Mittwoch, 4. Dezember 2024

Lektürentagebuch 4.12.24

Lektürentagebuch 4.12.24

Franz Hessel schreibt mit Liebe wie
Der gelassenen Erfahrung über die
Kunst spazieren zu gehen welche
Den Flaneur zu einem erst macht

Dies wie der Autor vorneweg noch
Ankündigt allein mit der Absicht
Seine Stirnfalten zu glätten was der 
Einzige Zweck seines Schreibens sei 

Auch wenn die kosmetische Industrie
Mit ihren so exklusiven wie völlig
Überflüssigen Produkten aufschreit 
Wirkt gute Literatur stets nachhaltiger

Nur bei der Beseitigung der dabei
Auftretenden Lachfältchen ist sie
Nicht sonderlich erfolgreich was aber
Angesichts der Weltlage verzeihlich scheint

Warum es in unserer Zeit zu einem
Zweckentbundenen Genuss werden
Sollte spazieren zu gehen weil es
Doch viel zweckmäßigere Formen

Der Fortbewegung für Eilige längst gibt
Wie etwa private und öffentliche
Benzinvulkane als Vehikel zum Ziel
Für den Sport Joggen wir lieber

Während das weder nützliche noch
Hygienische Spazieren dazu dient
Nach links und rechts zu schauen
Ohne einen Zweck zu verfolgen

Kein Shopping kein Wandern wie
Keinesfalls Walken denn ach wie
Lächerlich wäre der Flaneur der
Mit Stöcken die Welt durchstakste

So steckt im spazieren nach Hessel
Auch immer ein Sichgehenlassen was 
Kaum noch wer sich irgendwo traut
In Zeiten organisierter Fitness

So fällt der Spaziergänger quasi
Balancierend von einem Fuß auf
Den anderen im seligen Schweben
Als Kindertaumel mit Gleichgewicht

Spazieren sei der Genuss der Armen
Er könnte es gefahrlos empfehlen
Wer keine Zeit zu haben meint soll
Sie sich dafür wieder nehmen

Spazieren gehen sei wie Ferien
Vom Alltag nur dabei in gewohnter 
Umgebung ohne allen Reisestress
In jedem stecke ein Müßiggänger

Dann wird die Straße ein Wachtraum
Schaufenster werden zu Landschaften
Firmennamen mit & inmitten bald zu 
Mythologischen Wesen voller Zauber

Was nur vorübereilt und dabei ganz
Geschäftig wieder verschwindet mahnt
Den Spaziergänger die Vergänglichkeit 
Seines zwecklosen Tuns zu bedenken

Spazierengehen sollten die Aspiranten
Zum Flaneur in gewohnter Umgebung
Um nichts neues zu entdecken sondern
Im Gewohnten das Besondere zu sehen

Beobachten wie andere sich hetzen
Wo kleine Gärten plötzlich wachsen
Sich wie grüne Inseln noch erhalten
Wie Straßen sich zeitweise verändern

Mal ist überall ein Drängeln dann kommt
Lange keiner mehr als der Flaneur der
Sich Zeit nimmt zu genießen was den
Anderen im Trubel oft verborgen bleibt

Nutze bei der Wanderschau die Zeit
Für ambulante Nachdenklichkeit die
Im provisorischen Wunder entdeckt
Die keiner sieht der nur vorübereilt 

Verfolge ganz en passant rät Hessel
Die Lebensgeschichte der Läden wie 
Sich einreihender Gastronomie und
Merke dir wo es immer wieder wechselt

Der Spaziergänger muss nirgendwo
Eintreten auch wenn er heute eine sie
Genauso sein mag sondern lässt sich
Treiben gehört nirgendwo dazu

Spazierengehen löst dich zugleich
Von deinem Leben um mit Fremden
Blickweise nur zu kommunizieren
Darum ist es selten nur gesellig

Der Flaneur bleibt gern für sich
Um zu sehen was es alles gibt
Ohne irgendwas zu wollen wie
Noch viel weniger zu müssen

Der Spaziergänger gleicht dem
Leser der ein Buch alleine zum
Vergnügen und zur Unterhaltung
Liest statt um etwas zu erreichen

Viele meinen alles sogleich auch
Beurteilen zu müssen was ein
Elend der Leere oft offenbart
Weil jeder an seine Meinung glaubt

Wie schön wäre die Welt doch 
Wenn Kritiker alles was sie nur
Besprechen behandelten wie 
Zauberer die Krankheiten

Die Straße ist eine Lektüre die
Du lesen lernen sollst ohne dabei
Zu urteilen sondern beobachte nur
Lass dich täuschen und verführen

Was lässt Berlin und seine vielen
Kleinen Dörfer so erleben ohne
Irgendwo speziell hinzugehen doch
Genieße was alles zu sehen ist

Freue dich an Schönheiten wie
Der gerade modischen Verkleidung 
Die mehr oder weniger entstellt ohne
Es je beurteilen zu wollen noch

Doch gibt auch die Vorstadt viel her
Mit abgeschnittenen Häuserreihen wie
Dem Laubhüttenfest der Kleingärten 
Welch Genuss für den Flaneur dort

In die Schule des Genuss möchte
Franz Hessel uns alle schicken um
Eine holde strenge Zucht zu erhalten
Die zum echten Genießer macht

Doch am Ende gibt es diese nicht
Wer sie lustvoll gründen möchte
Merkte schon ganz bald es käme
Ein hässlicher Ernst des Lebens raus

jens tuengerthal 4.12.24

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