007d Moral ohne Recht
Müssen angesichts der Ausländerfeindlichkeit und des Terrorismus die Gesetze verschärft werden?
Wer glaubt mit schärferen Gesetzen, Probleme lösen zu können, sollte sich mal mit der Geschichte der Menschheit beschäftigen, in der die Beschränkung von Freiheit immer zu Stagnation und weniger Entwicklung führte, auch wenn kurzfristige Erfolge etwas anderes in kurzlebigen Wahlperioden vorgauckeln können. Der Glaube an rigorose Maßnahmen gleicht den vermeintlichen Klimaexperten, die aus einem warmen oder kalten Winter gleich auch die globale Entwicklung schließen wollen und so nur ihre Ahnungslosigkeit offenbaren. Ein Bild des Klimas braucht viele Jahre.
Fraglich könnte jedoch sein, ob Recht die Moral überhaupt fördert oder im Gegenteil ihr vielmehr hinderlich ist.
Brauchen die Menschen Recht, um moralisch zu handeln?
Moral bezeichnet erstmal die faktischen Konventionen, Regeln, Prinzipien oder Handlungsmuster einer Gruppe. Die Begriffe Moral, Ethos oder Sitte sind daher fast gleichbedeutend und werden ganz ähnlich gebraucht. Gleichzeitig schafft ein moralisches Urteil auch eine Normsetzung, was sich kompliziert anhört aber eigentlich nur meint, dass die moralische Beurteilung einer Sache, etwa als gut oder schlecht, ihr Wert gibt oder nimmt.
Moral im engeren Sinne meint zusätzlich die ganz subkjektive Neigung der Sitte oder Moral im weiteren Sinne zu folgen oder von ihr abzuweichen. Dazu passt die schöne Geschichte des Generals von Friedrich dem Großen, einem von Mahlsdorf, der sich entscheidet einem Befehl Friedrichs zur Plünderung eines sächsischen Schlosses, ich meine es war die Moritzburg, nicht zu folgen, weil ihm der Gehorsam keine Ehre brachte, sondern er der Legende nach sogar sagte, eine Plünderung stünde einem Oberst des Regiments der Gendarmen nicht gut zu Gesicht und dafür von Friedrich bestraft wurde, was seine Erben sogar auf seinem Grabstein vermerkten.
Dazu gehört auch der berühmte Spruch, dass, wo Recht zu Unrecht wird, Widerstand zur Pflicht wird. Dies wurde und wird viel bei den Tätern der NS-Zeit diskutiert und dafür gibt es die Radbruch’sche Formel, die ich oben schon erwähnte, wie meine kritische Haltung zu diesem moralischen Werturteil im Strafrecht zum Ausdruck brachte.
So gelten die Täter des 20. Juli um Graf Stauffenberg oder die Mitglieder des Kreisauer Kreises, um Helmuth James Moltke und Peter Yorck als moralische Vorbilder in einer Generation in der viele Väter zu Tätern und Verbrechern wurden und sich manche Kinder nicht sicher sein konnten, wo ihre Eltern denn nun standen, die hinterher von all dem nichts geahnt haben wollen.
Ungehorsam ist für einen Soldaten ein Verbrechen, das schwer bestraft wird. Deutschland befand sich 1944, als das Attentat auf Hitler versucht wurde, im Krieg mit dem größeren Teil der Welt. Die Mitglieder der Verschwörung um Stauffenberg, wie der Kreisauer Kreis, der aber ein Attentat eher ablehnte, um eine Dolchstoßlegende zu vermeiden, zumindest äußerte sich Helmuth James ausdrücklich so, waren meist Offiziere im militärischen Dienst. Sie brachen damit Recht und wurden dafür hingerichtet.
Diese Urteile wurden nach dem Krieg wieder aufgehoben und auch durch das intensive Bemühen von Marion Dönhoff um die Ehre vieler ihrer hingerichteten Freunde wurden diese zu wichtigen Figuren der moralischen Rechtfertigung im neuen Deutschland.
Wie sollte dies Land anfangen und auftreten, das die größten vorstellbaren Verbrechen der Menschheit beging mit den rassistischen Morden an Millionen Juden aus ganz Europa, der systematischen Tötung von Homosexuellen, Behinderten, Zigeunern und anderen Gegnern des Regimes?
Welche moralische Position sollte ein neues Deutschland in der Welt einnehmen, die sogar dazu noch für vierzig Jahre gleich zwei davon bekam, die beide zu den Strebern und Klassenbesten in ihrem je Bündnis wurden?
Es gab darüber viele wichtige auch kulturelle Diskussionen zu denen auch die Gruppe 47 gehört, mit der Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki bekannt wurden. Viele fühlten sich schuldig, die meisten leugneten lange irgendwas gewusst zu haben. Günter Grass, der zum Sprecher des guten Deutschland und der Versöhnung mit Polen wurde war selbst gegen Kriegsende kurze Zeit noch Mitglied der Waffen-SS und steht damit beispielgebend für die vielen Widersprüche in den Biografien in Deutschland, auf die ich die eigene Familie betrachtend noch näher eingehen möchte. Für den Osten beleuchtete Peter Weiss in seiner Ästhetik des Widerstandes diese auch Widersprüche aus Sicht eines kommunistischen Widerstandskämpfers, der von Hitlers Unrecht entsetzt in den spanischen Bürgerkrieg flüchtet, wo er von Stalins Säuberungen erfährt und einen weiten Weg geht in der Hoffnung auf das gute, für ihn dann sozialistische Deutschland. Dieser in beiden Deutschlands verlegte Text brachte die Diskussion um Widerstand und Kultur neu in Gang und änderte auch den verklärten je Blickwinkel, um zu sehen, es gibt auf beiden Seiten gutes und schlechtes und ein kritischer Blick bleibt wichtig.
Als meine eine Großmutter nach dem Krieg anfing für englische Offiziere als Dolmetscherin zu arbeiten, wurde sie von diesen in ein KZ geführt, um ihr zu zeigen, was Deutschland getan hatte und konnte bis ins hohe Alter davon völlig erschüttert erzählen. Sie hätte sich das nie vorstellen können und wäre beinahe zusammengebrochen, war spürbar entsetzt
Ja, die Juden verschwanden aus der Nachbarschaft und es gab die Sprüche der Nazis, aber feinere Leute hätten doch diesen Stürmer nicht gelesen. Mein Urgroßvater, der Vater dieser Großmutter, hatte selbst im Gefängnis gesessen, als er seinen jüdischen Bankier freundlich grüßte, während dieser von der SS abgeführt wurde, war er verhaftet worden und nur die versammelte Belegschaft seiner Firma, die Ostfriesland einst elektrifizierte, konnte ihn aus der Haft brüllen.
Warum keiner die Juden aus der Haft brüllte oder sich den Zügen entgegenstellte, die sie nach Osten transportierten, ist so unklar wie die reale Blindheit auch in konservativen bürgerlichen Kreisen für die totalitär zersetzende Seite des Faschismus. So war meine Großmutter, die von Haus aus immer deutschnational war, wie sie bis Ende neunzig noch betonte, sicher von den schnieken Uniformen begeistert und der Ordnung für welche die Nazis wieder sorgten. Sicher wäre keiner für Auschwitz gewesen, kaum einer gäbe das bis heute zu, wo dergleichen zum Glück auch strafbar ist, doch verschwimmt die Grenze zwischen unbeteiligt, ein wenig widerständig und Mitläufertum schnell. Wirklich dagegen waren am Anfang nur wenige und auch die Geschwister Scholl, die als Studenten für den Abwurf ihrer liberalen Flugblätter in München an der Uni hingerichtet wurden, waren wie Stauffenberg anfänglich Anhänger des neuen Systems und Parteimitglieder.
Viele waren blind für den sofort nach dem Reichstagsbrand, also wenige Tage nach der Wahl Hitlers zum Reichskanzler 1933, einsetzenden Prozess, der die Demokratie auflöste und den totalitären Staat der NS-Diktatur durch Ausnahmeregeln schrittweise einführte. Glaube meine beiden Großmütter fanden es gut, dass Hitler für Ordnung sorgte, die Wirtschaft in Schwung brachte, wenn auch auf Kredit und mit geklautem Geld, was noch keiner ahnte. Vor anderem wurden die Augen lieber geschlossen, alles war besser als die Kommunisten dachten viele. Damit wurde ich auch noch im Kalten Krieg im Westen Deutschlands groß, eine nicht selten anzutreffende Sicht in bürgerlichen Kreisen.
Damit waren ehemalige Nazis, die sich schnell wendeten und etwa Christdemokraten wurden, rasch wieder in hohen Funktionen integriert, es wurden ja auch Fachleute gebraucht und Deutschland hatte nicht genug Widerstandskämpfer mit Erfahrung, ein Land wieder aufzubauen. Dazu kam, viele, die im Widerstand waren, standen den Kommunisten nah, hatten nicht auf gut deutsch gehorcht sondern waren ungehorsam gewesen, waren dem Führer teilweise im Krieg in den Rücken gefallen, oder, was noch schlimmer nach dem Krieg war, standen den Kommunisten nah, wurden von Moskau bezahlt.
Die Großmütter haben sich beide wohl nicht im Krieg mit Ruhm des Widerstandes bekleckert, vielleicht weil ihnen das nicht lag, sie irgendwann Angst um ihre Kinder hatte, sie schlicht unpolitisch waren und die Gefahr nicht erkannten, ich kann es bis heute nicht so genau sagen, obwohl ich viel mit meinen Großmüttern sprach. Ihre Aussagen waren da auch widersprüchlich, selten historisch konsistent und viel von starken Gefühlen geprägt in dieser Zeit von Angst und Schrecken gelebt zu haben.
In hohem Alter, als mein Großvater schon gestorben war, erzählte meine Großmutter plötzlich, sie sei zu einer Ehrung ins Bremer Rathaus geladen worden, weil ihren Schwiegereltern, deren einziger Sohn mein Großvater war, eine Ehrung in Yad Vashem zugekommen sei. Diese hätten über den ganzen Krieg ein jüdisches Ehepaar in ihrem Haus am Osterdeich versteckt, in dem ich mein erstes Lebensjahr verbrachte. Ob das stimmt, konnte ich nicht verifizieren, finde es aber auch nicht so wichtig, wie historisch wahr diese Erzählung ist, was für mich dabei zählt, ist ein geändertes historisches Bewusstsein.
Während früher noch die ewige deutsche Geschichte von den Autobahnen und der Ruhe und Ordnung auf den Straßen erzählt wurde, was logisch ist, wenn diejenigen, die für die eine Hälfte der Unruhen verantortlich waren, plötzlich regierten und die andere Hälfte in Lager steckte mithilfe der Reichstagsbrandverordnung, wurde ihr im Alter immer wichtiger vom Widerstand meines Urgroßvaters, ihres Vaters und ihrer Schwiegereltern zu erzählen, was immer daran war. Es ist für mich weniger wichtig, was historisch da tatsächlich passiert ist, als wie sie es moralisch bewerten und auch ihre eigene Rolle dabei veränderten, was zu einem vollständig anderen moralischen Urteil über ihre Zeit und ihr Leben führte. Sie waren sich der zumindest deutschen Schuld bewusst geworden und sahen Widerstand als Ehre an.
Die Mutter meines Vaters hielt sich dagegen erstaunlich zurück in diesem Bereich. Ihre Stiefmutter, die eine überzeugte Nationalsozialistin war, mochte sie nicht sonderlich. Sie kannte einige Offiziere, die später dem Widerstand zugeordnet wurden und die meinen Großvater wohl mal in Güstrow besuchten. Das wären jedoch immer nur die Kameraden aus dem Kadettenkorps gewesen, von mehr wusste sie angeblich nicht. Barlach den sie kannte, die als Gutstochter eine Zeit bei Bülows dort gelebt hatte, mochte sie nicht sonderlich. doch schien sie mir in allem immer eher unpolitisch und sie stimmte dem zu, sagte, sie hätte ja schließlich 4 Kinder gehabt und da hätte sie im Krieg ohne Mann, der an der Front war, andere Sorgen gehabt.
Die übliche Geschichte eben und ich nahm sie hin, weil ich meine Großmutter liebte und fragte nicht nach, was sie denn von 1933 bis 1938, als ihre ältesten Söhne geboren wurden, dachte und tat. Habe ich auch meine andere Omi nie gefragt, vielleicht habe ich mich auch darum so gut mit ihnen verstanden und so viele Geschichten gehört. Die Frage nach der moralischen Rechtfertigung stellte ich nur allgemein und sie antworteten so mit der kleinen Änderung, dass sich ihre moralische Sicht wohl im Alter veränderte und sie weniger Rechtfertigung noch suchten, als zu erklären, wie nah sie doch dem Widerstand waren, der früher kein Thema war, auch ihren Kindern gegenüber nie, die nach 1968 mit Fragen begonnen hatten.
Die Großväter hielten sich erstaunlich lange sehr zurück. Der eine war in russischer Gefangenschaft gewesen. Ein Spätheimkehrer, der vermutlich nur überlebte, weil er Zahnarzt war, hielt sich vornehm hanseatisch lieber zurück und rechtfertigen wollte er sich schon gar nicht. Er war kein Freund der Nazis. Der andere zu Kinderzeiten preußischer Kadett als Sohn eines gefallenen höheren Beamten, war seiner Französisch Kenntnisse wegen an der Westfront und in Belgien eingesetzt. Nach dem 20. Juli als sein Name irgendwo auf den Listen von Goerdeler auftauchte, der leider eine Liste der Verschwörer gegen die Vereinbarung bei sich Zuhause hatte, was noch manchen den Kopf kostete, wurde ihm ein Verfahren wegen Unterschlagung und Betrug gemacht und danach wurde er an die Ostfront geschickt, um verfeuert zu werden. Er überlebte dennoch und musste nach dem Krieg mit Hilfe von Resistance-Kämpfern aus Belgien, mit denen er befreundet war, seine Vertrauenswürdigkeit beweisen, während sein Bruder, der ein mittelgroßer Nazi war, rechtzeitig bei der Kirche wieder Unterschlupf fand und von dieser gedeckt wurde.
Der väterliche Großvater erzählte mir auf Drängen und mehrfache Nachfrage seine Version der Geschichte seiner Degradierung und des Betrugsverfahrens, die damit zusammen hing, dass er auf den Listen Goerdelers stand, sie ihm aber nichts nachweisen konnten. Er wäre nie ein Nazi gewesen, auch nicht wirklich Widerstand aber klar kannte er viele Offiziere aus dem Widerstand aus Lichterfelde, so wäre er da reingerutscht eher, wie er sagte. Er stapelte lieber tief, statt sich zum Helden zu machen, der er da wohl auch nicht war.
Es hatte sich aber bei beiden das moralische Bewusstsein ihrer Haltung zu dieser Zeit verändert. Ihrem Enkel gegenüber vertraten sie nun andere Sachen als ihren Kindern gegenüber. Was davon nun wahr ist und ob es den Kindern gegenüber mehr um Ordnung und Disziplin wie auch Gehorsam ging, sie den Enkeln gegenüber großzügiger sein konnten, wie Großeltern eben so sind, oder sich tatsächlich ihr moralisches Bewusstsein und ihre Sicht auf die eigene Geschichte verändert hat, weiß ich nicht. Täter waren sie wohl beide nicht im Sinne des Nationalsozialismus und gegen ihn nur ganz am Rande, dennoch bin ich froh, dass es ihnen im Altern wichtig war, sich als moralische Gegner darzustellen.
Moralische Urteile unterliegen der Veränderung. Gerade schrieb ich mit einem Freund zu einem der Texte über Recht und Ordnung und erinnerte ihn bezüglich der moralischen Bewertung, die er für ganz sicher hielt, an seine Tante, die als Witwe eines Widerstandskämpfers aus dem Kreisauer Kreis und Studienfreundin von Dietrich Bonhoeffer als moralisch absolut integer galt und doch selbst als Richterin in der jungen Bundesrepublik Urteile gegen Homosexuelle nach § 175 StGB fällte, die wir heute klar als Unrechtsurteile qualifizieren würden, obwohl sie selbst Opfer der nationalsozialistischen Intoleranz gewesen war, von der diese Regelung noch stammte.
Gerade las ich in der FAZ in einem Artikel von einer neuen Biografie über den Großvater meines Freundes, dessen Vettern dem Widerstand so nah waren. Danach soll der unter seltsamen Umständen in Spanien zu Tode gekommene, der angeblich dort den geheimen Auftrag hatte Franco zu beseitigen, wofür auch die Beweise recht dünn sind, insbesondere was seine Absichten betrifft, doch besser mit den Nazis kollaboriert haben auch in Polen, wo er in Warschau bis zum Einmarsch Botschafter war, als bisher angenommen. Kenne andererseits vom Hörensagen eine Geschichte eines uralten Resistance-Kämpfers, einem Straßburger, der in zwei Weltkriegen an fast allen Fronten auf beiden Seiten kämpfte, an sehr vielen zumindest, der sich an den Namen erinnerte und sich sicher war, dass dieser Botschafter ein guter war und mit ihren Kämpfern in Kontakt war. Glaube dem alten Straßburger Freund seine Geschichte, warum sollte er sich so etwas ausdenken, inzwischen ist er vermutlich längst verstorben, es ist über zwanzig Jahre her und er war damals schon weit jenseits der neunzig. Denke aber auch der Historiker wird gut recherchiert haben und der Großvater meines Freundes wird sich auch irgendwie arrangiert haben und kein nur Widerstandskämpfer gewesen sein als Diplomat, stand er ja schon beruflich gerne zwischen den Stühlen.
Moralische Urteile, dass zeigen mir alle diese Geschichten über eine moralisch und historisch schwierige Zeit, sind wandelbar und obliegen auch immer den Strömungen der Zeit. Was macht ein Vater von 5 Kindern, dessen Vettern dem Widerstand nahe waren, wenn er vor der Wahl steht, ins Konzentrationslager zu kommen, oder dem Regime zu dienen?
Dies scheint eine Gewissensfrage zu sein und damit kämen wir zur Basis aller moralischen Entscheidungen und dem Ausgangspunkt des kategorischen Imperativs, der alles am Gewissen misst.
Wer könnte von sich sagen, wie er in dieser Situation handelte?
Dies über sich zu sagen, ist schwer genug und ich traue mir dies Urteil kaum zu. Würde ich das Leben meiner Tochter oder ihre Sicherheit gefährden, um meiner politischen Überzeugung folgend, Widerstand zu leisten, oder würde ich mich als Künstler lieber ins innere Exil zurück ziehen und nur darüber schreiben, frage ich mich und hoffe es nie entscheiden zu müssen. Spannend finde ich an dieser Stelle eine andere Geschichte über die Schwester des obigen Freundes, die ich einerseits sehr mag, andererseits manchmal etwas sehr angespannt finde auch mit ihren Kindern, ohne mir darüber ein Urteil erlauben zu dürfen, sprach ich an der Hochzeit des Freundes darüber mit einem seiner anderen Freunde, der schon seit Kinderzeiten ein Freund der Familie war und der nur in seiner bayerischen Gelassenheit sagte, sie mag a bissel nervig manchmal wirken, aber wenn Not wäre oder ich mich verstecken müsste, wüsste ich niemandem, dem ich eher und mehr vertrauen würde, sie wäre für ihn eine absolut integre Person. Das ist ein klares moralisches Urteil über das Verhalten eines anderen in einer Notsituation, finde ich erstmal mutig, mehr aber noch muss ich ihm, je mehr ich darüber nachdenke, völlig zustimmen und finde auch dies mein moralisches Urteil erstaunlich, auch wenn ich mir ganz sicher bin, sie ist sicher einer der integersten Menschen, die ich kenne.
Gibt es wirklich ein moralisches Gesetz, das über allem steht und uns immer leitet, wie es der kategorische Imperativ vorsieht oder ist das in einem Unrechtsstaat eine Illusion in dem jeder auch um sein Überleben kämpfen muss?
Die sich zum Widerstand aufrafften, werden dies bejahen. Sie folgten einem höheren Recht, das sie für verbindlich hielten, um etwa das gute Deutschland zu retten, das unter dem Terror der Nazis unterzugehen drohte. Ihnen schien dies nur moralische Recht, das noch nirgendwo als Norm niedergelegt war, außer vielleicht in den Ideen des Völkerbundes, den Deutschland aber unter Hitler längst verlassen hatte. Die ganz große Mehrheit aber, die sich regimekonform verhielt, wird es anders sehen und auch ein Adolf Eichmann, der Organisator des Holocaust, sagte nach seiner Verhaftung, er habe sich doch nur an Recht und Gesetz gehalten, seine Arbeit als Beamter ordnungsgemäß verrichtet.
Dass Eichmann vom Mossad entführt wurde und ihm in Israel der Prozess gemacht wurde, der mit dem Todesurteil endete, ist eine andere Geschichte und die Rache der Juden im Staat Israel ist verständlich und scheint moralisch bei diesem Täter berechtigt, auch wenn er sich an Recht und Gesetz hielt, scheint uns sein Handeln keinesfalls als legitim. Rechtlich betrachtet jedoch scheint mir die Verurteilung sehr problematisch, weil hier einer aufgrund eines späteren moralischen Urteils bestraft wurde, das zum Tatzeitpunkt weder für ihn noch für andere galt. Wer dürfte danach so behandelt werden, wenn er sich an das unrechte Gesetz des NS-Staates hielt und wer nicht?
Muss nicht ein strafrechtliches Urteil, wenn es rechtsstaatlich sein soll, und Israel nimmt ja aus guten Gründen für sich in Anspruch der einzige Rechtsstaat im Nahen Osten zu sein, immer dem nulla poena Grundsatz genügen und ist dessen Aushebelung auch durch die Radbruch’sche Formel, die sich auf höheres Naturrecht bezieht, nicht das Ende des Rechtsstaates und raubt damit entsprechenden Urteilen jede Legitimation?
Aus moralischen Gründen, damit die Schweine bestraft werden konnten, die sich an die Nazi-Gesetze hielten, wurde obige Formel erfunden. Dennoch hebelt sie den Rechtsstaat in einem seiner wichtigsten Prinzipien aus, die auch in der Beschränkung staatlicher Macht als Schutz der Bürger vor Willkür, erlassen wurde. Damit raubt sie jedem folgenden Urteil eigentlich die Legitimation, auch wenn wir es seit Jahrzehnten aus guten moralischen Gründen anders in Deutschland praktizieren, scheint mir die Anwendung des Strafrechts als Mittel zur Durchsetzung moralischer Positionen schwierig und eigentlich falsch, weil es die höhere Gerechtigkeit, auf die sich die Urteile berufen, so wenig gibt wie ein Naturrecht, das dem Menschen bestimmte Rechte gibt.
Jedes Gesetz ist Produkt eines formalen Prozesses, der in Demokratien relativ durchsichtig sein muss. Nur was diesen Anforderungen genügt, kann gesetzliche Wirkung entfalten und damit auch die Freiheit der Bürger in Folge einschränken, die Teil der Gesellschaft sind, die das Gesetz erlassen hat. Eine wie auch immer begründete höhere moralische Norm ist nur eine relative Idee, die von Moden, Zeitströmungen, Aberglauben und vielem mehr abhängt. Sie dürfte keine formale Wirkung wie ein Gesetz entfalten, was sie aber tut, wenn wir die Berufung auf ein höheres moralisches Recht zulassen und damit dem Unrecht im Rechtsstaat die Tür öffnen.
Auch die Nationalsozialisten waren davon überzeugt, dass ihr Recht einer höheren Moral genügte und sie gemäß ihrer Ideologie zum Wohle des Volkes handelten, was sie vor dem Untergang durch Bolschewisten und Juden schützen wollten. Diese rassistische Lehre basierte zwar allein auf Vorurteilen und hatte keine vernünftige sachliche Grundlage aber war eine in sich geschlossene Moral, die über allem stand, wie es danach die der Menschenrechte war, die moralisch Urteile legitimierte, die rechtsstaatlich betrachtet eigentlich Unrecht waren.
Zum Wandel der moralischen Sichten fällt mir noch die Geschichte meiner langjährigen Freundin während des Studiums ein, deren Vater als Sohn des Gutsverwalters von Hindenburg in Ostpreußen noch auf eine Adolf Hitler Schule ging und im Geist des Nationalsozialismus groß wurde. Er kämpfte noch als Jugendlicher kurz vor Kriegsende gegen die Alliierten in Schwerin, wohin sie nach der Besetzung Ostpreußens geflohen waren. Nach dem Krieg studierte er Jura, wurde ein bekannter und erfolgreicher Völkerrechtler, der sich auch privat immer für die Deutsche Einheit setzte und CDU Mitglied war. So auch seine spätere Frau, mit der er früh viele Kinder bekam, die noch als BDM voller Überzeugung gedient hatte und später auch in der CDU engagiert, es unter anderem bis zur Ortsbürgermeisterin brachte. Respektierte und anerkannte Menschen, die in der Bundesrepublik Karriere machten, ohne sich für ihre jugendliche Verwirrung noch rechtfertigen zu müssen, außer vielleicht mal vor ihren Kindern. Will beiden nicht absprechen auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen und in diesem Sinne ihre konservativen Positionen gelebt zu haben. Dennoch sind sie auch Teil der Geschichte des anderen Deutschland, dessen Verantwortung für den größten Massenmord der Geschichte immer bestehen bleibt und wachgehalten werden sollte, um für die Zukunft zu lernen, was gerade in der aktuellen Situation sehr nötig scheint, in der rechte Gruppen von Osten her wieder gegen eine religiöse Gruppe mit rassistischer Tendenz hetzen.
Diese Geschichten des Wandels der Überzeugungen, die Menschen zugleich auf der Seite des Unrechts und der höheren Gerechtigkeit stehen ließ, gibt es sehr viele und immer wieder in ehemaligen totalitären Regimen. Auch nach dem Sturz der Diktatur in der DDR und der Etablierung demokratischer Strukturen dort, nahmen Menschen, die vorher für den Sozialismus einstanden, plötzlich Führungspositionen im Kapitalismus ein und passten sich an.
Dürfen wir die Linke, die Nachfolgeorganisation der SED ist, darum für alle Zeiten moralisch verurteilen, weil es in ihren Reihen auch Anhänger des Massenmörders Stalin gibt?
Was erlaubt den Siegern der Geschichte ihr moralisches Urteil und auf welche Basis stellen sie es?
Die Strafurteile gegen wenige Täter und die Täter hinter den Tätern im SED-Regime, wie gegen einige Mauerschützen und wenige SED-Bonzen, zeigen diesen Konflikt. Auch da wurde wieder unter Berufung auf höhere Moral die Radbruch’sche Formel gebraucht und Soldaten, die ihren Dienst vorschriftsgemäß versahen, der Prozess gemacht, weil doch jedem moralisch offensichtlich sein müsste, dass der Schuss an der Grenze auf Menschen, die in die Freiheit fliehen wollen, Unrecht sei.
Ein bundesdeutscher Grenzschützer, der nach mehrfacher Aufforderung stehen zu bleiben, auf einen Flüchtling oder einen Eindringling schösse, den er für eine Gefahr halten darf, handelte legitim. Gleiches gilt, wenn Polizisten von ihrer Schusswaffe gebrauch machen und die Voraussetzungen dafür vorliegen.
Will weder die Mauerschützen noch die Täter des Nationalsozialismus moralisch verteidigen, dass die Schweine bestraft wurden, scheint mir moralisch gut. Doch ist eine Bestrafung immer ein Rechtsakt eines Rechtsstaates für den besondere Voraussetzungen zu gelten haben. Der Staat ist an Recht und Gesetz gebunden bei jedem seiner Akte. Er handelt nicht aufgrund einer höheren Moral.
So könnte auch die beste Moral nicht die Enteignung der Deutschen Bank zum Wohle des Staates rechtfertigen, auch wenn dieser viel zu mächtige Konzern nachweislich in verschiedenste teils mafiöse Strukturen der Geldwäsche verwickelt war und seit Jahren in Teils betrügerischer Absicht die Gesetze in Deutschland umging, wie inzwischen hinlänglich bekannt ist. Eine solche Enteignung und Zerschlagung der teils verbrecherischen Deutschen Bank, so gute moralische Gründe es dafür geben mag, bräuchte eine gesetzliche Grundlage, die im Rechtsstaat momentan nicht vorhanden ist, warum dieser Akt, auch wenn manche ihn moralisch gut heißen würden, rechtlich nie zu rechtfertigen wäre und damit zu einem Unrechtsurteil führte.
Es gab und gibt in der Deutschen Bank sehr moralische Menschen und unmoralische Täter, die teilweise schon bestraft wurden. Ein moralisches Urteil über Macht und Finanzgebahren des größten deutschen Geldhauses allein kann aber keine rechtlichen Schritte gegen dieses rechtfertigen. Der Rechtsstaat setzt auch der staatlichen Moral Grenzen, wie gerade das Land Bayern erfahren musste, dass sein moralisches Karfreitagstanzverbot noch weiter ausdehnen wollte und dafür vom Bundesverfassungsgericht in die Schranken gewiesen wurde aufgrund der Klage eines humanistischen Verbandes, der sich in seinen Rechten beschränkt sah.
Der Rechtsstaat ist gut und wichtig und momentan wohl die gerechteste Form in der eine große Gemeinschaft ihr Zusammenleben organisieren kann. Darum gilt es ihn zu verteidigen und die Rechte aller Teile zu wahren. Dazu gehört auch das Grundrecht der Angeklagten, die nicht gegen den nulla poena Grundsatz verurteilt werden dürfen. Unser Staat hat mit seinen Gerichten dagegen ein moralisches Urteil gefällt, nach dem die herrschende Moral wichtiger sein darf, als die Prinzipien des Rechtsstaates nach denen geurteilt wird. Dies ist Unrecht im Sinne des Rechtsstaates, der aber wiederum als einziger Recht sprechen darf. Tut er dies nicht zu Recht, raubt er sich damit die Legitimation, rechtmäßig zu handeln.
Die Basis für Strafurteile sind immer Gesetze, keine Moral, auch wenn diese den Gesetzen zugrunde gelegen haben mag, darf sie beim Eingriff des Staates in die Freiheit des Bürgers, die den Staat erst begründet, nicht die formalen Grenzen staatlichen Handelns umgehen. Der Schaden der dem Staat durch die Umgehung der rechtsstaatlichen Prinzipien in seiner Legitimation droht durch solch unrechtmäßigen moralischen Gerichtsurteile, ist größer als der Gewinn an moralischer Sauberkeit, weil das Schwein bestraft wurde.
Moral und Recht können sich harmonisch verstehen und im Rechtsstaat sollte alles Recht einer einheitlichen und freiheitlichen moralischen Grundlage genügen, aber in Urteilen hat dies nichts zu suchen, die haben sich nur an Gesetze zu halten, die zum Tatzeitpunkt galten.
Wer es für moralisch geboten hält, bestimmte Täter zu bestrafen, um so der Gerechtigkeit genüge zu tun, kann dies nur im Wege der Siegerjustiz wie sie in den Nürnberger Prozessen gegen die Täter des NS-Regimes angewandt wurde. Diese ist nicht rechtsstaatlich und nur einer sich wandelnden Moral unterworfen, gleicht damit den Hexenprozessen, die wir heute selbstverständlich verurteilen, auch wenn diese erstmals rechtsstaatliche Grundsätze sogar im Reich einführten, was heute absurd klingt.
Die Achtung vor dem Rechtsstaat gebietet ihn, zumindest wenn er straft und damit meint in Bürgerrechte eingreifen zu dürfen, von aller Moral freizuhalten und sich auf die Formalien zu beschränken und so zeigt sich, wie gefährlich die Verknüpfung von Recht und Moral eigentlich ist.
Moralisches Handeln, wie es Kant in seinem kategorischen Imperativ fordert, demgemäß wir stets so handeln sollen, dass unser Handeln auch Gesetz für jedermann sein könnte, also moralisch zu jeder Zeit, an jedem Ort und für jedermann gelten kann, steht über dem Rechtsstaat. Es ist ein bloßer Näherungswert, der tatsächlich nie erreicht werden kann, doch zählt das Streben danach, um moralisch, also gut zu handeln und sein eigenes Handeln kritisch infrage zu stellen. Wer so moralisch handelt, ist aufgeklärt in dem Sinne, dass er sich aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit befreit hat und jedes Gesetz wie jede seiner Handlungen an seinem Gewissen misst und dafür Verantwortung übernimmt.
Wer so handelt ist erst wirklich frei, für denjenigen gelten Gesetze nur insoweit, er sie mit seinem Gewissen vereinbaren kann, auch wenn er eine sie ist. Diesen freien Bürger setzt der Rechtsstaat eigentlich voraus, es ist derjenige, der eigentlich keine Gesetze mehr bräuchte, weil er auch ohne sie moralisch handelte und moralisch handelt ohnehin nur derjenige, der alles Handeln an seinem Gewissen misst, warum all die Gesetze eigentlich nur lästig und überflüssige Verblödung sind, die vom moralischen Handeln abhält. Eine Krücke für alle gewissensmäßig behinderten Menschen, die andererseits der Rechtsstaat, um sie bestrafen zu können, wieder für frei erklärt und mit der Strafe zugleich etwas tut, was deren Zweck eigentlich entgegensteht. Eine autoritäre Bestrafung steht einem freien Urteil des Gewissens entgegen, derjenige übernimmt keine Verantwortung, sondern es wird nur etwas aufgezwungen, was Geld kostet und nichts bringt, als ein kriminelles Umfeld zu schaffen.
Vom moralischen Standpunkt her ist das Strafrecht völliger Unsinn, da es das Gegenteil von dem tut, was es erreichen möchte, nämlich den Täter sittlich verantwortlich zu machen, was nur ein freier Mensch aus eigenem Entschluss sein kann. Daneben gilt das Strafrecht noch als staatliche Form der Rache oder Vergeltung wie es juristisch korrekt gesagt wird. Damit sollte Rechtsfrieden hergestellt und die ewigen Fehden beendet werden. Nur der Staat darf noch Gewalt ausüben, außer jemand verteidigt sich, wenn er gerade angegriffen wird.
Dennoch scheint es uns nötig um ein bloßes Recht des Stärkeren zu verhindern, das Zusammenleben in geordneten Bahnen laufen zu lassen. Manche Täter werden auch weggesperrt, um die Gesellschaft vor ihnen zu schützen, was jedoch in Anbetracht von deren Grundrechten nur sehr beschränkt möglich ist. Gerade hat das Kabinett in Reaktion auf den Berliner Anschlag eine Verschärfung der Haft für Gefährder gefordert, womit auch wieder Grundrechte eingeschränkt wurden, auch wenn uns das gerade zum Schutz der Bevölkerung sinnvoll erscheint, ist der moralische Wert solches Aktionismus sehr fragwürdig.
Wir nehmen zur Verteidigung unserer Freiheit billigend in Kauf deren Grundlagen infrage zu stellen und wundern uns, wenn das, was übrig bleibt nur ein hohles Gerippe im autoritären Kostüm ist, was seinen zentralen Wert verlor. Wer nur Normen und Befehle befolgt, handelt nicht moralisch sondern wie ein Automat ohne jeden sittlichen Wert. Solange die Normen im Einklang mit dem Rechtsstaat und der gerade zufällig herrschenden Moral stehen, ist alles gut, falls nicht, haben wir aus diesem System heraus keine Antwort.
Der Rechtsstaat ist an Normen gebunden und sollte nur ihnen entsprechend handeln, wo er sein Recht aus nur gedachtem Naturrecht ableitet, handelt er ohne Rechtsgrundlage und damit illegal. Jeder einzelne ist nur seinem Gewissen verantwortlich, um dem kategorischen Imperativ gemäß zu handeln, wer nur Normen befolgt, handelt nicht sittlich gut oder moralisch.
Zwischen diesen Gegensätzen müssen wir im Alltag immer wieder einen Kompromiss suchen, mit dem wir leben können. Zu verstehen, dass Recht und Moral ein schwieriges Verhältnis im Schatten der Freiheit haben und der Staat manchmal paradoxe Dinge tut, indem er infragestellt, was er zu seiner Begründung etwa bei der Strafe braucht und dafür schlechte Kompromisse schließt, die nicht logisch sind, mit denen wir aber irgendwie überleben, kann uns helfen, die relative Gültigkeit aller menschlichen Normen und aller Moral zu erkennen.
Höhere Gesetze sind nur für die relevant, die sie zufällig glauben und nicht für jeden Bürger also, daher jenseits des Aberglaubens irrelevant. Es bleibt der kategorische Imperativ als moralisches Ziel und Näherungswert, mit dem wir bestmöglich leben können. Wer stets rücksichtsvoll handelt und sich kompromissbereit zeigt, wird damit bestmöglich durchs Leben kommen. Die Suche der Epikuräer nach dem Glück ist der Kompass des Weges, Rücksicht auf das Glück der anderen die Richtschnur, nach der sich aufrecht gehen lässt.
Weniger Recht ist mehr Moral im Miteinander, was viele, die nach Gesetzen brüllen gegen die Unmoral, wohl vergessen haben. Der Rechtsstaat verliert seine Legitimation wo er nur moralischen Grundsätzen folgt und schafft damit auch formell Unrecht. Dennoch braucht es noch ein minimum an Regelungen, um den Übergang bis zu dem Zeitpunkt zu ordnen, an dem alle moralisch handeln. Auf diesem Drahtseil zu wandeln und die Freiheit zu verteidigen, wird in Zeiten zunehmender Angst immer wichtiger.
jens tuengerthal 11.1.2017
Donnerstag, 12. Januar 2017
Dienstag, 10. Januar 2017
Gretasophie 007c
007c Chancen der Freiheit
Ist Freiheit in Zeiten von Krieg und Terror noch eine Chance?
Wer mehr Sicherheit will, gibt dafür Freiheit auf. Das fängt bei Grenzkontrollen und der Videoüberwachung im öffentlichen Raum an und endet noch nicht mit der Kontrolle des Internets. Unsere Verfassung sieht strenge Auflagen für die Beschränkung der Freiheit vor, die in Zeiten des Terrors, insbesondere seit dem 11. September 2001, schon sehr weit ausgehebelt wurden, um mehr Sicherheit zu gewährleisten.
Viele Bürger sagen inzwischen, lieber mehr Kontrollen, damit nichts passiert, sie hätten sich ja nichts vorzuwerfen, wollen sich lieber sicher fühlen. Der Staat gibt ihnen gern die Illusion, durch mehr Kontrolle, könne mehr Sicherheit gewährleistet werden. Wirkliche Sicherheit gibt es jedoch nicht, sondern nur weniger Freiheit und mehr Kontrolle bei fortbestehender Unsicherheit, der wir durch Angst Raum geben können oder nicht.
Doch geht es nur um den Vorwurf, gefährlich zu sein oder steckt mehr hinter der so möglichen verstärkten Kontrolle aller Bürger?
Manche machen sich die Angst zunutze und verbreiten Lügen oder den Vorwurf Volksverräter gegenüber Politikern, die mit einer menschlichen Aufnahmepolitik von Flüchtlingen ihr Sicherheitsgefühl gefährden. Diese Wort aus dem Sprachgebrauch der Nationalsozialisten, das gerade zum Unwort des Jahres gewählt wurde, suggeriert es gäbe ein Volk in ihrem Sinne, der meist biologisch durch behauptete Rassen begründet ist und die Politik, die Menschen in Not aufnimmt, würde das Volk verraten und dem Terror ausliefern, da Terroristen so ungehindert ins Land gekommen wären.
Dies ist aus mehreren Gründen falsch und gelogen. Zum einen gibt es das Volk im Sinne nationalsozialistischer Ideologie längst nicht mehr. Migranten leben hier als gleichberechtigte Bürger und können, so sie die Bedingungen erfüllen, eingebürgert werden. Deutscher ist, wer einen deutschen Pass rechtmäßig hat. Dies Land braucht dringend sehr viel Zuwanderung, um den Geburtenrückgang am Arbeitsmarkt auszugleichen. Wer sich dagegen wendet, beschleunigt das Aussterben der Gesellschaft, schwächt damit die Ökonomie und verdiente, wenn überhaupt die Bezeichnung Volksverräter, weil damit die Zukunft verbaut wird. Zum anderen ist die zeitlich befristete Aufnahme von Flüchtlingen aus Bürgerkriegsgebieten keine Migrationspolitik, sondern nur ein Akt menschlicher Solidarität für Menschen in Not. Der Vorwurf der Überfremdung wird hauptsächlich in Regionen erhoben, in denen bisher keine oder fast keine Migranten lebten. Des weiteren teilt diesen Vorwurf nur eine kleine Minderheit der Deutschen überhaupt. Die große Mehrheit ist zwar teils besorgt gewesen, bemühte sich aber offen um die Integration der Neuankömmlinge. Wenn könnte diese Gruppe also von Randgruppenverrätern sprechen, dahingestellt was die Verwendung nationalsozialistischen Vokabulars über die Nutzer hier verrät, da es nicht um rechte Politik sondern um die Gefahren der Freiheit geht.
Diese Menschen fürchten teilweise, durch das Auftauchen einer muslimischen Minderheit in ihren Freiheiten beschränkt zu werden, sprechen vom Untergang des Abendlandes, das sie als christlichen Kulturraum definieren. Denkbar ist zwar, dass eine Minderheit durch zunehmende Migration bei gleichzeitigem Aussterben der Mehrheitsgesellschaft zur Mehrheit wird und damit die Geschicke des Landes demokratisch bestimmen könnte, doch sprechen die Zahlenverhältnisse eine deutlich andere Sprache, so dass die politisch missbrauchte Lüge der Minderheit die Freiheit der Mehrheit gefährdet, die in unbegründete Angst versetzt wird. Wenn die Freiheit hier ausstürbe, weil sie sich nicht vermehrte, war sie nicht wert, erhalten zu werden und die Welt ginge ihren natürlichen evolutionären Gang weiter. Wenn die Mehrheitsgesellschaft ihre Werte einer Minderheit nicht vermitteln kann, schien sie nicht erhaltenswert, was also in unserer Hand konstruktiv liegt.
Warum die vermeintlichen Verteidiger der hiesigen Freiheit nicht gerade diese verteidigen mit allen ihren Rechten, zu denen auch Asyl gehört, sondern dies tun wollen, in dem sie das Grundgesetz nach rassistischen Kriterien brechen, bleibt unklar, lässt eher vermuten, dass diese den islamistischen Terroristen in ihren totalitären Überzeugungen näher stehen als der freiheitlichen Gesellschaft, die sie von Innen bedrohen, warum der Staat gegen diese Gefahr genauso entschieden vorgehen müsste.
So ist die innere Sicherheit und damit die Freiheit im Land von zwei Seiten bedroht. Ob dies zugleich rechtfertigt die Freiheit der Bürger zu beschränken und diese Beschränkung im Verhältnis zur Bedrohung steht, ist stets zu prüfen. Der Rechtsstaat garantiert die Freiheit der Bürger wie deren Grundrechte. Darum und zur Sicherheit vor äußeren Feinden gibt es überhaupt Staaten und haben wir uns zu solchen zusammengeschlossen.
Was ist überhaupt diese Freiheit, die der Staat verteidigen will?
Freiheit heißt, zwischen verschiedenen Möglichkeiten ohne Zwang entscheiden zu können. Der Begriff meint in Philosophie, Theologie und Recht die Autonomie des Subjekts. Der Begriff gehört in seinen verschiedenen Dimensionen, von Psychologie bis zum Recht, zu den zentralen der menschlichen Ideengeschichte. Das Wort selbst hat vermutlich indogermanische Wurzeln, kommt von dem, was bei mir ist, also dem Eigentum und leitet sich vom germanischen fri-halsa ab, der, dem sein Hals gehört, der also über seine Person frei verfügen kann. Frei war danach, wer zu einer Gemeinschaft von einander Nahestehenden und Gleichberechtigten gehört, zwischen denen Frieden herrscht und die diesen Frieden nach außen verteidigen. Somit wird Freiheit immer relativ in der Zugehörigkeit zur Gruppe und den Bereichen bestimmt, in denen sie Herrschaft ausübt.
Würde Freiheit auch unabhängig von einer Gemeinschaft definieren wollen, als die eben Herrschaft über mein Leben, die besteht, ob ich mit anderen zusammenlebe oder für mich bleibe. Diese Freiheit kann einem keiner nehmen. Auch wer meint, einen anderen als Sklaven halten zu können, was glücklicherweise heute weltweit geächtet wurde, wenn es auch praktisch noch sehr ähnliche Verhältnisse gibt, hat keine Herrschaft über dessen Willen und Geist, so bleibt der Sklave noch faktisch derjenige, der über sein Leben als letztes entscheiden kann. Das zeigt wie sehr die Sklaverei als Hypothese einer könnte am anderen, wie an einer Sache, Eigentum erwerben, schon der Natur des Menschen als freies Wesen widerspricht, der bewusst über sein Leben bestimmen kann.
Die Entscheidung über das eigene Leben und dessen Ende war auch den Epikureern schon sehr wichtig, die darin den entscheidenden Ausdruck von Freiheit sahen, auch wenn sie die Lust wichtiger fanden, als Grund zu leben, was ja keinen braucht, weil es einfach ist und eben möglichst genossen werden solle. So sei es die vernünftigste Entscheidung nach Epikur, sein Leben zu beenden, wenn es keine Lust mehr bereiten könnte. Allerdings knüpft der Philosoph diese Entscheidung an eine reifliche und nüchterne Überlegung und nicht nur an einen Gefühlsausbruch, der die meisten heute nur dazu motiviert, von dem sich auch der Werther treiben ließ, was Goethe schreibend von dem Wunsch kurierte.
Freiheit heißt, die letzten Dinge, entscheiden zu können, warum auch die Todesstrafe mit einer freiheitlichen Verfassung und dem entsprechenden Menschenbild nie zu vereinbaren ist. Wer über den Tod eines anderen entscheidet, trifft eine unwiderrufliche Verfügung, was angesichts möglicher Irrtümer jeder Entscheidung kein Gericht darf, da es sich nach dem Tod nicht mehr korrigieren kann. Zum anderen wird, wenn eine Entscheidung über den Tod getroffen wird, die Freiheit des anderen endgültig zerstört. Damit kann er aber auch logisch nicht mehr bestraft werden, weil nur freie Menschen für ihre Taten Verantwortung übernehmen können. Wer nicht mehr ist, übernimmt keine Verantwortung und raubt damit jeder Strafe ihre Begründung und eröffnet eine reine Willkür im Sinne biblischer Rachegedanken, die mit dem Rechtsstaat nicht zu vereinbaren sind.
Freiheit ist an unser Sein geknüpft und findet den letzten Ausdruck darin über Sein oder Nichtsein zu entscheiden. Nur wer frei ist, kann moralisch handeln nach dem kategorischen Imperativ. Also so, dass sein Handeln jederzeit Gesetz für jedermann sein könnte. Unfreie folgen nur Befehlen. Fraglich ist also, ob die Befolgung von Gesetzen als Pflicht zur Freiheit im Widerspruch steht.
Hierbei geht es um die Handlungsfreiheit, so oder anders zu handeln, die in der Willensfreiheit ihren Grund findet, die zentral für unseren Begriff von Freiheit ist. Solange wir bewusst handeln und wissen, was wir tun, kann die Entscheidung dem Gesetz folgen zu wollen, angenommen werden und darum der Einzelne für ein Zuwiderhandeln zur Verantwortung gezogen werden. Nicht das Schwein muss bestraft werden, sondern weil dort ein Mensch, der verantwortlich handelt, weiß was er tut, muss er dafür Verantwortung übernehmen, nimmt eben notfalls auch Sanktionen in kauf.
Nur wenn wir einen Täter für einen vernünftigen und verantwortlichen Menschen halten, können wir ihn für sein Handeln zur Verantwortung ziehen. Es kann einer auch aus dem Affekt oder reflexartig eine Tat begehen, was seine Verantwortung als Täter ändert. Auch die geistige Zurechnungsfähigkeit kann bei einem Täter beschränkt sein, was den Staat dann daran hindert, dessen Taten wie die eines vernünftigen Menschen, der vorsätzlich handelt, zu bestrafen. Darum kommen manche Täter in die Psychatrie oder eine bloße Verwahrung, um die Gesellschaft vor ihnen zu schützen, falls Gutachter dies für nötig halten.
Dies sind Fragen der Schuldfähigkeit. Manchmal gibt es aber auch Fälle, wo der Täter irrtümlich meinte, sein Tun sei erlaubt. Dann müssen die Gerichte prüfen, ob dieser Irrtum vermeidbar war. Früher konnten noch Menschen aufgrund ihrer geistigen Störung entmündigt werden, dann hatten sie selbst keine Verantwortung, für das, was sie taten, sondern nur ihre Vormünder. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch erklärt, dass eine Entmündigung nicht mit Artikel 1 Grundgesetz vereinbar ist.
Dieser erste Artikel schützt die Würde des Menschen und ist auch eine Reaktion auf die millionenfache Entwürdigung von Menschen durch die Verbrechen der Nationalsozialisten. Die Würde steht immer auch in engem Bezug zur Freiheit des Menschen, die durch Artikel 2 im Grundgesetz als geschützt erklärt wird.
Dieses Verständnis von Freiheit und Würde des Menschen unabhängig von seinem Geschlecht und seiner Abstammung, scheint vielen der Pegiden und AfD-Anhängern zu fehlen und damit ein grundsätzliches Wissen um das Funktionieren von Demokratie und Rechtsstaat. Sie wollten ihnen unliebsame Politiker aufhängen oder diese mit Mistgabeln aus Berlin vertreiben, verweigern Menschen ihr Asylrecht, weil Terroristen es missbrauchen könnten und fordern etwa die Todesstrafe für Kinderschänder, was noch deutlicher zeigt, wie wenig diese Menschen im Rechtsstaat ankamen und nicht verstanden haben, was Freiheit heißt. Darin gleichen die radikalen Rechten den Islamisten und wenig verwunderlich übernimmt nun auch die radikale Linke in Gestalt von Sahra Wagenknecht deren Forderungen teilweise und offenbart damit deren Unverständnis von Freiheit.
Ohne die Annahme der Freiheit jedes Menschen könnte es keinen Rechtsstaat und keine Urteile gegen einzelne Täter geben, die sich nicht an die Gesetze halten und damit die Freiheit der anderen einschränken oder gefährden. Die Demokratie und der Rechtsstaat setzen die Freiheit und Verantwortlichkeit ihrer Bürger voraus. Der Staat dient dem Schutz genau dieser Freiheit. Im Verständnis von Freiheit und Rechtsstaat genau unterscheidet sich die Bundesrepublik von der ehemaligen DDR, die kein Rechtsstaat war, auch wenn sie sich in ihrer Verwaltung den Anschein gab, deren Entscheidungen jedoch auf Grundlage eines totalitären Menschenbildes und der Diktatur einer Partei zustande kamen, die sich als Vertreterin der Arbeiterklasse verstand. Dies war nicht für jeden in allem so deutlich spürbar, zumal in der Propaganda wie der Internationalen die Verteidigung von Freiheit und Menschenrechten hochgehalten wurden, die jedoch de facto ganz grundsätzlich nie gewährt wurde.
Die Reisefreiheit ist nur ein Ausdruck davon, noch wichtiger war die Freiheit der Meinungsbildung und der Umgang mit pluralen und divergenten Auffassungen auch in den Medien, warum im Osten der Slogan von der Lügenpresse so viel Zulauf fand bei den Menschen, die früher das Neue Deutschland lasen und heute lieber russische Propagandasender schauen, die ihre Meinung bestätigen, statt sich ein differenziertes Bild in einer pluralen Medienlandschaft zu machen, die vermutlich viele Menschen nicht nur in Sachsen bis heute völlig überfordert.
Andererseits haben Bürger des Ostens als erste und einzige Deutsche mit ihren friedlichen Protesten 1989 ein totalitäres System auf demokratisch freiheitliche Weise gestürzt, eine bürgerliche Revolution gemacht, die den realen Sozialismus beendete. Sie haben gezeigt, dass sie für die Freiheit aufstehen können und unser jetzt scheidender Bundespräsident war einer von ihnen. Auch die Kanzlerin beteiligte sich, wenn auch bescheidener am demokratischen Aufbruch im Osten und weiß auch darum wohl, den Wert der Demokratie zu schätzen, ohne ihr revolutionäres Engagement hier überbewerten zu wollen. Doch ist der Freiheitskampf der Bürger der DDR ein wichtiger Teil unserer Geschichte und ein konstituierendes Element unserer Demokratie und sollte bei allem Ärger über ausländerfeindliche Sachsen nicht vergessen werden, denn auch viele der Helden von 89 kamen aus Leipzig und Umgebung.
Der Diskurs divergenter Meinungen ist Teil der Demokratie, warum eine große Koalition immer die schlechtest mögliche Lösung ist, weil sie die Opposition klein und schwach macht, sie an die radikalen Ränder drängt, das Entstehen einer extremistischen Partei wie des AfD, die unsere innere Freiheit gefährden, begünstigt hat.
Doch welche Partei verteidigt heute noch die Freiheit und was bräuchte es, um sich für diese einzusetzen?
Nominell stehen alle wählbaren Parteien auf dem Boden des Grundgesetzes und damit der freiheitlichen Grundordnung. Wer sie zu beseitigen beabsichtigt, könnte verboten werden und gegen jeden, der das versucht, haben alle Deutschen ein Widerstandsrecht, um eben ihre Freiheit zu verteidigen nach Artikel 20 IV GG. An den Rändern links und rechts wird das Verständnis der Freiheit teilweise etwas undeutlich und mischt sich mit einem ungesunden Populismus, der viel verspricht und wenig bewirkt.
Es fehlt im Bundestag, der nun weiter munter Grundrechte einschränkt, als Reaktion auf die Berliner Terroranschläge, an einer überzeugenden Verteidigerin der Freiheit. Ob die FDP dies wieder sein könnte, scheint noch fraglich. Die Gesellschaft sollte sich jedoch bewusst sein, dass zwischen zwei staatstragenden Volksparteien und einer grünlichkonfessionellen Gruppe derzeit eine Kraft der Freiheit und der Mitte fehlt, die Bürgerrechte und Freiheiten ausdrücklich verteidigt und nicht nur hohle Sicherheitsversprechen macht.
Wo es an Verteidigern der Freiheit fehlt im politischen Diskurs, und die FDP war unter Westerwelle ja auch nur noch eine neoliberale Mehrheitsbeschafferin ohne Image geworden, was sich nun wieder wandeln könnte, besteht die Gefahr, dass diese für Sicherheit, Wohlstand und soziale Fürsorge der jeweiligen Klientel nebenbei geopfert wird. Freiheit braucht Verteidigung auch im politischen Alltag, weil sie die Bedingung ist, unter der Rechtsstaat und Demokratie überhaupt erst funktionieren können.
Klingt nach einem staatstragenden Artikel aus den besten Zeiten der Wochenzeitung Die Zeit und ist doch ganz wichtig, um Verständnis für die Chance der Freiheit zu entwickeln. Nur wer sich um die Freiheit immer wieder bemüht, wo sie bedroht ist, wird sie erhalten können. Es wird immer nur eine Minderheit diese Frage überhaupt wirklich interessieren, da die Mehrheit lieber ihren Wohlstandsbauch pflegt, statt für ein Ideal zu kämpfen.
Weder ist die Einflussnahme Russlands auf die amerikanischen Wahlen akzeptabel, auch wenn wir noch nicht wissen, wie der designierte Populist Trump als Präsident sein wird, noch ist Putins massive finanzielle Unterstützung rechter Populisten in Europa zur Destabilisierung unserer Demokratien hinnehmbar. Aber auch die an Big Brother aus Orwells 1984 erinnernde Überwachung des Internet durch amerikanische und heimische Geheimdienste ist aus Sicht der Verteidiger der Freiheit für keine Sicherheit der Welt akzeptabel. Es gilt wachsam gegen alle Feinde der Freiheit zu sein, unabhängig vom Lager, aus dem sie kommen.
Es gibt beispielsweise Gründe für Überwachungskameras und den Rückgriff auf ihre Bilder im Einzelfall. Der Fall des Berliner U-Bahn-Treters, eines wohl Bulgaren, der legal hier weilte, machte bundesweit Schlagzeilen und führte auch zur schnellen Überführung des Täters. Doch die öffentliche Fahndung mit Bildern der bisher nur Verdächtigen in Western-Manier gefährdet unser Verständnis der Grundrechte und die Freiheit im Land.
Wir haben keinen Staat von 80 Millionen Hilfspolizisten, die wie bei Aktenzeichen XY nun auf Verbrechersuche gehen sollen, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Das ist Aufgabe der Polizei, die ihre Befugnisse im engen gesetzlichen Rahmen, den es braucht, um die Freiheit einzuschränken, genau kennt. Es sollen hier nie wieder Horden Jagd auf vermeintliche Täter machen, weil die Regenbogenpresse sie aufhetzt und der restriktive Gebrauch solcher Aufnahmen durch die Berliner Polizei bisher gefällt mir besser als die Hetze der Medien und ängstlicher Menschen.
Natürlich kann ich in Berlin jeden Tag Opfer eines Verbrechens werden. Real bin ich in den über 16 Jahren, die ich hier lebe, einmal von einem Vater auf dem Spielplatz aggressiv bedroht und einmal in Brandeburg an einem See von einem aggressiven, angetrunkenen Kerl geschlagen worden, der zu der Fraktion gehört, die unser Land vor kriminellen Ausländern schützen möchte. Das Geschehen am Breitscheidplatz ist tragisch, könnte aber überall passieren und kann auch durch noch mehr Videoüberwachung nicht verhindert werden. Es könnte, wie jetzt beschlossen wurde, klar gegen bekannte Gefährder vorgegangen werden, damit diese nicht zur rollenden Bombe werden. Die Frage ist dabei, wie weit der Rechtsstaat grundsätzliche Freiheitsrechte vorab außer Kraft setzen darf, um einer nur hypothetischen Sicherheit zu dienen.
Die Zahl der potentiell terroristischen Gefährder unserer Freiheit ist übrigens auf der islamistischen Seite ungefähr so hoch wie bei den Rechtsradikalen. Die Zahl der Taten von Islamisten in Deutschland lässt sich bisher an einer Hand abzählen. Die Taten von Rechtsextrimsten sind längst jährlich vierstellig.
Diese betonen gerne immer wieder, es müsse auch gegen linke Extremisten vorgegangen werden, um die hohe Kriminalität in ihrem eigenen Umfeld zu relativieren. Die tatsächliche kriminelle Bedrohung des Rechtsstaats durch linke Extremisten hält sich in relativ überschaubaren Grenzen. Es gibt also gute Gründe die rechten Extremisten wie die Islamisten mit größter Aufmerksamkeit zum Schutz der Freiheit zu beobachten, da sie die Gesellschaft auch über die sozialen Netzwerke längst auf eine sehr perfide Art infiltrieren.
Dennoch sollten wir ihnen nicht zu viel Bedeutung geben, sondern eher ihre Lächerlichkeit offenbaren und sie als Gefährder der Freiheit laut benennen. Der Drahtseilakt dabei ist, dass der Bevölkerung die Fähigkeit zugetraut werden muss, die dummen Populisten als solche zu erkennen, während diese zugleich medial von Moskau unterstützt aufrüsten und Freiheit nur selbst wahrgenommen werden kann, keinem erklärbar ist, da die Befreiung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, wie Kant die Aufklärung nannte, ein autonomer Prozess sein muss.
Aber, was sollen wir uns darüber Sorgen machen, die Angst ist das Geschäft der Populisten, während die Vernunft in Gelassenheit ruht. Freiheit kann nur selbst von denkenden Menschen entdeckt werden, zu denken kann jeder nur selbst anfangen, der Weg dorthin hat als Verlockung nur die nackte Freiheit selbst und keine plakativen, einfachen Antworten. Traue lieber den Menschen zu, selbst kritisch zu denken, um eine Lösung zu finden für die Fragen der Zeit und zu merken, was Freiheit heißt. Was anderes kann ich ohnehin nicht tun, wenn Freiheit selbst Denken heißt, den Rest regelt der Markt oder die Natur alleine, die stets den Gesetzen der Evolution folgte und an der wir beobachten können, welche Populationen am erfolgreichsten waren und am besten überlebten und das waren nie die inzüchtig nur mit sich beschäftigten.
Warum aber, um endlich zum Anfang zurück zu kommen, soll die Freiheit in Zeiten des Terror noch eine Chance sein und wenn ja welche?
Es ist die Freiheit, um deren Verteidigung es hier geht. Die vor totalitären Islamisten und rechten Populisten, um irgendwo in der Mitte ungestört seiner Lust nachzugehen, seine Geschäfte zu machen, frei und glücklich zu sein. Wo die Freiheit angegriffen wird, bemerken wir erst, welch hohen Wert sie hat und wie gut wir im friedlichen Europa heute miteinander leben, wie hoch der Wert der freien Union ist, die eben diese rechten Populisten ständig schlecht reden, ohne eine Alternative zu haben. Wo die Ränder lichterloh in Panik brennen, kann sich die Mitte besonnen zeigen und auf den Wert ihrer Werte und der Ruhe verweisen, weil wir gerade alles andere als Volksaufstände brauchen und die große Mehrheit ohnehin lieber in Ruhe genießen will. Ob sie das im Freizeitpark tut, wie Kohl einst munkelte oder über blühenden Landschaften, die er dem Osten versprach, dessen geistige Abgründe sich zwischen Pegida und Wagenknecht gerade offenbaren, ist nicht so wichtig, wie das Streben der Mehrheit nach Ruhe und Frieden und weniger lauter Propaganda auf allen Kanälen.
Der von mir sehr geschätzte Michel de Montaigne lebte auch in einer Zeit von Terror und Bürgerkrieg im eigenen Land. Es war das Frankreich am Ende des 16. Jahrhunderts und also die Zeit der Hugenottenkriege. Banden von Söldnern zogen durch das Land und bekriegten sich gegenseitig oder überfielen, wenn es ihnen gerade passte, einsame Höfe und Güter, um sie auszurauben. Alle Freunde rieten Montaigne sein Schloss besser zu sichern, um sich verteidigen zu können, sein immer offenes Haus, sei in Zeiten wie diesen eine Gefahr. Er kümmerte sich nicht darum und argumentierte mit einer bestechenden Logik, die sich mancher Politiker heute merken könnte. Gegen den Überfall von Söldnern, könne er sich ohnehin nicht sicher schützen, wenn sie ihn töten wollten, würden sie es tun und er könnte nichts dagegen tun. Wenn er sich ständig bewachte, könnte er nicht mehr das Leben führen, das er liebt und wie es seiner Art entspricht, mit einem offenen Haus und einer Tafel an der jeder Gast immer willkommen ist. Es gäbe keinen sicheren Schutz und also lebe er lieber, wie er immer gelebt hat, statt sich in Sorgen und Angst ständig zu beunruhigen über Dinge, die er nicht ändern könne. Er überlebte auf diese Art die Hugenottenkriege als Katholik, der sowohl dem katholischen König als auch seinem Freund, den Protestanten Heinrich von Navarra, den späteren Heinrich IV., als Berater zur Seite stand und überstand gelegentliche Überfälle ohne größeren Schaden. So hat er nie seine Freiheit verloren, noch sich je Angst machen lassen.
Es geht um die Freiheit und nichts weniger, lassen wir ihr, den Raum den sie braucht, damit sie sich entfalten kann und uns beflügelt für die Zukunft, nutzen wir einfach jede Chance dazu, also auch den Terror, der ihr Gegenteil ist, sie noch mehr zu verteidigen, weil wir wissen warum es uns so gut geht.
10.1.2017 jens tuengerthal
Ist Freiheit in Zeiten von Krieg und Terror noch eine Chance?
Wer mehr Sicherheit will, gibt dafür Freiheit auf. Das fängt bei Grenzkontrollen und der Videoüberwachung im öffentlichen Raum an und endet noch nicht mit der Kontrolle des Internets. Unsere Verfassung sieht strenge Auflagen für die Beschränkung der Freiheit vor, die in Zeiten des Terrors, insbesondere seit dem 11. September 2001, schon sehr weit ausgehebelt wurden, um mehr Sicherheit zu gewährleisten.
Viele Bürger sagen inzwischen, lieber mehr Kontrollen, damit nichts passiert, sie hätten sich ja nichts vorzuwerfen, wollen sich lieber sicher fühlen. Der Staat gibt ihnen gern die Illusion, durch mehr Kontrolle, könne mehr Sicherheit gewährleistet werden. Wirkliche Sicherheit gibt es jedoch nicht, sondern nur weniger Freiheit und mehr Kontrolle bei fortbestehender Unsicherheit, der wir durch Angst Raum geben können oder nicht.
Doch geht es nur um den Vorwurf, gefährlich zu sein oder steckt mehr hinter der so möglichen verstärkten Kontrolle aller Bürger?
Manche machen sich die Angst zunutze und verbreiten Lügen oder den Vorwurf Volksverräter gegenüber Politikern, die mit einer menschlichen Aufnahmepolitik von Flüchtlingen ihr Sicherheitsgefühl gefährden. Diese Wort aus dem Sprachgebrauch der Nationalsozialisten, das gerade zum Unwort des Jahres gewählt wurde, suggeriert es gäbe ein Volk in ihrem Sinne, der meist biologisch durch behauptete Rassen begründet ist und die Politik, die Menschen in Not aufnimmt, würde das Volk verraten und dem Terror ausliefern, da Terroristen so ungehindert ins Land gekommen wären.
Dies ist aus mehreren Gründen falsch und gelogen. Zum einen gibt es das Volk im Sinne nationalsozialistischer Ideologie längst nicht mehr. Migranten leben hier als gleichberechtigte Bürger und können, so sie die Bedingungen erfüllen, eingebürgert werden. Deutscher ist, wer einen deutschen Pass rechtmäßig hat. Dies Land braucht dringend sehr viel Zuwanderung, um den Geburtenrückgang am Arbeitsmarkt auszugleichen. Wer sich dagegen wendet, beschleunigt das Aussterben der Gesellschaft, schwächt damit die Ökonomie und verdiente, wenn überhaupt die Bezeichnung Volksverräter, weil damit die Zukunft verbaut wird. Zum anderen ist die zeitlich befristete Aufnahme von Flüchtlingen aus Bürgerkriegsgebieten keine Migrationspolitik, sondern nur ein Akt menschlicher Solidarität für Menschen in Not. Der Vorwurf der Überfremdung wird hauptsächlich in Regionen erhoben, in denen bisher keine oder fast keine Migranten lebten. Des weiteren teilt diesen Vorwurf nur eine kleine Minderheit der Deutschen überhaupt. Die große Mehrheit ist zwar teils besorgt gewesen, bemühte sich aber offen um die Integration der Neuankömmlinge. Wenn könnte diese Gruppe also von Randgruppenverrätern sprechen, dahingestellt was die Verwendung nationalsozialistischen Vokabulars über die Nutzer hier verrät, da es nicht um rechte Politik sondern um die Gefahren der Freiheit geht.
Diese Menschen fürchten teilweise, durch das Auftauchen einer muslimischen Minderheit in ihren Freiheiten beschränkt zu werden, sprechen vom Untergang des Abendlandes, das sie als christlichen Kulturraum definieren. Denkbar ist zwar, dass eine Minderheit durch zunehmende Migration bei gleichzeitigem Aussterben der Mehrheitsgesellschaft zur Mehrheit wird und damit die Geschicke des Landes demokratisch bestimmen könnte, doch sprechen die Zahlenverhältnisse eine deutlich andere Sprache, so dass die politisch missbrauchte Lüge der Minderheit die Freiheit der Mehrheit gefährdet, die in unbegründete Angst versetzt wird. Wenn die Freiheit hier ausstürbe, weil sie sich nicht vermehrte, war sie nicht wert, erhalten zu werden und die Welt ginge ihren natürlichen evolutionären Gang weiter. Wenn die Mehrheitsgesellschaft ihre Werte einer Minderheit nicht vermitteln kann, schien sie nicht erhaltenswert, was also in unserer Hand konstruktiv liegt.
Warum die vermeintlichen Verteidiger der hiesigen Freiheit nicht gerade diese verteidigen mit allen ihren Rechten, zu denen auch Asyl gehört, sondern dies tun wollen, in dem sie das Grundgesetz nach rassistischen Kriterien brechen, bleibt unklar, lässt eher vermuten, dass diese den islamistischen Terroristen in ihren totalitären Überzeugungen näher stehen als der freiheitlichen Gesellschaft, die sie von Innen bedrohen, warum der Staat gegen diese Gefahr genauso entschieden vorgehen müsste.
So ist die innere Sicherheit und damit die Freiheit im Land von zwei Seiten bedroht. Ob dies zugleich rechtfertigt die Freiheit der Bürger zu beschränken und diese Beschränkung im Verhältnis zur Bedrohung steht, ist stets zu prüfen. Der Rechtsstaat garantiert die Freiheit der Bürger wie deren Grundrechte. Darum und zur Sicherheit vor äußeren Feinden gibt es überhaupt Staaten und haben wir uns zu solchen zusammengeschlossen.
Was ist überhaupt diese Freiheit, die der Staat verteidigen will?
Freiheit heißt, zwischen verschiedenen Möglichkeiten ohne Zwang entscheiden zu können. Der Begriff meint in Philosophie, Theologie und Recht die Autonomie des Subjekts. Der Begriff gehört in seinen verschiedenen Dimensionen, von Psychologie bis zum Recht, zu den zentralen der menschlichen Ideengeschichte. Das Wort selbst hat vermutlich indogermanische Wurzeln, kommt von dem, was bei mir ist, also dem Eigentum und leitet sich vom germanischen fri-halsa ab, der, dem sein Hals gehört, der also über seine Person frei verfügen kann. Frei war danach, wer zu einer Gemeinschaft von einander Nahestehenden und Gleichberechtigten gehört, zwischen denen Frieden herrscht und die diesen Frieden nach außen verteidigen. Somit wird Freiheit immer relativ in der Zugehörigkeit zur Gruppe und den Bereichen bestimmt, in denen sie Herrschaft ausübt.
Würde Freiheit auch unabhängig von einer Gemeinschaft definieren wollen, als die eben Herrschaft über mein Leben, die besteht, ob ich mit anderen zusammenlebe oder für mich bleibe. Diese Freiheit kann einem keiner nehmen. Auch wer meint, einen anderen als Sklaven halten zu können, was glücklicherweise heute weltweit geächtet wurde, wenn es auch praktisch noch sehr ähnliche Verhältnisse gibt, hat keine Herrschaft über dessen Willen und Geist, so bleibt der Sklave noch faktisch derjenige, der über sein Leben als letztes entscheiden kann. Das zeigt wie sehr die Sklaverei als Hypothese einer könnte am anderen, wie an einer Sache, Eigentum erwerben, schon der Natur des Menschen als freies Wesen widerspricht, der bewusst über sein Leben bestimmen kann.
Die Entscheidung über das eigene Leben und dessen Ende war auch den Epikureern schon sehr wichtig, die darin den entscheidenden Ausdruck von Freiheit sahen, auch wenn sie die Lust wichtiger fanden, als Grund zu leben, was ja keinen braucht, weil es einfach ist und eben möglichst genossen werden solle. So sei es die vernünftigste Entscheidung nach Epikur, sein Leben zu beenden, wenn es keine Lust mehr bereiten könnte. Allerdings knüpft der Philosoph diese Entscheidung an eine reifliche und nüchterne Überlegung und nicht nur an einen Gefühlsausbruch, der die meisten heute nur dazu motiviert, von dem sich auch der Werther treiben ließ, was Goethe schreibend von dem Wunsch kurierte.
Freiheit heißt, die letzten Dinge, entscheiden zu können, warum auch die Todesstrafe mit einer freiheitlichen Verfassung und dem entsprechenden Menschenbild nie zu vereinbaren ist. Wer über den Tod eines anderen entscheidet, trifft eine unwiderrufliche Verfügung, was angesichts möglicher Irrtümer jeder Entscheidung kein Gericht darf, da es sich nach dem Tod nicht mehr korrigieren kann. Zum anderen wird, wenn eine Entscheidung über den Tod getroffen wird, die Freiheit des anderen endgültig zerstört. Damit kann er aber auch logisch nicht mehr bestraft werden, weil nur freie Menschen für ihre Taten Verantwortung übernehmen können. Wer nicht mehr ist, übernimmt keine Verantwortung und raubt damit jeder Strafe ihre Begründung und eröffnet eine reine Willkür im Sinne biblischer Rachegedanken, die mit dem Rechtsstaat nicht zu vereinbaren sind.
Freiheit ist an unser Sein geknüpft und findet den letzten Ausdruck darin über Sein oder Nichtsein zu entscheiden. Nur wer frei ist, kann moralisch handeln nach dem kategorischen Imperativ. Also so, dass sein Handeln jederzeit Gesetz für jedermann sein könnte. Unfreie folgen nur Befehlen. Fraglich ist also, ob die Befolgung von Gesetzen als Pflicht zur Freiheit im Widerspruch steht.
Hierbei geht es um die Handlungsfreiheit, so oder anders zu handeln, die in der Willensfreiheit ihren Grund findet, die zentral für unseren Begriff von Freiheit ist. Solange wir bewusst handeln und wissen, was wir tun, kann die Entscheidung dem Gesetz folgen zu wollen, angenommen werden und darum der Einzelne für ein Zuwiderhandeln zur Verantwortung gezogen werden. Nicht das Schwein muss bestraft werden, sondern weil dort ein Mensch, der verantwortlich handelt, weiß was er tut, muss er dafür Verantwortung übernehmen, nimmt eben notfalls auch Sanktionen in kauf.
Nur wenn wir einen Täter für einen vernünftigen und verantwortlichen Menschen halten, können wir ihn für sein Handeln zur Verantwortung ziehen. Es kann einer auch aus dem Affekt oder reflexartig eine Tat begehen, was seine Verantwortung als Täter ändert. Auch die geistige Zurechnungsfähigkeit kann bei einem Täter beschränkt sein, was den Staat dann daran hindert, dessen Taten wie die eines vernünftigen Menschen, der vorsätzlich handelt, zu bestrafen. Darum kommen manche Täter in die Psychatrie oder eine bloße Verwahrung, um die Gesellschaft vor ihnen zu schützen, falls Gutachter dies für nötig halten.
Dies sind Fragen der Schuldfähigkeit. Manchmal gibt es aber auch Fälle, wo der Täter irrtümlich meinte, sein Tun sei erlaubt. Dann müssen die Gerichte prüfen, ob dieser Irrtum vermeidbar war. Früher konnten noch Menschen aufgrund ihrer geistigen Störung entmündigt werden, dann hatten sie selbst keine Verantwortung, für das, was sie taten, sondern nur ihre Vormünder. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch erklärt, dass eine Entmündigung nicht mit Artikel 1 Grundgesetz vereinbar ist.
Dieser erste Artikel schützt die Würde des Menschen und ist auch eine Reaktion auf die millionenfache Entwürdigung von Menschen durch die Verbrechen der Nationalsozialisten. Die Würde steht immer auch in engem Bezug zur Freiheit des Menschen, die durch Artikel 2 im Grundgesetz als geschützt erklärt wird.
Dieses Verständnis von Freiheit und Würde des Menschen unabhängig von seinem Geschlecht und seiner Abstammung, scheint vielen der Pegiden und AfD-Anhängern zu fehlen und damit ein grundsätzliches Wissen um das Funktionieren von Demokratie und Rechtsstaat. Sie wollten ihnen unliebsame Politiker aufhängen oder diese mit Mistgabeln aus Berlin vertreiben, verweigern Menschen ihr Asylrecht, weil Terroristen es missbrauchen könnten und fordern etwa die Todesstrafe für Kinderschänder, was noch deutlicher zeigt, wie wenig diese Menschen im Rechtsstaat ankamen und nicht verstanden haben, was Freiheit heißt. Darin gleichen die radikalen Rechten den Islamisten und wenig verwunderlich übernimmt nun auch die radikale Linke in Gestalt von Sahra Wagenknecht deren Forderungen teilweise und offenbart damit deren Unverständnis von Freiheit.
Ohne die Annahme der Freiheit jedes Menschen könnte es keinen Rechtsstaat und keine Urteile gegen einzelne Täter geben, die sich nicht an die Gesetze halten und damit die Freiheit der anderen einschränken oder gefährden. Die Demokratie und der Rechtsstaat setzen die Freiheit und Verantwortlichkeit ihrer Bürger voraus. Der Staat dient dem Schutz genau dieser Freiheit. Im Verständnis von Freiheit und Rechtsstaat genau unterscheidet sich die Bundesrepublik von der ehemaligen DDR, die kein Rechtsstaat war, auch wenn sie sich in ihrer Verwaltung den Anschein gab, deren Entscheidungen jedoch auf Grundlage eines totalitären Menschenbildes und der Diktatur einer Partei zustande kamen, die sich als Vertreterin der Arbeiterklasse verstand. Dies war nicht für jeden in allem so deutlich spürbar, zumal in der Propaganda wie der Internationalen die Verteidigung von Freiheit und Menschenrechten hochgehalten wurden, die jedoch de facto ganz grundsätzlich nie gewährt wurde.
Die Reisefreiheit ist nur ein Ausdruck davon, noch wichtiger war die Freiheit der Meinungsbildung und der Umgang mit pluralen und divergenten Auffassungen auch in den Medien, warum im Osten der Slogan von der Lügenpresse so viel Zulauf fand bei den Menschen, die früher das Neue Deutschland lasen und heute lieber russische Propagandasender schauen, die ihre Meinung bestätigen, statt sich ein differenziertes Bild in einer pluralen Medienlandschaft zu machen, die vermutlich viele Menschen nicht nur in Sachsen bis heute völlig überfordert.
Andererseits haben Bürger des Ostens als erste und einzige Deutsche mit ihren friedlichen Protesten 1989 ein totalitäres System auf demokratisch freiheitliche Weise gestürzt, eine bürgerliche Revolution gemacht, die den realen Sozialismus beendete. Sie haben gezeigt, dass sie für die Freiheit aufstehen können und unser jetzt scheidender Bundespräsident war einer von ihnen. Auch die Kanzlerin beteiligte sich, wenn auch bescheidener am demokratischen Aufbruch im Osten und weiß auch darum wohl, den Wert der Demokratie zu schätzen, ohne ihr revolutionäres Engagement hier überbewerten zu wollen. Doch ist der Freiheitskampf der Bürger der DDR ein wichtiger Teil unserer Geschichte und ein konstituierendes Element unserer Demokratie und sollte bei allem Ärger über ausländerfeindliche Sachsen nicht vergessen werden, denn auch viele der Helden von 89 kamen aus Leipzig und Umgebung.
Der Diskurs divergenter Meinungen ist Teil der Demokratie, warum eine große Koalition immer die schlechtest mögliche Lösung ist, weil sie die Opposition klein und schwach macht, sie an die radikalen Ränder drängt, das Entstehen einer extremistischen Partei wie des AfD, die unsere innere Freiheit gefährden, begünstigt hat.
Doch welche Partei verteidigt heute noch die Freiheit und was bräuchte es, um sich für diese einzusetzen?
Nominell stehen alle wählbaren Parteien auf dem Boden des Grundgesetzes und damit der freiheitlichen Grundordnung. Wer sie zu beseitigen beabsichtigt, könnte verboten werden und gegen jeden, der das versucht, haben alle Deutschen ein Widerstandsrecht, um eben ihre Freiheit zu verteidigen nach Artikel 20 IV GG. An den Rändern links und rechts wird das Verständnis der Freiheit teilweise etwas undeutlich und mischt sich mit einem ungesunden Populismus, der viel verspricht und wenig bewirkt.
Es fehlt im Bundestag, der nun weiter munter Grundrechte einschränkt, als Reaktion auf die Berliner Terroranschläge, an einer überzeugenden Verteidigerin der Freiheit. Ob die FDP dies wieder sein könnte, scheint noch fraglich. Die Gesellschaft sollte sich jedoch bewusst sein, dass zwischen zwei staatstragenden Volksparteien und einer grünlichkonfessionellen Gruppe derzeit eine Kraft der Freiheit und der Mitte fehlt, die Bürgerrechte und Freiheiten ausdrücklich verteidigt und nicht nur hohle Sicherheitsversprechen macht.
Wo es an Verteidigern der Freiheit fehlt im politischen Diskurs, und die FDP war unter Westerwelle ja auch nur noch eine neoliberale Mehrheitsbeschafferin ohne Image geworden, was sich nun wieder wandeln könnte, besteht die Gefahr, dass diese für Sicherheit, Wohlstand und soziale Fürsorge der jeweiligen Klientel nebenbei geopfert wird. Freiheit braucht Verteidigung auch im politischen Alltag, weil sie die Bedingung ist, unter der Rechtsstaat und Demokratie überhaupt erst funktionieren können.
Klingt nach einem staatstragenden Artikel aus den besten Zeiten der Wochenzeitung Die Zeit und ist doch ganz wichtig, um Verständnis für die Chance der Freiheit zu entwickeln. Nur wer sich um die Freiheit immer wieder bemüht, wo sie bedroht ist, wird sie erhalten können. Es wird immer nur eine Minderheit diese Frage überhaupt wirklich interessieren, da die Mehrheit lieber ihren Wohlstandsbauch pflegt, statt für ein Ideal zu kämpfen.
Weder ist die Einflussnahme Russlands auf die amerikanischen Wahlen akzeptabel, auch wenn wir noch nicht wissen, wie der designierte Populist Trump als Präsident sein wird, noch ist Putins massive finanzielle Unterstützung rechter Populisten in Europa zur Destabilisierung unserer Demokratien hinnehmbar. Aber auch die an Big Brother aus Orwells 1984 erinnernde Überwachung des Internet durch amerikanische und heimische Geheimdienste ist aus Sicht der Verteidiger der Freiheit für keine Sicherheit der Welt akzeptabel. Es gilt wachsam gegen alle Feinde der Freiheit zu sein, unabhängig vom Lager, aus dem sie kommen.
Es gibt beispielsweise Gründe für Überwachungskameras und den Rückgriff auf ihre Bilder im Einzelfall. Der Fall des Berliner U-Bahn-Treters, eines wohl Bulgaren, der legal hier weilte, machte bundesweit Schlagzeilen und führte auch zur schnellen Überführung des Täters. Doch die öffentliche Fahndung mit Bildern der bisher nur Verdächtigen in Western-Manier gefährdet unser Verständnis der Grundrechte und die Freiheit im Land.
Wir haben keinen Staat von 80 Millionen Hilfspolizisten, die wie bei Aktenzeichen XY nun auf Verbrechersuche gehen sollen, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Das ist Aufgabe der Polizei, die ihre Befugnisse im engen gesetzlichen Rahmen, den es braucht, um die Freiheit einzuschränken, genau kennt. Es sollen hier nie wieder Horden Jagd auf vermeintliche Täter machen, weil die Regenbogenpresse sie aufhetzt und der restriktive Gebrauch solcher Aufnahmen durch die Berliner Polizei bisher gefällt mir besser als die Hetze der Medien und ängstlicher Menschen.
Natürlich kann ich in Berlin jeden Tag Opfer eines Verbrechens werden. Real bin ich in den über 16 Jahren, die ich hier lebe, einmal von einem Vater auf dem Spielplatz aggressiv bedroht und einmal in Brandeburg an einem See von einem aggressiven, angetrunkenen Kerl geschlagen worden, der zu der Fraktion gehört, die unser Land vor kriminellen Ausländern schützen möchte. Das Geschehen am Breitscheidplatz ist tragisch, könnte aber überall passieren und kann auch durch noch mehr Videoüberwachung nicht verhindert werden. Es könnte, wie jetzt beschlossen wurde, klar gegen bekannte Gefährder vorgegangen werden, damit diese nicht zur rollenden Bombe werden. Die Frage ist dabei, wie weit der Rechtsstaat grundsätzliche Freiheitsrechte vorab außer Kraft setzen darf, um einer nur hypothetischen Sicherheit zu dienen.
Die Zahl der potentiell terroristischen Gefährder unserer Freiheit ist übrigens auf der islamistischen Seite ungefähr so hoch wie bei den Rechtsradikalen. Die Zahl der Taten von Islamisten in Deutschland lässt sich bisher an einer Hand abzählen. Die Taten von Rechtsextrimsten sind längst jährlich vierstellig.
Diese betonen gerne immer wieder, es müsse auch gegen linke Extremisten vorgegangen werden, um die hohe Kriminalität in ihrem eigenen Umfeld zu relativieren. Die tatsächliche kriminelle Bedrohung des Rechtsstaats durch linke Extremisten hält sich in relativ überschaubaren Grenzen. Es gibt also gute Gründe die rechten Extremisten wie die Islamisten mit größter Aufmerksamkeit zum Schutz der Freiheit zu beobachten, da sie die Gesellschaft auch über die sozialen Netzwerke längst auf eine sehr perfide Art infiltrieren.
Dennoch sollten wir ihnen nicht zu viel Bedeutung geben, sondern eher ihre Lächerlichkeit offenbaren und sie als Gefährder der Freiheit laut benennen. Der Drahtseilakt dabei ist, dass der Bevölkerung die Fähigkeit zugetraut werden muss, die dummen Populisten als solche zu erkennen, während diese zugleich medial von Moskau unterstützt aufrüsten und Freiheit nur selbst wahrgenommen werden kann, keinem erklärbar ist, da die Befreiung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit, wie Kant die Aufklärung nannte, ein autonomer Prozess sein muss.
Aber, was sollen wir uns darüber Sorgen machen, die Angst ist das Geschäft der Populisten, während die Vernunft in Gelassenheit ruht. Freiheit kann nur selbst von denkenden Menschen entdeckt werden, zu denken kann jeder nur selbst anfangen, der Weg dorthin hat als Verlockung nur die nackte Freiheit selbst und keine plakativen, einfachen Antworten. Traue lieber den Menschen zu, selbst kritisch zu denken, um eine Lösung zu finden für die Fragen der Zeit und zu merken, was Freiheit heißt. Was anderes kann ich ohnehin nicht tun, wenn Freiheit selbst Denken heißt, den Rest regelt der Markt oder die Natur alleine, die stets den Gesetzen der Evolution folgte und an der wir beobachten können, welche Populationen am erfolgreichsten waren und am besten überlebten und das waren nie die inzüchtig nur mit sich beschäftigten.
Warum aber, um endlich zum Anfang zurück zu kommen, soll die Freiheit in Zeiten des Terror noch eine Chance sein und wenn ja welche?
Es ist die Freiheit, um deren Verteidigung es hier geht. Die vor totalitären Islamisten und rechten Populisten, um irgendwo in der Mitte ungestört seiner Lust nachzugehen, seine Geschäfte zu machen, frei und glücklich zu sein. Wo die Freiheit angegriffen wird, bemerken wir erst, welch hohen Wert sie hat und wie gut wir im friedlichen Europa heute miteinander leben, wie hoch der Wert der freien Union ist, die eben diese rechten Populisten ständig schlecht reden, ohne eine Alternative zu haben. Wo die Ränder lichterloh in Panik brennen, kann sich die Mitte besonnen zeigen und auf den Wert ihrer Werte und der Ruhe verweisen, weil wir gerade alles andere als Volksaufstände brauchen und die große Mehrheit ohnehin lieber in Ruhe genießen will. Ob sie das im Freizeitpark tut, wie Kohl einst munkelte oder über blühenden Landschaften, die er dem Osten versprach, dessen geistige Abgründe sich zwischen Pegida und Wagenknecht gerade offenbaren, ist nicht so wichtig, wie das Streben der Mehrheit nach Ruhe und Frieden und weniger lauter Propaganda auf allen Kanälen.
Der von mir sehr geschätzte Michel de Montaigne lebte auch in einer Zeit von Terror und Bürgerkrieg im eigenen Land. Es war das Frankreich am Ende des 16. Jahrhunderts und also die Zeit der Hugenottenkriege. Banden von Söldnern zogen durch das Land und bekriegten sich gegenseitig oder überfielen, wenn es ihnen gerade passte, einsame Höfe und Güter, um sie auszurauben. Alle Freunde rieten Montaigne sein Schloss besser zu sichern, um sich verteidigen zu können, sein immer offenes Haus, sei in Zeiten wie diesen eine Gefahr. Er kümmerte sich nicht darum und argumentierte mit einer bestechenden Logik, die sich mancher Politiker heute merken könnte. Gegen den Überfall von Söldnern, könne er sich ohnehin nicht sicher schützen, wenn sie ihn töten wollten, würden sie es tun und er könnte nichts dagegen tun. Wenn er sich ständig bewachte, könnte er nicht mehr das Leben führen, das er liebt und wie es seiner Art entspricht, mit einem offenen Haus und einer Tafel an der jeder Gast immer willkommen ist. Es gäbe keinen sicheren Schutz und also lebe er lieber, wie er immer gelebt hat, statt sich in Sorgen und Angst ständig zu beunruhigen über Dinge, die er nicht ändern könne. Er überlebte auf diese Art die Hugenottenkriege als Katholik, der sowohl dem katholischen König als auch seinem Freund, den Protestanten Heinrich von Navarra, den späteren Heinrich IV., als Berater zur Seite stand und überstand gelegentliche Überfälle ohne größeren Schaden. So hat er nie seine Freiheit verloren, noch sich je Angst machen lassen.
Es geht um die Freiheit und nichts weniger, lassen wir ihr, den Raum den sie braucht, damit sie sich entfalten kann und uns beflügelt für die Zukunft, nutzen wir einfach jede Chance dazu, also auch den Terror, der ihr Gegenteil ist, sie noch mehr zu verteidigen, weil wir wissen warum es uns so gut geht.
10.1.2017 jens tuengerthal
Montag, 9. Januar 2017
Gretasophie 007b
007b Gefahr der Unordnung
Ist Unordnung wirklich gefährlich?
Denke ich an die Zustände auf einem Schiff oder bei einer Expedition am Berg, kann Unordnung schnell tödlich sein, wenn etwa Rettungswesten nicht da sind, wo sie hingehören, die ihrer bedürften infolge elendig ersaufen, sich im Biwak die Sicherungshaken nicht finden, einige darum abstürzen.
Kenne es noch von der Feuerwehr und meiner Zeit auf den Rettungswagen, wo jeder Griff sitzen musste und alle Sache genau an ihrem Platz sein mussten, damit im Notfall alles funktioniert, keiner suchen muss und Leben so gerettet werden können. Auch später als Springer im OP war die exakte Ordnung überlebenswichtig, wenn am offenen Herzen oder der Lunge des Patienten operiert wurde, musste jeder Griff blind sitzen und der Arzt darauf vertrauen können, dass ihm die richtigen Sachen gereicht wurden.
Wo wir uns in gefährliche Situationen begeben, ist Ordnung also manchmal mehr als wichtig sondern kann Bedingung des Überlebens sein. So probten wir bei der Feuerwehr etwa auf der Atemschutzstrecke die Meldungen, ob alles in Ordnung sei, um ständig die Sicherheit gegenseitig auch zu kontrollieren, damit in der Gefahrensituation in einem brennenden Haus auch alles reibungslos funktionierte.
Hier wäre jede Unordnung gefährlich, könnte tödlich enden im schlimmsten Fall. Die Erfahrung durfte ich im Krankenhaus auch noch selbst machen und überlebte nur mit Glück ohne größere Schäden. Während ich im Koma lag und noch beatmet wurde, war wohl die Beatmung falsch eingestellt und ich erlitt einige Zeit eine Sauerstoffunterversorgung, weil sie geschlampt hatten. Zum Glück, kam mein Vater wie jeden Tag vorbei und bemerkte es als Arzt mit viel Erfahrung sofort und rettete mich so. Einmal als er umfiel, konnte ich ihn durch einen Schlag auf seine Brust wieder zurück ins Leben holen, weil ich wusste wie und wohin und es automatisch machte, ohne weiter nachzudenken, ob da mein Vater vor mir auf der Erde lag oder ein unbekannter Patient, die Ordnung hatte ich verinnerlicht und das war gut so, wir wären also quitt, ginge es im Leben wie bei einem Wettkampf zu, was ich bezweifle.
Ordnung kann Leben retten, lebenswichtig sein und erfüllt ganz wichtige Aufgaben, um Abläufe zur Rettung anderer reibungslos zu machen. Andererseits trug mein Vater, der ein großer Radiologe war, in seiner Klinik den Spitznamen Tütental, weil auf dem Wust seines Schreibtisches scheinbar manche Röntgentüte verschwand, auch wenn er immer behauptete, er beherrsche wie jedes Genie das Chaos und wisse genau, was wo läge, noch nach Jahren, Befunde und ihren Verlauf sofort wieder erkannte.
Ob er eine innere Systematik hatte, die ihn das äußere Chaos beherrschen ließ, damit er dennoch immer präzise funktionierte oder er einer anderen unsichtbare Ordnung zwischen den Dingen erkannte, weiß ich nicht, er fand sich immer erstaunlich gut zurecht und Chaos stifteten nur alle, die irgendeine der Röntgentüten bei ihm suchten. Wie genial würde er erst heute im Zeitalter totaler Digitalisierung sein können, dachte ich, in dem keiner mehr Bilder suchen muss, weil alle Patientendaten auf dem Server bei seiner Akte liegen.
Das gerade geniale Wissenschaftler oder Künstler auch dazu neigen, im kreativen Chaos am besten schöpfen zu können, ist ein bekanntes Gerücht und dass ich meinen Vater für einen Künstler zuerst halte, schrieb ich ja schon mehrfach, doch stimmt dies Gerücht überhaupt?
Bin mir da nicht sicher. Halte mich weder für genial noch sonderlich begabt, auch wenn manche Tests zu anderen Ergebnissen kamen, beruhige ich mich immer damit, dass andere Methoden der Erkundung mich auch schon für schwachsinnig hielten, was ich nur selten so teilen würde. Wer ein bestimmtes Ergebnis möchte, wird eben die Parameter so setzen, dass es erreicht werden kann, wenn die Zahl hoch genug gesetzt wird.
Habe mit der Ordnung in meinem Leben verschiedene Phasen durchlebt und unterscheide heute die Anscheinsordnung von der tatsächlichen, die primär eine Innere für mich ist. Die meisten Menschen achten auf die Anscheinsordnung, die ja auch ist, was wir zuerst sehen und was ist, wie es den Anschein hat. Ob es dort ordentlich ist oder nicht, verrät nichts über das Chaos in dem Menschen darunter. Würde nicht gleich sagen, dass es sogar eher ein Beweis für das Gegenteil wäre, aber wer sich nur an seiner äußeren Ordnung festhält, findet sich nicht selten sonst weniger zurecht.
Schöner wohnen ist schön und auch Grund genug, ab und an mal aufzuräumen und es schön zu machen. Dennoch steht die Priorität des Saubermachens bei mir sehr weit hinten auf der Liste, der Dinge, die ich für wichtig halte. Lesen und Schreiben, was 70% des Tages bei mir einnimmt, da ich ab und an auch noch schlafen und essen muss leider, hat eine viel größere Bedeutung und so habe ich seit einer Ewigkeit meine Fenster nicht geputzt, auch wenn ich jedesmal, wenn die Sonne scheint, denke, es wäre nötig, bis ich es doch irgendwann tue, weil ich keinen Durchblick mehr habe. Doch zuvor rede ich ein Jahr darüber, überlege, wann es passen würde, verschiebe es wieder, bis jede Ausrede verbraucht ist.
Im griechischen heißt die totale Unordnung das Chaos und der Begriff wurde in unsere Sprachen übernommen. Der Gegenbegriff dazu ist der Kosmos oder die Ordnung im Universum. Manches im Universum würden wir chaotisch nennen, aber vieles von dem, was wir früher chaotisch nannten, erkennen wir heute als Teil einer komplexen Ordnung.
Ist die Chaostheorie eine Beschreibung der totalen Unordnung oder sucht sie die Ordnung hinter dem scheinbaren Chaos in dem alles mit allem zusammnehängt?
Das Wort Chaos stammt etymologisch von dem Wort Klaffen und meint klaffende oder gähnende Leere. Wie das deutsche Wort Gähnen, wird auch die gähnende Leere auf ihre indogermanischen Wurzeln zurückgeführt. Chaos heißt nebenbei noch eine tiefe Schlucht auf dem Peleponnes, die der Urschlucht Ginnungagap in der nordischen Mythologie gleicht.
Nach der Edda befand sich dort der leere Raum vor Beginn des Weltgeschehens. In dieser urigen Schlucht schmolzen das Eis von Norden und die Glut von Süden zum Urriesen und der Urkuh zusammen. Der Riese Ymir mit Namen wurde dann von den Söhne des Bör, einem Wesen, das schon vor der Schöpfung der Welt bestand, Odin, Vili und Vé, die er mit seiner Frau der Riesin bekommen hatte, umgebracht und wieder in die Kluft Ginnungagap gelegt. Aus seinen Resten formten dann die drei Göttersöhne die bestehende Welt. Vergleichbar dem Zustand dieser Schlucht ist das griechische Chaos oder das jüdische Tohuwabohu als totale Unordnung.
Nach Hesiod, der etwa 700 vor Christus dichtete, war das Chaos der Urzustand der Welt. Dabei ähnelt es auch sprachlich immer wieder dem Nichts und der Leere. Hier ist ein erstaunlicher Unterschied zu den asiatischen Religionen, die das Nichts als Ziel erstreben, auch wenn beide es vielleicht als gemeinsamen Ursprung sehen, strebt die westliche Welt nach Ordnung oder einem aufgeräumten Himmelreich und nicht nach dem Nichts und der Leere als Erlösung.
Darum war auch ein Philosoph wie Epikur für viele untragbar, der nicht nur Frauen gleichberechtigt in seiner Runde zuließ, sondern auch sagte, wir kommen aus dem Nichts und werden zu Nichts und darum ginge ihn der Tod nichts an, weil er nicht mehr ist, wenn der Tod da ist. Es gelte nur das Leben bis dahin so sehr wie möglich zu genießen.
Kinder des Chaos sind bei Hesiod, Gaia, die Göttin der Erde, Nyx, die Göttin der Finsternis oder Nacht, Erebos, der ebenfalls Gott der Finsternis in der Unterwelt, Tartaros, der als Ort und Person zugleich für die Unterwelt steht und schließlich Eros der Gott der Liebe und der Lust. All diese Götter sind also direkte Ausgeburten des Chaos.
In der Schöpfungsgeschichte der Bibel in Genesis 1, 1-5 steht dazu wüst und leer war die Welt, was auch als Chaos gelesen werden kann und in der hebräischen Variante steht tohu vaohu, was zum Tohuwabohu im Deutschen später wurde.
Erst seit dem 17. Jahrhundert wird der Begriff auch für allgemeine Unordnung verwendet - etwa das Chaos in meinem Zimmer. Die Chaosforschung selbst ist ein Teilgebiet der angewandten Mathematik und steht in keinem Zusammenhang mit den Chaostagen, die Punkgruppen seit den 80ern mehrfach veranstalteten. Es geht dabei um die Ordnung in dynamischen Systemen, deren zeitliche Entwicklung nicht vorhersagbar scheint. Solch chaotisch dynamische Systeme sind nicht linear und zeigen sich etwa bei Pendeln oder beim Schmetterlingseffekt beim Wetter, demgemäß ein Schmetterlingsflügelschlag in Australien unser Wetter verändern kann. Wichtig ist die Chaosforschung zum Verständnis von Wirtschaftskreisläufen, der Erosion, Verkehrsstaus, neuronaler Netze, wie sie unserem ganzen Gehirn zugrunde liegen, also allem, was die Leser zu meinen wirren Worten hier denken mögen, und auch bei Lasern.
Die Berechnung des Chaos, also des unmessbaren, das wild aus dem Nichts kam, scheint wie die Quadratur des Kreises und arbeitet mit Näherungswerten zunehmender Präzision. Anders als im alltäglichen Sprachgebrauch befasst sich die Mathematik jedoch in der Chaostheorie nicht mit Systemen, die dem Zufall unterliegen, sondern mit dynamischen Systemen, die grundsätzlich schon mathematisch beschrieben werden können und sich prinzipiell deterministisch, also vorhersagbar, verhalten. Dann ist das Chaos nach der Mathematik berechenbar und hat eine eigene Formel, die hier aber nicht weiter aufgeführt werden sollte, da ich auch als Autor nicht über Dinge reden sollte, von denen ich nichts verstehe und sie nur voller Respekt erwähne, weil ich nicht alles verstehen können muss mit meinen natürlich beschränkten Fähigkeiten.
Wichtig werden diese Fragen heute auch etwa bei der Quantentheorie und dem Welle-Teilchen-Dualismus, der uns allen auf subatomarer Ebene zugrunde liegt und den Shakespeare in seinem Hamlet mit der Formulierung “Sein oder nicht sein?” so wunderbar auf den Punkt brachte, auch wenn es da nur um den Geist seines jüngst verstorbenen Vaters ging.
Wir wissen manches aber vieles doch nie, so viel wir auch wissen und so ist die Frage Montaignes, was weiß ich schon, auch gerade gegenüber dem unergründlichen Chaos wohl angemessen und treffend.
Die Unordnung, die der Welt nach allen Sagen und dem, was die Physik heute weiß, zugrunde lag, könnte aber auch nur Ausdruck unseres bescheidenen Horizonts sein, der die Ordnung dahinter nicht oder noch nicht erkennen kann.
Ganz in diesem Sinne erfanden die Religionen immer wieder Systeme, die hinter allem eine Erklärung, des geglaubten höheren Wesens fanden. Diese Idee der Schöpfung hat die Kirche nach vielen peinlichen Blamagen durch die Jahrhunderte, die einzugestehen manchen immer noch schwer fällt, zu einer dynamischen gemacht, die sich den je Umständen anpasst - es lässt sich gegen diese moderne jesuitisch geprägte Theorie der Schöpfung wenig sagen, wer einen Schöpfer als Urgrund glauben will, soll das tun, denen ist nicht zu helfen mit Vernunft. Alle übrigen erkennen die Kausalität der Evolution und fragen weniger nach einem Urgrund als den wechselnden Zuständen der Energie, die den evolutionären Prozess in Gang brachte.
Warum es dazu einen definierbaren Anfang braucht, unser Denken sich also linear beschränken soll, verstehe ich bis heute nicht, was daran liegen kann, dass ich auch gedanklich ein anarchischer Chaot bin und auch im Kreis denken kann. Wer den Welle-Teilchen-Dualismus, der sich wunderbar in dem alten chinesischen Zeichen des I-Ging oder Tao wiederspiegelt, warum Niels Bohr genau dieses auch in sein Wappen aufnahm, als Urgrund sieht, der den Dingen zugrunde liegt, erkennt, wie die alten Sagen es beschrieben, ein chaotisches System, das sich nicht vorhersagbar abwechselt und entwickelt aber immer ist. Es wechselte nur seine energetische Zustandsform.
Aus der Theorie, dass Energie nicht verloren geht, dem berühmten Energieerhaltungssatz, leiten manche Esoteriker ab, auch die menschliche Seele und ihre Energie seien unsterblich und wirkten immer weiter. Allerdings ist die Begründung höchst absurd und zeugt mehr von Ahnungslosigkeit als Verständnis des Chaos. Lebende Wesen sind als solche immer nur begrenzt haltbar und damit sterblich. Warum das höchst komplexe System des menschlichen Gehirns dessen vielfältige neuronale Verbindungen wir nicht mal chaostheoretisch bis heute vollständig beschreiben können, weil eben kein deteministisches, wenn auch dynamisches System und daher immer nur teilweise berechenbar ist, nach dem Ende aller biologischen Prozesse, eben dem Tod, in einem Teilbereich seiner Funktionen als erdachte Seele jenseits des Chaos fortbestehen soll, ist mir schon immer noch rätselhafter gewesen als die Erkenntnisse der Chaosforschung.
Wo keine Energie mehr messbar ist, weil das System tot ist und die vorhandene Energie nur zur Umwandlung der verbliebenen Zellen verwandelt wird, wir also verfaulen oder gären, ist nichts mehr, was an Komplexität den vorherigen neuronalen Vorgängen gleicht, es geht nur noch um den geordneten Zerfall und diese Chance des Nichts als große Freiheit zu begreifen, könnte ein Weg sein, der den Menschen die Angst vor dem Tod nimmt und sie das Leben mehr genießen lässt.
Ob es darüber Götter gibt und diese sich um uns kümmern würden in ihrer Allmacht und Allwissenheit, weiß ich nicht, wie sollte ich es auch wissen. Einen Gott kannst du glauben oder nicht, wie es eben deiner Natur entspricht oder dir vernünftig erscheint. Wissen kann es im Glauben nie geben. Kann aber nicht glauben, dass wenn es etwas Allwissendes gäbe, sich dies mit solch engstirnigen Kleinigkeiten abgäbe, wie es die Kirchen als immer Diener der Macht tun, würde also mit den Brüdern Goncourt sagen, wenn es einen Allmächtigen vielleicht Baumeister geben sollte, wären die Veranstaltungen des Aberglaubens sicher die schlimmere Verspottung für dieses also auch vernünftige Wesen, als es der Atheismus je war. Im übrigen ist von dem, von dem ich nichts wissen kann, besser zu schweigen.
Es gehen mich irgendwelche höheren Wesen für mein Handeln und meine Moral, die wie auch von Kant bewiesen, nur meinem Gewissen verantwortlich ist, nichts an und was mich nichts angeht und von dem ich nichts wissen kann, wie wohl alle Menschen, auch wenn viele anderes beteuern, dazu schweige ich lieber, nicht etwa, weil ich mich für weiser halte als der Papst, der gern formelhaft darüber redet, sondern weil ich glücklich in meiner geistigen Beschränkung bin und sie mir einzig logisch erscheint.
Sollte ich um des Chaos wegen den Tod nun fürchten oder gerade nicht?
Halte es auch da mit Epikur, der gut begründet, warum der Tod uns nichts angeht und uns nie tangieren kann, weil uns nur angeht, was wir wahrnehmen, mit dem Tod aber all unsere Wahrnehmung endet und all unsere Wahrnehmungsorgane aufhören zu funktionieren. Lukrez sein Schüler, der knapp 300 Jahre nach ihm seine Philosophie in schönste Verse dichtete dazu in seinem de rerum, wie ich hier nur laienhaft ungefähr wiedergebe:
Der Tod geht mich nichts an
Weil der Tod und ich nie irgendwo
Zusammen sind wo er ist bin ich
Nicht mehr und wo ich bin kann
Er noch nie sein und ist also egal
Die Wahrnehmung als Grenze des Seins könnte für Fälle der Bewusstlosigkeit das Ganze vielleicht kompliziert machen, doch auch die reagieren ja irgendwie - meist eher mit Reflexen auf körperliche Berührung aber wohl auch auf Ansprache und sonstige verbale Zuwendungen oder Musik, soweit Reaktionen darauf bereits messbar sind.
Spannend aber ist es, wie schlicht Epikur daraus schließt, warum uns nichts angehen kann, was wir nicht mehr wahrnehmen, dass der Tod für unser Leben völlig irrelevant ist und es nur eine Frage der Wahrnehmung ist, wie wir mit ihm umgehen, der nur nichts mehr ist.
Es gibt ein wunderbares Essais von Montaigne dazu im ersten Band seiner Essais, die mir in der wunderbaren Übersetzung von Hans Stilett vorliegen, wo er unter dem Titel, ob wir etwas als Übel oder Wohltat empfinden, hängt weitgehend von unserer Einstellung dazu ab, über den Tod und die Haltung verschiedener Menschen dazu schreibt, über die einen berichtet, die lachend und scherzend dem Tod entgegen gehen, sogar wenn sie gerade gehängt werden und die anderen, die sich ewig grämen aus Angst, bis der Tod sie endlich davon erlöst. Montaigne selbst hatte lange furchtbare Angst vor dem Tod nachdem dieser seinen Bruder in jungen Jahren überraschend beim Ballspiel ereilt hatte. Auch unter dem Tod seines besten Freundes, der noch relativ jung während der Pestepidemie in Bordeaux starb, den er innig liebte, litt er lange. Er selbst erkrankte an Nierenkoliken, die so furchtbare Schmerzen verursachten, bis sie endlich abgingen, dass er sich manches mal den Tod gewünscht haben wird, um Frieden zu finden.
Es ist nicht ganz klar, wann Montaigne erstmals den Lukrez las und von Epikurs Denken Kenntnis bekam, doch irgendwann hatte er keine Angst mehr vor dem Tod und begründet es mit diesen beiden. Dieser war rund hundert Jahre vor seiner Geburt erst wiederentdeckt und vom ehemaligen Sekretär des gerade auf dem Konzil zu Konstanz abgesetzten römischen Papstes nach Florenz aus vermutlich Fulda geschickt worden. Von dort hatte er sich unter allen Denkern und Künstlern der Renaissance wie ein Lauffeuer verbreitet und das Denken und die Haltung zum Menschen komplett verwandelt. Klar aber ist, wie dies sein Denken verwandelte und wie sehr sich dies in seinen Essais widerspiegelt, wie überhaupt seiner Haltung zum Leben.
Da war einer erfolgreicher Jurist, Bürgermeister von Bordeaux, ein bewährter Krisenmanager, geschätzt bis an die königlichen Höfe, von Navarra bis Paris, die ihn immer wieder um Rat baten, ein erfolgreicher und beliebter Berater an den Zügeln der Macht also und er nutzte es nicht sondern zog sich auf sein ländlich gelegenes Schloss zurück, lebte dort hauptsächlich in seinem Turm mit seiner Bibliothek, wenn nicht gerade Freunde zum Essen kamen. Er überließ, wenn seinen Berichten zu trauen ist, aber wenig spricht dagegen, er ist sehr ehrlich in allem, seiner Frau die Führung des Guts mit Wein- und Ackerbau und las und schrieb in Ruhe vor sich hin, korrespondierte mit der intellektuellen Welt des damaligen Europa, unabhängig vom jeweiligen Glauben.
Dieser Michel de Montaigne nun, sah die Wahrnehmung, wie es schon Epikur wortwörtlich tat, als diejenige, die uns alle Angst im Leben nehmen kann, weil es immer und überall nur auf die Haltung ankommt und nichts der Beunruhigung eigentlich lohnte.
Als ich von einer Sekunde auf die andere quasi tödlich verunglückte und monatelang im Koma lag, unklar, ob ich je wiederkäme und wieviel schwachsinniger noch als vorher, konnte ich mir keine Gedanken oder Sorgen machen. An den Moment erinnere ich mich nicht, als mein Herz nicht mehr schlug und ich auf der Straße reanimiert wurde. Da ist nichts geblieben und die Wochen danach sind wie die kurz davor gelöscht, ich war eben bewusstlos. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, sagt dazu der Volksmund und trifft es genau mal wieder.
Diese Ereignisse ändern nichts an meiner Haltung zum Tod, der mich nichts angeht und lassen mich ihn so wenig fürchten wie vorher, da er uns einfach jederzeit und überall ereilen kann und doch jede Wahrnehmung logisch beendet, da die Organe der Wahrnehmung nicht mehr funktionieren, wenn wir tot sind und alles andere ins Reich des Märchens und der Phantasie nur gehört.
Ob der Tod das Chaos und die Unordnung ins Leben bringt oder das chaotische System Mensch einfach beendet und zur guten Ruhe kommen lässt, ist lediglich eine Frage der Haltung und also auch der Wahrnehmung der Dinge. Was mir gut tut und womit ich wohl fühle, ist gut für mich und nach diesem einfachen Prinzip ordne ich mir die Welt, wie sie mir gefällt, da alles komplexere vermutlich meinen Horizont überstiege, zumal ich noch gelegentlich sogar auch mit Frauen zu tun habe, von denen ich noch weniger verstehe, die ich einfach nur genieße, wie sie eben sind und kommen. Mache es mir also so einfach wie möglich und versuche, wie Lukrez es lehrte, mein Leben voller Lust zu genießen, wie es ist.
Der Tod ist für mich in Ordnung, er beendet das Leben und gibt keinen Grund zur Trauer, die meist nur Ausdruck von Eitelkeit ist, wie der andere es wagen konnte, uns vorher zu verlassen oder uns allein zu lassen und dazu fehlt mir mit meinen bescheidenen Mitteln der Anspruch. Habe auch festgestellt, dass Neid und Missgunst weniger froh machen als Liebe und Zuwendung und so gönne ich dem anderen die Freiheit zu sterben und nicht mehr zu sein und was nicht mehr ist, spielt keine Rolle, womit alle gut und glücklich leben könnten.
Einzig die gesellschaftlichen Zwänge begründet auf den alten Aberglauben, zwingen mich dazu noch gewisse Formen manchmal einzuhalten und Betroffenheit zu mimen, wo ich nicht tangiert bin. Da ich kein Prediger bin, kann ich den Leuten nicht erzählen, trauert nicht, sondern freut euch, lasst frei, sondern kann nur jeden in den Grenzen seines Horizontes auffordern selbst zu denken. Wer sich knechten will und trauern möchte, dies für natürlich und normal hält, wie die Psychologie es uns gerne einredet, in dem sie gewohnte Muster der Massen für gesund erklärt, der soll das tun. Halte es anders, weil ich mir die Welt so mache, wie sie mir gefällt und versuche diese Idee konsequent zu denken.
Finde es völlig in Ordnung, dass unser Leben endlich ist, wir die Freiheit haben, es endgültig zu beenden, ohne uns vor einer Seele und ihrem Heil fürchten zu müssen. Ob das Ende im Nichts zugleich eines im Chaos ist oder immer noch Ausdruck der Ordnung der Natur ist nur für den relevant, der noch ist und es sich fragt. Wer nicht mehr ist und also jenseits aller Wahrnehmung bleibt, für den ist alles egal. So ist das Ende in der völligen Unordnung, oder im Chaos, also im Nichts die natürliche und also beste Ordnung mir.
Gefährlich ist die Unordnung nur, wo wir eine Ordnung brauchen, um zu funktionieren, auf Schiffen, im Straßenverkehr, in Flugzeugen, in der Schule und bei der Feuerwehr wie im Krankenhaus. Ansonsten sollten wir sie wie alles gelassen betrachten und genießen wie wir können, solange wir können, wenn wir nichts mehr können, ist ohnehin alles egal und ohne jede Relevanz noch. Es gibt keinen Grund zur Furcht vor der Unordnung mehr.
jens tuengerthal 9.1.2017
Ist Unordnung wirklich gefährlich?
Denke ich an die Zustände auf einem Schiff oder bei einer Expedition am Berg, kann Unordnung schnell tödlich sein, wenn etwa Rettungswesten nicht da sind, wo sie hingehören, die ihrer bedürften infolge elendig ersaufen, sich im Biwak die Sicherungshaken nicht finden, einige darum abstürzen.
Kenne es noch von der Feuerwehr und meiner Zeit auf den Rettungswagen, wo jeder Griff sitzen musste und alle Sache genau an ihrem Platz sein mussten, damit im Notfall alles funktioniert, keiner suchen muss und Leben so gerettet werden können. Auch später als Springer im OP war die exakte Ordnung überlebenswichtig, wenn am offenen Herzen oder der Lunge des Patienten operiert wurde, musste jeder Griff blind sitzen und der Arzt darauf vertrauen können, dass ihm die richtigen Sachen gereicht wurden.
Wo wir uns in gefährliche Situationen begeben, ist Ordnung also manchmal mehr als wichtig sondern kann Bedingung des Überlebens sein. So probten wir bei der Feuerwehr etwa auf der Atemschutzstrecke die Meldungen, ob alles in Ordnung sei, um ständig die Sicherheit gegenseitig auch zu kontrollieren, damit in der Gefahrensituation in einem brennenden Haus auch alles reibungslos funktionierte.
Hier wäre jede Unordnung gefährlich, könnte tödlich enden im schlimmsten Fall. Die Erfahrung durfte ich im Krankenhaus auch noch selbst machen und überlebte nur mit Glück ohne größere Schäden. Während ich im Koma lag und noch beatmet wurde, war wohl die Beatmung falsch eingestellt und ich erlitt einige Zeit eine Sauerstoffunterversorgung, weil sie geschlampt hatten. Zum Glück, kam mein Vater wie jeden Tag vorbei und bemerkte es als Arzt mit viel Erfahrung sofort und rettete mich so. Einmal als er umfiel, konnte ich ihn durch einen Schlag auf seine Brust wieder zurück ins Leben holen, weil ich wusste wie und wohin und es automatisch machte, ohne weiter nachzudenken, ob da mein Vater vor mir auf der Erde lag oder ein unbekannter Patient, die Ordnung hatte ich verinnerlicht und das war gut so, wir wären also quitt, ginge es im Leben wie bei einem Wettkampf zu, was ich bezweifle.
Ordnung kann Leben retten, lebenswichtig sein und erfüllt ganz wichtige Aufgaben, um Abläufe zur Rettung anderer reibungslos zu machen. Andererseits trug mein Vater, der ein großer Radiologe war, in seiner Klinik den Spitznamen Tütental, weil auf dem Wust seines Schreibtisches scheinbar manche Röntgentüte verschwand, auch wenn er immer behauptete, er beherrsche wie jedes Genie das Chaos und wisse genau, was wo läge, noch nach Jahren, Befunde und ihren Verlauf sofort wieder erkannte.
Ob er eine innere Systematik hatte, die ihn das äußere Chaos beherrschen ließ, damit er dennoch immer präzise funktionierte oder er einer anderen unsichtbare Ordnung zwischen den Dingen erkannte, weiß ich nicht, er fand sich immer erstaunlich gut zurecht und Chaos stifteten nur alle, die irgendeine der Röntgentüten bei ihm suchten. Wie genial würde er erst heute im Zeitalter totaler Digitalisierung sein können, dachte ich, in dem keiner mehr Bilder suchen muss, weil alle Patientendaten auf dem Server bei seiner Akte liegen.
Das gerade geniale Wissenschaftler oder Künstler auch dazu neigen, im kreativen Chaos am besten schöpfen zu können, ist ein bekanntes Gerücht und dass ich meinen Vater für einen Künstler zuerst halte, schrieb ich ja schon mehrfach, doch stimmt dies Gerücht überhaupt?
Bin mir da nicht sicher. Halte mich weder für genial noch sonderlich begabt, auch wenn manche Tests zu anderen Ergebnissen kamen, beruhige ich mich immer damit, dass andere Methoden der Erkundung mich auch schon für schwachsinnig hielten, was ich nur selten so teilen würde. Wer ein bestimmtes Ergebnis möchte, wird eben die Parameter so setzen, dass es erreicht werden kann, wenn die Zahl hoch genug gesetzt wird.
Habe mit der Ordnung in meinem Leben verschiedene Phasen durchlebt und unterscheide heute die Anscheinsordnung von der tatsächlichen, die primär eine Innere für mich ist. Die meisten Menschen achten auf die Anscheinsordnung, die ja auch ist, was wir zuerst sehen und was ist, wie es den Anschein hat. Ob es dort ordentlich ist oder nicht, verrät nichts über das Chaos in dem Menschen darunter. Würde nicht gleich sagen, dass es sogar eher ein Beweis für das Gegenteil wäre, aber wer sich nur an seiner äußeren Ordnung festhält, findet sich nicht selten sonst weniger zurecht.
Schöner wohnen ist schön und auch Grund genug, ab und an mal aufzuräumen und es schön zu machen. Dennoch steht die Priorität des Saubermachens bei mir sehr weit hinten auf der Liste, der Dinge, die ich für wichtig halte. Lesen und Schreiben, was 70% des Tages bei mir einnimmt, da ich ab und an auch noch schlafen und essen muss leider, hat eine viel größere Bedeutung und so habe ich seit einer Ewigkeit meine Fenster nicht geputzt, auch wenn ich jedesmal, wenn die Sonne scheint, denke, es wäre nötig, bis ich es doch irgendwann tue, weil ich keinen Durchblick mehr habe. Doch zuvor rede ich ein Jahr darüber, überlege, wann es passen würde, verschiebe es wieder, bis jede Ausrede verbraucht ist.
Im griechischen heißt die totale Unordnung das Chaos und der Begriff wurde in unsere Sprachen übernommen. Der Gegenbegriff dazu ist der Kosmos oder die Ordnung im Universum. Manches im Universum würden wir chaotisch nennen, aber vieles von dem, was wir früher chaotisch nannten, erkennen wir heute als Teil einer komplexen Ordnung.
Ist die Chaostheorie eine Beschreibung der totalen Unordnung oder sucht sie die Ordnung hinter dem scheinbaren Chaos in dem alles mit allem zusammnehängt?
Das Wort Chaos stammt etymologisch von dem Wort Klaffen und meint klaffende oder gähnende Leere. Wie das deutsche Wort Gähnen, wird auch die gähnende Leere auf ihre indogermanischen Wurzeln zurückgeführt. Chaos heißt nebenbei noch eine tiefe Schlucht auf dem Peleponnes, die der Urschlucht Ginnungagap in der nordischen Mythologie gleicht.
Nach der Edda befand sich dort der leere Raum vor Beginn des Weltgeschehens. In dieser urigen Schlucht schmolzen das Eis von Norden und die Glut von Süden zum Urriesen und der Urkuh zusammen. Der Riese Ymir mit Namen wurde dann von den Söhne des Bör, einem Wesen, das schon vor der Schöpfung der Welt bestand, Odin, Vili und Vé, die er mit seiner Frau der Riesin bekommen hatte, umgebracht und wieder in die Kluft Ginnungagap gelegt. Aus seinen Resten formten dann die drei Göttersöhne die bestehende Welt. Vergleichbar dem Zustand dieser Schlucht ist das griechische Chaos oder das jüdische Tohuwabohu als totale Unordnung.
Nach Hesiod, der etwa 700 vor Christus dichtete, war das Chaos der Urzustand der Welt. Dabei ähnelt es auch sprachlich immer wieder dem Nichts und der Leere. Hier ist ein erstaunlicher Unterschied zu den asiatischen Religionen, die das Nichts als Ziel erstreben, auch wenn beide es vielleicht als gemeinsamen Ursprung sehen, strebt die westliche Welt nach Ordnung oder einem aufgeräumten Himmelreich und nicht nach dem Nichts und der Leere als Erlösung.
Darum war auch ein Philosoph wie Epikur für viele untragbar, der nicht nur Frauen gleichberechtigt in seiner Runde zuließ, sondern auch sagte, wir kommen aus dem Nichts und werden zu Nichts und darum ginge ihn der Tod nichts an, weil er nicht mehr ist, wenn der Tod da ist. Es gelte nur das Leben bis dahin so sehr wie möglich zu genießen.
Kinder des Chaos sind bei Hesiod, Gaia, die Göttin der Erde, Nyx, die Göttin der Finsternis oder Nacht, Erebos, der ebenfalls Gott der Finsternis in der Unterwelt, Tartaros, der als Ort und Person zugleich für die Unterwelt steht und schließlich Eros der Gott der Liebe und der Lust. All diese Götter sind also direkte Ausgeburten des Chaos.
In der Schöpfungsgeschichte der Bibel in Genesis 1, 1-5 steht dazu wüst und leer war die Welt, was auch als Chaos gelesen werden kann und in der hebräischen Variante steht tohu vaohu, was zum Tohuwabohu im Deutschen später wurde.
Erst seit dem 17. Jahrhundert wird der Begriff auch für allgemeine Unordnung verwendet - etwa das Chaos in meinem Zimmer. Die Chaosforschung selbst ist ein Teilgebiet der angewandten Mathematik und steht in keinem Zusammenhang mit den Chaostagen, die Punkgruppen seit den 80ern mehrfach veranstalteten. Es geht dabei um die Ordnung in dynamischen Systemen, deren zeitliche Entwicklung nicht vorhersagbar scheint. Solch chaotisch dynamische Systeme sind nicht linear und zeigen sich etwa bei Pendeln oder beim Schmetterlingseffekt beim Wetter, demgemäß ein Schmetterlingsflügelschlag in Australien unser Wetter verändern kann. Wichtig ist die Chaosforschung zum Verständnis von Wirtschaftskreisläufen, der Erosion, Verkehrsstaus, neuronaler Netze, wie sie unserem ganzen Gehirn zugrunde liegen, also allem, was die Leser zu meinen wirren Worten hier denken mögen, und auch bei Lasern.
Die Berechnung des Chaos, also des unmessbaren, das wild aus dem Nichts kam, scheint wie die Quadratur des Kreises und arbeitet mit Näherungswerten zunehmender Präzision. Anders als im alltäglichen Sprachgebrauch befasst sich die Mathematik jedoch in der Chaostheorie nicht mit Systemen, die dem Zufall unterliegen, sondern mit dynamischen Systemen, die grundsätzlich schon mathematisch beschrieben werden können und sich prinzipiell deterministisch, also vorhersagbar, verhalten. Dann ist das Chaos nach der Mathematik berechenbar und hat eine eigene Formel, die hier aber nicht weiter aufgeführt werden sollte, da ich auch als Autor nicht über Dinge reden sollte, von denen ich nichts verstehe und sie nur voller Respekt erwähne, weil ich nicht alles verstehen können muss mit meinen natürlich beschränkten Fähigkeiten.
Wichtig werden diese Fragen heute auch etwa bei der Quantentheorie und dem Welle-Teilchen-Dualismus, der uns allen auf subatomarer Ebene zugrunde liegt und den Shakespeare in seinem Hamlet mit der Formulierung “Sein oder nicht sein?” so wunderbar auf den Punkt brachte, auch wenn es da nur um den Geist seines jüngst verstorbenen Vaters ging.
Wir wissen manches aber vieles doch nie, so viel wir auch wissen und so ist die Frage Montaignes, was weiß ich schon, auch gerade gegenüber dem unergründlichen Chaos wohl angemessen und treffend.
Die Unordnung, die der Welt nach allen Sagen und dem, was die Physik heute weiß, zugrunde lag, könnte aber auch nur Ausdruck unseres bescheidenen Horizonts sein, der die Ordnung dahinter nicht oder noch nicht erkennen kann.
Ganz in diesem Sinne erfanden die Religionen immer wieder Systeme, die hinter allem eine Erklärung, des geglaubten höheren Wesens fanden. Diese Idee der Schöpfung hat die Kirche nach vielen peinlichen Blamagen durch die Jahrhunderte, die einzugestehen manchen immer noch schwer fällt, zu einer dynamischen gemacht, die sich den je Umständen anpasst - es lässt sich gegen diese moderne jesuitisch geprägte Theorie der Schöpfung wenig sagen, wer einen Schöpfer als Urgrund glauben will, soll das tun, denen ist nicht zu helfen mit Vernunft. Alle übrigen erkennen die Kausalität der Evolution und fragen weniger nach einem Urgrund als den wechselnden Zuständen der Energie, die den evolutionären Prozess in Gang brachte.
Warum es dazu einen definierbaren Anfang braucht, unser Denken sich also linear beschränken soll, verstehe ich bis heute nicht, was daran liegen kann, dass ich auch gedanklich ein anarchischer Chaot bin und auch im Kreis denken kann. Wer den Welle-Teilchen-Dualismus, der sich wunderbar in dem alten chinesischen Zeichen des I-Ging oder Tao wiederspiegelt, warum Niels Bohr genau dieses auch in sein Wappen aufnahm, als Urgrund sieht, der den Dingen zugrunde liegt, erkennt, wie die alten Sagen es beschrieben, ein chaotisches System, das sich nicht vorhersagbar abwechselt und entwickelt aber immer ist. Es wechselte nur seine energetische Zustandsform.
Aus der Theorie, dass Energie nicht verloren geht, dem berühmten Energieerhaltungssatz, leiten manche Esoteriker ab, auch die menschliche Seele und ihre Energie seien unsterblich und wirkten immer weiter. Allerdings ist die Begründung höchst absurd und zeugt mehr von Ahnungslosigkeit als Verständnis des Chaos. Lebende Wesen sind als solche immer nur begrenzt haltbar und damit sterblich. Warum das höchst komplexe System des menschlichen Gehirns dessen vielfältige neuronale Verbindungen wir nicht mal chaostheoretisch bis heute vollständig beschreiben können, weil eben kein deteministisches, wenn auch dynamisches System und daher immer nur teilweise berechenbar ist, nach dem Ende aller biologischen Prozesse, eben dem Tod, in einem Teilbereich seiner Funktionen als erdachte Seele jenseits des Chaos fortbestehen soll, ist mir schon immer noch rätselhafter gewesen als die Erkenntnisse der Chaosforschung.
Wo keine Energie mehr messbar ist, weil das System tot ist und die vorhandene Energie nur zur Umwandlung der verbliebenen Zellen verwandelt wird, wir also verfaulen oder gären, ist nichts mehr, was an Komplexität den vorherigen neuronalen Vorgängen gleicht, es geht nur noch um den geordneten Zerfall und diese Chance des Nichts als große Freiheit zu begreifen, könnte ein Weg sein, der den Menschen die Angst vor dem Tod nimmt und sie das Leben mehr genießen lässt.
Ob es darüber Götter gibt und diese sich um uns kümmern würden in ihrer Allmacht und Allwissenheit, weiß ich nicht, wie sollte ich es auch wissen. Einen Gott kannst du glauben oder nicht, wie es eben deiner Natur entspricht oder dir vernünftig erscheint. Wissen kann es im Glauben nie geben. Kann aber nicht glauben, dass wenn es etwas Allwissendes gäbe, sich dies mit solch engstirnigen Kleinigkeiten abgäbe, wie es die Kirchen als immer Diener der Macht tun, würde also mit den Brüdern Goncourt sagen, wenn es einen Allmächtigen vielleicht Baumeister geben sollte, wären die Veranstaltungen des Aberglaubens sicher die schlimmere Verspottung für dieses also auch vernünftige Wesen, als es der Atheismus je war. Im übrigen ist von dem, von dem ich nichts wissen kann, besser zu schweigen.
Es gehen mich irgendwelche höheren Wesen für mein Handeln und meine Moral, die wie auch von Kant bewiesen, nur meinem Gewissen verantwortlich ist, nichts an und was mich nichts angeht und von dem ich nichts wissen kann, wie wohl alle Menschen, auch wenn viele anderes beteuern, dazu schweige ich lieber, nicht etwa, weil ich mich für weiser halte als der Papst, der gern formelhaft darüber redet, sondern weil ich glücklich in meiner geistigen Beschränkung bin und sie mir einzig logisch erscheint.
Sollte ich um des Chaos wegen den Tod nun fürchten oder gerade nicht?
Halte es auch da mit Epikur, der gut begründet, warum der Tod uns nichts angeht und uns nie tangieren kann, weil uns nur angeht, was wir wahrnehmen, mit dem Tod aber all unsere Wahrnehmung endet und all unsere Wahrnehmungsorgane aufhören zu funktionieren. Lukrez sein Schüler, der knapp 300 Jahre nach ihm seine Philosophie in schönste Verse dichtete dazu in seinem de rerum, wie ich hier nur laienhaft ungefähr wiedergebe:
Der Tod geht mich nichts an
Weil der Tod und ich nie irgendwo
Zusammen sind wo er ist bin ich
Nicht mehr und wo ich bin kann
Er noch nie sein und ist also egal
Die Wahrnehmung als Grenze des Seins könnte für Fälle der Bewusstlosigkeit das Ganze vielleicht kompliziert machen, doch auch die reagieren ja irgendwie - meist eher mit Reflexen auf körperliche Berührung aber wohl auch auf Ansprache und sonstige verbale Zuwendungen oder Musik, soweit Reaktionen darauf bereits messbar sind.
Spannend aber ist es, wie schlicht Epikur daraus schließt, warum uns nichts angehen kann, was wir nicht mehr wahrnehmen, dass der Tod für unser Leben völlig irrelevant ist und es nur eine Frage der Wahrnehmung ist, wie wir mit ihm umgehen, der nur nichts mehr ist.
Es gibt ein wunderbares Essais von Montaigne dazu im ersten Band seiner Essais, die mir in der wunderbaren Übersetzung von Hans Stilett vorliegen, wo er unter dem Titel, ob wir etwas als Übel oder Wohltat empfinden, hängt weitgehend von unserer Einstellung dazu ab, über den Tod und die Haltung verschiedener Menschen dazu schreibt, über die einen berichtet, die lachend und scherzend dem Tod entgegen gehen, sogar wenn sie gerade gehängt werden und die anderen, die sich ewig grämen aus Angst, bis der Tod sie endlich davon erlöst. Montaigne selbst hatte lange furchtbare Angst vor dem Tod nachdem dieser seinen Bruder in jungen Jahren überraschend beim Ballspiel ereilt hatte. Auch unter dem Tod seines besten Freundes, der noch relativ jung während der Pestepidemie in Bordeaux starb, den er innig liebte, litt er lange. Er selbst erkrankte an Nierenkoliken, die so furchtbare Schmerzen verursachten, bis sie endlich abgingen, dass er sich manches mal den Tod gewünscht haben wird, um Frieden zu finden.
Es ist nicht ganz klar, wann Montaigne erstmals den Lukrez las und von Epikurs Denken Kenntnis bekam, doch irgendwann hatte er keine Angst mehr vor dem Tod und begründet es mit diesen beiden. Dieser war rund hundert Jahre vor seiner Geburt erst wiederentdeckt und vom ehemaligen Sekretär des gerade auf dem Konzil zu Konstanz abgesetzten römischen Papstes nach Florenz aus vermutlich Fulda geschickt worden. Von dort hatte er sich unter allen Denkern und Künstlern der Renaissance wie ein Lauffeuer verbreitet und das Denken und die Haltung zum Menschen komplett verwandelt. Klar aber ist, wie dies sein Denken verwandelte und wie sehr sich dies in seinen Essais widerspiegelt, wie überhaupt seiner Haltung zum Leben.
Da war einer erfolgreicher Jurist, Bürgermeister von Bordeaux, ein bewährter Krisenmanager, geschätzt bis an die königlichen Höfe, von Navarra bis Paris, die ihn immer wieder um Rat baten, ein erfolgreicher und beliebter Berater an den Zügeln der Macht also und er nutzte es nicht sondern zog sich auf sein ländlich gelegenes Schloss zurück, lebte dort hauptsächlich in seinem Turm mit seiner Bibliothek, wenn nicht gerade Freunde zum Essen kamen. Er überließ, wenn seinen Berichten zu trauen ist, aber wenig spricht dagegen, er ist sehr ehrlich in allem, seiner Frau die Führung des Guts mit Wein- und Ackerbau und las und schrieb in Ruhe vor sich hin, korrespondierte mit der intellektuellen Welt des damaligen Europa, unabhängig vom jeweiligen Glauben.
Dieser Michel de Montaigne nun, sah die Wahrnehmung, wie es schon Epikur wortwörtlich tat, als diejenige, die uns alle Angst im Leben nehmen kann, weil es immer und überall nur auf die Haltung ankommt und nichts der Beunruhigung eigentlich lohnte.
Als ich von einer Sekunde auf die andere quasi tödlich verunglückte und monatelang im Koma lag, unklar, ob ich je wiederkäme und wieviel schwachsinniger noch als vorher, konnte ich mir keine Gedanken oder Sorgen machen. An den Moment erinnere ich mich nicht, als mein Herz nicht mehr schlug und ich auf der Straße reanimiert wurde. Da ist nichts geblieben und die Wochen danach sind wie die kurz davor gelöscht, ich war eben bewusstlos. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, sagt dazu der Volksmund und trifft es genau mal wieder.
Diese Ereignisse ändern nichts an meiner Haltung zum Tod, der mich nichts angeht und lassen mich ihn so wenig fürchten wie vorher, da er uns einfach jederzeit und überall ereilen kann und doch jede Wahrnehmung logisch beendet, da die Organe der Wahrnehmung nicht mehr funktionieren, wenn wir tot sind und alles andere ins Reich des Märchens und der Phantasie nur gehört.
Ob der Tod das Chaos und die Unordnung ins Leben bringt oder das chaotische System Mensch einfach beendet und zur guten Ruhe kommen lässt, ist lediglich eine Frage der Haltung und also auch der Wahrnehmung der Dinge. Was mir gut tut und womit ich wohl fühle, ist gut für mich und nach diesem einfachen Prinzip ordne ich mir die Welt, wie sie mir gefällt, da alles komplexere vermutlich meinen Horizont überstiege, zumal ich noch gelegentlich sogar auch mit Frauen zu tun habe, von denen ich noch weniger verstehe, die ich einfach nur genieße, wie sie eben sind und kommen. Mache es mir also so einfach wie möglich und versuche, wie Lukrez es lehrte, mein Leben voller Lust zu genießen, wie es ist.
Der Tod ist für mich in Ordnung, er beendet das Leben und gibt keinen Grund zur Trauer, die meist nur Ausdruck von Eitelkeit ist, wie der andere es wagen konnte, uns vorher zu verlassen oder uns allein zu lassen und dazu fehlt mir mit meinen bescheidenen Mitteln der Anspruch. Habe auch festgestellt, dass Neid und Missgunst weniger froh machen als Liebe und Zuwendung und so gönne ich dem anderen die Freiheit zu sterben und nicht mehr zu sein und was nicht mehr ist, spielt keine Rolle, womit alle gut und glücklich leben könnten.
Einzig die gesellschaftlichen Zwänge begründet auf den alten Aberglauben, zwingen mich dazu noch gewisse Formen manchmal einzuhalten und Betroffenheit zu mimen, wo ich nicht tangiert bin. Da ich kein Prediger bin, kann ich den Leuten nicht erzählen, trauert nicht, sondern freut euch, lasst frei, sondern kann nur jeden in den Grenzen seines Horizontes auffordern selbst zu denken. Wer sich knechten will und trauern möchte, dies für natürlich und normal hält, wie die Psychologie es uns gerne einredet, in dem sie gewohnte Muster der Massen für gesund erklärt, der soll das tun. Halte es anders, weil ich mir die Welt so mache, wie sie mir gefällt und versuche diese Idee konsequent zu denken.
Finde es völlig in Ordnung, dass unser Leben endlich ist, wir die Freiheit haben, es endgültig zu beenden, ohne uns vor einer Seele und ihrem Heil fürchten zu müssen. Ob das Ende im Nichts zugleich eines im Chaos ist oder immer noch Ausdruck der Ordnung der Natur ist nur für den relevant, der noch ist und es sich fragt. Wer nicht mehr ist und also jenseits aller Wahrnehmung bleibt, für den ist alles egal. So ist das Ende in der völligen Unordnung, oder im Chaos, also im Nichts die natürliche und also beste Ordnung mir.
Gefährlich ist die Unordnung nur, wo wir eine Ordnung brauchen, um zu funktionieren, auf Schiffen, im Straßenverkehr, in Flugzeugen, in der Schule und bei der Feuerwehr wie im Krankenhaus. Ansonsten sollten wir sie wie alles gelassen betrachten und genießen wie wir können, solange wir können, wenn wir nichts mehr können, ist ohnehin alles egal und ohne jede Relevanz noch. Es gibt keinen Grund zur Furcht vor der Unordnung mehr.
jens tuengerthal 9.1.2017
Sonntag, 8. Januar 2017
Gretasophie 007a
007a Über Recht und Ordnung
Ist das Recht in Ordnung oder bräuchten wir weniger Ordnung, damit es noch mit rechten Dingen zugeht?
Die Gesetze sollen unser Zusammenleben ordnen, geben dem Staat Pflichten und dem Bürger Rechte. Sie sichern die Freiheit und schützen uns vor dem Willen anderer, der unsere Freiheit beschränken könnte.
Deutschland als Bundesrepublik ist heute ein föderaler Rechtsstaat. Unabhängig vom eigenen rechtsstaatlichen Charakter ist es auch Teil eines übernationalen Rechtsstaates, der EU. Beide wachen über die Rechtsstaatlichkeit allen staatlichen Handelns und kontrollieren sich wechselseitig. Weil die BRD auch föderal ist, gibt es die Bundesländer, die den Bund bei seiner Arbeit kontrollieren und umgekehrt. Nebenbei gibt es noch Behörden, die unsere Behörden und die Politik etwa beim Geldausgeben kontrollieren, die Rechnungshöfe im Bund, den Ländern und auf EU-Ebene, sowie die Verwaltungsgerichte und Finanzgerichtshöfe.
Verordnungen der Verwaltung gibt es auf allen Ebenen. Vom Bund zu den Ländern und auf der EU-Ebene auch, um den gemeinsamen Markt und die Zusammenarbeit zu ordnen. Die Verordnung der Verwaltung als Richtlinie oder Verwaltungsakt sind die unterste Ebene der Rechtsetzung, auch wenn sie noch nicht Gesetze heißen, sind sie staatliches Handeln, das immer strengen Formen genügen muss, insbesondere, wo es in die Rechte der Bürger eingreifen kann.
Diese Bürgerrechte leiten sich aus den Grundrechten ab und werden von manchen aus dem Naturrecht abgeleitet, dessen Existenz ich für ein Phantasieprodukt halte. Recht ist immer nur ein menschlicher Akt, der eben Rechtsetzung, die regelt oder dereguliert. Das ist auch das Naturrecht, das wir für immer gültig erklären, weil wir bestimmte Rechte als angeboren betrachten, aber auch das ist eine Setzung, die wir machen. Es braucht keine höhere Ebene als den Gesetzgeber, um ihre Gültigkeit zu begründen und wo kein Recht gilt, ist eben etwas nicht geregelt. Es gibt in der Natur kein Recht sondern nur Kausalitäten, die bestimmte Folgen haben. Schon die Frage nach dem natürlichen Menschenrecht auf Leben oder Nahrung und Unverletztheit, scheint mir zwar ehrenwert aber hat nichts mit der Natur zu tun, die kein Recht kennt, sondern nur Handlung und Folge. Ob das gut oder schlimm ist, bleibt eine Frage der moralischen Bewertung, die beim Blick auf die Rechtsordnung erstmal irrelevant ist.
Recht ist eigentlich wie Mathematik in Sprache gesetzt, ganz logisch und sehr einfach, auch wenn manche Formulierungen völlig unverständlich erscheinen. Im Rechtsstaat sollte jeder Bürger seine Rechte kennen und das Recht verstehen, das diese beschränkt oder ihm Pflichten auferlegt. Aufgrund der Komplexität ist das allerdings in vielem nur noch schöne Theorie.
Wie die Theorie vom Gesellschaftsvertrag, den wir schließen und über den wir Teil der Gesellschaft werden mit allen Rechten und Pflichten, die noch von Rousseau stammt und so richtig theoretisch klingt, wie praktisch meist falsch ist. Den Vertrag schließt keiner wirklich ab, er ist nur eine Idee, um dem Recht einen Grund zur Geltung zu geben. Weil wir einen Vertrag mit dem Staat schließen, sind wir ein Teil von diesem und halten uns an die aus diesem resultierenden Rechte und Pflichten.
Dies Modell hat der Soziologe Jürgen Habermas in seiner Diskurstheorie weiter gedacht, dergemäß jede demokratische Gesellschaft auf dem Diskurs der Teilnehmer beruht, für den sie natürlich Stellvertreter wählen können, wie wir den Bundestag. Ob dies wirklich auf das Grundgesetz, also die Verfassung der BRD, frei übertragbar ist oder es beim abstrakten Modell im leeren Raum bleibt, wird lange schon gestritten zwischen linken und rechten Soziologen, Politologen, Philosophen und Juristen, ohne sich einigen zu können, weil alle ängstlich ihre Besitzstände verteidigen.
Hatte das Glück mit Habermas und dazu noch seinem großen Lehrer Gadamer in Heidelberg diskutieren zu dürfen über genau diese Frage. So stellte der schon da ehrwürdige Sohn der Frankfurter Schule, der längst ihr Großvater wurde, eher seine These auf, dass alles staatliche Handeln aus dem Diskurs letztlich abstrakt ableitbar sein müsse, was auch für das Grundgesetz gelte. Soweit war mir seine Theorie bekannt und er wiederholte nur die bekannten Thesen seiner Schriften. Doch verstand ich nicht, mit wem wer im Diskurs stand bei der Formulierung in der Präambel, dass dies Grundgesetz in Verantwortung vor Gott und den Menschen erlassen wurde und fragte den etwas konsternierten Professor Habermas.
Dennoch launig erwiderte er, wenn es so da stehe, müssten wir es streichen, was mich zu der zweiten Frage brachte, wie dann die Diskurstheorie zur Verfassung unseres Landes passen solle, wenn diese einen höheren Geltungsgrund für sich beansprucht als den Diskurs durch die Inbezugnahme Gottes. Habermas blieb dabei, streichen, was nicht passt, müsse gestrichen werden, er werde sich dafür einsetzen. Da meldete sich sein alter Lehrer Gadamer in unserer kleinen Diskussion im Alten Hörsaal der Universität Heidelberg zu Wort und sagte, so könne er das doch nicht sagen, weil es jeder Logik entbehre, eine These zu der Tatsache aufzustellen, wie unser Grundgesetz zustande kam und zugleich dieses ändern zu wollen, damit es zur These passt.
Es kamen dann noch andere Fragen von verschiedenen Besuchern, des bis auf den letzten Platz gefüllten historischen Raums und irgendwann ging die Gruppe auseinander, nur Gadamer, Habermas und ich waren noch oder wieder in die Diskussion vom Anfang vertieft, bis uns die Fachschaft einlud doch alle drei mit zum Essen beim Italiener nebenan zu kommen, sie hätten dort einen Tisch bestellt.
Die Diskussion blieb ohne Klärung und Ergebnis. Nach Habermas war der Satz überflüssig und musste gestrichen werden, hätte in einer demokratischen Verfassung nichts verloren. Gadamer hielt ihm entgegen, wenn die transzendente Inbezugnahme vom Gesetzgeber gewollt ist, könne er nicht einfach die Verfassung für teilweise ungültig erklären, damit sie zu seiner Diskurstheorie passe. In die Richtung versuche ich auch zu argumentieren, dem es mehr auch um die Frage ging, ob die Bundesrepublik nicht überhaupt mehr Laizismus brauche, um wirklich demokratisch zu sein.
Fand es aber auch unlogisch, wie eine Theorie, welche die Entstehung einer demokratischen Verfassung mit dem Diskurs begründen will, was eine Weiterführung der Ideen von Rousseau war, erklären will was ist und dann für ihre Gültigkeit, was ist ändern muss, damit die Theorie auch stimmt. War froh über die Unterstützung des alten Herrn Gadamer, als Habermas mein Argument mit professoraler Nonchalance vom Tisch wischte.
War dann bis zur Streichung das Grundgesetz nur für Gläubige gültig und nicht für Atheisten?
Was ist vom Recht einer Gesellschaft zu halten, das schon in der Präambel, also dem Vorwort der Verfassung entweder grundlegend falsch ist und geändert werden muss oder ist dann von der Theorie nichts zu halten, die dies nicht berücksichtigte?
Aus dieser Diskussion ist viele Jahre später auch der Diskurs von Habermas und Ratzinger über Geltungsgründe und die soziale Bedeutung der Religion geworden, die aber auch in entscheidenden Fragen unklar blieb, weil ein Soziologe und ein Theologe keine juristischen Fragen logisch klären.
Passt die Idee der Diskurstheorie wie des contrat social, des inkontinenten ursprünglich Genfers Rousseau zum Recht der Bundesrepublik oder sind wir noch ein Gottesstaat?
Es scheint vermutlich manchem lächerlich und eitel, wenn ich hier, statt über Recht und Ordnung zu schreiben, von einer Diskussion berichte aus der Zeit Anfang der 90er. Doch ist genau das der Kern aller Diskussionen über Recht und Ordnung, der Geltungsgrund ohne den Recht keinen Gehorsam verlangen kann, noch rechtsstaatlich vertretbar wäre.
Wenn der Diskurs wegfällt oder zumindest für alle Ungläubigen wegfällt, welche Gültigkeit darf das Recht in unserem Land dann noch beanspruchen?
Das Eis auf dem das begründet werden kann, wird verdammt dünn und genau darum ist es erstmal wichtiger, sich klar zu werden, ob dieser Staat so Recht erlassen darf und es mich betrifft.
Außer den Reichsbürgern, die einer missverstandenen Verschwörungstheorie anhängen und hinterherlaufen, um ihre Dummheit nicht gestehen zu müssen, bezweifelt keiner ernsthaft die Existenz der Bundesrepublik als Staat im Sinne des Völkerrechts, was jeder vernünftige Mensch im übrigen sowohl aus dem 2+4 Vertrag zur Deutschen Einheit wie aus dem Maastrichter Vertrag ablesen könnte, weil sich bestimmter Rechte seiner Souveränität nicht begeben könnte, wer nicht souverän ist.
Der Staat existiert und erlässt Gesetze durch seine Organe der Gesetzgebung, also den Bundestag und die Landtage. Inwieweit dieser deren Geltung durchsetzen kann, ist eine Frage der Macht.
Silvester dieses und letztes Jahr in Köln zeigen deutlich, dass der Staat in der Lage ist, zu lernen und seine Herrschaft notfalls mit Gewalt auch durchzusetzen im Interesse von Ordnung und Sicherheit. Dies ist eine typische Aufgabe des Souveräns und wie jeder Eingriff in Grundrechte wird nun darüber diskutiert, wenn auch aufgrund letztjährigen Traumas so abstrus verwandelt, dass sich alle Teilnehmer im Lob der Polizei überbieten wollen, dahingestellt ob das gute demokratisch Tradition ist.
Der Staat des Grundgesetzes ist also einer, der sich nach außen verpflichten und nach Innen notfalls mit Gewalt seine Interessen auch in Fragen der Sicherheit durchsetzen kann. Damit gibt es die Staatsmacht eines souveränen Staates de facto und jede weitere Diskussion zu diesem Thema ist überflüssig und hat keine sachlichen Argumente außer der immer wieder Verschwörung, da Extremisten immer mit Angst regieren wollen.
Fraglich bleibt nur, wie die Gesetze in diesem Staat gelten sollen, wenn eine Demokratie den Diskurs zumindest in der Theorie bräuchte, der Gottesbezug aber einen Teil der Bürger ausschlösse oder den Grund der Geltung infragestelle.
Dazu gibt es zwei Ansätze. Einmal kann ich überlegen, ob auch mit Gottesbezug Demokratie überhaupt möglich wäre und zweitens, viel einfacher, könnte ich prüfen, ob diese bloße Bekundung der Verfasser des Grundgesetzes überhaupt für dessen weitere Geltung wichtig ist, auf der dann alle weiteren Normen chronologisch aufbauen.
Schlauer Fuchs, als der ich gerne scheinen möchte, prüfe ich die zweite Frage zuerst, weil sie die erstere entbehrlich machen könnte und mir also das schwierigere Thema ersparte, was dafür spräche auch fauler Sack statt schlauer Fuchs zu sagen, was nicht nur die Anfangsbuchstaben umdrehte.
Aus der im Grundgesetz verkündeten absoluten Glaubensfreiheit ist ableitbar, dass jede Sicht toleriert wird und also auch der Nichtglaube, wenn dies aber so ist, folgt daraus, dass der Gottesbezug in der Präambel nur deklaratorischen Charakter hat, wie die Juristen dazu sagen, oder nur Geschwätz ist, wie das Volk es treffend ausdrückte, was keinen Wert an sich ausdrückt und wir können den Spruch als Geltungsgrund also vergessen, was Habermas aber, der ja kein Jurist sondern Soziologe und vielleicht Philosoph ist, nicht einfiel und ich damals auch nicht konsequent bedachte.
Schön zeigt dies Beispiel aber wie einfach und logisch juristische Schlußfolgerungen normalerweise laufen, wie schlicht und reduziert dieses Gebiet ist, das die Ordnung sichern soll. Die Klärung der Frage, ob Demokratie mit Gottesbezug möglich wäre, ist daher erstmal entbehrlich, solange sie auch ohne Gott gilt.
Im übrigen ist die Religionsfreiheit, die auch das Gegenteil von Aberglaube, also Atheismus in Freiheit umfasst, wie die negative Religionsfreiheit, notwendiges Element jeder rechtsstaatlichen, demokratischen Verfassung. Wo sie fehlt haben wir keinen demokratischen Rechtsstaat mehr, sondern ein totalitäres Glaubensregime, wie die Orte an denen deutsche Kicker gerade ihre Winterpause in der Sonne nahe der Wüste verbringen. Bisher scheint eine solche Diskussion nicht nötig zu sein.
Fraglich könnte es bei Fällen wie dem teilweise sehr rigorosen Abtreibungsverbot in streng katholischen Ländern wie Irland oder Polen sein, bei denen der Aberglaube der Mehrheit, den betroffenen Frauen Freiheit raubt und sie zu Verbrecherinnen macht, wo sie nur über ihren Körper selbst bestimmen wollen.
Doch, wie einleitend im vorigen Kapitel schon dargelegt, ist die unterschiedliche Begründung dieser Sicht eine bloß moralische, in keinster Weise dogmatisch fassbare und insofern es kein europäisches Grundrecht dazu gibt, wann Leben beginnt und ob das ungeborene Leben besonders zu schützen ist oder die Frau immer Vorrang hat, verstößt keiner, wie es auch geregelt wird, gegen europäische Freiheitsrechte durch die Bestrafung, auch wenn mir das moralisch nicht gefällt.
Die Jurisprudenz ist simpel und blöd eigentlich. Tatbestand, Norm, Subsumption und fertig.
Manchmal wird sie kompliziert, wenn das Recht auch dort angewandt werden soll, wo es ursprünglich nicht galt und wir gerne bestimmtes Verhalten nicht ahnden wollen, aus sozialen Gründen oder doch aus auch politischen Gründen.
Nach der Verfassung gilt, keine Strafe ohne Gesetz, also auch keine Rückwirkung von strafend wirkenden Gesetzen, damit jeder sein Verhalten darauf einstellen kann, der nulla poena Grundsatz aus dem römischen Recht, der erstmals im Hexenhammer im deutschen Recht wohl auftauchte. Dies ist ein wichtiger Grundsatz vor allem gegen die Bauchjustiz, die sagt, das Schwein muss doch bestraft werden oder das gesunde Volksempfinden, das rächend eine Strafe fordert, egal was das Recht sagt. Auch schon ein Verwaltungsakt, der belastend wirkt, was schnell passiert, darf nur unter ganz besonderen Umständen zurück wirken.
Wie sich diese Umstände noch mit Recht und Ordnung vereinbaren lassen, ob sie je rechtsstaatlich noch sind, ist Grund großer Streitigkeiten, die viel über die Verhältnisse im Rechtsstaat auch sagen. In der Einleitung erzählte ich von Radbruch, an dessen Schreibtisch ich in Heidelberg saß und der wirklich ein großer Rechtsphilosoph in ganz vieler Hinsicht war, dessen Formel aber den Rechtsstaat aus meiner Sicht völlig leichtfertig für eine höhere Idee der Gerechtigkeit aufgibt.
Bedeutet es, wenn Recht und Ordnung herrschen, dass auch Gerechtigkeit herrscht oder hat das eine nichts mit dem anderen zu tun, muss der immer Rechtsstaat gerecht sein?
Der Rechtsstaat muss nichts anderes als Recht vollziehen und sich an dieses halten. Der NS-Staat war dennoch kein Rechtsstaat, weil er grundlegende Freiheitsrechte außer Kraft setzte, die Prinzipien des Rechtsstaats missachtete und Unrecht herrschen ließ. Dies tat er jedoch mit scheinbar völlig rechtmäßig zustande gekommenen Gesetzen. Durch die Ausnahmeverordnung nach dem Reichstagsbrand konnten die Nationalsozialisten ihre neue Macht auf legalem Wege nutzen und den Rechtsstaat aushebeln. Sie kamen erstmal ganz legal an die Macht. Die Machtergreifung ist schon als Wort eine Form der Legendenbildung, die später zur Rechtfertigung für das Versagen des Staates gestrickt wurde.
Wenn wir das Handeln nach diesen Gesetzen, bis zur auch damals legitimen Judenvernichtung bestrafen wollen, brauchen wir ein höheres Recht oder eine Siegerjustiz ohne Rechtsstaat, wie sie in Nürnberg praktiziert wurde, auch wenn es einen rechtsstaatlichen Anschein hatte. Das höhere Recht wurde hierzulande aus dem Naturrecht abgeleitet, was gut klingt aber eigentlich eher religiös als logisch und vernünftig ist, da es kein geschriebenes Naturrecht gibt und damit keine Grundlage für eine Bestrafung zu diesem Zeitpunkt.
Auch die Zuständigkeit des Gerichtshofes der UN für das ehemalige Jugoslawien ist eher Siegerjustiz als rechtsstaatlich und das sage ich nicht, weil ich die Verbrecher dort verteidigen möchte, sondern, weil es mir wichtiger scheint, rechtsstaatlich wenn zu urteilen als überhaupt.
Genau das ist der moralische Streitpunkt. Die Politik und auch viele Juristen wie Radbruch folgen der Theorie, das Schwein muss bestraft werden, bei Nazis, Mauerschützen und Tätern im ehemaligen Jugoslawien, die ich auch inhaltlich verstehen kann und dennoch aus Prinzip ablehne, weil sie dem Recht, das sie durchsetzen will, zuvor den Grund seiner Geltung raubt und damit zu einem absurden moralisch totalitären Verhalten führt.
Was nicht strafbar war, kann nicht hinterher strafbar gemacht werden, um der Gerechtigkeit zu dienen, weil damit das Prinzip allen Strafens und dessen Berechtigung infrage gestellt wird. Dies strikte und logische Denken, das die Jurisprudenz und ihre Prinzipien beim Wort nimmt, wird strenger Positivismus genannt. Eigentlich ist es nur konsequentes Denken und die Anwendung der Prinzipien ihrer Art entsprechend, ohne moralische Urteile zu fällen.
Weil wir nicht damit leben wollen, dass bestimmte Schweine nicht bestraft werden können, wird das Recht von Richtern und Juristen solange ausgelegt, bis er eben doch strafbar ist und dafür zur Not auch die Grundsätze des eigenen Handelns völlig über Bord geworfen.
Die Vertreter dieser moralischen Sicht meinen, solches Handeln diene der Gerechtigkeit oder sogar einer höheren Gerechtigkeit, als sie es bis dato in Gesetzen gab. Ein verwerfliches Handeln müsse bestraft werden, auch wenn es legitim und nur staatliches Unrecht war, was gerade für die Mauerschützen sehr strittig war, denn nehmen wir den BGH wörtlich, hätte jeder DDR Bürger den Unrechtscharakter des Regimes offensichtlich und leicht erkennen müssen und sein entsprechendes Handeln für einen klaren Verstoß gegen Naturrecht halten, was offensichtlich absurd ist, da inzwischen sogar demokratische Parteien mit der Nachfolgerin der SED, der sogenannten Linken, in Koalitionen regieren, die bis heute Schwierigkeiten damit hat, die DDR ein Unrechtsregime zu nennen, aus der ihr Vermögen stammt.
Halte solche moralischen Urteile im Recht und vor allem im Strafrecht, das sich anmaßt in Bürgerrechte einzugreifen, für grundsätzlich falsch und für eine größere Gefährdung der Gerechtigkeit und des Rechtsstaates als wenn wir einfach anerkennen müssen, bestimmtes staatliches Unrecht, kann nicht strafrechtlich verfolgt werden, auch wenn wir das Schwein gerne bestrafen würden.
Diese Haltung ist ganz grundsätzlich wichtig für die Geltung von Recht und Ordnung und ihren Rahmen. Jeder, der den Einbruch von moralischen also wandelbaren Grundsätzen in die Rechtsordnung insbesondere im Strafrecht zulässt, gefährdet damit den Rechtsstaat mehr, als er ihn durch die Verfolgung einer vermeintlich höheren Gerechtigkeit befriedet.
Es gibt kein höheres Menschen- oder Naturrecht, das strafrechtliche Wirkung haben dürfte, nach dem also gestraft werden dürfte, sondern Strafe gibt es nur nach Strafgesetzen, die zum Zeitpunkt der Tat bereits galten, wer dies Prinzip durchbricht, löst damit den Grundsatz auf, der überhaupt erst Strafe legitimieren kann. Die Berufung des BGH im Fall der Mauerschützen auf die Radbruch’sche Formel und damit auf ein höheres Naturrecht, ist eine Kapitulation vor dem Populismus eines bloßen Gerechtigkeitsempfindens.
Entweder hätte es über alle Täter der DDR eine Siegerjustiz wie in Nürnberg gegeben, was den inneren Frieden nicht unbedingt gefördert hätte vermutlich oder sie können eben nicht bestraft werden, weil ihr Handeln legitim war und sie das wussten, egal wie schlimm ich das auch finde.
Der Rechtsstaat hat nicht die Aufgabe Gerechtigkeit herzustellen, sondern Recht zur formalen Durchsetzung zu helfen, sonst nichts. Gerechtigkeit ist ein höchst wandelbarer Begriff, der im Strafrecht eher überhaupt nichts verloren hat, außer bei der Urteilsfindung, wenn die Tat rechtsstaatlich verurteilt werden kann. Wer etwas tun will, was es im Rechtsstaat nicht gibt, nämlich das Schwein bestrafen, weil es sein Gefühl höherer Gerechtigkeit so will, sollte genau das so tun und es auch so nennen, statt den streng formalen Rechtsstaat so schmutzig dafür zu benutzen und so gesehen sind die Urteile unter Berufung auf die Radbruch’sche Formel Unrechtsurteile und müssten formal ungültig sein.
Dies war wichtig nochmal, auch wenn es fast wie eine Wiederholung des einleitend angedeuteten klang, um konsequent beim Geltungsgrund von Recht zu bleiben. Weil unser Staat die Macht hat, kann er auch die Einhaltung solcher auch meiner Sicht unrechten Urteile durchsetzen. Doch ist es sehr wichtig, ganz aufmerksam auf solche Details zu achten, um sich nicht vom rechten Weg abbringen zu lassen, den Kant im kategorischen Imperativ vorgab und über und neben dem es nicht mehr braucht, um ein moralisches Urteil gerecht zu fällen.
Ein Rechtsstaat, der seine eigenen Grundsätze um einer höheren bloß erdachten Gerechtigkeit wegen, die das Schwein bestrafen möchte, verrät, verdient den Namen kaum und kann konsequent keine moralische Einhaltung seiner Normen mehr fordern, die eben auf dem Konsens der Prinzipien beruht.
Wenn ich also dem Staat nun sage, dein Recht gilt für mich nicht mehr, weil es nicht rechtsstaatlich urteilt, hat das nur eine Konsequenz für mich in meiner Haltung zum Staat aber keine in dessen praktischer Ausübung seiner Macht. Darum klingen diese ganzen Ausführungen furchtbar theoretisch nun und ohne jede praktische Relevanz. Der Staat hat die Macht seine Sicht durchzusetzen und ich muss, wenn ich hier leben will, seine Regeln befolgen, will ich nicht riskieren, bestraft zu werden. Dennoch halte ich diesen Punkt für wichtiger als alle sonstigen Ausführungen, die im einzelnen auf Recht und Gesetze eingehen, die austauschbar und zeitunterworfen meist sind.
Zu sehen, dass auch Staaten unrecht handeln und deren Anspruch auch von Gerechtigkeit infrage stellen zu können, weil es nur um Macht geht, ist wichtig, um als freier Mensch eine Haltung zum Staat und den Gesetzen zu entwickeln, diese auch kritisch zu sehen. Nur wer eine freie und kritische Haltung zu den Dingen hat und nicht einfach Befehlen blind folgt, kann moralisch handeln und nach Gerechtigkeit streben - der Rechtsstaat soll und muss nicht gerecht werden, er ist nur und bietet den Rahmen, in dem sich so weiche Begriffe wie Freiheit und Gerechtigkeit, sozial und schön entfalten können. Wenn dieser Text den kritischen Blick auf vermeintlich moralische Urteile ein wenig öffnen konnte, freue ich mich, denn so trocken die mathematisch logische Juristerei klingt, so wichtig ist sie, um den Staat richtig zu verstehen und nicht wie Habermas, falsche Gründe für sein Sein zu nennen, die richtige Theorie auf falsche Annahmen aufzubauen.
jens tuengerthal 8.1.2017
Ist das Recht in Ordnung oder bräuchten wir weniger Ordnung, damit es noch mit rechten Dingen zugeht?
Die Gesetze sollen unser Zusammenleben ordnen, geben dem Staat Pflichten und dem Bürger Rechte. Sie sichern die Freiheit und schützen uns vor dem Willen anderer, der unsere Freiheit beschränken könnte.
Deutschland als Bundesrepublik ist heute ein föderaler Rechtsstaat. Unabhängig vom eigenen rechtsstaatlichen Charakter ist es auch Teil eines übernationalen Rechtsstaates, der EU. Beide wachen über die Rechtsstaatlichkeit allen staatlichen Handelns und kontrollieren sich wechselseitig. Weil die BRD auch föderal ist, gibt es die Bundesländer, die den Bund bei seiner Arbeit kontrollieren und umgekehrt. Nebenbei gibt es noch Behörden, die unsere Behörden und die Politik etwa beim Geldausgeben kontrollieren, die Rechnungshöfe im Bund, den Ländern und auf EU-Ebene, sowie die Verwaltungsgerichte und Finanzgerichtshöfe.
Verordnungen der Verwaltung gibt es auf allen Ebenen. Vom Bund zu den Ländern und auf der EU-Ebene auch, um den gemeinsamen Markt und die Zusammenarbeit zu ordnen. Die Verordnung der Verwaltung als Richtlinie oder Verwaltungsakt sind die unterste Ebene der Rechtsetzung, auch wenn sie noch nicht Gesetze heißen, sind sie staatliches Handeln, das immer strengen Formen genügen muss, insbesondere, wo es in die Rechte der Bürger eingreifen kann.
Diese Bürgerrechte leiten sich aus den Grundrechten ab und werden von manchen aus dem Naturrecht abgeleitet, dessen Existenz ich für ein Phantasieprodukt halte. Recht ist immer nur ein menschlicher Akt, der eben Rechtsetzung, die regelt oder dereguliert. Das ist auch das Naturrecht, das wir für immer gültig erklären, weil wir bestimmte Rechte als angeboren betrachten, aber auch das ist eine Setzung, die wir machen. Es braucht keine höhere Ebene als den Gesetzgeber, um ihre Gültigkeit zu begründen und wo kein Recht gilt, ist eben etwas nicht geregelt. Es gibt in der Natur kein Recht sondern nur Kausalitäten, die bestimmte Folgen haben. Schon die Frage nach dem natürlichen Menschenrecht auf Leben oder Nahrung und Unverletztheit, scheint mir zwar ehrenwert aber hat nichts mit der Natur zu tun, die kein Recht kennt, sondern nur Handlung und Folge. Ob das gut oder schlimm ist, bleibt eine Frage der moralischen Bewertung, die beim Blick auf die Rechtsordnung erstmal irrelevant ist.
Recht ist eigentlich wie Mathematik in Sprache gesetzt, ganz logisch und sehr einfach, auch wenn manche Formulierungen völlig unverständlich erscheinen. Im Rechtsstaat sollte jeder Bürger seine Rechte kennen und das Recht verstehen, das diese beschränkt oder ihm Pflichten auferlegt. Aufgrund der Komplexität ist das allerdings in vielem nur noch schöne Theorie.
Wie die Theorie vom Gesellschaftsvertrag, den wir schließen und über den wir Teil der Gesellschaft werden mit allen Rechten und Pflichten, die noch von Rousseau stammt und so richtig theoretisch klingt, wie praktisch meist falsch ist. Den Vertrag schließt keiner wirklich ab, er ist nur eine Idee, um dem Recht einen Grund zur Geltung zu geben. Weil wir einen Vertrag mit dem Staat schließen, sind wir ein Teil von diesem und halten uns an die aus diesem resultierenden Rechte und Pflichten.
Dies Modell hat der Soziologe Jürgen Habermas in seiner Diskurstheorie weiter gedacht, dergemäß jede demokratische Gesellschaft auf dem Diskurs der Teilnehmer beruht, für den sie natürlich Stellvertreter wählen können, wie wir den Bundestag. Ob dies wirklich auf das Grundgesetz, also die Verfassung der BRD, frei übertragbar ist oder es beim abstrakten Modell im leeren Raum bleibt, wird lange schon gestritten zwischen linken und rechten Soziologen, Politologen, Philosophen und Juristen, ohne sich einigen zu können, weil alle ängstlich ihre Besitzstände verteidigen.
Hatte das Glück mit Habermas und dazu noch seinem großen Lehrer Gadamer in Heidelberg diskutieren zu dürfen über genau diese Frage. So stellte der schon da ehrwürdige Sohn der Frankfurter Schule, der längst ihr Großvater wurde, eher seine These auf, dass alles staatliche Handeln aus dem Diskurs letztlich abstrakt ableitbar sein müsse, was auch für das Grundgesetz gelte. Soweit war mir seine Theorie bekannt und er wiederholte nur die bekannten Thesen seiner Schriften. Doch verstand ich nicht, mit wem wer im Diskurs stand bei der Formulierung in der Präambel, dass dies Grundgesetz in Verantwortung vor Gott und den Menschen erlassen wurde und fragte den etwas konsternierten Professor Habermas.
Dennoch launig erwiderte er, wenn es so da stehe, müssten wir es streichen, was mich zu der zweiten Frage brachte, wie dann die Diskurstheorie zur Verfassung unseres Landes passen solle, wenn diese einen höheren Geltungsgrund für sich beansprucht als den Diskurs durch die Inbezugnahme Gottes. Habermas blieb dabei, streichen, was nicht passt, müsse gestrichen werden, er werde sich dafür einsetzen. Da meldete sich sein alter Lehrer Gadamer in unserer kleinen Diskussion im Alten Hörsaal der Universität Heidelberg zu Wort und sagte, so könne er das doch nicht sagen, weil es jeder Logik entbehre, eine These zu der Tatsache aufzustellen, wie unser Grundgesetz zustande kam und zugleich dieses ändern zu wollen, damit es zur These passt.
Es kamen dann noch andere Fragen von verschiedenen Besuchern, des bis auf den letzten Platz gefüllten historischen Raums und irgendwann ging die Gruppe auseinander, nur Gadamer, Habermas und ich waren noch oder wieder in die Diskussion vom Anfang vertieft, bis uns die Fachschaft einlud doch alle drei mit zum Essen beim Italiener nebenan zu kommen, sie hätten dort einen Tisch bestellt.
Die Diskussion blieb ohne Klärung und Ergebnis. Nach Habermas war der Satz überflüssig und musste gestrichen werden, hätte in einer demokratischen Verfassung nichts verloren. Gadamer hielt ihm entgegen, wenn die transzendente Inbezugnahme vom Gesetzgeber gewollt ist, könne er nicht einfach die Verfassung für teilweise ungültig erklären, damit sie zu seiner Diskurstheorie passe. In die Richtung versuche ich auch zu argumentieren, dem es mehr auch um die Frage ging, ob die Bundesrepublik nicht überhaupt mehr Laizismus brauche, um wirklich demokratisch zu sein.
Fand es aber auch unlogisch, wie eine Theorie, welche die Entstehung einer demokratischen Verfassung mit dem Diskurs begründen will, was eine Weiterführung der Ideen von Rousseau war, erklären will was ist und dann für ihre Gültigkeit, was ist ändern muss, damit die Theorie auch stimmt. War froh über die Unterstützung des alten Herrn Gadamer, als Habermas mein Argument mit professoraler Nonchalance vom Tisch wischte.
War dann bis zur Streichung das Grundgesetz nur für Gläubige gültig und nicht für Atheisten?
Was ist vom Recht einer Gesellschaft zu halten, das schon in der Präambel, also dem Vorwort der Verfassung entweder grundlegend falsch ist und geändert werden muss oder ist dann von der Theorie nichts zu halten, die dies nicht berücksichtigte?
Aus dieser Diskussion ist viele Jahre später auch der Diskurs von Habermas und Ratzinger über Geltungsgründe und die soziale Bedeutung der Religion geworden, die aber auch in entscheidenden Fragen unklar blieb, weil ein Soziologe und ein Theologe keine juristischen Fragen logisch klären.
Passt die Idee der Diskurstheorie wie des contrat social, des inkontinenten ursprünglich Genfers Rousseau zum Recht der Bundesrepublik oder sind wir noch ein Gottesstaat?
Es scheint vermutlich manchem lächerlich und eitel, wenn ich hier, statt über Recht und Ordnung zu schreiben, von einer Diskussion berichte aus der Zeit Anfang der 90er. Doch ist genau das der Kern aller Diskussionen über Recht und Ordnung, der Geltungsgrund ohne den Recht keinen Gehorsam verlangen kann, noch rechtsstaatlich vertretbar wäre.
Wenn der Diskurs wegfällt oder zumindest für alle Ungläubigen wegfällt, welche Gültigkeit darf das Recht in unserem Land dann noch beanspruchen?
Das Eis auf dem das begründet werden kann, wird verdammt dünn und genau darum ist es erstmal wichtiger, sich klar zu werden, ob dieser Staat so Recht erlassen darf und es mich betrifft.
Außer den Reichsbürgern, die einer missverstandenen Verschwörungstheorie anhängen und hinterherlaufen, um ihre Dummheit nicht gestehen zu müssen, bezweifelt keiner ernsthaft die Existenz der Bundesrepublik als Staat im Sinne des Völkerrechts, was jeder vernünftige Mensch im übrigen sowohl aus dem 2+4 Vertrag zur Deutschen Einheit wie aus dem Maastrichter Vertrag ablesen könnte, weil sich bestimmter Rechte seiner Souveränität nicht begeben könnte, wer nicht souverän ist.
Der Staat existiert und erlässt Gesetze durch seine Organe der Gesetzgebung, also den Bundestag und die Landtage. Inwieweit dieser deren Geltung durchsetzen kann, ist eine Frage der Macht.
Silvester dieses und letztes Jahr in Köln zeigen deutlich, dass der Staat in der Lage ist, zu lernen und seine Herrschaft notfalls mit Gewalt auch durchzusetzen im Interesse von Ordnung und Sicherheit. Dies ist eine typische Aufgabe des Souveräns und wie jeder Eingriff in Grundrechte wird nun darüber diskutiert, wenn auch aufgrund letztjährigen Traumas so abstrus verwandelt, dass sich alle Teilnehmer im Lob der Polizei überbieten wollen, dahingestellt ob das gute demokratisch Tradition ist.
Der Staat des Grundgesetzes ist also einer, der sich nach außen verpflichten und nach Innen notfalls mit Gewalt seine Interessen auch in Fragen der Sicherheit durchsetzen kann. Damit gibt es die Staatsmacht eines souveränen Staates de facto und jede weitere Diskussion zu diesem Thema ist überflüssig und hat keine sachlichen Argumente außer der immer wieder Verschwörung, da Extremisten immer mit Angst regieren wollen.
Fraglich bleibt nur, wie die Gesetze in diesem Staat gelten sollen, wenn eine Demokratie den Diskurs zumindest in der Theorie bräuchte, der Gottesbezug aber einen Teil der Bürger ausschlösse oder den Grund der Geltung infragestelle.
Dazu gibt es zwei Ansätze. Einmal kann ich überlegen, ob auch mit Gottesbezug Demokratie überhaupt möglich wäre und zweitens, viel einfacher, könnte ich prüfen, ob diese bloße Bekundung der Verfasser des Grundgesetzes überhaupt für dessen weitere Geltung wichtig ist, auf der dann alle weiteren Normen chronologisch aufbauen.
Schlauer Fuchs, als der ich gerne scheinen möchte, prüfe ich die zweite Frage zuerst, weil sie die erstere entbehrlich machen könnte und mir also das schwierigere Thema ersparte, was dafür spräche auch fauler Sack statt schlauer Fuchs zu sagen, was nicht nur die Anfangsbuchstaben umdrehte.
Aus der im Grundgesetz verkündeten absoluten Glaubensfreiheit ist ableitbar, dass jede Sicht toleriert wird und also auch der Nichtglaube, wenn dies aber so ist, folgt daraus, dass der Gottesbezug in der Präambel nur deklaratorischen Charakter hat, wie die Juristen dazu sagen, oder nur Geschwätz ist, wie das Volk es treffend ausdrückte, was keinen Wert an sich ausdrückt und wir können den Spruch als Geltungsgrund also vergessen, was Habermas aber, der ja kein Jurist sondern Soziologe und vielleicht Philosoph ist, nicht einfiel und ich damals auch nicht konsequent bedachte.
Schön zeigt dies Beispiel aber wie einfach und logisch juristische Schlußfolgerungen normalerweise laufen, wie schlicht und reduziert dieses Gebiet ist, das die Ordnung sichern soll. Die Klärung der Frage, ob Demokratie mit Gottesbezug möglich wäre, ist daher erstmal entbehrlich, solange sie auch ohne Gott gilt.
Im übrigen ist die Religionsfreiheit, die auch das Gegenteil von Aberglaube, also Atheismus in Freiheit umfasst, wie die negative Religionsfreiheit, notwendiges Element jeder rechtsstaatlichen, demokratischen Verfassung. Wo sie fehlt haben wir keinen demokratischen Rechtsstaat mehr, sondern ein totalitäres Glaubensregime, wie die Orte an denen deutsche Kicker gerade ihre Winterpause in der Sonne nahe der Wüste verbringen. Bisher scheint eine solche Diskussion nicht nötig zu sein.
Fraglich könnte es bei Fällen wie dem teilweise sehr rigorosen Abtreibungsverbot in streng katholischen Ländern wie Irland oder Polen sein, bei denen der Aberglaube der Mehrheit, den betroffenen Frauen Freiheit raubt und sie zu Verbrecherinnen macht, wo sie nur über ihren Körper selbst bestimmen wollen.
Doch, wie einleitend im vorigen Kapitel schon dargelegt, ist die unterschiedliche Begründung dieser Sicht eine bloß moralische, in keinster Weise dogmatisch fassbare und insofern es kein europäisches Grundrecht dazu gibt, wann Leben beginnt und ob das ungeborene Leben besonders zu schützen ist oder die Frau immer Vorrang hat, verstößt keiner, wie es auch geregelt wird, gegen europäische Freiheitsrechte durch die Bestrafung, auch wenn mir das moralisch nicht gefällt.
Die Jurisprudenz ist simpel und blöd eigentlich. Tatbestand, Norm, Subsumption und fertig.
Manchmal wird sie kompliziert, wenn das Recht auch dort angewandt werden soll, wo es ursprünglich nicht galt und wir gerne bestimmtes Verhalten nicht ahnden wollen, aus sozialen Gründen oder doch aus auch politischen Gründen.
Nach der Verfassung gilt, keine Strafe ohne Gesetz, also auch keine Rückwirkung von strafend wirkenden Gesetzen, damit jeder sein Verhalten darauf einstellen kann, der nulla poena Grundsatz aus dem römischen Recht, der erstmals im Hexenhammer im deutschen Recht wohl auftauchte. Dies ist ein wichtiger Grundsatz vor allem gegen die Bauchjustiz, die sagt, das Schwein muss doch bestraft werden oder das gesunde Volksempfinden, das rächend eine Strafe fordert, egal was das Recht sagt. Auch schon ein Verwaltungsakt, der belastend wirkt, was schnell passiert, darf nur unter ganz besonderen Umständen zurück wirken.
Wie sich diese Umstände noch mit Recht und Ordnung vereinbaren lassen, ob sie je rechtsstaatlich noch sind, ist Grund großer Streitigkeiten, die viel über die Verhältnisse im Rechtsstaat auch sagen. In der Einleitung erzählte ich von Radbruch, an dessen Schreibtisch ich in Heidelberg saß und der wirklich ein großer Rechtsphilosoph in ganz vieler Hinsicht war, dessen Formel aber den Rechtsstaat aus meiner Sicht völlig leichtfertig für eine höhere Idee der Gerechtigkeit aufgibt.
Bedeutet es, wenn Recht und Ordnung herrschen, dass auch Gerechtigkeit herrscht oder hat das eine nichts mit dem anderen zu tun, muss der immer Rechtsstaat gerecht sein?
Der Rechtsstaat muss nichts anderes als Recht vollziehen und sich an dieses halten. Der NS-Staat war dennoch kein Rechtsstaat, weil er grundlegende Freiheitsrechte außer Kraft setzte, die Prinzipien des Rechtsstaats missachtete und Unrecht herrschen ließ. Dies tat er jedoch mit scheinbar völlig rechtmäßig zustande gekommenen Gesetzen. Durch die Ausnahmeverordnung nach dem Reichstagsbrand konnten die Nationalsozialisten ihre neue Macht auf legalem Wege nutzen und den Rechtsstaat aushebeln. Sie kamen erstmal ganz legal an die Macht. Die Machtergreifung ist schon als Wort eine Form der Legendenbildung, die später zur Rechtfertigung für das Versagen des Staates gestrickt wurde.
Wenn wir das Handeln nach diesen Gesetzen, bis zur auch damals legitimen Judenvernichtung bestrafen wollen, brauchen wir ein höheres Recht oder eine Siegerjustiz ohne Rechtsstaat, wie sie in Nürnberg praktiziert wurde, auch wenn es einen rechtsstaatlichen Anschein hatte. Das höhere Recht wurde hierzulande aus dem Naturrecht abgeleitet, was gut klingt aber eigentlich eher religiös als logisch und vernünftig ist, da es kein geschriebenes Naturrecht gibt und damit keine Grundlage für eine Bestrafung zu diesem Zeitpunkt.
Auch die Zuständigkeit des Gerichtshofes der UN für das ehemalige Jugoslawien ist eher Siegerjustiz als rechtsstaatlich und das sage ich nicht, weil ich die Verbrecher dort verteidigen möchte, sondern, weil es mir wichtiger scheint, rechtsstaatlich wenn zu urteilen als überhaupt.
Genau das ist der moralische Streitpunkt. Die Politik und auch viele Juristen wie Radbruch folgen der Theorie, das Schwein muss bestraft werden, bei Nazis, Mauerschützen und Tätern im ehemaligen Jugoslawien, die ich auch inhaltlich verstehen kann und dennoch aus Prinzip ablehne, weil sie dem Recht, das sie durchsetzen will, zuvor den Grund seiner Geltung raubt und damit zu einem absurden moralisch totalitären Verhalten führt.
Was nicht strafbar war, kann nicht hinterher strafbar gemacht werden, um der Gerechtigkeit zu dienen, weil damit das Prinzip allen Strafens und dessen Berechtigung infrage gestellt wird. Dies strikte und logische Denken, das die Jurisprudenz und ihre Prinzipien beim Wort nimmt, wird strenger Positivismus genannt. Eigentlich ist es nur konsequentes Denken und die Anwendung der Prinzipien ihrer Art entsprechend, ohne moralische Urteile zu fällen.
Weil wir nicht damit leben wollen, dass bestimmte Schweine nicht bestraft werden können, wird das Recht von Richtern und Juristen solange ausgelegt, bis er eben doch strafbar ist und dafür zur Not auch die Grundsätze des eigenen Handelns völlig über Bord geworfen.
Die Vertreter dieser moralischen Sicht meinen, solches Handeln diene der Gerechtigkeit oder sogar einer höheren Gerechtigkeit, als sie es bis dato in Gesetzen gab. Ein verwerfliches Handeln müsse bestraft werden, auch wenn es legitim und nur staatliches Unrecht war, was gerade für die Mauerschützen sehr strittig war, denn nehmen wir den BGH wörtlich, hätte jeder DDR Bürger den Unrechtscharakter des Regimes offensichtlich und leicht erkennen müssen und sein entsprechendes Handeln für einen klaren Verstoß gegen Naturrecht halten, was offensichtlich absurd ist, da inzwischen sogar demokratische Parteien mit der Nachfolgerin der SED, der sogenannten Linken, in Koalitionen regieren, die bis heute Schwierigkeiten damit hat, die DDR ein Unrechtsregime zu nennen, aus der ihr Vermögen stammt.
Halte solche moralischen Urteile im Recht und vor allem im Strafrecht, das sich anmaßt in Bürgerrechte einzugreifen, für grundsätzlich falsch und für eine größere Gefährdung der Gerechtigkeit und des Rechtsstaates als wenn wir einfach anerkennen müssen, bestimmtes staatliches Unrecht, kann nicht strafrechtlich verfolgt werden, auch wenn wir das Schwein gerne bestrafen würden.
Diese Haltung ist ganz grundsätzlich wichtig für die Geltung von Recht und Ordnung und ihren Rahmen. Jeder, der den Einbruch von moralischen also wandelbaren Grundsätzen in die Rechtsordnung insbesondere im Strafrecht zulässt, gefährdet damit den Rechtsstaat mehr, als er ihn durch die Verfolgung einer vermeintlich höheren Gerechtigkeit befriedet.
Es gibt kein höheres Menschen- oder Naturrecht, das strafrechtliche Wirkung haben dürfte, nach dem also gestraft werden dürfte, sondern Strafe gibt es nur nach Strafgesetzen, die zum Zeitpunkt der Tat bereits galten, wer dies Prinzip durchbricht, löst damit den Grundsatz auf, der überhaupt erst Strafe legitimieren kann. Die Berufung des BGH im Fall der Mauerschützen auf die Radbruch’sche Formel und damit auf ein höheres Naturrecht, ist eine Kapitulation vor dem Populismus eines bloßen Gerechtigkeitsempfindens.
Entweder hätte es über alle Täter der DDR eine Siegerjustiz wie in Nürnberg gegeben, was den inneren Frieden nicht unbedingt gefördert hätte vermutlich oder sie können eben nicht bestraft werden, weil ihr Handeln legitim war und sie das wussten, egal wie schlimm ich das auch finde.
Der Rechtsstaat hat nicht die Aufgabe Gerechtigkeit herzustellen, sondern Recht zur formalen Durchsetzung zu helfen, sonst nichts. Gerechtigkeit ist ein höchst wandelbarer Begriff, der im Strafrecht eher überhaupt nichts verloren hat, außer bei der Urteilsfindung, wenn die Tat rechtsstaatlich verurteilt werden kann. Wer etwas tun will, was es im Rechtsstaat nicht gibt, nämlich das Schwein bestrafen, weil es sein Gefühl höherer Gerechtigkeit so will, sollte genau das so tun und es auch so nennen, statt den streng formalen Rechtsstaat so schmutzig dafür zu benutzen und so gesehen sind die Urteile unter Berufung auf die Radbruch’sche Formel Unrechtsurteile und müssten formal ungültig sein.
Dies war wichtig nochmal, auch wenn es fast wie eine Wiederholung des einleitend angedeuteten klang, um konsequent beim Geltungsgrund von Recht zu bleiben. Weil unser Staat die Macht hat, kann er auch die Einhaltung solcher auch meiner Sicht unrechten Urteile durchsetzen. Doch ist es sehr wichtig, ganz aufmerksam auf solche Details zu achten, um sich nicht vom rechten Weg abbringen zu lassen, den Kant im kategorischen Imperativ vorgab und über und neben dem es nicht mehr braucht, um ein moralisches Urteil gerecht zu fällen.
Ein Rechtsstaat, der seine eigenen Grundsätze um einer höheren bloß erdachten Gerechtigkeit wegen, die das Schwein bestrafen möchte, verrät, verdient den Namen kaum und kann konsequent keine moralische Einhaltung seiner Normen mehr fordern, die eben auf dem Konsens der Prinzipien beruht.
Wenn ich also dem Staat nun sage, dein Recht gilt für mich nicht mehr, weil es nicht rechtsstaatlich urteilt, hat das nur eine Konsequenz für mich in meiner Haltung zum Staat aber keine in dessen praktischer Ausübung seiner Macht. Darum klingen diese ganzen Ausführungen furchtbar theoretisch nun und ohne jede praktische Relevanz. Der Staat hat die Macht seine Sicht durchzusetzen und ich muss, wenn ich hier leben will, seine Regeln befolgen, will ich nicht riskieren, bestraft zu werden. Dennoch halte ich diesen Punkt für wichtiger als alle sonstigen Ausführungen, die im einzelnen auf Recht und Gesetze eingehen, die austauschbar und zeitunterworfen meist sind.
Zu sehen, dass auch Staaten unrecht handeln und deren Anspruch auch von Gerechtigkeit infrage stellen zu können, weil es nur um Macht geht, ist wichtig, um als freier Mensch eine Haltung zum Staat und den Gesetzen zu entwickeln, diese auch kritisch zu sehen. Nur wer eine freie und kritische Haltung zu den Dingen hat und nicht einfach Befehlen blind folgt, kann moralisch handeln und nach Gerechtigkeit streben - der Rechtsstaat soll und muss nicht gerecht werden, er ist nur und bietet den Rahmen, in dem sich so weiche Begriffe wie Freiheit und Gerechtigkeit, sozial und schön entfalten können. Wenn dieser Text den kritischen Blick auf vermeintlich moralische Urteile ein wenig öffnen konnte, freue ich mich, denn so trocken die mathematisch logische Juristerei klingt, so wichtig ist sie, um den Staat richtig zu verstehen und nicht wie Habermas, falsche Gründe für sein Sein zu nennen, die richtige Theorie auf falsche Annahmen aufzubauen.
jens tuengerthal 8.1.2017
Samstag, 7. Januar 2017
Gretasophie 007
007 Recht ordentlich
Die Deutschen haben es gern ordentlich, besonders im Vorgarten, sagt das Vorurteil und am schlimmsten ist, wenn der Nachbar unordentlich ist. Ist es recht so, wird gefragt, wenn wir wissen wollen, ob alles in Ordnung ist. In der Regel, schon wieder so ein an Normen orientiertes Wort, wird diese Frage bejaht, außer es ist etwas besonderes und so ist sie meist nur eine Floskel.
Sind Fragen der Ordnung meist Floskeln oder grundlegend?
Ordnung ist das halbe Leben, ist auch so eine deutsche Weisheit, die zum angepasst ordentlichen Leben anleiten soll und diese gab es früher von Hausfrauen auf Tücher gestickt als Bilder in der guten Stube, werden heute eher ironisch nur noch zitiert. Doch haben sie, wie viele Volksweisheiten einen wahren Kern, warum die Frage nahe liegt, was denn die andere Hälfte dann sein soll.
Ist Chaos oder Unordnung die andere Hälfte und was unterscheidet die beiden?
Schaue ich in die friedliche Natur auf einer Waldwiese etwa, vielleicht auch unter einer deutschen Eiche ruhend, scheint mir die Welt in Ordnung. Betrachtete ich, was ich dort sehe en Detail, merke ich, wie unordentlich die scheinbar friedliche Natur eigentlich ist und gehe ich noch weiter, unters Mikroskop kann ich wiederum erkennen, welch genaue Ordnung auch in der Natur immer herrscht, sehe ich vom subatomaren Chaos der Zufälligkeiten im Welle-Teilchen-Dualismus auf der Wiese einfach mal ab.
Aber herrscht die Ordnung wirklich oder ist sie nur ein Zustand ohne Herrschaft?
Herrschaft ist immer die Ausübung von Macht. Nach Max Weber ist Herrschaft die Chance für einen bestimmbaren Befehl bei einer angebbaren Gruppe Gehorsam zu finden. Die Herrschaft setzt dabei nach Weber im Gegensatz zur nur Macht Legitimität voraus, die erst durch die Akzeptanz der Herrschaft durch die Beherrschten gesichert wird.
Wenn einer befiehlt und andere ihm folgen, ist es also Herrschaft. Davon kann in der Natur aber keine Rede sein, weil ihr Funktionieren natürlich ist und nicht abhängig von Herrschaftsverhältnissen, die wir Menschen uns dazu konstruieren. Auch in der Natur gibt es aber eine Über- und Unterordnung, ob im Rudel, in der Kolonie etwa der Ameisen oder sogar unter den Pflanzen, die mit ihren Wirten und Bewohnern korrespondieren.
Die Natur folgt ihrer eigenen Ordnung, eben den natürlichen Gegebenheiten und den dafür geltenden natürlichen Gesetzen. Doch schon das Wort Gesetz, was ein von Menschen erlassener Rechtsakt ist, passt nicht zur Natur eigentlich. Es beschreibt nur die von uns beobachteten Regelmäßigkeiten im Ablauf, die der jeweiligen Natur entsprechen.
Gibt es also Naturgesetze überhaupt, wie das ein Apfel vom Baum nach unten fällt und nicht nach oben, weil die Erdanziehung stärker ist?
Wenn ich die Natur beobachte, stelle ich fest, es passieren unter bestimmten Bedingungen immer die gleichen Sachen. Pflanzen blühen, reifen und vergehen wieder, ob durch Abwurf des Laubes oder den eben Tod nach einem Sommer bei den einjährigen Pflanzen. Es scheint bestimmte Dinge folgen einfach einer natürlichen Ordnung.
Ob diese einen höheren Grund hat, wie etwa eine erdachte Schöpfung, von der das Märchenbuch Bibel erzählt, ist dabei völlig irrelevant. Egal, was ich glaube oder nicht, die Schwerkraft gilt für den Atheisten wie für den Gläubigen in gleicher Weise. Die Naturgesetze gelten, weil sie der Natur folgen, aus ihrer Beobachtung erkannt und nicht erlassen oder gewillkürt wurden wie etwa die 10 Gebote. Sie beschreiben nur, was ist, statt festzulegen, was sein sollte, wie es die biblischen Gebote manchmal wider die Natur tun - keine anderen Götter haben, keinen Menschen töten, treu sein, auch gegen natürliche Bedürfnisse und vieles mehr, wie die Achtung der Eigentumsordnung, als sei die Inbesitznahme von etwas und die im deutschen Recht davon getrennte Eigentumserklärung ein Teil der Natur.
Braucht es mehr als die Natur ist, damit alles in Ordnung ist und die Menschen gut miteinander leben können?
Nach der Natur ist alles Leben sterblich. Existiert von der Geburt bis zum Tod als Wesen und ist schon vor der Geburt existent, kann aber nicht natürlich alleine existieren. Wann wir von einem Menschen sprechen, ist strittig und wird viel diskutiert.
Manche meinen, das Leben beginne in dem Moment, in dem sich die befruchtete Eizelle in der Gebärmutter einnistet oder überhaupt befruchtet wird. Häufig sind dies Menschen, die über die Natur hinaus von einem höheren Grund des Seins ausgehen und auch darum das Sein besonders schützen wollen.
Da Lebewesen in der Mutter heranwachsen, beschränkt eine solche befruchtete Eizelle die Freiheit der werdenden Mutter und kann auch ihr Leben gefährden. Das ist eben der Lauf der Natur, fraglich nur, inwieweit wir in sie eingreifen dürfen, auch um das Leben oder die Freiheit der Mutter zu schützen.
In der Natur gilt natürlich das Recht des Stärkeren und wer sich durchsetzt, überlebt. In unserer Gesellschaft ist das wesentlich komplizierter, weil so viele Dinge im einzelnen zu berücksichtigen sind. So fragen wir etwa, welches Leben mehr wert hat und wer über welches entscheiden darf, ob wir das ungeborene Leben schützen müssen, weil es sich nicht wehren kann, aber doch schon fast ganz Mensch ist.
In Deutschland wird das ungeborene Leben über §§ 218ff Strafgesetzbuch geschützt, also ein geschriebenes Gesetz, in dem sich die wechselnden Moralvorstellungen einer Gesellschaft wiederspiegeln. Der Weg dahin war lang und schwierig und ein wichtiger Kampf auch in der Emanzipation zu der Kampagnen der Frauen gehörten, die sagten, mein Bauch gehört mir.
Das ist richtig und es ist nicht einzusehen, warum Frau ihre Freiheit und Selbstbestimmung verlieren soll, nur weil sich eine befruchtete Eizelle aus welchen Gründen auch immer, meist Sex, manchmal auch anders, in ihr eingenistet hat.
Warum sollte eine Frau ihre Freiheit und ihr Leben ihrer gesellschaftlichen Funktion unterordnen?
Was ist die Ordnung der Natur hierbei und wie finden wir es richtig?
Nach der Natur wird eine Frau, wenn sie an ihren fruchtbaren Tagen mit einem fruchtbaren Mann Sex hat unter bestimmten Bedingungen schwanger und dann geht es seinen natürlichen Verlauf bis zur Geburt. Ob ein Spermium die Eizelle erreicht, ist nicht vom Willen der Beteiligten dabei abhängig sondern folgt den Gesetzen der Natur. Irgendwann merkt Frau, dass sie schwanger ist und passt ihr Verhalten daran an. Was da natürlich ist oder nicht zu sagen, schiene mir anmaßend.
Es kann wohl genauso natürlich sein, sich darüber zu freuen, wie sich davor zu fürchten oder das Ergebnis zu verfluchen je nach Stimmung, die in diesem Zustand auch noch vielen ebenfall nicht willensgesteuerten hormonellen Einflüssen unterliegt. Ob Gedanken und Wille der Frau Einfluss auf das in ihr wachsende Leben hat, ist unklar. Die meisten Frauen glauben es, die Wissenschaft weiß nichts genaues. So wenig wie, welche Beschallung pränatal besser tut.
Liebe tut jedem Menschen gut. Sie auch dann zu leben und sich auf das wachsende Leben zu freuen, tut allen daran Beteiligten gut, kann ich aus Erfahrung sagen, es ist dann einfach eine wunderschöne Zeit. Aber Kinder können genauso gut und wunderbar werden, wenn die Mutter allein ist oder die Eltern sich ständig streiten und es kann auch alles ganz anders sein. Was gut tut, ist gut und darum sollten wir es am besten so tun, um jeden Tag zu genießen, als sei es der Letzte. Mehr ist dabei trotz vieler Theorien, die immer wieder die neuesten Erkenntnisse unter das verwirrte Volk streuen, nicht gewiss.
Frau verliert mit jedem Monat Schwangerschaft ein Stück von ihrer Freiheit und hat ab jetzt eine wohl lebenslange Verantwortung nach der Natur. Diese kann sie in der Gesellschaft durch Freigabe zur Adoption oder Abtreibung umgehen, aber sie muss etwas tun, will sie ihr Leben und ihre Freiheit verteidigen, denn die Natur benutzt sie einfach als Gebärmaschine, ob sie will oder nicht. Dann wächst neben dem Bauch auch der Busen, ob es sie freut oder nicht. Da Frau aber auch noch einen Willen hat und ein freies Wesen der Natur nach bleibt, stellt sich die Frage, wessen Recht dabei überwiegt, wenn es zum Konflikt kommt.
Habe lange Zeit die Position eingenommen, dass ich als Mann darüber nicht entscheiden kann und muss, weil es mich nie betrifft und damit Frau die Entscheidung frei überlassen, dem Geist der “Mein Bauch gehört mir”-Kampagne folgend, die Alice Schwarzer damals anstieß.
Sehe ich immer noch ähnlich, mir ist nur aufgefallen, dass es feige ist, sich vor dieser Verantwortung zu drücken und damit vor allem dem werdenden Leben jeden Schutz zugunsten der Freiheit der Frau abzusprechen.
Nach der beschränkten Fristenregelung, wie sie derzeit in Deutschland gilt, dürfen Frauen nach einer Beratung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt abtreiben. Erscheint mir relativ vernünftig und gerecht und berücksichtigt das Kindeswohl wie auch unterschiedliche Moralvorstellungen. Anderes gilt bei einer Behinderung oder bei der Gefahr für Leib und Leben der Mutter, dann dürfen Kinder auch noch bis zu einen Tag vor der Geburt abgetrieben werden.
Nach Einsetzung der Eröffnungswehen aber begeht wer das, was zur Welt kommt, tötet ein Tötungsdelikt und wird entsprechend bestraft, weil wir sagen, der Staat müsse jedes Leben schützen. Bedenke ich, dass meine wunderbare Tochter rund 3 Wochen zu früh kam, hätte dies großartige Wesen unter bestimmten Bedingungen noch bis zum Tag des Termins abgetrieben werden können, was mir unvorstellbar erscheint.
Weiß nicht, ob wir nach der Natur Grenzen ziehen können, ab wann die sich ständig teilenden Zellen ein menschliches Wesen sind. Gilt der Zeitpunkt ab dem ein Kind allein im Brutkasten überleben kann oder ist das Zufall, weil wir bald vermutlich nicht nur die Zeugung im Reagenzglas bewältigen können sondern auch praktischerweise die ganze Schwangerschaft, frage ich mich und habe keine klare Antwort.
Begeht wer einem Brutkasten, in dem befruchtete Eizellen in der 3. Woche liegen, den Strom abdreht einen Mord oder doch nur eine Sachbeschädigung?
Was ist mit dem Einbrecher in die Samenbank, der die Sicherung rausdreht?
Alle Natur ist sterblich und es ist die Freiheit des Menschen über den eigenen Tod entscheiden zu können. An diesem Grundsatz meines Denkens ändert sich auch bei der Frage nach dem Recht der Natur für das ungeborene Leben nichts, was einer der schwierigsten Punkte ist, auf der Suche nach einem guten Urteil.
Warum soll das werdende Leben weniger wert sein, als dass der Mutter, wenn die Natur beide verbunden hat?
Kann diese Frage so nicht beantworten und finde sie, ehrlich gesagt, auch irreführend. Da Mutter und Kind natürlich verknüpft sind und ich der Mutter auch nicht ihre Freiheit absprechen würde, sich selbst zu töten, selbst wenn sie schwanger ist, folgt für mich daraus, ihr auch eine besondere Rolle in dieser natürlichen Beziehung zu geben und damit die Befugnis darüber zu entscheiden, was sie für richtig hält, weil ihre Freiheit schon vorher war und die negativen sozialen Folgen, wenn ich ihr diese Freiheit nehmen würde, überwiegen, entscheide ich mich dafür, der Mutter als Wesen hier mehr Wert zu geben.
Aber das ist reine Willkür, durch nichts in der Natur begründbar, sondern eine menschliche, moralische Entscheidung, die um nichts logischer ist, als die des vorletzten Papstes die Abtreibung aus Gründen des Lebensschutzes völlig zu verdammen. Es gibt soziale Gründe die Abtreibung zu erlauben, weil ihr Verbot immer zu Lasten der Freiheit der Frauen geht. Sie ändern aber logisch nichts daran, dass ich über Leben entscheide und diese Entscheidung so treffe, als sei das schutzbedürftige werdende Leben noch keines.
Es ist nicht aus der Natur oder sonst logisch erklärbar, warum ein Leben mehr wert hat als ein anderes und ein bloßes Freiheitsrecht ein Existenzrecht überwiegen soll. Sage ich, wie es die Natur tut, Leben entsteht mit der Vereinigung von Ei und Samenzelle, wäre es ab diesem Zeitpunkt vom Staat zu schützen wie jedes andere Leben. Ärzte die abtrieben, wären dann Mörder und Frauen, die es machen ließen, zumindest Anstifter dazu. Vermutlich aufgrund der natürlichen Nähe auch Täterinnen des späteren Mordes.
Das hätte aber zur Folge, dass ich auch den versuchten Freitod einer Mutter als Tötungsdelikt am ungeborenen Leben bestrafen müsste, mit den erwartbar absurden Ergebnissen auf dem Rücken der Frauen. Die sozialen Gründe sind es, die den sonst kategorischen Lebensschutz aufweichen. Logisch sind diese nicht, außer ich definiere Leben erst als solches ab dem Zeitpunkt des Einsetzens der Eröffnungswehen.
Dieser Willkür würde jede werdende Mutter widersprechen, die doch schon vorher spürt, wie es sich bewegt und etwas in ihr verändert. Da lebt etwas und warum ziehen wir eine willkürliche Grenze, ab wann wir es schützen?
Sollten wir eine solche auch am Ende ziehen. Etwa, egal wie gesund oder krank, ab 95 wird eingeschläfert?
Habe keine einfache Antworten auf diese Fragen und will sie auch nicht geben. Damit wir zusammenleben können, schließen wir Kompromisse, die mehr oder weniger gut sind und die Ordnung einigermaßen aufrecht halten und es kann sich die Sichtweise darauf ändern und damit auch die Definition dessen was lebenswertes Leben ist. Dies letzte Wort ist schon wieder hochumstritten, weil im sogenannten Dritten Reich lebensunwertes Leben vernichtet wurde, was nach Definition der Nazis Behinderte, Juden, Zigeuner und andere Gegner ihres vermeintlich gesunden Volkskörpers sein konnten.
Widerlich denken wir heute und wie gut, dass sich auch damals mutige Menschen wie Graf Galen dagegen auflehnten, auch wenn sie nur wenige retten konnten. Doch der Maßstab der Willkür über das Leben ist immer ein relativer. Sobald wir eine gestatten, wird es schwer einer anderen jede logische Berechtigung abzusprechen. Auch die Formel nach der wir die Täter des nationalsozialistischen Unrechts verurteilten, ist eine ähnlich unlogische Krücke wie die welche die Abtreibung legitimiert. Diese sogenannte Radbruch’sche Formel nach dem großen Heidelberger Juristen Gustav Radbruch an dessen Schreibtisch ich einige Jahre die Ehre hatte arbeiten zu dürfen, ohne dabei innerlich tiefer in die Jurispudenz einzudringen, wurde auch für die Mauerschützen wieder aus der Schublade gekramt und ist nichts als der Versuch die Siegerjustiz vom Vorwurf der Willkür freizusprechen und den Eindruck zu geben, es ginge alles mit Recht und Ordnung zu. Die Radbruch’sche Formel bezieht sich auf die Gerechtigkeit, die über dem Recht gelte, sofern der Richter erkennen müsse, dass das eigentlich geltende Gesetz zu einer unteräglichen Ungerechtigkeit führe.
Damit wird die Natur und ein erdachtes Naturrecht der Gerechtigkeit ins Strafrecht geholt, um die Verbrecher des NS-Regimes und ihre Schergen, die gesetzmäßig meist handelten, bestrafen zu können oder die Mauerschützen an der innerdeutschen Grenze, die auch legitim handelten. Eigentlich gilt aber im Rechtsstaat im Strafrecht immer der nulla poena Grundsatz, der besagt, keine Strafe ohne zum Zeitpunkt der Tat geschriebenes Gesetz. Seine Umgehung öffnete der Willkür Tür und Tor, da dann beliebig Taten im nachhinein als strafbar erklärt werden könnten, auch ohne, dass die Täter zu diesem Zeitpunkt etwas davon wissen mussten. Wer ihn einfach aushebelt braucht gute Gründe und ob die Bestrafung von unmoralisch handelnden Menschen ein Grund ist, bleibt fraglich.
Nach der Radbruch’schen Formel könnten wir irgendwann auch alle Abtreibungen als Mord bestrafen, der bekanntlich nicht verjährt, wenn wir zu der moralischen Ansicht kämen, Leben sei zu jedem Zeitpunkt schutzbedürftig und gerade vor der Geburt. Würde für gerecht gehalten, weil es der aktuellen Moral entspräche, den Schutz des Lebens ab der Zeugung beginnen zu lassen, drohte jeder Frau, die eine Abtreibung in ihrem Leben beging eine Anklage wegen Mord und potentiell lebenslange Freiheitsstrafe.
Scheint uns glücklicherweise heute absurd, ist aber nicht fern von der logischen Begründung der Verurteilung der NS-Täter oder der Mauerschützen, die ich schon immer eher willkürlich fand und wo das Überwiegen rechtsstaatlicher Prinzipien besser gewesen wäre, nach denen eben nur zu bestrafen ist, wer auch in dem Bewusstsein handelte, etwas rechtswidriges zu tun, beziehungsweise, dies überhaupt nicht tat, wenn sein Handeln zu diesem Zeitpunkt gewollt und legitim war.
Gerne wird die Anwendung dieser höheren Gerechtigkeit nach der Formel Radbruchs auch als eine Form des Naturrechts neben dem staatlichen Recht gesehen, damit eben die höhere Gerechtigkeit wiederhergestellt werden könnte, die wichtiger hier sei als die Geltung rechtsstaatlicher Prinzipien. Doch scheint mir diese Krücke mehr als fragwürdig, da es im Rechtsstaat nicht um Gerechtigkeit geht sondern die Einhaltung formaler Prinzipien, die als solche gerecht sind und die abstrakte oder natürliche Gerechtigkeit immer nur von den zufällig geltenden Grundsätzen aktueller Moral abhinge, welche noch schwammiger gleich ist.
Das Beispiel der Abtreibung erläutert es ein wenig und erklärt, warum ich in dieser Einleitung, in der es doch um Natur und Recht gehen sollte, so lange darüber schreibe. Würde hier eine Partei mit Mehrheit regieren, die den Schutz des Lebens mit der Zeugung beginnen ließe und die Abtreibung für Mord erklärte, was gar nicht so abstrus ist, bedenken wir die Argumente der Gegner aus Rom oder den USA, könnten alle Frauen, die einmal eine Abtreibung begingen nach der Radbruch’schen Formel als Mörderinnen verurteilt und dann entsprechend bestraft werden.
Der Staat nahm für diese Formel, mit der versucht wurde das NS-Unrecht rechtlich aufzuarbeiten und in die strengen Formen des Rechtsstaates einzupassen, ein sogenanntes Naturrecht zu Hilfe, dass es in der Natur nicht gibt und das auf einer Moral basiert, die sagen sollte, was gerecht und ungerecht sei, ohne dafür auf Gesetze zurückgreifen zu müssen.
Ob es so etwas gibt und wir bei dem Gerechtigkeitsempfinden aller billig und gerecht Denkenden, wie es normal angewendet wird von deutschen Richtern, nicht ganz nah wieder an der Nazi-Formel vom gesunden Volksempfinden sind, sollte sich jeder frage, der darüber schwadroniert, dass er von Gerechtigkeit träumte und nur den Rechtsstaat erhielt.
Es geht im Recht nicht um Gefühl sondern um formelle Normen und wenn nach denen keine Bestrafung möglich ist, gibt es eben keine und dann ist es besser nicht den Rechtsstaat zu beugen, statt ungerecht zu verurteilen. Sonst drohen, falls sich die Moral zufällig ändert vielen Frauen Mordprozesse und sie würden wieder zu Opfern gesellschaftlicher Willkür.
Von Natur hat all dies nichts, auch nicht das Gerechtigkeitsempfinden, was meist nur das Produkt des sozialen Kontextes einer Gesellschaft ist und nichts absolutes. Wer die Tagebücher von Georg Forster auf der Cook-Expedition liest, in denen er beschreibt, wie sich die Inselbewohner erstmals betretener Inseln völlig über Eigentum hinwegsetzten und sich nahmen, was ihnen gefiel oder auch die relative Wandlung unserer Moral gegenüber der Todesstrafe und anderem wie etwa Homosexualität, merkt wie willkürlich auch alle sogenannte Gerechtigkeit ist.
Es gibt in der Natur kein Recht, sondern nur kausale Ergebnisse von Handlungen. Die Natur ist nicht gerecht oder ungerecht, sie ist. Alle Kompromisse die wir Recht nennen sind relativ und von den gerade herrschenden Umständen abhängig. Der Rechtsstaat, der erst die Demokratie und die Freiheit in großen Gemeinschaften wie der unsrigen ermöglicht, braucht klare Prinzipien als Grenzen. Dazu gehört der nulla poena Grundsatz. Ihn sollte keine Moral brechen dürfen, weil die damit zugelassene Willkür, dem Staat die Legitimation zur gerechtfertigten Strafe raubt.
Klingt furchtbar juristisch, ich weiß, lässt sich bei dem Thema leider nicht völlig vermeiden, ist aber sehr wichtig, um zu verstehen, wie ein Staat funktioniert und wer wen warum bestrafen darf, was Freiheit heißt, wo Recht beginnt und Unrecht aufhört, was es zur Erhaltung der Ordnung beiträgt.
Ordnung kann sehr viel sein, von der kleinen Zuhause bis zur großen im Staat oder der auf der Straße, wer Vorfahrt hat und warum. Wenn viele Menschen zusammenleben, braucht es eine gewisse Ordnung, damit es funktioniert. Würden die einen links und die anderen rechts fahren, würde der Straßenverkehr sehr unübersichtlich. Wenn alles in Ordnung ist, fühlen wir uns wohl, während die Unordnung mit etwas wichtigem für Unruhe sorgt.
Wie weit das in unserer Natur liegt und ob es dazu Recht braucht, will ich in den folgenden Essays weiter fragen. Dabei gehe ich wie immer vom kategorischen Imperativ als moralischem Handlungsmaßstab aus, nach dem wir jedes Recht an unserem Gewissen messen müssen. Versuche die absolute Ordnung ein wenig infrage zu stellen, um herauszufinden, was wirklich gelten muss, was unsere Natur ist, wie sich Moral begründet, bedenke die Gefahren der Unordnung und die Chancen der Freiheit.
Logisch stellt für einen, der mal die Rechte wenn auch relativ erfolglos studierte, die Frage nach Recht und Ordnung und ihrer eventuellen Entbehrlichkeit den Kern philosophischer Überlegungen dar, weil es die Frage ist, um die alles kreist, was unser zusammenleben ordnet und die Frage danach stellt, wie es sein sollte, wenn die Welt so wäre, wie sie uns gefällt - mit mehr Ordnung oder freierer Unordnung, alles rechtens oder lieber Gnade vor Recht ergehen lassen, damit sich Unrecht vielleicht weniger lohnt.
jens tuengerthal 7.1.2017
Die Deutschen haben es gern ordentlich, besonders im Vorgarten, sagt das Vorurteil und am schlimmsten ist, wenn der Nachbar unordentlich ist. Ist es recht so, wird gefragt, wenn wir wissen wollen, ob alles in Ordnung ist. In der Regel, schon wieder so ein an Normen orientiertes Wort, wird diese Frage bejaht, außer es ist etwas besonderes und so ist sie meist nur eine Floskel.
Sind Fragen der Ordnung meist Floskeln oder grundlegend?
Ordnung ist das halbe Leben, ist auch so eine deutsche Weisheit, die zum angepasst ordentlichen Leben anleiten soll und diese gab es früher von Hausfrauen auf Tücher gestickt als Bilder in der guten Stube, werden heute eher ironisch nur noch zitiert. Doch haben sie, wie viele Volksweisheiten einen wahren Kern, warum die Frage nahe liegt, was denn die andere Hälfte dann sein soll.
Ist Chaos oder Unordnung die andere Hälfte und was unterscheidet die beiden?
Schaue ich in die friedliche Natur auf einer Waldwiese etwa, vielleicht auch unter einer deutschen Eiche ruhend, scheint mir die Welt in Ordnung. Betrachtete ich, was ich dort sehe en Detail, merke ich, wie unordentlich die scheinbar friedliche Natur eigentlich ist und gehe ich noch weiter, unters Mikroskop kann ich wiederum erkennen, welch genaue Ordnung auch in der Natur immer herrscht, sehe ich vom subatomaren Chaos der Zufälligkeiten im Welle-Teilchen-Dualismus auf der Wiese einfach mal ab.
Aber herrscht die Ordnung wirklich oder ist sie nur ein Zustand ohne Herrschaft?
Herrschaft ist immer die Ausübung von Macht. Nach Max Weber ist Herrschaft die Chance für einen bestimmbaren Befehl bei einer angebbaren Gruppe Gehorsam zu finden. Die Herrschaft setzt dabei nach Weber im Gegensatz zur nur Macht Legitimität voraus, die erst durch die Akzeptanz der Herrschaft durch die Beherrschten gesichert wird.
Wenn einer befiehlt und andere ihm folgen, ist es also Herrschaft. Davon kann in der Natur aber keine Rede sein, weil ihr Funktionieren natürlich ist und nicht abhängig von Herrschaftsverhältnissen, die wir Menschen uns dazu konstruieren. Auch in der Natur gibt es aber eine Über- und Unterordnung, ob im Rudel, in der Kolonie etwa der Ameisen oder sogar unter den Pflanzen, die mit ihren Wirten und Bewohnern korrespondieren.
Die Natur folgt ihrer eigenen Ordnung, eben den natürlichen Gegebenheiten und den dafür geltenden natürlichen Gesetzen. Doch schon das Wort Gesetz, was ein von Menschen erlassener Rechtsakt ist, passt nicht zur Natur eigentlich. Es beschreibt nur die von uns beobachteten Regelmäßigkeiten im Ablauf, die der jeweiligen Natur entsprechen.
Gibt es also Naturgesetze überhaupt, wie das ein Apfel vom Baum nach unten fällt und nicht nach oben, weil die Erdanziehung stärker ist?
Wenn ich die Natur beobachte, stelle ich fest, es passieren unter bestimmten Bedingungen immer die gleichen Sachen. Pflanzen blühen, reifen und vergehen wieder, ob durch Abwurf des Laubes oder den eben Tod nach einem Sommer bei den einjährigen Pflanzen. Es scheint bestimmte Dinge folgen einfach einer natürlichen Ordnung.
Ob diese einen höheren Grund hat, wie etwa eine erdachte Schöpfung, von der das Märchenbuch Bibel erzählt, ist dabei völlig irrelevant. Egal, was ich glaube oder nicht, die Schwerkraft gilt für den Atheisten wie für den Gläubigen in gleicher Weise. Die Naturgesetze gelten, weil sie der Natur folgen, aus ihrer Beobachtung erkannt und nicht erlassen oder gewillkürt wurden wie etwa die 10 Gebote. Sie beschreiben nur, was ist, statt festzulegen, was sein sollte, wie es die biblischen Gebote manchmal wider die Natur tun - keine anderen Götter haben, keinen Menschen töten, treu sein, auch gegen natürliche Bedürfnisse und vieles mehr, wie die Achtung der Eigentumsordnung, als sei die Inbesitznahme von etwas und die im deutschen Recht davon getrennte Eigentumserklärung ein Teil der Natur.
Braucht es mehr als die Natur ist, damit alles in Ordnung ist und die Menschen gut miteinander leben können?
Nach der Natur ist alles Leben sterblich. Existiert von der Geburt bis zum Tod als Wesen und ist schon vor der Geburt existent, kann aber nicht natürlich alleine existieren. Wann wir von einem Menschen sprechen, ist strittig und wird viel diskutiert.
Manche meinen, das Leben beginne in dem Moment, in dem sich die befruchtete Eizelle in der Gebärmutter einnistet oder überhaupt befruchtet wird. Häufig sind dies Menschen, die über die Natur hinaus von einem höheren Grund des Seins ausgehen und auch darum das Sein besonders schützen wollen.
Da Lebewesen in der Mutter heranwachsen, beschränkt eine solche befruchtete Eizelle die Freiheit der werdenden Mutter und kann auch ihr Leben gefährden. Das ist eben der Lauf der Natur, fraglich nur, inwieweit wir in sie eingreifen dürfen, auch um das Leben oder die Freiheit der Mutter zu schützen.
In der Natur gilt natürlich das Recht des Stärkeren und wer sich durchsetzt, überlebt. In unserer Gesellschaft ist das wesentlich komplizierter, weil so viele Dinge im einzelnen zu berücksichtigen sind. So fragen wir etwa, welches Leben mehr wert hat und wer über welches entscheiden darf, ob wir das ungeborene Leben schützen müssen, weil es sich nicht wehren kann, aber doch schon fast ganz Mensch ist.
In Deutschland wird das ungeborene Leben über §§ 218ff Strafgesetzbuch geschützt, also ein geschriebenes Gesetz, in dem sich die wechselnden Moralvorstellungen einer Gesellschaft wiederspiegeln. Der Weg dahin war lang und schwierig und ein wichtiger Kampf auch in der Emanzipation zu der Kampagnen der Frauen gehörten, die sagten, mein Bauch gehört mir.
Das ist richtig und es ist nicht einzusehen, warum Frau ihre Freiheit und Selbstbestimmung verlieren soll, nur weil sich eine befruchtete Eizelle aus welchen Gründen auch immer, meist Sex, manchmal auch anders, in ihr eingenistet hat.
Warum sollte eine Frau ihre Freiheit und ihr Leben ihrer gesellschaftlichen Funktion unterordnen?
Was ist die Ordnung der Natur hierbei und wie finden wir es richtig?
Nach der Natur wird eine Frau, wenn sie an ihren fruchtbaren Tagen mit einem fruchtbaren Mann Sex hat unter bestimmten Bedingungen schwanger und dann geht es seinen natürlichen Verlauf bis zur Geburt. Ob ein Spermium die Eizelle erreicht, ist nicht vom Willen der Beteiligten dabei abhängig sondern folgt den Gesetzen der Natur. Irgendwann merkt Frau, dass sie schwanger ist und passt ihr Verhalten daran an. Was da natürlich ist oder nicht zu sagen, schiene mir anmaßend.
Es kann wohl genauso natürlich sein, sich darüber zu freuen, wie sich davor zu fürchten oder das Ergebnis zu verfluchen je nach Stimmung, die in diesem Zustand auch noch vielen ebenfall nicht willensgesteuerten hormonellen Einflüssen unterliegt. Ob Gedanken und Wille der Frau Einfluss auf das in ihr wachsende Leben hat, ist unklar. Die meisten Frauen glauben es, die Wissenschaft weiß nichts genaues. So wenig wie, welche Beschallung pränatal besser tut.
Liebe tut jedem Menschen gut. Sie auch dann zu leben und sich auf das wachsende Leben zu freuen, tut allen daran Beteiligten gut, kann ich aus Erfahrung sagen, es ist dann einfach eine wunderschöne Zeit. Aber Kinder können genauso gut und wunderbar werden, wenn die Mutter allein ist oder die Eltern sich ständig streiten und es kann auch alles ganz anders sein. Was gut tut, ist gut und darum sollten wir es am besten so tun, um jeden Tag zu genießen, als sei es der Letzte. Mehr ist dabei trotz vieler Theorien, die immer wieder die neuesten Erkenntnisse unter das verwirrte Volk streuen, nicht gewiss.
Frau verliert mit jedem Monat Schwangerschaft ein Stück von ihrer Freiheit und hat ab jetzt eine wohl lebenslange Verantwortung nach der Natur. Diese kann sie in der Gesellschaft durch Freigabe zur Adoption oder Abtreibung umgehen, aber sie muss etwas tun, will sie ihr Leben und ihre Freiheit verteidigen, denn die Natur benutzt sie einfach als Gebärmaschine, ob sie will oder nicht. Dann wächst neben dem Bauch auch der Busen, ob es sie freut oder nicht. Da Frau aber auch noch einen Willen hat und ein freies Wesen der Natur nach bleibt, stellt sich die Frage, wessen Recht dabei überwiegt, wenn es zum Konflikt kommt.
Habe lange Zeit die Position eingenommen, dass ich als Mann darüber nicht entscheiden kann und muss, weil es mich nie betrifft und damit Frau die Entscheidung frei überlassen, dem Geist der “Mein Bauch gehört mir”-Kampagne folgend, die Alice Schwarzer damals anstieß.
Sehe ich immer noch ähnlich, mir ist nur aufgefallen, dass es feige ist, sich vor dieser Verantwortung zu drücken und damit vor allem dem werdenden Leben jeden Schutz zugunsten der Freiheit der Frau abzusprechen.
Nach der beschränkten Fristenregelung, wie sie derzeit in Deutschland gilt, dürfen Frauen nach einer Beratung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt abtreiben. Erscheint mir relativ vernünftig und gerecht und berücksichtigt das Kindeswohl wie auch unterschiedliche Moralvorstellungen. Anderes gilt bei einer Behinderung oder bei der Gefahr für Leib und Leben der Mutter, dann dürfen Kinder auch noch bis zu einen Tag vor der Geburt abgetrieben werden.
Nach Einsetzung der Eröffnungswehen aber begeht wer das, was zur Welt kommt, tötet ein Tötungsdelikt und wird entsprechend bestraft, weil wir sagen, der Staat müsse jedes Leben schützen. Bedenke ich, dass meine wunderbare Tochter rund 3 Wochen zu früh kam, hätte dies großartige Wesen unter bestimmten Bedingungen noch bis zum Tag des Termins abgetrieben werden können, was mir unvorstellbar erscheint.
Weiß nicht, ob wir nach der Natur Grenzen ziehen können, ab wann die sich ständig teilenden Zellen ein menschliches Wesen sind. Gilt der Zeitpunkt ab dem ein Kind allein im Brutkasten überleben kann oder ist das Zufall, weil wir bald vermutlich nicht nur die Zeugung im Reagenzglas bewältigen können sondern auch praktischerweise die ganze Schwangerschaft, frage ich mich und habe keine klare Antwort.
Begeht wer einem Brutkasten, in dem befruchtete Eizellen in der 3. Woche liegen, den Strom abdreht einen Mord oder doch nur eine Sachbeschädigung?
Was ist mit dem Einbrecher in die Samenbank, der die Sicherung rausdreht?
Alle Natur ist sterblich und es ist die Freiheit des Menschen über den eigenen Tod entscheiden zu können. An diesem Grundsatz meines Denkens ändert sich auch bei der Frage nach dem Recht der Natur für das ungeborene Leben nichts, was einer der schwierigsten Punkte ist, auf der Suche nach einem guten Urteil.
Warum soll das werdende Leben weniger wert sein, als dass der Mutter, wenn die Natur beide verbunden hat?
Kann diese Frage so nicht beantworten und finde sie, ehrlich gesagt, auch irreführend. Da Mutter und Kind natürlich verknüpft sind und ich der Mutter auch nicht ihre Freiheit absprechen würde, sich selbst zu töten, selbst wenn sie schwanger ist, folgt für mich daraus, ihr auch eine besondere Rolle in dieser natürlichen Beziehung zu geben und damit die Befugnis darüber zu entscheiden, was sie für richtig hält, weil ihre Freiheit schon vorher war und die negativen sozialen Folgen, wenn ich ihr diese Freiheit nehmen würde, überwiegen, entscheide ich mich dafür, der Mutter als Wesen hier mehr Wert zu geben.
Aber das ist reine Willkür, durch nichts in der Natur begründbar, sondern eine menschliche, moralische Entscheidung, die um nichts logischer ist, als die des vorletzten Papstes die Abtreibung aus Gründen des Lebensschutzes völlig zu verdammen. Es gibt soziale Gründe die Abtreibung zu erlauben, weil ihr Verbot immer zu Lasten der Freiheit der Frauen geht. Sie ändern aber logisch nichts daran, dass ich über Leben entscheide und diese Entscheidung so treffe, als sei das schutzbedürftige werdende Leben noch keines.
Es ist nicht aus der Natur oder sonst logisch erklärbar, warum ein Leben mehr wert hat als ein anderes und ein bloßes Freiheitsrecht ein Existenzrecht überwiegen soll. Sage ich, wie es die Natur tut, Leben entsteht mit der Vereinigung von Ei und Samenzelle, wäre es ab diesem Zeitpunkt vom Staat zu schützen wie jedes andere Leben. Ärzte die abtrieben, wären dann Mörder und Frauen, die es machen ließen, zumindest Anstifter dazu. Vermutlich aufgrund der natürlichen Nähe auch Täterinnen des späteren Mordes.
Das hätte aber zur Folge, dass ich auch den versuchten Freitod einer Mutter als Tötungsdelikt am ungeborenen Leben bestrafen müsste, mit den erwartbar absurden Ergebnissen auf dem Rücken der Frauen. Die sozialen Gründe sind es, die den sonst kategorischen Lebensschutz aufweichen. Logisch sind diese nicht, außer ich definiere Leben erst als solches ab dem Zeitpunkt des Einsetzens der Eröffnungswehen.
Dieser Willkür würde jede werdende Mutter widersprechen, die doch schon vorher spürt, wie es sich bewegt und etwas in ihr verändert. Da lebt etwas und warum ziehen wir eine willkürliche Grenze, ab wann wir es schützen?
Sollten wir eine solche auch am Ende ziehen. Etwa, egal wie gesund oder krank, ab 95 wird eingeschläfert?
Habe keine einfache Antworten auf diese Fragen und will sie auch nicht geben. Damit wir zusammenleben können, schließen wir Kompromisse, die mehr oder weniger gut sind und die Ordnung einigermaßen aufrecht halten und es kann sich die Sichtweise darauf ändern und damit auch die Definition dessen was lebenswertes Leben ist. Dies letzte Wort ist schon wieder hochumstritten, weil im sogenannten Dritten Reich lebensunwertes Leben vernichtet wurde, was nach Definition der Nazis Behinderte, Juden, Zigeuner und andere Gegner ihres vermeintlich gesunden Volkskörpers sein konnten.
Widerlich denken wir heute und wie gut, dass sich auch damals mutige Menschen wie Graf Galen dagegen auflehnten, auch wenn sie nur wenige retten konnten. Doch der Maßstab der Willkür über das Leben ist immer ein relativer. Sobald wir eine gestatten, wird es schwer einer anderen jede logische Berechtigung abzusprechen. Auch die Formel nach der wir die Täter des nationalsozialistischen Unrechts verurteilten, ist eine ähnlich unlogische Krücke wie die welche die Abtreibung legitimiert. Diese sogenannte Radbruch’sche Formel nach dem großen Heidelberger Juristen Gustav Radbruch an dessen Schreibtisch ich einige Jahre die Ehre hatte arbeiten zu dürfen, ohne dabei innerlich tiefer in die Jurispudenz einzudringen, wurde auch für die Mauerschützen wieder aus der Schublade gekramt und ist nichts als der Versuch die Siegerjustiz vom Vorwurf der Willkür freizusprechen und den Eindruck zu geben, es ginge alles mit Recht und Ordnung zu. Die Radbruch’sche Formel bezieht sich auf die Gerechtigkeit, die über dem Recht gelte, sofern der Richter erkennen müsse, dass das eigentlich geltende Gesetz zu einer unteräglichen Ungerechtigkeit führe.
Damit wird die Natur und ein erdachtes Naturrecht der Gerechtigkeit ins Strafrecht geholt, um die Verbrecher des NS-Regimes und ihre Schergen, die gesetzmäßig meist handelten, bestrafen zu können oder die Mauerschützen an der innerdeutschen Grenze, die auch legitim handelten. Eigentlich gilt aber im Rechtsstaat im Strafrecht immer der nulla poena Grundsatz, der besagt, keine Strafe ohne zum Zeitpunkt der Tat geschriebenes Gesetz. Seine Umgehung öffnete der Willkür Tür und Tor, da dann beliebig Taten im nachhinein als strafbar erklärt werden könnten, auch ohne, dass die Täter zu diesem Zeitpunkt etwas davon wissen mussten. Wer ihn einfach aushebelt braucht gute Gründe und ob die Bestrafung von unmoralisch handelnden Menschen ein Grund ist, bleibt fraglich.
Nach der Radbruch’schen Formel könnten wir irgendwann auch alle Abtreibungen als Mord bestrafen, der bekanntlich nicht verjährt, wenn wir zu der moralischen Ansicht kämen, Leben sei zu jedem Zeitpunkt schutzbedürftig und gerade vor der Geburt. Würde für gerecht gehalten, weil es der aktuellen Moral entspräche, den Schutz des Lebens ab der Zeugung beginnen zu lassen, drohte jeder Frau, die eine Abtreibung in ihrem Leben beging eine Anklage wegen Mord und potentiell lebenslange Freiheitsstrafe.
Scheint uns glücklicherweise heute absurd, ist aber nicht fern von der logischen Begründung der Verurteilung der NS-Täter oder der Mauerschützen, die ich schon immer eher willkürlich fand und wo das Überwiegen rechtsstaatlicher Prinzipien besser gewesen wäre, nach denen eben nur zu bestrafen ist, wer auch in dem Bewusstsein handelte, etwas rechtswidriges zu tun, beziehungsweise, dies überhaupt nicht tat, wenn sein Handeln zu diesem Zeitpunkt gewollt und legitim war.
Gerne wird die Anwendung dieser höheren Gerechtigkeit nach der Formel Radbruchs auch als eine Form des Naturrechts neben dem staatlichen Recht gesehen, damit eben die höhere Gerechtigkeit wiederhergestellt werden könnte, die wichtiger hier sei als die Geltung rechtsstaatlicher Prinzipien. Doch scheint mir diese Krücke mehr als fragwürdig, da es im Rechtsstaat nicht um Gerechtigkeit geht sondern die Einhaltung formaler Prinzipien, die als solche gerecht sind und die abstrakte oder natürliche Gerechtigkeit immer nur von den zufällig geltenden Grundsätzen aktueller Moral abhinge, welche noch schwammiger gleich ist.
Das Beispiel der Abtreibung erläutert es ein wenig und erklärt, warum ich in dieser Einleitung, in der es doch um Natur und Recht gehen sollte, so lange darüber schreibe. Würde hier eine Partei mit Mehrheit regieren, die den Schutz des Lebens mit der Zeugung beginnen ließe und die Abtreibung für Mord erklärte, was gar nicht so abstrus ist, bedenken wir die Argumente der Gegner aus Rom oder den USA, könnten alle Frauen, die einmal eine Abtreibung begingen nach der Radbruch’schen Formel als Mörderinnen verurteilt und dann entsprechend bestraft werden.
Der Staat nahm für diese Formel, mit der versucht wurde das NS-Unrecht rechtlich aufzuarbeiten und in die strengen Formen des Rechtsstaates einzupassen, ein sogenanntes Naturrecht zu Hilfe, dass es in der Natur nicht gibt und das auf einer Moral basiert, die sagen sollte, was gerecht und ungerecht sei, ohne dafür auf Gesetze zurückgreifen zu müssen.
Ob es so etwas gibt und wir bei dem Gerechtigkeitsempfinden aller billig und gerecht Denkenden, wie es normal angewendet wird von deutschen Richtern, nicht ganz nah wieder an der Nazi-Formel vom gesunden Volksempfinden sind, sollte sich jeder frage, der darüber schwadroniert, dass er von Gerechtigkeit träumte und nur den Rechtsstaat erhielt.
Es geht im Recht nicht um Gefühl sondern um formelle Normen und wenn nach denen keine Bestrafung möglich ist, gibt es eben keine und dann ist es besser nicht den Rechtsstaat zu beugen, statt ungerecht zu verurteilen. Sonst drohen, falls sich die Moral zufällig ändert vielen Frauen Mordprozesse und sie würden wieder zu Opfern gesellschaftlicher Willkür.
Von Natur hat all dies nichts, auch nicht das Gerechtigkeitsempfinden, was meist nur das Produkt des sozialen Kontextes einer Gesellschaft ist und nichts absolutes. Wer die Tagebücher von Georg Forster auf der Cook-Expedition liest, in denen er beschreibt, wie sich die Inselbewohner erstmals betretener Inseln völlig über Eigentum hinwegsetzten und sich nahmen, was ihnen gefiel oder auch die relative Wandlung unserer Moral gegenüber der Todesstrafe und anderem wie etwa Homosexualität, merkt wie willkürlich auch alle sogenannte Gerechtigkeit ist.
Es gibt in der Natur kein Recht, sondern nur kausale Ergebnisse von Handlungen. Die Natur ist nicht gerecht oder ungerecht, sie ist. Alle Kompromisse die wir Recht nennen sind relativ und von den gerade herrschenden Umständen abhängig. Der Rechtsstaat, der erst die Demokratie und die Freiheit in großen Gemeinschaften wie der unsrigen ermöglicht, braucht klare Prinzipien als Grenzen. Dazu gehört der nulla poena Grundsatz. Ihn sollte keine Moral brechen dürfen, weil die damit zugelassene Willkür, dem Staat die Legitimation zur gerechtfertigten Strafe raubt.
Klingt furchtbar juristisch, ich weiß, lässt sich bei dem Thema leider nicht völlig vermeiden, ist aber sehr wichtig, um zu verstehen, wie ein Staat funktioniert und wer wen warum bestrafen darf, was Freiheit heißt, wo Recht beginnt und Unrecht aufhört, was es zur Erhaltung der Ordnung beiträgt.
Ordnung kann sehr viel sein, von der kleinen Zuhause bis zur großen im Staat oder der auf der Straße, wer Vorfahrt hat und warum. Wenn viele Menschen zusammenleben, braucht es eine gewisse Ordnung, damit es funktioniert. Würden die einen links und die anderen rechts fahren, würde der Straßenverkehr sehr unübersichtlich. Wenn alles in Ordnung ist, fühlen wir uns wohl, während die Unordnung mit etwas wichtigem für Unruhe sorgt.
Wie weit das in unserer Natur liegt und ob es dazu Recht braucht, will ich in den folgenden Essays weiter fragen. Dabei gehe ich wie immer vom kategorischen Imperativ als moralischem Handlungsmaßstab aus, nach dem wir jedes Recht an unserem Gewissen messen müssen. Versuche die absolute Ordnung ein wenig infrage zu stellen, um herauszufinden, was wirklich gelten muss, was unsere Natur ist, wie sich Moral begründet, bedenke die Gefahren der Unordnung und die Chancen der Freiheit.
Logisch stellt für einen, der mal die Rechte wenn auch relativ erfolglos studierte, die Frage nach Recht und Ordnung und ihrer eventuellen Entbehrlichkeit den Kern philosophischer Überlegungen dar, weil es die Frage ist, um die alles kreist, was unser zusammenleben ordnet und die Frage danach stellt, wie es sein sollte, wenn die Welt so wäre, wie sie uns gefällt - mit mehr Ordnung oder freierer Unordnung, alles rechtens oder lieber Gnade vor Recht ergehen lassen, damit sich Unrecht vielleicht weniger lohnt.
jens tuengerthal 7.1.2017
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