrauchskunst zur Dekoration wurden sie erst einige Jahre später - geschaffen wurden sie mit Überzeugung, ob sie mir nun gefallen oder nicht und denke an Moritz von Schwind und andere, fiele mir wenig ein, was mir gefiele. Die Antiaufklärung Romantik bleibt eine peinliche Epoche in vielerlei Hinsicht.

Die letzte große und einheitliche Epoche, die alle Bereiche der Kunst erfasste, nennt Fest den Klassizismus, danach wäre alles nur noch Stückwerk geworden aber nicht mehr umfassend, so auch beim Jugendstil, der in verschiedenen Ländern auch völlig unterschiedlich benannt wurde und differente Formen entwickelte. Dieser nahm wiederum die klaren Formen der Antike auf und nannte sie vollkommen, wie auch schon die Renaissance dem Ideal dieser Zeit nachstrebte, was zumindest bis zum Biedermaier auch noch für das Kunsthandwerk gesagt werden konnte, was danach vielfältig zerfaserte, von den unsäglichen deutschtümelnden Anleihen ans Mittelalter lieber ganz zu schweigen.

Sicher gibt es noch hin und wieder Treffer im Design oder in der Architektur,  Bauten Liebeskind etwa und auch manche Versuche aus der Bauhausschule sind zu ästhetischen Klassikern geworden, doch sollte die Frage erlaubt sein, ob das Bauhaus nicht völlig überhöht wird, dessen Schuhkastenformen inzwischen die ganze Welt bedecken und meist verschandeln, weil was einmal gut und nett gedacht war, in Masse nicht wirklich besser wird, eher im Gegenteil und dagegen die Altbauten der Gründerzeit trotz kitschigem Stuck wohltuend warm dem Auge erscheinen.

Natürlich weiß ich, vor welchen Bauten von van der Velde ich aaah und oooh sagen muss und wie schick doch die Einrichtung war, die er für Harry Kessler entwarf. Als Einzelstücke im gut sanierten Altbau gerne auch das eine oder andere Bauhaus-Designer Stück aber die Einheitlichkeit der Baukastenfassaden, die ganze Viertel dieses Planeten mit schlichten geraden Linien bedecken, lassen schon am ästhetischen Sinn dieser zeitweise Schule zweifeln, der mehr Trotz als echte ästhetische Entwicklung war.

Halte noch mehr als Fest nur andeutet, das Bauhaus zumindest in der Architektur für überschätzt und finde die Orientierung an schlichten Formen der Antike oder Klassik immer vielversprechender, auch wenn sich eine Altbauwohnung mit Kamin und Stuckdecke natürlich plüschig neben der klaren Architektur einer Palladio Villa ausnimmt, die immer ästhetisches Vorbild über die Generationen bleibt, wie ein ideales Landhaus auszusehen hätte, ich aber gerne auch im Altbau mit Kamin und Stuckdecke wohnte, lieber zumindest als in den klaren Linien eines Bauhaus Kastens, auch wenn eine Wagenfeld Lampe schick aussehen kann, zöge ich immer die Bibliotheksleuchte für mich vor und scheine damit nicht mehr ein belächeltes Einzelexemplar zu sein, sondern auch die Formensprache der Architektur, so konstatiert Fest und ich neige zur vorsichtigen Zustimmung, findet wieder zu klassischen Formen zurück, statt sich in ewig wiederholten Schuhkästen darstellen zu wollen.

Ob wer seine Zeit verstehen will, zurückschauen muss, gegenwärtig noch präsent zu sein, ist eine das Essay umrahmende Floskel, die Fest aber zu dem aus meiner Sicht sehr interessanten Schluss führt, dass es vielleicht nicht mehr den radikalen Bruch mit der Vergangenheit braucht, wie so viele auch nervige Epochen der Moderne lang, die dies mit ausschweifender Hässlichkeit zelebrierte, sondern es vielmehr ein Bemühen braucht, die Erinnerung den Bedingungen der Gegenwart anzupassen, um versöhnt mit dem zu leben, was Schönheit ausmacht und was wir seit der klassischen Epoche Griechenlands kennen können, vom goldenen Schnitt bis zur klaren Form - wir müssen die Welt nicht neu erfinden sondern lieber achtsam mit der Geschichte leben, womit ich nicht meine, dass wir nun die Bausünden der Baukastenepoche und ihren rostenden Beton als Kunstwerk heilig sprechen sollten, sondern weniger Furcht vor klassischen Formen haben sollten.

jens tuengerthal 9.6.20

Voltaireliteratouren

Mit Adam Smith und dem jungen Herzog von Toulouse über Marseille nach Genf gereist, um dort Voltaire zu besuchen, den großen Autor der Aufklärung, der auch zeitweise im englischen Exil gelebt hatte und den der Schotte sehr schätzte, weil er die Philosophie der Freiheit in schöne Worte zu kleiden verstand, was wenigen Philosophen je so gelang.

Voltaire war ein Genie, er schrieb nicht nur begnadet im Geist der Aufklärung, konnte auch im Sinne des Königs dichten oder sogar sich vom Papst angenehme Worte für eine Widmung schreiben lassen, ließ sich auch gerne als großer Dichter feiern, verkehrte für eine Zeit, von Madame Pompadour unterstützt, auch bei Hof und überwarf sich doch immer wieder mit vielen auch dort schnell, war aber vor allem, was bei Künstlern nicht alltäglich ist und dem Dichter selbst völlig fremd, sehr geschickt im Umgang mit Geld und häufte ein Vermögen an, mit dem er sich für die letzten Jahre seines Lebens ein schönes Schlösschen am Genfer See bauen konnte mit schönem Park und eigenem Theater, über das sich die fromm prüden Calvinisten dort gehörig empören konnten, auch wenn er dort sicherer war vor Verfolgung als in Frankreich, weil die Schweiz die Schweiz war, blieb es trotz vieler Besucher nur ein Exil, weil Genf nicht Paris ist.

Voltaire, der Freund Friedrichs des Großen, der sich auch mit diesem immer wieder überwarf, sogar nach zu schneller Abreise von Berlin einmal in Frankfurt festgesetzt wurde, bis er ein Gedicht Friedrichs wieder heraus gab, dass Fritz nicht in fremden Händen wissen wollte, aber dennoch der lebenslange Freund und Briefpartner des Monarchen blieb, der ihn, zwanzig Jahre jünger, natürlich überlebte aber auch immer wieder verzieh, obwohl er bissig auch über die Sparsamkeit des Franzosen lästerte, der angeblich Kerzen geklaut hätte, eben nicht umsonst reich wurde. Doch nicht nur Friedrich ließ ihn kurz in der freien Reichsstadt verhaften, Voltaire musste mehrfach in die Bastille, weil er sich zu frei über die Kirche äußerte, sich mit den Jesuiten anlegte, die andererseits seine verehrten Lehrer auf dem berühmten Jesuitenkolleg Louis-le-Grand waren, was ihm viele Kontakte bis in höchste Kreise eröffnete, er dort Freundschaften fand, die ein Leben lang hielten. Sein Name Voltaire ist das Anagramm seines bürgerlichen Familiennamens Arouet.

Mehrfach ließen Adelige ihn verprügeln, die sich von ihm als Dichter und Mann provoziert fühlten aber sich mit einem bürgerlichen, der ja nicht satisfaktionsfähig für sie war, nie geschlagen hätten, was den stolzen Franzosen noch mehr verletzte als die Schläge, die ihn trafen.

Während seiner Flucht nach England, als ihm mal wieder die Verhaftung drohte, hatte er sich viel mit der dortigen Literatur aber auch mit dem Finanzwesen in London beschäftigt, wurde auch mit Anteilen an der East India Company reich. So reich sogar, dass er dem schwäbischen Herzog von Württemberg einen Kredit geben konnte an dem er bis zum Ende seines Lebens sehr gut verdiente. Wobei er den an den Schwaben geliehenen Betrag mit Offizieren von Friedrich verdiente mit denen er Finanzgeschäfte machte, in dem er nach dem siebenjährigen Krieg Wechsel günstig kaufte, die der damals klamme König herausheben musste, an denen er mehrere hunderttausend verdiente, was der König nicht sehr schätzte.

Er hatte auf den ausdrücklichen Wunsch seines Vaters hin Jura studiert, weil Literat, was er als Berufswunsch angegeben hatte, ja nichts anständiges war, kurze Zeit in einer Kanzlei gearbeitet und dabei viele Tricks gelernt, die ihm später von Nutzen waren für seine Geschäfte wie möglichst günstige Verträge. 

Jura habe ich zwar auch studiert, wie so viele Schreiberlinge, aber viel von Verträgen verstehen oder eine Ahnung zu haben, wie ich mein Recht durchsetzen könnte, würde ich mir darum nie anmaßen, alle Erfahrung spricht dagegen - aber vielleicht ist dies auch ein Teil des großen Genies und Spötters Voltaire, der sich in wenigen Jahren so in die Materie einfinden konnte, dass sie ihm sein Leben lang nutzte, er auch seine lange beste Freundin und Geliebte Emilie du Chatêlet beraten konnte, als diese sich um ein Schloss in Flandern sorgte, wo sie länger mit Voltaire und teilweise auch ihrem Gatten lebte, der es nebenbei auf seine Kosten hatte sanieren lassen. Dafür brachte die große Naturforscherin Chatêlet ihm vieles aus den Naturwissenschaften näher, was seinen Horizont noch zusätzlich erweiterte und sein Werk um Bände über Newton und anderes ergänzte.

Leider starb seine kluge Geliebte nach der Geburt eines Kindes und die folgenden Jahre trieb sich Voltaire sehr unstet zwischen Preußen, Frankreich und Lothringen herum, wenn ihm mal wieder in Paris die Verfolgung drohte.

Was Adam Smith mit Voltaire besprach, ob dieser gelangweilt war, die Besucher bald wieder wegschickte, sich selbst versteckte, entschuldigte oder zurückzog, wie er es häufig tat, wenn ihn jemand langweilte, oder sie sich wiederholt sahen, ist nicht ganz klar - zumindest hat Smith auch nach dem Besuch noch mit Hochachtung über den Franzosen geschrieben und von ihm geschwärmt, der zum Zeitpunkt des Besuches schon über 70 war und 84 Jahre alt wurde.

Es war schön über kleine historische Anekdoten mal wieder in die Welt von Voltaire und der Enzyklopädisten einzutauchen, zu denen dieser ja mit Diderot und Holbach auch gehört. Voltaire war nicht der radikale Atheist, auch wenn er manchen Streit mit der Kirche riskierte, er legte Wert auf Anerkennung und Ruhm wie die Aufnahme in die Akademie und so arbeite er schon zeitlebens an seinem Nachruhm, den er, nicht völlig uneitel, so gut sicherte wie seine finanzielle Unabhängigkeit.

Ihn zu lesen, auch als Historiker, der Henry IV. zur französischen Kultfigur machte und viele der diesem zugeschriebenen Redensarten prägte - von Paris ist eine Messe wert bis zum Hahn im Topf - damit aber einen Konvertiten in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stellte, der als Hugenotte lange gegen den offiziellen Weg gekämpft hatte, ist bis heute lohnend uns sein Candide ist von unglaublicher Schönheit getragen vom freien Geist der Aufklärung den dieser auch Gast des Salons im Hause Holbach mit geprägt hat, wenn auch nicht so radikal und konsequent im Denken wie manche seiner Freunde, so doch bei aller Eitelkeit und Anbiederung bei Hof, die ihn auch vor schlimmeren bewahrte, ein echter Freigeist, der als Dichter und Denker der Erinnerung sehr wert ist, warum die heutige Tour mit einer Verneigung vor dem Genie endet, um auch künftig diesem Geist zu huldigen, weil es noch dringend der Aufklärung bedarf, bis wir uns wirklich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit befreit haben, in aufgeklärten Zeiten leben, in denen nicht länger der Aberglaube das Leben bestimmt sondern Vernunft und Freiheit.

jens tuengerthal 8.6.20

Montag, 8. Juni 2020

Marktliteratouren

Regelt der Markt sich von alleine oder braucht es ordnende Eingriffe, um die Gerechtigkeit zu erhalten, kann der freie Markt ohne funktionieren?

Heute gelesen, wie Adam Smith angesichts der Diskussion über den Getreidehandel in Frankreich und der dort zu seiner Zeit gemachten Erfahrungen seine Theorie vom freien Handel als Voraussetzung des allgemeinen Wohlstandes entwickelte. 

Wie konnte die Theorie vom Freihandel auf dem Boden einer zentral verwalteten Monarchie entstehen?

Im Frankreich jener Jahre um 1765 kam es zu einem massiven Verfall des Getreidepreises durch ein Überangebot nach dem Ende des Krieges mit Preußen, infolge etwa 300.000 Esser weniger und späteren Vereinbarung zum Handel mit den sich unabhängig erklärenden Vereinigten Staaten von Amerika.

Gleichzeitig trieben Großhändler die Preise durch scheinbare Exporte und künstliche Verknappung wieder in die Höhe, weil sie auf große Gewinne hofften, die sie erfolgreich machten und zugleich noch als Retter der Nation geehrt wurden, da sie die plötzlich Mangelware reimportierten. In dieser Situation sah sich der Staat in der Pflicht, die Bauern als Basis des Wohlstandes der Nation zu retten und ließ auf Rat einer Gruppe einflussreicher Ökonomen am Hof, die Zölle erst im Land und dann auch für den Export fallen, gestatteten eine Art Freihandel, um die im Krieg verarmten Bauern am Wohlstand zu beteiligen, da vermutet wurde, der Markt würde es regeln.

Dieser Versuch funktionierte relativ gut für die Großbauern, wie die Mühlen, die als Aktiengesellschaften im Besitz des Staates waren, allerdings nicht für den Rest der Bevölkerung, ein breiter Aufschwung scheint fraglich, weil es noch keine schützenden Gesetze gegen Monopole gab, womit die Wohlhabenden noch reicher wurden und die Armen keine großen Gewinnen machen konnten.

Lassen sich diese Ideen auf unsere Zeit und die besondere Situation im politisch-ökonomischen Bereich übertragen?

Die bis heute spannende Frage ist, ob der Handel mehr oder weniger Regeln braucht, um den Wohlstand der Mehrheit zu vergrößern. Unter Berufung auf Smith forderte eine einflussreiche Gruppe lange und bis heute eine weitere Liberalisierung der Märkte, wandte sich gegen staatlichen Protektionismus, forderten weniger Staat und mehr Freiheit, der Markt würde es schon regeln, Freiheit sei die Basis von Erfolg. 

Dies war und ist eine klassische Position der Republikaner in den USA, bei denen sich unter dem Decknamen Boston Tea Party noch eine Gruppe besonders marktliberaler Radikaler zu etablieren versuchte.

Auf den Protektionismus aber wollte die Regierung Trump ihren Aufschwung stellen, erhöhte Zölle, forderte eine Stärkung ihrer Rechte im Handel und versetzte damit die Märkte in Unruhe. Dies schien, solange relativ gut zu gehen, wie es den Menschen in Amerika damit besser ging, sie genug verdienten, der riesige amerikanische Markt lebte, weil viele das Gebaren ihres Präsidenten sportlich sahen, er sich eben wie ein Unternehmer benahm, der hoch pokerte, um den maximalen Gewinn für seinen Staat zu realisieren. Mit der Corona-Krise kam der Einbruch dieser Politik. Wie die Welt auf den monatelangen Stillstand und die folgende wirtschaftliche Krise reagiert, ist noch unklar, auch, wie sich eine zweite Welle auswirken könnte und ob Produktivität vor Sicherheit gehen darf, zu wessen Gunsten dies erfolgt.

Eine wirtschaftliche Krise fordert sicher viele Opfer, doch fragt sich, ob es zulässig sein kann bewusst Menschenleben zu gefährden, um ein System am Laufen zu halten, was eigentlich der Versorgung aller dienen soll oder dann das System einen Fehler hat, weil es den Menschen für weniger wert erachtet als seine Funktionalität, ein nötiger zeitweiser Stillstand größeren Schaden verursachte als jede Krankheit.

Stellte Corona die Systemfrage?

Nüchtern am Markt orientiert betrifft Corona mit den Älteren vor allem eine Gruppe von Menschen, die eine geringe Produktivität haben aber hohe Kosten etwa durch Renten oder medizinische Versorgung verursachen. Deren Leben riskieren, um den Wohlstand der Mehrheit zu sichern, wäre volkswirtschaftlich wesentlich produktiver als der Versuch ihrer Rettung, der noch unklar viele Opfer einer Krise kosten wird.

Auch wenn sich diese Betrachtung ethisch verbietet, weil sie eine Gruppe von Menschen zum Wohle der Mehrheit aussortierte, eine Politik betriebe, die in der Wirkung jener der Nationalsozialisten gliche, die eine Glaubensgruppe und andere nach rassischen Gesichtspunkten aussortierte, könnte sie sich in einer Demokratie lohnen, weil die Mehrheit lieber ihren Wohlstand mehrt, statt durch Verzicht, andere retten zu wollen und entsprechend wählt. Betrachte ich die Corona-Krise so, könnte die Regierung Trump relativ vernünftig gehandelt haben, auch wenn davon auszugehen ist, dass dieser selbsternannte Genius die Problematik bis heute nicht begriffen hat, lieber Verantwortung leugnet und andere beschuldigt, um von eigenen Fehlern abzulenken, was lange am Markt relativ erfolgreich sein konnte, wie sich auch bei der Auflösung der UDSSR in der Gruppe der dabei reich gewordenen Menschen zeigte.

Braucht ein Markt, in dem plötzlich Politiker wie Trump auftauchen, die um ihrer nationalen Interessen wegen, die vor einer Wahl ihre persönlichen auch werden, Regeln, die dies verhindern können oder gehört dies zum natürlichen Risiko?

Ist die Demontage der USA aufgrund verfehlter, rückwärtsgewandter Politik, die nicht mehr in das Zeitalter der Globalisierung passt, von der diese am meisten profitierten, die verdiente Quittung oder spielt da nur einer im Stile der Westernhelden den Protektionisten, um einen besseren Deal auszuhandeln, folgt er keinen Prinzipien und Grundsätzen sondern schlicht dem Erfolg, ist es die richtige Behandlung autoritärer Nachbarn wie China?

Es stellen sich hier viele Fragen und wirken zahlreiche Einflüsse zusammen, die eine einfache klare Antwort schwer machen, auch wenn Gewissen und Moral das Verhalten dieses Präsidenten verurteilen mögen, besagt dies noch nichts über den Erfolg seiner Politik, die mit vielen Gewohnheiten bricht. Es bleibt im Ergebnis komplex.

Am Markt der Wähler wird sich zeigen, wie erfolgreich diese Politik sein kann. Wird er bestätigt, könnte er die durch eigene Fehler verursachte Krise mit Glück überwinden, sollte er bestraft werden, könnte dies für ein vernünftiges Verhalten der Mehrheit sprechen, das Vertrauen in die Freiheit bestätigen, die Fehler und Ausrutscher auch wieder korrigiert.

Fraglich bleibt nur, ob solche Kurswechsel, wie Trump sie vollzieht, erlaubt sein dürfen oder vorab verhindert werden müssen, die Stabilität des System zu gewährleisten, was im Interesse der Mehrheit liegt, auch wenn sie es nicht erkennt.

Adam Smith ging in seiner Staatstheorie vom vernünftigen Unternehmer aus, der im Interesse des Gemeinwesens handelt, von dem er profitieren möchte. Dieses aufklärerische Denken ist an der Freiheit des einzelnen orientiert und geht davon aus, dass dessen Erfolgsstreben von Vernunft geleitet wird und damit auch ethischen Grundsätzen genügt. Diese zwei Axiome aber scheinen häufiger fragwürdig in der Realität. Weder handelt jeder immer vernünftig, ist Erfolg häufig auch eine Gefühlsfrage und wird damit durch eine komplexe Summe von Ursachen bestimmt, noch sind die Grundsätze eines guten Kaufmanns, wie sie noch die Buddenbrooks etwa hoch hielten, am Markt realistisch, wie am Ende sogar die Buddenbrooks zu belegen scheinen, deren Firma liquidiert wird mangels Erben und hat nicht recht, wer Erfolg hat?

Geht damit die Theorie schon von falschen Annahmen aus, ist deshalb grundsätzlich falsch, wie es uns das System Trump gerade vorzuführen scheint, was zwar nach unternehmerischen Grundsätzen Politik macht, aber in der Realität scheitert und nur durch Ablenkung und Beschuldigung Dritter statt ehrlicher Verantwortung noch Erfolg haben kann und dennoch aus vielen anderen Gründen erfolgreich sein kann, in dem sich einige bereichern werden?

Hielte es für anmaßend Smith Theorie widerlegen zu wollen mit dem Beispiel eines peinlichen Politikers - zu Zeiten der Monarchie mit einem positiven Unternehmerbild erdacht, konnte sie nicht die komplexen Einflüsse einer modernen Mediendemokratie berücksichtigen. Fraglich könnte aber sein, ob eine ökonomische Theorie, die von vielfältig anderen Grundlagen ausgeht, noch geeignet sein kann Antworten für unsere Zeit zu geben, es noch um mehr oder weniger Regeln geht oder nicht vielmehr angesichts der Komplexität jeder Einzelfall gesondert betrachtet werden muss, die meisten ökonomischen Theorien relativ unsinnig sind.

Im Frankreich des 18. Jahrhunderts wurde unter besonderen Umständen bei einer Krise der Landwirtschaft infolge der Preisschwankungen bei Getreide nach Ende eines Krieges, angesichts eines plötzlichen Überangebots der Versuch der Deregulierung gestartet und ging nicht völlig daneben, ob dies für einen globalisierten Markt unter den Bedingungen heutiger Zeit auch so gelten kann, sollte im Einzelfall betrachtet werden, statt eine Theorie zu verallgemeinern, die besonderen Umständen geschuldet ist.

Vielleicht liegt eines der Probleme dabei im Prinzip der Gewaltenteilung verborgen. Der Rechtsstaat braucht es zur vernünftigen Kontrolle, welche Stabilität garantiert. Andererseits rekrutieren sich die Leiter der Exekutive aus den führenden Kräften der Legislative, die sich eigentlich gegenseitig kontrollieren sollen, andererseits aus einer durch Wahlen bestimmten Mehrheit rekrutiert werden sollen, um so die Mitbestimmung des Volkes an der Führung des Staates zu sichern.

Viele halten Politik für wahnsinnig spannend, dabei geht es eigentlich um nichts als die Organisation von Verwaltung und die Realisierung von Beschlüssen dort. Welchen Gewinn es für ein Gemeinwesen bringt, wenn bei der formalen Organisation möglichst viele Menschen mitbestimmen, erschließt sich nicht von alleine, wir haben uns nur in der Demokratie angewöhnt, es für normal und richtig so zu halten, weil damit die Mehrheit die grobe Richtung mitbestimmen kann, was einerseits eine relative Zustimmung für auch einschneidende Beschlüsse mit sich bringt, dem Egoismus formale Grenzen setzt, andererseits das Handeln der Verwaltung anfällig für populistische Stimmungen macht, die in der Legislative stellvertretend ausgefochten werden sollen.

Handelten die Regierungen stets vernünftig, wie es Smith dem idealen Kaufmann unterstellt und verträten nicht auch Partikularinteressen, wie sie natürlich persönlichen Bedürfnissen folgen, bräuchte es keines Parlamentes als Kontrollorgan, dann handelte die Exekutive also die Verwaltung stets legitim, wie es früher Königen unterstellt wurden, deren Regierung als von Gottes Gnaden galt. Ob die Führung durch eine Person oder Familie anfälliger für Korruption und Vetternwirtschaft ist als die durch Parteien, bei denen die Verantwortung nur auf mehr Köpfe verteilt wird, zu streiten, ist müßig, insofern sich das Prinzip relativer Mitbestimmung am Markt als erfolgreicher durchgesetzt hat, weil es Kontinuität durch Zustimmung der Mehrheit sichert, die für Sicherheit gewisse Kosten und Beschränkungen akzeptieren. Als zusätzliches Kontrollorgan gibt es Medien, die über das Handeln der Führung berichten und damit die Öffentlichkeit beeinflussen.

In Schwierigkeiten gerät das System immer wieder, wenn es mit anderen Systemen nur relativer Freiheit konkurrieren muss, wie sie etwa in Russland oder China praktiziert werden, die aber dafür auf hiesigen Märkten als Händler mit der unsererseits garantierten Freiheit als Konkurrent auftreten wollen, ohne die gleiche Freiheit auf ihren Märkten zu gewähren, noch ihrer Bevölkerung die hier üblichen Freiheiten zu garantieren. Bei Russland, was sich durch Eingriffe seiner Geheimdienste und durch Propagandamedien aktiv um die Destabilisierung westlicher Republiken und Europas bemüht, ist es ein durchsichtig klarer Konkurrenzkampf, welcher sich gegen Einzelpersonen, in Deutschland etwa Merkel, die Putins Freund Schröder einst besiegte, richtet und versucht unliebsame Sanktionen durch weitere Provokationen und die Finanzierung von Populisten auszuhebeln, ohne dabei eine alternative Lösung bieten zu können, warum nicht davon auszugehen ist, dass sich gebildete Menschen länger davon täuschen lassen. Anders dagegen ist es bei China, mit dem Trump auf Western-Art Konflikte ausficht, während sich der übrige Westen lieber anbiedernd um Plätze auf dem dortigen Markt für die eigene Industrie bemüht, auch wenn damit Prinzipien der Demokratie und Menschenrechte verraten werden, es kein moralisches Handeln mehr gibt.

Mit China aber wie mit Nordkorea setzt Trump seine Deal-Politik fort, bei der er Vereinbarungen unter Freunden sucht, die er vorher bei den Verhandlungen noch zu erniedrigen und zu erpressen versucht, soweit er es für sinnvoll hält. Momentan stiftet er Brände im Land und außerhalb an, um damit von seiner negativen Bilanz abzulenken, die Diskussion über sein völliges Versagen in der Corona-Krise zu vermeiden. Dies erinnert an die Politik Putins, der durch permanente Provokation nach außen, ob in der Ukraine oder auf der Krim, den inneren Zusammenhalt stärkt, weil sich die Russen von Feinden in der Welt verfolgt sehen, die das Verhalten ihres gewählten Präsidenten sanktionieren, statt darüber nachzudenken, wohin das System Putin das Land geführt hat, wen es bevorzugt und wie es das Land in eine Oligarchie verwandelt hat nach einem kurzen Aufbruch der Demokratie nach 1989. Insofern die Menschen dort nie etwas anderes kennenlernten, ist es niemandem aufgefallen und scheint der Mann des früher KGB als das geringere Übel, vielen sogar als Held des Vaterlandes.

So befindet sich das die Werte der Demokratie verteidigende Europa in einer schwierigen Position. Nachbar Russlands, was sich als Gegner mit ständiger destruktiver Demontage beschäftigt, Partner Amerikas, was keine Zuverlässigkeit mehr bietet, sondern sein Fähnchen in den Wind hält, unberechenbar wurde, eine Politik aus einer anderen Zeit betreibt, die vom Konflikt lebt, weil dieser andere Probleme verdeckt. Konkurrent in China, das den weltgrößten Absatzmarkt zögerlich und beschränkt nur gegen Auflagen öffnet,  während es von einer korrupten Parteiendiktatur geführt wird, die einen Führerstaat etablierte.

Ist es in dieser Situation richtig allein den freien Kräften des Marktes zu vertrauen, wenn auf diesem so gegensätzliche Kräfte agieren, die für sich mit freiheitlichen Prinzipien und Gleichheit nichts zu tun haben?

Wird die Freiheit da nicht zum Bauernopfer gemacht, das nicht konkurrieren kann?

Es scheint sehr komplex und einfache schnelle Antworten verbieten sich so sehr wie bloße Vorurteile. Ruhe und abwarten wären geboten, funktioniert aber nur schwer in einer von immer schnelleren Medien beeinflussten Demokratie, die froh sein kann, wenn sie alles ohne größere Schäden übersteht. So verhält es sich auch mit der Anwendbarkeit der liberalen Ideen von Smith, die auf dem Prinzip der Freiheit aufbauen und klar moralisches Handeln des einzelnen voraussetzen, da dies in seinem Interesse wäre, dächte und handelte er und alle anderen vernünftig. Ob die Gesetze der Vernunft, die den Markt, auf dem jeder logisch nach maximalem persönlichen Erfolg strebt, leiten sollen durch das Prinzip der Masse, was einzelne Ausreißer ausgleichen könnte, stärker wirken als der Egoismus scheint gerade fraglich.

So scheint Smith Theorie zur Ökonomie die ideale freiheitliche Theorie für eine ideale und freiheitliche Gesellschaft, die real aber nirgendwo so existiert, weil unterschiedliche destruktive Einflüsse das Erreichen des Idealzustandes so gut wie möglich verhindern. Fraglich bleibt, ob daraus, wie führende Ökonomen es lange taten, eine immer Priorität des Marktes als Basis des Ideals zu folgern ist oder eher eine des Staates, der diesem Geschehen unter bestimmten Bedingungen erst die Basis geben kann. Auch hier gilt vermutlich, dass ausschließliche Entscheidungen meist falsch sind, es guter Kompromisse bedarf und der beste Weg irgendwo zwischen den Extremen entlang führt.

Die Antwort auf die Frage nach dem richtigen System könnte damit vielleicht besser ein “kommt drauf an” sein. Statt sich in Ausblendung der nie gegebenen Bedingungen auf ein System totaler Liberalisierung um der Freiheit willen zu verlassen, was bestehende Monopole und Strukturen stabilisierem und begünstigen könnte, damit der Freiheit eher schadet, auch wenn es auf deren Basis fußt, eine regelnde Hand für nötig zu halten, um die Bedingungen der Freiheit für alle zu schaffen, wäre eine Möglichkeit, gute Ideen zu Ende zu denken.

Real leben wir ständig in Kompromissen zwischen mehr oder weniger Freiheit bei denen sich irgendwelche Gruppen immer darum bemühen ihre Partikularinteressen möglichst gut durchzusetzen, warum es Unsinn ist, von einer einzigen Theorie Richtung und Antwort auf alle Fragen zu erwarten. Wichtiger für die Zukunft könnte sein, die Bedingungen der Freiheit, die den Markt alleine regeln lässt, für mehr Menschen so gut wie möglich herzustellen, also Gleichheit der Beteiligten am Markt, Schutz vor Monopolen und mehr Chancen zur Gleichheit schon in der Ausbildung, wie es der Sozialstaat ja mehr oder weniger erfolgreich versucht. Dahingestellt ob nun die funktionierende soziale Marktwirtschaft der Stein der Weisen sein kann oder auch nur ein Kompromiss unter Berücksichtigung der Schwächeren ist, könnte es lohnender sein, über Wege und also Kompromisse im System nachzudenken als über grundsätzlich neue, die oft mehr schaden als nutzen.

jens tuengerthal 8.6.20

Sonntag, 7. Juni 2020

Betroffenheitsgehorsam

Ganz in schwarz aber ohne
Rassistische Hintergedanken
Ganz im Gegenteil eher
Marschierten gute Menschen
Trotz Corona durch Städte
Riskierten damit ihre Leben
Um sich solidarisch zu zeigen
Mit ermordeten wie unterdrückten
Afroamerikanern was auch schon
Nach Rassenlehre fast klingt
Aber politisch korrekter als
Schwarz heutzutage ist
Auch wenn sie es trugen
Dabei gehorchen sie in der Herde
Dem Betroffenheitsgehorsam
Einem Gefühl anstatt das sich
In Massen gerne einstellt dabei
Dahingestellt wem es dient
Zuerst dem eigenen Gewissen
Dann den Unterdrückten dieser
Davon überfüllten Erde auch
Soll es dem Anspruch nach
Auch wenn niemand davon
Einen persönlichen Gewinn hat
Ist Solidarität irgendwie wertvoll
Zuletzt denken die dort daran
Trump einen Dienst zu erweisen
Was sie de facto aber genau tun
Nicht nur weil sie ihn beschimpfen
Über den ungebildeten Reichen
Als lächerlichen Ami spotten
Was die leichteste Übung ist
Genau die Rolle spielt er ja
Damit den Zusammenhalt stärken
Sondern die Saat der Polarisierung
Die dieser Donald gerne sät
So gut aufgehen lassen was
Amerika spaltet aber dem totalen
Corona Versager eine Chance gibt
Der sich selbst vernichtete weil
Offensichtlich völlig unfähig
Zur Führung des Landes
Alleine erfolgreich spalten kann
Wer das unterstützt hilft ihm
Gerade mehr als den Opfern
Warum kritisches Denken vorab
Auch in Zeiten von Corona
Mehr Erfolg verspricht leider
Nur hört Masse nie auf Vernunft
Wollte es nur gesagt haben
Auch wenn es nicht hilft

jens tuengerthal 7.6.20

Fernnah

Was ist überhaupt Nähe
Frage ich mich einsam
Aber glücklich in Gedanken
Bei einer Prinzessin wohl
Wir sind uns fern noch
Viel näher als viele die
Ineinanderstecken nur
Was zeigt wie relativ
Nähe immer wohl ist
Wie fern Sex sein kann
Wo Berührung sich nur
Zur eigenen Befriedigung
Aneinander mechanisch reibt
Als ginge es um Gymnastik
Mehr als ein Gefühl füreinander
Was das miteinander erst zum
Gipfel des Glücks uns macht
Warum wir jenseits auch von
Zeit und Raum verbunden sind
Was Lust zum Wunder macht
Das bebend überfließt zum
Gipfel gefüllter Nähe und
Was käme je näher

jens tuengerthal 7.6.20

Kubinkeliteratour

“... darüber, daß man statt des einen Mannes im Notfall den anderen nehmen könnte - so ungefähr wie man statt einer rosa Bluse ja auch eine hellblaue anziehen könnte - darüber bestanden zwischen ihnen keinerlei Meinungsverschiedenheiten … denn endlich waren sie doch beide Frauen …”

Mit dieser Einigkeit zwischen Frau Betty Löwenberg und ihrer Pauline, dem Kindermädchen, Mädchen für alles und bis dato Verlobten von Emil Kubinke kurz vor Ende des Romans Kubinke bringt Georg Hermann die Geschichte und das Leiden seiner Hauptperson auf den Punkt. Der gute Emil wird die Suche nach Liebe nicht überleben, so viel kann schon verraten werden, ohne ein Geheimnis auszuplaudern, schließlich deutet der Autor genau das schon im Vorwort an, aber schafft es dann über 334 Seiten in Band 414 der Anderen Bibliothek die Spannung mit viel Humor aufrecht zu halten.

Georg Hermann, der eigentlich Georg Hermann Borchardt hieß, entstammte einer bekannten jüdischen Berliner Familie. Der 1871, also im Jahr der Reichsgründung, in Berlin geborene Schriftsteller wurde 1943 im KZ Auschwitz ein Opfer des Holocaust. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts war Hermann ein vielgelesener und erfolgreicher Autor, der seinem großen Vorbild Theodor Fontane nacheiferte, zuerst sogar im Verlag von Fontanes Sohn verlegt wurde. Am erfolgreichsten waren seinerzeit die Romane Jettchen Gebert und Herniette Jacoby, die im Berlin der Jahre 1839/40 spielen und das Bild einer liberalen jüdischen Familie zeichnen. Sie erschienen in über 260 Auflagen. Nach dem Reichstagsbrand flüchtete Hermann mit seiner Familie nach Holland, seine Bücher wurden bei der Bücherverbrennung im Mai 1933 von den Nazis und ihren Mitläufern in die Flammen geworfen. Nach der Besetzung Hollands durch die Wehrmacht wurde er Anfang 1943 gezwungen seinen Wohnort Hilversum, wo Liebermann einst eines seiner schönsten Bilder malte vom Landhaus seines Freundes, zu verlassen und sich nach Amsterdam zu begeben. Aus dem Durchgangslager Westerbork wurde er Mitte November nach Auschwitz deportiert, dort auf der Altenrampe aussortiert und kam wohl am 19. November 1943 in der Gaskammer ums Leben.

In seinem Roman Kubinke hat Hermann den einfachen Angestellten als tragische Figur des Romans entdeckt. In seinem Scheitern ist er Falladas »Kleinem Mann«, in seiner Fallhöhe Döblins Franz Biberkopf ähnlich, in seinen distanziert ironischen Beschreibungen der bürgerlichen Welt, lässt er an die Buddenbrooks denken, nur liebevoll von unten betrachtet, nicht als Teilnehmer von oben – doch in seiner Liebenswürdigkeit ist Kubinke beispiellos. Hermann war seinerzeit so erfolgreich wie ein Thomas Mann. Mit Kubinke hat er dem »kleinen Mann«, dem arbeitenden Träumer, der sein Herz am rechten Fleck trägt, was im Alltag nicht unbedingt nützlich ist oder stark macht, ein Denkmal geschrieben.

Das Berlin der Kaiserzeit ist die Epoche der Romane Georg Hermanns. Er lässt die Stadt wachsen, neue Kieze breiten sich aus: Schöneberg, Wilmersdorf, Charlottenburg, die zum Zeitpunkt der Romanhandlung noch nicht zu Berlin gehören. An allen Orten bemüht sich die Stadt »hochherrschaftlich« zu werden. Auch Emil Kubinke, der als Friseurgehilfe am 1. April 1908, an dem die Geschichte beginnt. die im auf und ab der Jahreszeiten nicht einmal ein Jahr später endet, aus der Provinz in die wachsende Metropole kommt und auf sein Glück hofft, kennt diese Welt nur aus der Distanz. Er selbst muss durch den Dienstboteneingang im »Gartenhaus«, wo er unter dem Dach mit seinem lebenstüchtigen Kollegen Tesch wohnt, der kräftig berlinert. Im Vorderhaus hat der Friseur Ziedorn einen florierenden Salon, verkauft sein Haarwuchsmittel »Ziedornin« und macht bei vermögenden Damen und in der Nachbarschaft wohnenden Huren gern Hausbesuche, die seine Dienste mit Naturalien vergüten, im quasi Tauschhandel, bis seine Gattin es unterbindet.

Kubinke sucht etwas schüchtern und wohl noch naiv, doch voller Engagement sein Glück – auch in der Liebe. Er erprobt es im Frühling zunächst bei Hedwig und Emma, den zwei Dienstmädchen im Haus, die eine drall, die andere schlank und beste Freundinnen, auch wenn sie teilweise um die Männer konkurrieren. Beide lassen den verwunderten Friseur abblitzen, benutzen ihn nur mangels Alternative zwischendurch. Das große Glück in der der Liebe findet er schließlich bei der rothaarigen Pauline aus der Beletage, mit der er sich im Grunewald sogar »verlobt«, schon das gemeinsame Leben samt Einrichtung und Laden plant. Doch Kubinke, arglos und nichtsahnend noch, wie so viele Männer in der Liebe immer wieder, den Autor dieser Zeilen inbegriffen, wird von den Unterhaltsforderungen seiner vorherigen Probelieben erpresst, die ihn, der nur bis zur Oberquarta das Gymnasium besuchte, das er nach dem Tod des Vaters verlassen musste, weil gebildet wirkend, für wohlhabend halten. Für das Leben in der Großstadt und dessen lockere Moralvorstellungen, ist er nicht gewappnet. Ihm legt sich wie von selbst der Strick um den Hals und so endet ein Jahr der Liebe mit Dreien, von dem ihm scheinbar nichts bleibt, hatte er doch seiner Pauline den Prozess, der ihm höchst peinlich war verschwiegen, zumal er davon ausging, dass er natürlich gewinnen würde, weil es doch schon biologisch gar nicht sein könnte, dass er ahnungslos geschwängert hätte, der nie an so etwas dachte.

»Aber endlich, endlich und zum Schluß hoffe ich doch, mir die Gunst des Lesers zu erringen. Denn – da ja in meiner Geschichte viel geliebt wird, so wird mir viel verziehen werden.«, schreibt Georg Hermann im Vorwort und dieser Kubinke und sein Unglück mit den Frauen in Berlin ist wirklich liebenswert und gerne ergänze ich noch, es ist eine Illusion zu glauben, dass nur die Damen der Großstadt so abgebrüht wären, wie es obiges Zitat nahelegt, denn sie sind doch alle Frauen, ob aus der Provinz oder aus Berlin, nur der Tonfall mag hier noch ein anderer sein.

Fragte mich bei der Lektüre mehrfach, ob ich es wirklich aushalte, ihn bis zum absehbar tragischen Ende zu lesen, mit dem der arme und so sympathische Kubinke ein Opfer seiner Ehrlichkeit und seiner Sehnsucht nach Liebe wird, die doch im Leben immer einen festen Boden braucht und so realistisch seine Träume mit Pauline waren, so lebensfern verhielt er sich in anderem und seinem tiefen Vertrauen auf die große Liebe die so oft heute kommt und morgen verschwindet, danach von nichts mehr wissen will und nur noch schaut, wie sie ihre Schäfchen ins Trockene bringt - zumindest scheint belegt, was einfach verschwindet, kann nicht groß gewesen sein, auch wenn dies zu verstehen immer Zeit braucht.

Waren die geschwängerten Frauen die Opfer und die Männer immer nur Täter, die zurecht bestraft gehörten, verhielt sich Kubinke nur naiv und war darum nicht lebensfähig oder ist es ein Gesetz der Liebe, wie Hermann es an anderer Stelle in seinem wunderbar distanzierten Ton beschreibt, dass es die vollkommene Harmonie nie geben kann, es am besten funktioniert, wenn jeder seine Geheimnisse behält, der Traum von Liebe nur eine naive Illusion für nette Momente ist, es im Leben aber immer nur ums Überleben miteinander geht und wo dies einigermaßen harmonisch möglich ist, alle Seiten zufrieden sein sollten?

Je mehr wir von großer Liebe träumen oder sie erringen wollen, desto ferner liegt sie meist - als ich das letzte mal, Jahre bevor ich Kubinke las, den Traum von der Liebe aufgegeben hatte, mich realistisch mit der Wirklichkeit abfand und mit ihr zufrieden zu Leben versuchte, zumindest ein guter Liebhaber gewesen sein wollte, schneite plötzlich eine kleine Prinzessin in mein Leben, verzauberte mich mit dem Traum von großer Liebe im Bündnis mit ihrer mir damals nicht unbeträchtlich erscheinenden Schönheit völlig und gerne wollte ich den Unsinn wider besseren Wissens glauben, bis ich mal wieder völlig erstaunt und naiv, auch wenn mehr als doppelt so alt als Emil Kubinke je wurde, auf die Nase fiel und dem verlorenen Herz aus der unmöglichen Beziehung zu lange hinterher trauerte.

Heilsam war so gesehen die Lektüre des Romans, der mir, auch wenn über hundert Jahre früher spielend, vorführte, es hat sich nie etwas geändert - nur ist es kein Privileg allein der Frauen an die Austauschbarkeit der Männer zu glauben, auch wenn sie ihre Hingabe gern wörtlich als einmaliges Glück inszenieren, was mich immer wieder zum Glauben an die ewige Liebe verführte, sogar wenn Erfahrung das Gegenteil belegen könnte, Männer können das, wenn vernünftig und kühl genug, genauso. Wie oft gelang mir dieses selbst, wo ich emotional noch nicht zu sehr beteiligt war, wie aber setzte mich mein naives, schlechtes Gewissen unter Druck, als ich meinte mich zwischen drei Prinzessinnen einst entscheiden zu müssen, die zwar verschieden doch jede für sich wunderbar waren, von denen aber eigentlich keine die Entscheidung wollte, sondern zumindest teilweise, zufrieden mit dem waren, was war, während ich von der großen Liebe noch träumte, ohne es so zu nennen - aber wie tief ist doch dieser Traum noch in mir verwurzelt, von dem ich weiß, er tut über kurz oder lang nur weh. Bin ich emotional masochistisch veranlagt, könnte ich mich aus guten Gründen fragen.

Wäre es also, Emil Kubinke, den sympathischen kleinen Mann betrachtend, im Leben klüger und im Ergebnis attraktiver, den Traum zu beerdigen, um das Mögliche ohne zu großen emotionalen Ballast zu genießen oder lebt es sich schöner mit Träumen, auch wenn sie sich in der Realität nie erfüllen werden - vielleicht kommt eines Tages doch die eine Prinzessin, mit der ich bis ans Ende meiner Tage glücklich bleibe, was ja jeden Tag kommen kann, oder ist das Leben viel genussreicher, wenn ich mich vernünftig in das füge, was eben ist, um zu funktionieren, den emotionalen Ballast abwerfe, nicht wieder naiv zu sein, lieber kluge Kompromisse schließe, glücklich mit dem, was gerade ist.

Alle Erfahrung spricht dafür und das tragische Ende von Kubinke, der zum Werther wird, bestätigt es - denn ein Werther ist nicht attraktiv als Mann, außer für romantische Schwärmer aber nie für vernünftige, kluge Frauen, sondern ein Idiot, so literarisch schön er auch sein mag, war er mir zu vernünftigen Zeiten immer fremd, bis ich selbst einer beinah wurde, an den Traum von der großen Liebe glaubte, als wäre ich sechzehn - in der Liebe pragmatischer zu relativieren, zumindest für sich scheint vernünftig - aber wie es der Dichter dann schaffen soll, glaubwürdige Liebeslyrik vom absoluten Glück zu schreiben, bleibt unklar und so balanciere ich lächelnd noch ein wenig zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei dem Versuch das Leben dazwischen zu genießen, unsicher nach welcher Seite es am Ende geht, aber so bleibt es zumindest überraschend noch, trotz aller ewigen Wiederholung in immer gleicher Form bei den Versuchen der Begattung, die keiner so nennen würde.

Kubinke zu lesen jedenfalls lohnt sich, auch um des feinen Blicks in das Berlin der Kaiserzeit wegen, der einen historischen Horizont eröffnet, der mir erstaunlich nah vorkam - es hat sich in der Liebe und ihren Folgen eben doch nie viel geändert - bei Männern zumindest und vermutlich auch bei Frauen, aber was weiß ich schon von diesen, denk ich lächelnd und wie immer ein wenig verträumt.

jens tuengerthal 6.6.20

Samstag, 6. Juni 2020

Traumlust

Liege auf meinem Diwan
Der westöstlich hier steht
Denke an eine voller Lust
Möchte sie überall küssen
Mit meiner Zunge vorlaut
Dabei dennoch ganz still
Auf all ihren Lippen um
Den Schaum der Vorfreude
Von ihnen innig zu schlecken
Doch bevor ich von den einen
Oben zu den anderen unten
Komme sie kommen zu lassen
Will ich über sie wandern
Jeden Wirbel vom Hals aus
Hinab dabei liebkosend wie
All ihre Hügel besteigend
Bevor ich mittig angekommen
Vom Hügelbesteiger zum
Perlentaucher nun werde
Der endlich in ihr nicht mehr
Auftaucht sondern lieber
Kommt um zu bleiben als
Dann gemeinsam glücklich
Schon weiter blickend auf
Dem schönsten Gipfel
Unserer geteilten Welt
Während alles bebt
Zumindest im Traum
Bin ich doch erwacht
In wieder Einsamkeit

jens tuengerthal 6.6.20

Freitag, 5. Juni 2020

Troubardourliteraturen

Wieder mit Reinhard Blomert in Adam Smiths Reise nach Frankreich aus der Anderen Bibliothek unterwegs gewesen und von Paris nach Toulouse gefahren, dabei, auf dem Hinweg noch das eine oder andere über die Gegend und ihre Kultur erfahren, die berühmt ist für ihre guten Weine - aus dem Languedoc kommen einige der besten Weine Frankreichs, die ich persönlich sogar häufig den schwereren Bordeauxs vorziehe. 

Dieser kleine historische Ausflug in den Südwesten Frankreichs, hat mich wiederum dazu verführt ein wenig über die im Buch erwähnten Katharer, ihre Kultur und vor allem über die mit ihnen in Verbindung gebrachte Kultur der Troubadoure nachzulesen, die den Auftakt der europäischen Liebeslyrik bilden und was läge einem auch Dichter näher, als auf deren Spuren zu wandeln, sich zwischen den Verweisen um sie zu verlieren,um dabei neue Welten zu entdecken vom heimischen Diwan aus, auch wenn ich noch gerne daran denke, wie ich einst 1996, nach dem 1. Staatsexamen mit der damals Liebsten auch durch diese Gegend des wunderbaren Frankreichs fuhr noch nicht ahnend, welche Spuren mir spätere Lektüre offenbaren würde.

Troubadoure oder Trobadore, wie es ursprünglich im okzitanischen hieß, sind die Dichter, Komponisten und Sänger einer besonderen Form der Lyrik, die erstmals in okzitanischer Sprache verfasst wurde, also der vor Ort in Occitanien gesprochenen, das Teile Frankreichs, Spaniens und Italiens umfasste. Sie sangen und dichteten im 12. und 13. Jahrhundert und als ihr erster großer Dichter gilt Wilhelm IX., Herzog von Aquitanien. Dieser Wilhelm oder Guilhem, wie die Franzosen ihn nennen, wurde auch der doppelgesichtige Troubadour genannt, weil er einerseits feinsinnige höfische Dichtung schrieb, andererseits auch Verfasser derber, teils vulgärer und stark sexuell geprägter Lieder ist, was wieder zeigt, der gute Dichter, wie sein Nachfahre, ist am besten auf allen Gebieten zuhause und stets mit Hand und Kopf bei der Sache. Dabei brachte er erstmals das Ideal der höfischen Liebe in seine später gültige Form.

Wilhelm ist auch der Großvater von Eleonore von Aquitanien, die später zur Königin der Troubadoure wurde und sowohl Königin von Frankreich wie von England war und damit ist der Herzog auch Urgroßvater von Richard Löwenherz, den das Leben viel umtrieb, wie die Liebe, der darum auch als Troubadour-König gilt und der eine zeitlang unfreiwillig in der Pfalz als verbrachte. Eleonore ist die Enkelin der noch ehelichen Tochter einer späteren Geliebten ihres Großvaters, der für diese, die Gefährliche genannte, sogar seine Frau verstieß, was ihm reichlich Ärger mit der Kirche einbrachte. Seine Urenkelin Marie de Champagne, die der Ehe Eleonores mit Ludwig VII. entstammt, wurde auch Literatur Mäzenin und förderte an ihrem Hof die Entstehung der berühmten höfischen Romane, wo etwa die Geschichte um die Ritter der Tafelrunde erdacht wurde, welcher die abendländische Epik seit dem Hochmittelalter stark beeinflusste. Die Literatur liegt bei ihm also mit weiten Folgen in der Familie. 

Selbst gilt Wilhelm als Autor der elf Lieder eines Chansonniers, die in einer wunderbar illuminierten altprovenzalischen Liederhandschrift veröffentlicht wurden und bis heute erhalten blieben. Er führte in seinem Leben einige Kriege in wechselnden Bündnissen unter anderem gegen die Mauren und um Toulouse, das er am Ende seines Lebens dann doch verlor und war lange Zeit einer der größten Landbesitzer Frankreichs, besaß mehr als König Philipp II. etwa, riskierte für die Liebe und die Lust sein Leben und ist durch seine Dichtung wie seine derben Lieder unsterblich geworden. Ein wirklich großer Dichter, welcher der Erinnerung würdig und mit seinem Leben den idealen Stoff für einen Roman oder dessen Verfilmung mitbringt. Er wird in einer anonymen Vida als größter Dichter und Frauenverführer seiner Zeit beschrieben, der es so gut verstand zu dichten, wie die Frauen zu betrügen.

Hierbei stellt sich dem Dichter die Frage, ob der Herzog wirklich ein Betrüger war oder nicht schlicht der Minne auch Leben einhauchte, wie es sein Nachfahre Henry IV. als König von Navarra, wie später als Herrscher von Frankreich auch tat, über den gemunkelt wird, er hätte mehr Untertanen gezeugt als jeder andere König Europas. Soll die Minne nur graue Theorie im höfischen Spiel bleiben, was manche heutige Wissenschaftler schon weltfremd als religiöses Ritual umdeuten, mit dem sich die verfolgten Katharer noch in ihrem Dienst für die Jungfrau Maria äußerten, was den meisten Troubadouren vermutlich so fern lag wie Herzog Wilhelm nachweislich, der im lustvollen Leben bewies, wie sehr sich schöne Dichtung mit echter Lust vereinen lassen, dass gute Dichtung eben auch von schönen Musen lebt.

Ein Beispiel seiner freien Dichtung, die ihm heute als sicher zugeschrieben wird, sind die 11 cansons, die hier zitiert sein und die für sich sprechen:

Gefährten, ich werde ein schicklich' Lied dichten
Gefährten, ich kann nicht verhindern, dass ich mich erschrecke
Gefährten, ich habe so viele Enttäuschungen gehabt
Ich werde ein Lied über gar nichts dichten
Ich werde ein Lied dichten, da ich schläfrig bin
Ich möchte, dass alle wissen
Da sehen wir es von neuem blühen
Ich werde ein neues Lied dichten
Große Freude ergreift mich, wenn ich liebe
Mit der Milde der neuen Jahreszeit
Da mir die Lust gekommen ist, zu singen

Doch Wilhelm schämte sich auch nicht in anderen seiner derberen Lieder mit seiner Potenz zu prahlen, seine Geliebten mit Stuten zu vergleichen, die er leider nicht beide sich zusammen halten könnte, da die eine die andere nicht erträgt. Ob es die Potenz steigert oder eher schwächt mehrere wechselnde Geliebte zu haben, ist bis heute umstritten, denke wahre feinsinnige Kunst liegt in der Konzentration und über den Rest schweigt der Edelmann lieber, zumal mehrere auf einmal meist eher sportlich im Ergebnis sind denn erfüllend, wie die Erfahrung lehrt, aber vermutlich wird jede Generation diese Erfahrung wieder von neuem machen müssen und im Ausschweifen die Bestätigung suchen, bis sie entdeckt, dass nicht Vielfalt sondern Einmaligkeit dauerhaft größtes Glück bringt, was in der Beliebigkeit schnell verschwimmt.

Für die Dichtung und die Minne insbesondere aber bringen wechselnde Musen stete Inspiration und ob die Huldigung der einen und einzigen den vielen, die dies Glück nie erfahren, wirklich zusammen zu kommen, dauerhaft reizvoll erscheinen kann, ist eine andere Frage, vermute aus Erfahrung eher, es langweilt die meisten, weil die Menschen Aufregung erleben wollen und so lebt die Minne mit den immer gleichen Spielchen und ewigen Versprechen bis zum heutigen Tag fort, auch wenn sich der Wortlaut ein wenig geändert hat, die Dichtung weniger reimt als freien Ausdruck eher sucht, dem Gefühl seinen Lauf zu lassen, wird es im Kern um das gleiche gehen wie im Mittelalter auch und wie es weit vorher schon das Hohelied der Bibel voll Freude auch an der Lust besang.

Die berühmten Verse, ein Lied über gar nichts zu machen, gehören zur dunklen oder hermetischen provenzalischen Lyrik, deren Verständnis sich nicht einfach erschließt:
 
Ich werde ein Lied über rein gar nichts machen:
Weder über mich noch über andere,
Weder über die Liebe noch über die Jugend,
Noch über anderes,
Ich habe es im Schlaf gedichtet
Auf einem Pferd.

Es drückt das Lebensgefühl des freien Edelmanns aus, wie es später auch Michel de Montaigne oder vor ihm noch Cyrano de Bergerac so treffend ausdrücken konnten.

In diese Richtung noch stärker geht es in canso V. in dem er beschreibt, wie er es mit zwei Frauen treibt, wörtlich dichtet, dass er sie einundertachtundachtzig mal “gefickt habe”, bis ihm fast das Zaumzeug brach, nachdem sie ihn vorher mit einem Kater auf die Probe gestellt hatten, er aber sicher nicht sagen könne, welche Erschöpfung ihn bei Tagesanbruch befiel. 

Geheimnisvoller und dezenter dichtete er dagegen in der VII. canso in einem höfischen Lied, in dem er die Sehnsucht stärker auf die Natur überträgt:

Da wir es von neuem erblühen sehen,
Wiesen und Obstgärten ergrünen wieder,
Flüsse und Brunnen erglänzen,
Lüfte und Winde,
Ein jeder möge ich sich der Lust erfreuen
Die er genießen will.

So war Wilhelm IX. Herzog von Aquitanien ein lustvoller und geistvoller Genießer, der das Leben in seiner ganzen Schönheit zu würdigen wusste und seine Kultur damit vielfältig prägte. Finde ihn weniger doppelgesichtig als einen ganzen Menschen, der in vielen Bereichen präsent, auch der Lust Ausdruck zu geben weiß, was bis heute die hohe Kunst der Minne bleibt, denn schlicht zu vögeln, ist ein mechanischer Vorgang, den jeder nach der Natur beherrschen lernen kann, es nur so zu nennen schnell billig, aber den Sex zu einem Dienst an der Kultur zu erheben, aus ihm ihn Versform Kunst zu machen, ob ganz direkt oder lieber verborgen in höfischer Manier, zeichnet den wahren Genießer aus, der nicht nur über unbekannte Gefilde dichtet, sondern sich mit des Lebens ganzer Fülle auch in Versen gern ineinander ergießt, um so erfüllt das schöne Leben miteinander zu genießen.

Die deutsche Minnelyrik und ihre Sänger werden für gewöhnlich nicht zu den Troubadouren gezählt, während die einst Trouvère aus Nordfrankreich heute auch Troubadoure genannt werden, die durch das Comic Asterix und Obelix und den dortigen meist unglücklichen Barden Troubadix noch eine neue Berühmtheit erhielten.

Spannend war neben dem zuerst Ausflug ins Reich der frühen Dichtung, die von Lust und Liebe nur so strotzt, auch die nebenbei Beschäftigung mit den Katharern, die vor allem in Occitanien eine starke Bewegung bildeten, die bis in höchste Kreise reichte, weite Teile Europas ergriff.

Die Katharer sahen sich als Basisbewegung, die auf Armut und einfaches Leben größten Wert legen, nannten sich darum die Reinen und gelten als die größte und radikalste heterodoxe Strömung im mittelalterlichen Christentum. Wir würden sie heute antikapitalistisch nennen und erstaunlich viele Slogans der heutigen Zeit, tauchen auch schon bei dieser Bewegung im 12. bis 14. Jahrhundert auf. Manche nennen sie auch nach der südfranzösischen Stadt Albi, wo sie ihren Anfang nahmen und ein großes Zentrum hatten, Albigenser und entsprechend hieß die große gegen sie gerichtete militärische Maßnahme der Kirche auch Albigenserkreuzzug, der dazu führte, dass die Region erstmal dem französischen König unterstellt wurde, auch wenn es noch lange dauern sollte und scharfe Mittel der Inquisition brauchte, bis der Widerstand wirklich gebrochen war, die Katharer wirklich verschwanden.

Später wurde Navarra auch zu einem Zentrum der Hugenotten und ihr König Henry, wurde erst für die französische Krone katholisch, aber das ist eine andere Geschichte, die bei der Bewegung der Katharer noch keine Rolle spielte, auch wenn die Reformationsbewegung ähnliche Mängel beklagte wie die Albigenser. Diese Laien und Armutsbewegung, die auch auf den sonst von den Kirchenoberen Zehnten verzichtete, hatte sich schnell weit verbreitet und sowohl das Materielle wie die Sexualität und Fortpflanzung als Unrein zurückgewiesen, was nicht wirklich zum Stil der Troubadoure passte, warum die These einer versteckten Marienverehrung auch relativ absurd erscheint aber was findet sich im Aberglauben nicht alles und braucht keinerlei vernünftiger Begründung wie schon die gestern erwähnte seltsame Geschichte von Adam und Eva belegt.

Das antikapitalistische Element als Gegenbewegung zur beginnenden Geld und Warenwirtschaft verbunden mit einer dualistischen Bibelauslegung, die jener der Bogomilen ähnelte, begeisterte viele Menschen, die sich vor dem neuen fürchteten und einfache Antworten suchten und fanden. Die Kirche versuchte erst den friedlichen Weg der Verhandlung, in dem sie Zisterziensermönche schickten, die nach einem gemeinsamen Weg suchen sollten - als einer von diesen ermordet wurde, kam es zum Kreuzzug auf den folgend über hundert Jahre verschiedene kleiner Gefechte an Rückzugsorten geführt wurden aber auch noch einige Gläubige und Bischöfe der Katharer verbrannt wurden. Der Umgang mit Andersgläubigen war dem heutiger Islamisten nicht unähnlich.

Spannend war, dass diese Bewegung auch Frauen gleichberechtigt zum Diakonat zuließ, was Rom bis heute nicht geschafft hat, dennoch viele Menschen nicht daran hindert, dieser Sekte weiterhin hinterherzulaufen, wohl auch weil sie eine lange Tradition hat - aber es sollten sich die Atheisten nicht über das Glaubensglück der anderen äußern, solange sie niemand stören und das französische Modell des Laizismus in Europa herrschend bleibt, möge jeder nach seiner Fasson selig werden, ermahne ich mich selbst dabei ein wenig zur preußischen Toleranz. Es war eben eine mittelalterliche Sekte, die antikapitalistische Slogans, die nur noch nicht so hießen mit einer freien Spiritualität verbanden, die Frauen relativ gleichberechtigt behandelten für die Zeit, denn, auch wenn sie nicht Bischöfe werden durften, waren sie zu sakralen Handlungen fähig und spielten eine wichtige Rolle.

Heute suchen wieder dem Nationalismus nahestehende Menschen die Tradition aufleben zu lassen, die schon die Nazis begeistert hatte, was Alfred Rosenberg dazu brachte, diese als Nachfahren der Westgoten zu sehen, sie als germanische Kämpfer gegen römische Priestermacht zu Vorbildern zu ernennen. Verschiedene populär geschiebene Romane haben für ein breites Interesse an der Region gesorgt, wobei die verbliebenen Burgen und der gute Wein des Languedoc ein übriges tun, den Besuch attraktiv zu machen. Unter den Neo-Katharern gibt es eine Gruppe, die mit dieser nationalen Religion Occitaniens eine Abspaltung des Languedoc von Frankreich erreichen wollen, andere sind den Neonazis zuzurechnen, all diese Gruppen sind eher mit Vorsicht zu genießen und im heutigen Europa schwer integrierbar. Die einzige Region Europas in der noch Occitanisch eine offizielle Sprache ist, blieb bis heute Katalonien, das sich ständig von Madrid unterdrückt fühlt, aber auch das ist eine andere Geschichte, die hier zu weit führte, erwähnenswert am Ende dazu nur, dass Herzog Wilhelm IX. sein Bündnis mit dem König von Aragon für ein Bündnis mit dem Grafen von Barcelona einem Raimond Berengar III. aufkündigte - der Zusammenhalt der Bewohner dieser Region ist bis heute erhalten geblieben, erklärt den Aufstand der sich trotz vieler Zugeständnisse unterdrückt fühlenden Katalanen und Basken auf der anderen Seite - die Bewohner des ehemaligen Königreichs Navarra und der Umgebung halten sich schon lange für etwas ganz besonderes, wie dies auch die Friesen und Franken in Deutschland gerne tun, ohne dass dies hier größere Auswirkungen hätte.

Über die Tradition der Troubadoure mehr nachzudenken, mit der Kunst zu spielen, die Dichtung an die Hand gibt, um die Verführung jenseits schlichter Mechanik zu einem ästhetischen Glück zu machen, könnte im Zeitalter des virtuellen Dating einen ganz neuen Zauber entfalten und wo dieser nicht wirkt, ist alles übrige keines weiteren Gedankens wert - so lebt die Minne, wie die Kunst der Troubadoure im deutschen hieß, auch im digitalen Zeitalter fort und ist doch nie anderes gewesen als der Zauber der Worte, die uns beben lassen.

jens tuengerthal 5.6.20

Donnerstag, 4. Juni 2020

Untergangsliteratouren

“Die Dekadenz unserer Gesellschaft hat längst einen verheerenden Zustand erreicht”, beginnt Gerhard Henschel in seinem Buch Menetekel das Kapitel ‘Auf der Suche nach der guten alten Zeit’ und zitiert dabei einen Leserbrief der FAZ aus dem Jahr 2005. Die Frankfurter Allgemeine ist in ihrem Feuilleton, damals noch unter Frank Schirrmacher, schon lange zu einem der führenden Medien des Kulturpessimismus geworden, der so alt ist wie die menschliche Kultur und zumindest von 3000 Jahren legt der Autor hier auf humorvolle Art Rechenschaft ab und berichtet über all die Untergangspropheten und ihre immer nur relative reale Wirkung.

Es gab sie in jeder Generation die Untergangspropheten und sie kommen immer wieder und so fragte schon Umberto Eco, den Henschel am Ende seiner Einleitung zu Wort kommen lässt: "Wie sollen wir diejenigen, die das Ende der Welt kommen sehen, davon überzeugen, dass andere, in der Vergangenheit, es auch schon so gesehen haben, und das in jeder Generation?" 

Was haben der frühchristliche Schriftsteller Tertullian, der Reformator Martin Luther, der deutsche Marinedichter Gorch Fock, Oswald Sprengler und der Verhaltensforscher Konrad Lorenz mit Helmut Schmidt gemeinsam? 

Sie alle waren überzeugt, in Zeiten des kulturellen Niedergangs zu leben und fürchteten den nahenden Untergang in einer immer schlimmer werdenden Gesellschaft, an was sie die sicheren Symptome dafür auch fest machten, ging es meist um Sexualität und vermeintliche Dekadenz, wobei sich die Symptome des Zerfalls über die Jahrhunderte hinweg gleichen: Zu großer Wohlstand, ausschweifende Genusssucht, Verweichlichung des Einzelnen sowie eine allzu deutliche Laxheit in Fragen der Moral. So begrüßte es Gorch Fock 1914 als "der Segen des Krieges" den zahlreichen Lastern seiner Zeit ein jähes Ende bereitete: Ob Fock mit den Auswirkungen des Krieges auf die Menschen zufrieden war, lässt sich nicht feststellen; er kam 1916 in der Seeschlacht am Skagerrak ums Leben, zumindest sein Untergang wurde damit bestätigt. Doch kam Oswald Spengler in seinem "Untergang des Abendlandes", dessen erster Band 1918 erschien und dem Henschel ein eigenes Kapitel widmet, schließlich ist es bis heute eine Bibel der Untergangspropheten, zu einem anderen Ergebnis, für ihn hatte die abendländische Kultur ihr schicksalhaft bestimmtes Ende so gut wie erreicht.

Für viele dieser Propheten war das Leben in der Großstadt der Anfang aller Übel und zu diesen gehörten zahlreiche, das Landleben predigende, führende Nationalsozialisten, die tatsächlich das größte Übel des 20. Jahrhunderts über ihr Land brachten. Was die Frage stellen könnte, inwiefern nicht die Propheten bereits Teil ihrer Prophezeiung sind und darum gemieden werden sollten, wie alle Weissagung, die meist auf einem unguten Gefühl eher beruht als auf Vernunft.

Gerne wird von den Kulturpessimisten der Untergang des römischen Reichs als Fixpunkt gewählt, mit dem alles Schlechte begann und das geht von den frühen Kirchenvätern bis zu den politischen Diskussionen der Gegenwart. Dabei sind sie sich immer sicher, was die Ursache dieses Untergang nur sein konnte, haben klare und einfache Antworten auf komplexe Fragen, was auch viele Menschen mit geringerem Horizont begeistern kann, da es ja alles logisch und ganz einfach ist. Der moralische Verfall und die Dekadenz im späten Kaiserreich wurde von Zeitgenossen bis in die Gegenwart als ausschlaggebend vermutet, was jedoch so simpel wie falsch ist. Der Untergang Roms hat komplexe Ursachen, ist nach Meinung der meisten heutigen Historiker nicht an einer Sache festzumachen, sondern an einer Summe von Gründen, von denen wir auch erst langsam einen Teil zu begreifen beginnen. Die Komplexität ist jedoch nicht so sexy wie einfache Antworten auf schwierige Fragen, warum diese häufig einen erstaunlichen Erfolg haben, auch wenn sie weniger mit der Realität als einem ihr aufgestülpten moralischen Anspruch zu tun haben. So fand die Metapher von der spätrömischen Dekadenz auch noch unter Westerwelle Eingang in den politischen Diskurs der Gegenwart, so unsinnig wie falsch dieses Schlagwort sachlich immer war.

Gerne klagen die Kulturpessimisten aller Zeiten über die Sexualisierung der Gesellschaft und fordern dabei ein zurück zur natürlichen Moral, woher immer sie diese nehmen wollen und was sie auch dafür halten. Ob sich darin noch die biblische Schöpfungsgeschichte mit dem Beginn des Schamgefühls spiegelt oder eher ein allgemeines Unwohlsein, was keinen sachlichen Grund hätte, könnte einen Schlüssel zum Verständnis dieser zyklisch wiederkehrenden teilweise absurden Anschauungen liefern. Vielleicht liegt in der absurden Schöpfungsgeschichte mit ihren Widersprüchen mehr verborgen als viele ahnen,

So ist auch der vermeintliche Philosoph der Freiheit, Rousseau, mit seinem Traum von der Rückkehr zum natürlichen Leben vermutlich nur seiner eigenen frühen Religiosität auf den Leim gegangen, die Werte von Kultur und Zivilisation so zu negieren, deren Teil der Dichter, Komponist und leider auch Philosoph war. Bei Rousseau noch nebenbei zu erwähnen, dass er sich mit all seinen Freunden unter den Philosophen in Paris überwarf, darunter Diderot und Baron Holbach, weil er schlicht asozial war, seine leiblichen Kinder ins Heim steckte, sich um wenig verantwortlich kümmerte, log und betrog, die Bekanntheit seiner Philosophie nur ihrem Gebrauch durch die späteren Initiatoren des Terreur in Frankreich verdankt, die es schafften die Errungenschaften der Revolution in wenigen Jahren unter der Guillotine ins Gegenteil zu verkehren, was als Ausweis für einen freiheitlichen Denker wenig taugt, sondern nur einen gefährlich totalitären Ansatz belegen könnte, rückt diesen Anwalt des Naturzustandes vielleicht in ein vernünftigeres Licht. Ob dies primär durch Rousseaus Inkontinenz bestimmt war, die ihn wenn möglich soziale Ereignisse meiden ließ, sei an dieser Stelle dahingestellt, es gibt zumindest Menschen, die damit ohne eine Negierung der Welt umgehen. Rousseau wetterte über die modernen Zeiten, hielt sich aber eine Liebhaberin, deren Kinder ins Heim mussten, weil er nicht in seiner Ruhe gestört werden durfte, ließ sich ohne Dankbarkeit aushalten, glich darin manch anderen Kulturpessimisten, die über die schlechten Sitten laut klagen, die sie für sich zu gerne praktizieren, war ich versucht zu schreiben, was allerdings schon fast zu kultupessimistisch wieder klingt.

So gäbe es noch zahlreiche Beispiele, die Henschel mit großem Fleiß und gehörigem Spott auflistet, doch die spannendere Frage bleibt für mich, was wollen diese Menschen erreichen und wohin führt ihre Klage. Gab es die guten alten Zeiten je, wer wollte in ihnen leben, abgesehen davon, dass eine zivilisatorische Rückkehr irreal ist oder wird da nur ein Hirngespinst gegenüber allem Neuen beschworen, was längst den Bezug zur Realität verloren hat. Wie Steven Pinker in seinem klugen Band Aufklärung jetzt! darlegt, ging es der Menschheit nie so gut wie jetzt, hat auch die gern gescholtene Globalisierung für eine Verbreitung des Wohlstandes gesorgt, den es noch nie in diesem Maße gab, werden die Zeiten, trotz Corona, Trump und Putin immer besser, was messbar und nachweisbar ist. Dennoch wettern Zweifler dagegen, predigen den Untergang um teilweise durchaus berechtigte Ziele zu erreichen.

Die Gegenseite um Trump und die Aluhutträger, die ebenfalls eine Form von Untergangspropheten sind, wenn auch der besonders lächerlichen Form, warum sich das Wort Prophet bei diesen intellektuell eher minderbemittelten Mitgliedern der Gesellschaft, seltsam ausnimmt, warnen dagegen vor ominösen Gefahren, die der Welt ohne sie drohten, geben also einfache Antworten auf komplexe Fragen, wollen auf Demonstranten oder Flüchtlinge, die im Deutschlandfunk nun Migranten heißen, was ich noch fragwürdiger finde, weil es den Anlass der Flucht infrage stellt und stattdessen das einer Völkerwanderung gleichende Bedürfnis nach Migration unterstellt, fast einer neuen Verschwörung gliche, worüber sich nun trefflich streiten ließe, was aber zu sehr vom eigentlichen Thema ablenkte, schießen lassen.

Zurück aber zur biblischen Scham, der Tabuisierung der Sexuaität als Machtmittel und deren Auswirkung auf das Denken der folgenden Generationen. Während im Gilgamesch-Epos die Kultivierung des Herikat durch Rasur und die Monate bei einer Hure, die ihm das grundlegende Wissen über Lust und Liebe beibringt, im Vordergrund der Schöpfungsgeschichte einer Stadtkultur stehen, die der Zivilisation und ihren Errungenschaften zugewandt ist, macht die biblische Schöpfungsgeschichte das Gegenteil. Sie beginnt mit einer Vertreibung aus dem Paradies wegen Ungehorsam gegenüber einem erfundenen Gott, lässt die Erlangung von Bewusstsein, was uns Menschen erst ausmacht, vom Tier vermutlich unterscheidet und nachdenken lässt, als Unglück dastehen, weil die Urmenschen vom Baum der eben Erkenntnis gegessen hätten. Negiert die Menschwerdung, das cogito ergo sum, für ein irreales Ideal.

So ließen die Juden ihre erstmals im babylonischen Exil aufgeschriebene Schöpfungsgeschichte beginnen, um die Sehnsucht nach dem Paradies der Heimat wach zu halten, wie Stephen Greenblatt es vermutet. Was sollte ihre Stammesgenossen auch aus der kultivierten Zivilisation in Babylon in die wüste Heimat locken, warum sollten sie ein Leben in Zelten, dem in der modernsten Stadt ihrer Zeit vorziehen, wenn es nicht das Paradies wäre, was sie lockte und was ist daran überhaupt verlockend?

Insofern dies keinem vernünftigen und kritisch denkenden Menschen einsichtig ist, brauchte es die Strafe des Bewusstseins, das uns gut und böse unterscheiden lässt. Auch wenn wir spätestens seit Kant wissen, dass Aufklärung genau darin liegt, aus dieser Unmündigkeit befreit zu sein, ein moralisches Urteil fällen zu können, hat dieser Gegensatz des Paradieses, in dem es diese Unterscheidung nicht gab, uns also alles angenehm erschien, weil wir das Gegenteil nicht kannten, sich erhalten und träumen immer noch viele von solch paradiesischen Zuständen in denen alles gut wäre, auch wenn wir dann nicht mal wüssten, was gut ist.

Wer hofft, dass alles gut sein könnte, wenn es wie früher oder vorher wäre, sieht in der Veränderung eine Gefahr und keine Entwicklung, vor allem keinen Fortschritt, fürchtet den Untergang oder die Vertreibung aus dem geträumten Paradies. Dass dieses eine absurde religiöse Vision nur ist, unter der kein vernünftiger Mensch leben könnte oder wollte, stellt kaum einer der von diesem Mythos geprägten Mitglieder der Kultur infrage, es ist schließlich der Bericht von der Schöpfung.

Das Paradies, in dem wir blöde glücklich wären, weil wir gut und böse nicht unterscheiden könnten, wäre die Hölle für jeden denkenden Menschen und was macht unser Menschsein aus, als die Fähigkeit zu denken, auch wenn manche erheblichen Zweifel daran zulassen, dass sie es überhaupt tun. Dennoch hat sich der Alptraum aus dem Mythos als Idealbild erhalten, sprechen wir von paradiesischen Zuständen, wenn wir etwas ideal Gutes beschreiben wollen, auch wenn uns dies nur so erscheinen kann, weil wir unterscheiden können, also mit der natürlichen Dialektik allen Seins leben lernten.

Wer über den Zustand der Zivilisation klagt, träumt von paradiesischen Zuständen, weil gut und böse unterschieden werden. Diejenigen wollen zurück zu etwas, was es nie gab, was sie aber idealisieren, um die negativen Seiten dessen, was ist, beklagen zu können. Die guten alten Zeiten waren nie gut, in ihnen klagten nur die damaligen Reaktionäre ohne Perspektive, dass die vorigen Zeiten besser gewesen wären, was sich ewig so fortsetzt, seit wir uns mit dem Mythos von Adam und Eva und ihrer Vertreibung aus dem idiotisch idealisierten Paradies herumschlagen.

Folgten wir dagegen dem Ideal von Gilgamesch, in dem Schritte zur Zivilisation als positive Entwicklung gesehen werden, bräuchten wir keinen Kulturpessimismus mehr und könnten stattdessen genießen was ist in der real besten aller Welten, weil es noch nie so vielen Menschen so gut ging, sie so sicher vor Gefahren waren, die sie vorher bedrohten, weil wir mit Vernunft nach Lösungen für die Zukunft suchen, statt mit seltsamen religiösen Mythen Ursprünge zu erfinden, die logisch nur zu Zweifeln an Kultur und Entwicklung führen können.

Auch die Kulturpessimisten wollen nicht das Schlechte sondern den Zustand verbessern, in dem sie sich zurück wenden und ein vermeintlich paradiesisches Ideal verklären, bei dem je nach Neigung verteufelt wird, was den Betreffenden fern liegt und was zu genießen ihnen nicht vergönnt ist. Sexualität, Frauen, Männer, moralischer Verfall, schlechte Sitten, reine Natur und anderes mehr. Auch wenn es diesen Zustand nie gab, was Henschel mit seinem weiten Rückblick sehr deutlich macht, ist seine Idealisierung gegenüber dem kulturellen Fortschritt der Zivilisation deutlich das Produkt eines absurden religiösen Idealzustandes, den es ebensowenig je gab und der alles, was menschlich ist negiert.

Sich davon zu lösen, die Zivilisation mit ihren Fortschritten, die millionen Menschenleben retteten, wie Impfungen, moderne Medizin, Hygiene und anderes mehr, lieber zu feiern, statt zu negieren, gäbe die Möglichkeit, sie konstruktiv zu gestalten, um zu erhalten, was erhaltenswert ist, wie unserer Natur, die wir zum Überleben und guten Leben brauchen. Stattdessen beobachten wir gerade wieder, wie ein Wohltäter wie Bill Gates, der für die Rettung vieler Menschen verantwortlich ist, zum Hassbild von Realitätsverweigerern wird, die lieber Gefahren eines Virus leugnen, an dem Millionen starben, statt den Fortschritt zu bejahen und ihre innere Unfreiheit dabei für einen Freiheitskampf halten, ohne zu bemerken, dass sie diesen auf Kosten anderer Menschen führen.

Ob es dafür bezeichnend ist, dass die religiöse Rechte der USA, die sich gern bibeltreu sieht, lieber den Versager und Realitätsverweigerer Trump unterstützt, statt die Not zu erkennen, in die er durch seine Blindheit ihr Land brachte, könnte eine wichtige Frage für die Zukunft sein. Zumindest sind unter diesen viele Kulturpessimisten, die glauben, dass früher alles besser war, warum sie Amerika auch wieder groß machen wollten und Zweifel an einer egalitären und liberalen Kultur haben. Von denen wiederum sind die meisten durch den biblischen Schöpfungsmythos und seine kulturpessimistische Sicht geprägt, vielen gilt dieses frühe politische Machwerk sogar als heilig, warum sie nicht die klare politische Intention des Textes aus seiner Zeit heraus erkennen, sondern sich lieber das Paradies zurückwünschen, davon träumen nach ihrem Tod dorthin zu gelangen, weil sie meinen eine unsterbliche Seele zu haben, wo auch immer dieser erfundene religiöse Wahn seinen Ort im menschlichen Körper haben soll.

Sich davon zu befreien, um zu erkennen, wie gut uns die Zivilisation tut, wie sehr sie uns befreit, warum ich mir keine Gedanken darüber machen muss, wie wer mit wem Sex hat, sondern mich lieber freue, wenn alle Menschen dies auf ihre Art erfüllend tun können, ist ein wichtiger Schritt in eine bessere Zukunft und zu einem JA zur Kultur, die endlich wieder positiv gestaltete, statt ewige Zweifel auszulösen. Kritik ist gut und wünschenswert, sie überprüft den weiteren Gang und stellt infrage, was gut und nützlich ist und was schadet aber der das Ende fürchtende Kulturpessimismus ist schlicht eine lächerliche Bewegung. Getragen von Lügen, Neid und Impotenz, kann sie niemanden glücklich machen, sondern schafft sich, wie die Psychoanalyse, nur die Probleme, die sie dann lautstark beklagt, indem sie sich mit Problemen allein beschäftigt, statt nach Lösungen zu suchen, die Destruktion als Hauptaufgabe hat.

So bringt die Beschäftigung mit Henschels Menetekel die Forderung nach einer neuen Aufklärung, einem kritischen aber der Zivilisation und dem Fortschritt zugewandten Denken, das lieber Lösungen sucht, statt nur den Untergang zu beklagen. Es war wichtig, die Diskussion um das Klima, von dem wir immer noch verdammt wenig wissen, aber genug unser Verhalten kritisch zu überdenken, in die Mitte der Gesellschaft zu holen - dafür ist der Jugend um Greta zu danken - doch ist Verweigerung keine Entwicklung und kein Fortschritt, vielmehr müssen wir nun noch mehr überlegen, wie wir schnellstmöglich brauchbare Lösungen entwickeln, die eine langfristige Perspektive bieten. Weg von der Klage der Dekonstruktion, hin zur Entwicklung und Gestaltung. Nur wer den Fortschritt und die Zukunft konstruktiv mitgestaltet, kann etwas bewirken, wer nur verweigert, mag in vielem richtig liegen, bewegt damit aber nichts.

Eine positive Entwicklung kann auch in einer Verlagerung der Prioritäten bestehen, so werden wir gegen etwas weniger Kraft haben und also weniger erreichen als für etwas und haben zugleich mehr Kraft in der Gestaltung. Menschliche Entwicklung geht auf eine zunehmende Kultivierung und Zivilisierung - diese Bewegung mit absurdem Protest, ob gegen Impfung, die Leben rettet, oder sexuelle Freiheit aufhalten zu wollen, geht in die falsche Richtung und überlässt den Raum zur Gestaltung anderen, was der Kultur selten nutzt und den Fortschritt der Zivilisation allein mit ökonomischen Faktoren gestaltet, die nicht notwendig eine Entwicklung der Zivilisation bedeuten, weil dort häufig kurzfristige Interessen regieren.

Wer Zukunft gestalten will, sollte sich vom Kulturpessimismus dringend abwenden, der nur eine zyklisch wiederkehrende Klage aufnimmt, ohne etwas bewirken zu können oder zu wollen. Vor allem sollten sich diejenigen fragen lassen, was sie wie erreichen wollen und wo ihre Ziele wurzeln, um lieber für die Gestaltung in die Pflicht genommen zu werden, statt nur der ewigen Destruktion Vorschub zu leisten, die niemandem vorwärts bringt. Mache mich lieber auf, die Zukunft konstruktiv zu gestalten, als mir eine Vergangenheit zurück zu wünschen, die nie paradiesisch war, vergesse um des Glücks und der Freiheit wegen lieber gleich das Paradies, um das bestmögliche Leben leben zu können in der besten aller Welten.

jens tuengerthal 4.6.20

Mittwoch, 3. Juni 2020

Rassismusaufklärung

Wo beginnt Rassismus

Zählt die Absicht dahinter

Oder genügt die Tat
Im relativen Licht der Zeit
Ephraim Langstrumpf war
In meiner Kindheit noch
Ein Negerkönig was heute
Klar rassistisch wäre
Wer sich schwarz anmalt
Handelt auch rassistisch
Ist ein schwarzes Bild
Als Zeichen der Solidarität
Schon rassistisch oder nur
Ein billiges Imitat der Herde
Die nicht selber denkt
Warum denke ich bei der
Kampagne #blacklivematters
Wo am Mittwoch alle für den
#blackouttuesday sich als
Die eben zu spät kommen
Digital schwarz präsentieren
An das blackfacing schon
Was ist noch sensibel
Wo werden wir empfindlich
Sind wir dabei lernfähig
Wäre kein Unterschied
Mehr nötig oder möglich
Braucht es Unterscheidung
Wem dient welche dabei
Entlasten wir damit nur
Das Gewissen anstatt
Warum Farben wo es
Um Menschen geht

jens tuengerthal 3.6.20

Literatouren 03.6.20

Nachdem ich die literarisch eher mäßige aber dadurch lehrreiche Pfaueninsel mit mehr oder weniger tragischem Ende für die Hettche zumindest eine relativ gute Kenntnis der preußischen Geschichte wie ein ernstes Bemühen, alles was historisch passierte, zu erwähnen, attestiert werden kann, beendet habe, nun über zwei Tage unter anderem in Reinhard Blomerts kenntnisreichen Band der Anderen Bibliothek über Adam Smiths Reise nach Frankreich eingetaucht, der mit schönen Ausflügen fern aller persönlichen Tragik in die französische und europäische Geschichte aufwarten kann.

Während sich der Band anfänglich mit einigen Ausführungen zu Smith Philosophie wie seinem Werdegang etwas in die Länge zog, lese ich ihn nun mit großer Begeisterung auch aufgrund der schönen Ausflüge des Autors in die europäische Geschichte und ihren großen Kontext zum Verständnis der Entwicklung. Auch Hettche machte gelegentlich solche Ausflüge nicht völlig ohne Sachkenntnis, doch baute er sie in den Roman ein, dessen Story darunter litt und damit ein wenig zwischen den Stühlen hing, weder guter Roman noch Sachbuch wurde, während Blomerts Adam Smith ein vielfältiges Sachbuch ist, was die historischen Ausflüge literarisch gut zu erzählen weiß, was genügt, gespannt zu lesen, statt genervt mit den Augen zu rollen, den Autor selbst daran erinnert, was ihm, also mir, besser nicht passieren darf und wie ich darum erzählen muss und ob die Kombination zweier Ebenen in einem Buch - der kulturhistorisch berichtenden, wie ich sie am liebsten lese, mit der literarisch erzählenden, wie etwa im Zauberberg oder den Buddenbrooks, um nur die beiden elegantesten zu nennen, möglich ist und wenn ja, wie sie realisiert wird.

Wie der Wechsel der Ebenen, die unabhängig nebeneinander stehen, eine Möglichkeit wohl bietet, über die ich dringend vertieft nachdenken sollte, bevor ich demnächst völlig in meinem großen Projekt abtauche, das verbinden soll, was ich liebe, um zu erzählen, woher ich komme und wohin es geht - aber was erst wird,  ist ja relativ uninteressant für alle Leser, darum lieber mehr zur heutigen und gestrigen Lektüre über Smith und seine Rolle als Reisebegleiter, die im aktuellen Kapitel in Toulouse beginnt, was ich aber aufgrund der umfangreichen aber faszinierend guten Ausführungen noch nicht erreicht habe.

Spannend ist die Rolle Frankreichs und Englands auf ökonomischen Gebiet historisch zu betrachten, weil es viel auch über das jetzige Europa lehrt und die unterschiedlichen Versuche der Krisenlösung, die sich aus der jeweiligen Rolle des Staates im ökonomischen Gebilde erklärt und warum die Wege logisch aus historischen Gründen schon so unterschiedlich dabei sind.

Der französische Zentralismus, der schon unter Franz I. anfing und unter Ludwig XIV. seinen ersten Höhepunkt erreichte, der zum Zeitpunkt der Reise bereits 50 Jahre Tod war, dafür regierte noch bis 1773 Ludwig XV. der vorletzte Herrscher aus dem Haus Orleans bis zur Revolution, ist ein zentraler Punkt, der die Stabilität des Ständestaates garantierte. Jeder hatte dort seine Rolle. Der König versammelte, wenn möglich, den Adel am Hof und beschäftigte ihn dort, um dessen anderweitige politische oder militärische Aufmüpfigkeit kontrollieren zu können. Nebenbei war durch die Konkordate Ludwigs XIV. auch der erste Stand relativ stark eingebunden worden, rang nur noch teilweise unter dem vorletzten Louis mit der Kirche, die etwa das Projekt der verdächtigen Aufklärer um die Enzyklopädisten Diderot und d’Alembert verhindern wollte, was ihr dank der unterstützenden Hilfe der Geliebten des Königs, der berühmten Pompadour, nur mäßig gelang, auch wenn die Jesuiten das Unternehmen teilweise sehr gefährdeten und ihren Gegner Diderot zeitweise sogar in die Bastille brachten.

Ganz anders dagegen die Situation in England, besser gesagt Britannien, da ja Smiths wegen auch der Vergleich zu Schottland von Bedeutung ist, und im Deutschen Reich, das sich zum Zeitpunkt der Reise noch heilig und römisch nannte, auch wenn die vom Haus Habsburg schon zu lange beanspruchte Krone nur noch wenig realen Boden hatte. Nach dem dreißigjährigen Krieg und dem Friedensschluß von Münster und Osnabrück, von dem das Frankreich Ludwigs XIV. stark profitierte, war Deutschland nicht nur religiös ein Flickenteppich, der schwer zu regieren war - was die entschiedene Vertreibung des Hugenotten durch Ludwig und die Aufhebung des Ediktes von Nantes seines guten Großvaters Henry IV. vielleicht ein wenig erklären kann. Doch so sehr damit für eine gewisse Zeit die innere Stabilität Frankreichs gefördert wurde, zumindest bis zur Revolution und dem ihr später folgenden Laizismus, so sehr war es auch ein Aderlaß, der die protestantischen Nachbarn, allen voran Preußen stärkte,  was dessen späteren Aufstieg begünstigte. 

Zum Zeitpunkt der Reise ist der siebenjährige Krieg bereits vorbei und damit die drei schlesischen Kriege beendet. Friedrich blieb im Ergebnis siegreich, auch wenn er seinen Staat für ein da noch scheinbar wertloses Stück Land fast ruiniert hatte, durfte er es nach dem Frieden von Hubertusburg behalten und machte sich auf kluge Art das französische Modell imitierend an den Wiederaufbau der Mark, wurde später durch die erste polnische Teilung sogar König von Preußen, zu dem dann eine Landverbindung von der Mark aus bestand und das nicht länger nur eine Inselkrone unter polnischem Lehen im ehemaligen Gebiet des deutschen Ordens war, dem späteren Ostpreußen. Vorher war er wie Vater und Großvater schon nur König in Preußen gewesen nicht aber im Reich.

England hatte als erstes die Prinzipien der Industrialisierung begriffen, den Welthandel im Empire und den freien Markt, auch wenn es ihm aufgrund verschiedenster politischer Querelen und Bündnisse nur bedingt erfolgreich folgte. So beschreibt Blomert mit anschaulichen Zitaten auch, wie sehr sich Smith und seine Clubfreunde über das Verbot des Imports französischer Weine ärgerten, den sie bevorzugten, gegenüber dem steuerfrei importierten, ihnen zu süßen portugiesischen Weinen. In England hatte das Empire schon unter Elizabeth I. Form angenommen, die durch die Verstaatlichung der East Indian Company noch verstärkt wurde. Starke Kräfte plädierten hier für freien Handel, auch wenn andere das Gleichgewicht von Import und Export anmahnten, was die USA gerne der heutigen Bundesrepublik vorhalten, dem europäischen Exportweltmeister, der wesentlich weniger einführt als ausführt und darum auch theoretisch immer reicher wird, was aufgrund anderer sozialer Fehlkonstruktionen nur eine Illusion gegenüber den Nachbarn ist, aber eine neidvoll spaltende Sicht auf den Wohlstand bleibt.

Deutschland schlug sich zu dieser Zeit noch mit zahlreichen Grenzen und Zollschranken herum, wie sie Thomas Mann so wunderbar spöttisch noch nach dem Untergang des Reiches für das 19. Jahrhundert beschrieb, was Handel und einheitliche ökonomische Entwicklung bremste. Die Unterschieden zwischen den heute Bundesländer genannten Regionen gab es schon immer mehr oder weniger stark, dabei waren für eine Epoche die angehörigen der Hanse besonders erfolgreich und reich oder die kaiserlichen Kreditgeber in Augsburg und Nürnberg, später wurden es Regionen wie, für viele noch überraschend, Preußen, das über viele Grundstoffe der Industrialisierung in seinem Territorium verfügte, ohne dies zum Zeitpunkt der Eroberung durch Friedrich II. wie später infolge des Wiener Kongresses wie des Reichsdeputationshauptschlusses bereits so genau zu wissen. Sie saßen auf dem Geld und wussten es nicht völlig ungeschickt eine gewisse Zeit zu nutzen, was erklärt warum der Sohn der Königin Louise, die auf der Flucht vor Napoleon an der Lungenentzündung im mecklenburgischen starb, sich bereitwillig von Bismarck und Moltke später zum Krieg gegen Frankreich bringen ließ, auch wenn er die ihm in Versailles dann aufgesetzte Kaiserkrone eigentlich gar nicht wollte, er fühlte, dass hier der Untergang Preußens begann.

Wichtiges spannendes Thema, amüsanterweise an dem Tag, an dem ich auch vom unerwarteten Besuch des damals noch Kronprinzen auf der Pfaueninsel las, der mit seiner aparten Gattin aus dem Hause Sachsen-Weimar, die Hettche realistisch klüger erscheinen lässt, kein Wunder bei einer Enkelin von Anna Amalia, bin ich versucht zu sagen, gegenüber dem sogenannten Kartätschenprinzen, der nach den Ereignissen vom März 1848 aus Berlin gen England fliehen sollte, um sich dem Zorn der Berliner zu entziehen, auf die er hatte schießen wollen, ganz im Gegensatz zu seinem bedächtigeren Bruder Friedrich Wilhelm IV., der später aber auch den Einflüssen der Gruppe um  den da aufsteigenden Junker Bismarck erlag und den parlamentarischen Versuch in Preußen schon im November wieder beendete. Gerade angesichts der Unruhen in den USA und der hysterisch schwachen Reaktion des noch Präsidenten Trump, lohnt es sich kritisch über die harten Kerle nachzudenken, die nie Kompromisse suchen, weil ihnen häufig dafür die kritische Einsicht der Möglichkeiten fehlt, sie das Eingeständnis von Fehlern für Schwäche halten, dahingestellt ob dies bei Wilhelm I. später so war, der ohnehin eher König und Kaiser von Gnaden anderer Genies war, nämlich Moltke und Bismarck.

Mit dem Ende der Hanse als europäischem Freihandelsraum, der sich zunächst über die Ostsee und die deutschen Hansestädte erstreckte, später in ganz Europa Dependancen hatte,endete eine zeitlang die deutsche Vorherrschaft auf europäischen Märkten und wurde durch nichts gleichwertiges ersetzt. Stattdessen bunte Kleinstaaterei, die sich gegenseitig Konkurrenz machte, möglichst vom Nachbarn noch Zölle kassierte, also Geld eher unproduktiv und den Handel behindernd verdiente.

Der siebenjährige Krieg, der zum Zeitpunkt der Reise, die als Grand Tour für einen Gentleman aus bester Familie gedacht war, den Smith als tauglicher Lehrer begleitete, erst zwei Jahre beendet war, ist schon ein Weltkrieg der damaligen Supermächte Frankreich und England gewesen, die sich um Amerika und Indien balgten und scheinbar überall war England als Sieger vom Feld gegangen, auch wenn die nur acht Jahre nach Beginn der Reise bevorstehende Boston Tea Party schon vom drohenden Gegenteil zeugt, was die Franzosen natürlich nach Kräften unterstützten. Auch dort ging es übrigens um Abgaben, in dem Fall auf Tee, also die Beschränkung des Handels durch das Empire und seine dramatischen Folgen, mit der auch die Regierung Trump wieder auf typisch imperialistisch großmäulige Art versucht ihre Schäfchen ins Trockene  zu bringen und noch, so sehr es sich manche Europäer auch wünschen, sind diese Wahlen nicht entschieden, auch wenn der wohl großmäuligste aller amerikanischen Präsidenten bei geringster intellektueller Basis, gerade viel dafür tut, nicht wiedergewählt zu werden.

So reist Smith durch das Europa der Aufklärung, in dem Frankreichs staatlich geprägte Ökonomie der Manufakturen noch eine führende Rolle hat und das mit den Geistern der Aufklärung von Diderot bis Voltaire wie den anderen Enzyklopädisten auch geistig eine führende Rolle spielt, an der sich manch aufgeklärte Herrscher wie Friedrich II. oder Katharina die Große orientieren, deren Großzügigkeit gegenüber Diderot am Ende die Enzyklopädie rettete und damit das aufgeklärt kritische Fundament der späteren Revolution legte. Die Pariser Salons, die unsere Reisenden später noch besuchen werden, sind ein Teil dieser aufgeschlossen kritischen Welt - auf diese Begegnung mit den alten Freunden aus den Bösen Philosophen des sehr geschätzten Philipp Blom, freue ich mich und bin sehr gespannt.

Das schöne an historischen Literatouren, sind immer die Brücken, die sich schließen und mit denen das Netz des Verständnisses wächst, das die Welt verbindet und zu einem offenen Ort macht, der über sich nachdenkt. Die kulturhistorischen Zusammenhänge und Unterschieden in Europa auch durch die teilweise direkt verknüpften Königshäuser, wie Ludwig XIV., der Coup mit der Krone Spaniens für sein Haus gelang, allerdings zum hohen Preis langer Kriege, wie der Aufgabe jeder politischen Verbindung mit Spanien, oder die Ehe zwischen Ludwig XVI. und Maria Theresias Tochter Marie-Antoinette, das neue Bündnis besiegelte, das die Pompadour mit Zarin Elisabeth und eben Maria Theresia gegen Fritz geschmiedet hatte, der die drei prompt die drei Erzhuren nannte, gegen die er Preußen mit viel Glück nur verteidigte.

All dies macht die Nähe der späteren amerikanischen Revolutionäre zu Frankreich klar, die damit den Briten zumindest indirekt noch schaden konnten, wenn sie diese schon nicht im Feld besiegten und so zeigt sich mancher militärisch scheinbar glanzvolle Sieg in der langfristigen Beurteilung als mit so hohen Kosten verbunden, das er dauerhaft doch zur Niederlage wird, weil sich Kriege nie lohnen auch für Preußen nicht, dass völlig von den Landkarten verschwand. Wann die Briten begreifen, was der Sieg Johnsons sie kosten wird, ist noch unklar, auch wer zurückrudern wird, nachdem der gerade noch amtierende Premier noch nicht an Corona sterben durfte,  um dem Spuk ein schnelles Ende zu bereiten, doch werden auch diese scheinbar verwirrten englischen Bestrebungen im größeren europäischen historischen Kontext noch von anderer Seite beleuchtet - wie weit dieses Nein eher ein Bekenntnis zorniger Unpolitischer war, die besser geschwiegen hätten, ist eine andere Frage, die auch eine literarische Betrachtung interessant macht.

Hätte Thomas Mann besser geschwiegen, statt seine deutschnationalen Bekenntnisse eines Unpolitischen aus dem Gefühl und der Seele der Nation zu verfassen, um derentwillen er sich mit Heinrich danach überwarf, der sich dafür immer zu weit links anbiederte, was die DDR-Regierung gerne benutzte, ihn groß zu reden, der zwar der altersgemäß große Bruder war aber literarisch immer eher der Kleine blieb, sehen wir vom Henry IV. ab, was wieder zeigt, wie dankbar ein guter und feiner Blick auch auf die französische Geschichte oder eine Grand Tour dorthin sein kann, um Charakter und Persönlichkeit zu schulen, was keine Fürsprache für meist überflüssige Reisen in einer ständig gehetzten Gesellschaft sein soll, sondern vielmehr die geistigen Prioritäten betont, die ein literarischer Blick auch über die eigenen Grenzen hinaus bringen kann, denn nicht Reisen, sondern Lesen bildet.

jens tuengerthal 3.6.20