Die heutigen Literatouren führen mich von der Pfaueninsel, wo gerade das Palmenhaus von Schinkel mit den in Frankreich erworbenen Bäumen bezogen wird nach Frankreich ins Périgord in den Turm des Schlosses von Montaigne, wo sich gleichnamiger Michel Gedanken über die Welt im Spiegel seiner Lektüre machte.
Halkyonische Tage nannte Schinkel ihre Zeit Marie gegenüber, in Erinnerung an die Antike, in der sie jene Woche im Dezember, in der das Meer völlig ruhig war, so nannten, es sogar hieß, dass der Eisvogel dann sein Nest baue. Das fertiggestellte Palmenhaus wird von einem Ofen im Keller durch eine Fußbodenheizung gewärmt, um den im nordischen Preußen sonst fremden Pflanzen das Überleben zu ermöglichen. Marie und Gustav sehen sich nun jede Nacht und haben dabei auch Sex, der wie bei so vielen Paaren mit Missverständnissen und ohne viel darüber zu reden mit bald angenommenen Gewohnheiten abläuft und so lebt diese Liebe, die immer wieder infrage gestellt wird, auch durch Gustavs Mutter, die sich keine abartige Zwergin als Schwiegertochter wünscht, zumindest in der trauten Zweisamkeit, erlebt nach Gustavs Rückkehr mit den Palmen aus Paris ihren Frühling im kommenden Winter, noch scheint kein Unwetter sie zu bedrohen, es sind eben die Halkyonischen Tage, wie Schinkel es so treffend sagte, dahingestellt, ob dabei eher an das die ruhige Wärme erhaltende Gewächshaus oder die unmögliche Liebe denkend.
Tage des Glücks und der Ruhe, welcher Liebende kennt sie nicht, wie gerne halten wir uns an den kleinen Glücksmomenten fest, um den Traum wach zu halten, auch wenn er real längst ein Alptraum wurde, wie es leider, dank der Gewohnheit, diesem Kontinuum der Unaufmerksamkeit, zu oft geschieht, die beim Sex ihren Ausdruck genauso findet wie in den leicht genervten Formeln des Alltags, mit denen wir unsere Gewohnheiten bestätigen und das Wunder der Liebe schnell wieder verspielen, was einen dauernden Ausnahmezustand bedeutet, der immer zu leben, nahezu unmöglich scheint. Denke ich an meine letzte längere in vielem ziemlich unmögliche Liebe, habe ich mich lange an den schönen Momenten festgehalten, um den Rest nicht so deutlich wahrzunehmen, es mir schön zu reden, was nie gut gehen konnte. Aber was ist in der Liebe schon unmöglich?
Zeichnet es sie nicht gerade aus, das Unmögliche möglich zu machen und so von Träumen zu leben - wer möchte sich im Schatten der Liebe schon mit absurden Dingen wie der Realität, pathologischen psychischen Befunden oder vernünftigen Erwägungen beschäftigen?
Lieber genoss ich den Augenblick und träumte er möge ewig verweilen, wie wir es uns auch mit voller Überzeugung versprachen, trotz der Unmöglichkeit der Umstände, der rein statistischen Unwahrscheinlichkeit des Vorhabens, besseren Wissens eigentlich. Aber bin ich nun realistischer geworden, frage ich mich, oder würde ich mich bei Gelegenheit wieder in eine unmögliche Liebe stürzen, weil es so schön ist, zu lieben, wie Goethe es einst ausdrückte:
Zu lieben Götter, welch ein Glück, geliebt zu werden, ich verdient es nicht.
Habe dem alten Meister gegenüber gewisse Zweifel inzwischen, was zumindest für Reste von Verstand spricht, verzichte für das nur menschliche Gefühl auf die Anrufung der Götter aber ansonsten stimmte ich ihm aus vollem Herzen zu und wie gerne verlör ich es bei Gelegenheit wieder, auf besseren Ausgang natürlich hoffend, auch wenn die Erfahrung mich eines besseren belehren könnte.
Die wenig dezente Andeutung Hettches macht schon deutlich, was nach diesen Frühlingstagen im späten Herbst wohl an Sturm und Unglück zu erwarten ist - und weil die enttäuschte Erwartung der Tod jeder Liebe ist, würde ich an dieser Stelle, ohne vorgreifen zu wollen, oder es zu wissen,vermuten, dass Marie wohl schwanger sein wird und daraufhin das Idyll der Liebenden im Idyll der Pfaueninsel ein baldiges tragisches Ende findet, weil doch nicht sein kann, was nicht sein soll, alles seinen traurigen also normalen Gang wohl nehmen muss, die schönsten Liebesgeschichten tragisch enden und nicht glücklich, wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann, warum viel dafür spräche, vernünftigerweise lieber eine mittelschöne aber gut erträgliche ohne zu großen emotionalen Aufwand zu wählen, um damit glücklich leben zu können.
Ganz nebenbei scheiterte mein letzter Versuch dazu genau an diesem Begehren, als ich versuchte das Schwanken der täglichen Extreme zwischen himelhochjauchzender Hingabe und tiefem Hass, zu stabilisieren, dahingestellt, ob dieses pathologisch begründet war oder nicht, fühlte sich die verehrte damalige Prinzessin nicht mehr ausreichend gewürdigt und suchte das Weite, was wieder zeigt, so gut die Theorie auch sein mag, die vom Gleichgewicht der Emotionen in einer harmonischen Liebe träumt, so schwierig ist diese praktisch auch umzusetzen. Vermutlich wollen wir ja alle nur lieben, geliebt werden und glücklich sein, warum uns dies so schwer gemacht wird von den widrigsten Umständen, bleibt dagegen rätselhaft, denn wie wenige Fälle dauerhaft glücklicher Lieben, die in allem Erfüllung finden, kennen wir, überhaupt eine, frage ich mich dabei grübelnd, wie viel mehr schlechte Kompromisse aus Angst vor Einsamkeit dagegen - ob es allerdings noch schöne Liebesgeschichten wären, die Stoff zum erzählen böten, wäre eine andere Frage.
Durchaus willig mich bei Gelegenheit zu verlieben, weil dieser Zustand, allem Risiko zum trotz so schön ist, fällt es mit zunehmender Erfahrung schwerer, die Vernunft wieder völlig auszuschalten - auch wenn die relativ gedankenlose Triebhaftigkeit beim Sex dabei helfen kann, insbesondere, wo wir diesen noch ein wenig emotional aufladen. Wäre es besser, nur eine große Liebe zu haben, statt jede durch die Höhe der Summe wieder zu relativieren, könnte ich mich fragen, lehrte nicht die Erfahrung, dass eben jene Relativierung das sicherste Mittel zu überleben ist, was die Frage stellt, auf was es dabei letztlich ankommt - den Traum vom Ankommen leben oder das Dasein genießen, wie es eben ist und wie sich beides bestmöglich verbinden ließe, wobei ob überhaupt vielleicht schon vor dem wie gefragt werden könnte, allerdings die hohe Gefahr in sich trägt, dass nichts mehr übrig bliebe, worauf sich hoffen ließe als ein relativer Pragmatismus.
Über diesen macht sich Michel de Montaigne Gedanken in seinem Essay unter dem Titel “Über verwerfliche Mittel, die einem guten Zweck dienen”, was sperrig klingt, thematisiert elegant, ob der Zweck je die Mittel heiligt oder beide immer in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen sollten. So staunt der kluge Franzose, der sich im Essay davor zum Staffettenreiten noch als kleiner Dicker bezeichnete, was zum schnellen Reiten bekanntlich gut geeignet sei, wie die Dinge der Natur im Staat wie der Gesellschaft oft ihre Entsprechung finden, indem etwa Königreiche, wir würden heute eher von Gemeinschaften sprechen, was hier dahingestellt sei, auch was auf Dauer sich länger bewähren wird, heranwachsen, zu schönster Blüte kommen, um dann alt zu werden und wieder zu vergehen, wofür es zahlreiche Belege in der Geschichte gibt, auch wenn wir dafür keine Achsen annehmen.
Diesen Prozess konnten wir im Osten Europas ab 1989 deutlich beobachten, auch ohne Könige und manche meinen das Phänomen Trump zeuge vom gleichen Problem der Supermacht, die übersättigt und allein geblieben war, sich darum einen von jeder Bildung und fast aller Vernunft befreiten Führer leistet, um wieder normal zu werden, wie manche der erst 89 demokratisch gewordenen Nachbarn in Europa sich, schon wieder populistischen Neigungen folgend, autoritäre Führer gerne wählen, die ihnen eine Richtung weisen. Dagegen zeugt die lange Regierung der vernünftigen obersten Beamtin Merkel, die jedem Populismus und medialer Selbstdarstellung eher abhold ist, von einer gegenteiligen Neigung zur Stabilisierung auf der Basis aufgeklärter Vernunft, dahingestellt, ob die Menge der für Populismus anfälligen hier so viel geringer als in den Vereinigten Staaten ist oder der zeitweise Erfolg des Rechtsauslegers AfD auch nur ein Produkt mittig vernünftiger Stabilisierung ist, in der manche nicht heimisch werden konnten, die Zeit wird es wohl zeigen.
Manche Herrscher meinten etwa, es bräuchte gelegentlich der Kriege, um den unruhigen Geist an den Rändern im Inneren zu beruhigen und damit das System stabil zu halten - als sei der Krieg quasi die Mutter der inneren Stabilität, warum viele Anhänger dieser Theorie auch vorschlagen, diesen möglichst in die Nachbarländer zu verlagern, um die Heimat friedlich zu halten. Dieses Verhalten lehnt Montaigne entschieden als unmoralisch ab und fordert vielmehr zu einer vernünftigen, friedlichen Politik auf, wie sie das gegenwärtige Europa betreibt. Dies im Gegensatz zum russischen Nachbarn etwa, der unter Putin, dessen Selbstdarstellung entsprechend, gern die Muskeln spielen lässt, sich als Erbe der untergegangenen UDSSR lieber als starker Mann präsentiert, um von internen Problemen abzulenken. Identisches versucht ja derzeit auch Trump mit seiner grauenvollen Corona-Bilanz, die das ganze Ausmaß seiner völligen Inkompetenz offenbart, die er auf täglich neue Art schön zu reden versucht und im übrige lieber den Konflikt mit China sucht, erfolgreich Misstrauen sät, um von den eigenen Fehlern abzulenken, nicht über seine grauenhafte Bilanz reden zu müssen, sogar anstehende Wahlen infrage stellt, soweit ihm eine Niederlage drohen könnte.
Dieses Verhalten ähnelt dem, was Montaigne an Fürsten kritisiert, die andere benutzen, ihr Volk ruhig zu halten, Kriege führen oder wie in Rom brutale Zirkusspiele veranstalteten, bei denen sich die Beteiligten auf möglichst grausame Weise niedemetztelten, dies lächelnd ertragen sollten, um zumindest sterbend noch ein Held zu sein, was er entschieden verurteilt, da wir nur das eine Leben hätten, wie die lebendige Vierteilung zu Forschungszwecken, um am Leib der Verbrecher das Verhalten der Organe zu studieren und wie sich diese beim Zerreißen verhielten, sofern der Betroffene noch lebte. Diese Phase der Hinrichtungen haben wir im relativ kultivierten Europa zum Glück hinter uns, andere Teile der Welt sind noch nicht so weit, wie auch die USA, die sich gerne als demokratischer Rechtsstaat feiern, was dabei aber fraglich wieder erscheint
Doch sollte, wer scharf moralisch urteilt, sich auch an die eigene Nase fassen können, also über ein reines Gewissen verfügen, was bei einem der größten Waffenexporteure weltweit, der zwar immer gerne noch eine deutsche Anleitung mitschickt, dass diese Spielzeuge nicht zu grausamen Zwecken entsprechend ihrem üblichen Zweck verwendet werden sollen und wenn die Bundesrepublik nichts davon wissen will und ausdrücklich damit gesagt hätte, dies nicht zu wollen - dieser sogenannte Persilschein, wäre bestimmt eine deutsche Erfindung, wenn es ihn denn gäbe - zumindest logisch betrachtet fragwürdig erscheinen könnte. Aber zumindest körperlich große Sozialdemokraten als Wirtschaftsminister, wie die körperlich kleinen als Kanzler genauso, haben uns immer wieder bewiesen, wie scharfe moralische Urteile über andere, sich reinsten Gewissens im Wege der Gewichtung, sich damit vertragen und von den Anhängern bejubelt werden.
So ließ sich unmenschliches Verhalten Dritter sehr wohl ankreiden und zeitgleich Panzer nach Saudi Arabien liefern, um primär deutsche Arbeitsplätze zu sichern, in einen Staat also, der nach dem strengen Recht der Scharia richtet, während zugleich Terroristen in Afghanistan bekämpft wurden mit deutschen Waffen, die eigentlich das gleiche nur wollten aber das Pech hatte, sich dazu dem Sohn eines saudiarabischen Bauunternehmers angeschlossen zu haben, der aus vielen Gründen nicht sehr beliebt mehr war in der westlichen Welt, während er in zahlreichen islamisch geprägten Staaten zum Volkshelden heranwuchs, den die Amerikaner dann in Western Manier jagten und erlegten, um seine Überreste möglichst spurlos auf hoher See zu beseitigen.
Sind wir wirklich so viel weiter als die Römer, die ihr Treiben mit den Gladiatoren erst unter Theodosius einstellten, des übrigens de facto letzten Alleinherrscher Roms im vierten Jahrhundert. Montaigne bringt noch das Beispiel der Franken, die sich aus dem germanischen gen Gallien erfolgreich ausbreiteten, die heimischen Stämme teilweise verdrängten, bis zum gemeinsamen Kaiser Karl dem Großen, unterschlägt aber dabei, dass die Franken als Hausmeier der Merowinger aufstiegen, also bereits gehobene Beamten im vorigen Reich waren das später Frankenreich wurde und mit dem Großvater des großen Karl, der erwartbar auch Karl hieß, nur Martell genannt, einen französischen Helden gegen die Mauren stellten, vor denen sich die nationalen Kräfte bis heute fürchten, als sei unsere Kultur nicht erfolgreich und wertvoll genug, die Verdrängung durch zahlreichere Vermehrung sogar fürchten, als setzte sich in der Natur langfristig nicht immer das bessere und erfolgreichere Modell durch. Doch diese kleine Unterschlagung sei dem Ende des 16. Jahrhunderts verstorbenen Berater französischer Könige und ehemaligen Bürgermeister von Bordeaux verziehen, er musste sich noch nicht mit den Populisten des FN oder AfD herumschlagen, allerdings hatte er dafür seinerzeit mit den Hugenottenkriegen und einigen sehr katholischen Kräften aus dem Hause Valois, das sich schließlich selbst erledigte, eigentlich genug Erfahrung mit fanatischen Spinnern gehabt, von denen einer seinen Freund Henry IV einige Jahre nach Michels Tod umbrachte für das katholische Frankreich, was dann dessen Enkel Ludwig XIV. mit der Vertreibung der Hugenotten durchsetzte, die später in Preußen so eine bedeutende Rolle spielen sollten, dass sie einen eigenen Dom neben dem Deutschen am Berliner Gendarmenmarkt erhielten.
Wie dem auch sei, ist sein Text, wie so vieles von ihm eine großartige Anregung über den Staat und seine Moral nachzudenken, wie die Stichhaltigkeit unserer moralischen Urteile, ob danach je der gute Zweck die schlechten Mittel heiligen könnte, was mir, wie Montaigne, eher zweifelhaft erscheint. Bemühen wir uns lieber gut, angenehm und möglichst lustvoll stets zu handeln, statt das eine für das andere in kauf zu nehmen, was selten zu etwas Gutem führt.
jens tuengerthal 27.5.20
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