Hamburger Bahnhof in Berlin
Es ist Samstag vor Ostern, die Kieze sind relativ geleert, weil viele aufs Land oder zur Familie fuhren, doch Touristen sind genug in der Stadt, darum freue ich mich an diesem zwischendurch verregneten Tag in meiner Küche zu sitzen und über das Museum zu schreiben, das ich heute in den Worten von Berlinleben besuchen will, statt mich in die Massen zu stürzen.
Seit die Straßenbahn auch vom Helmholtzplatz direkt zum Hauptbahnhof fährt, komme ich auch zum heutigen Ziel bequem mit der Bahn. Sonst sattelte ich James mein treues Rad und rollten den Berg am Mauerpark vorbei, die Bernauer hinab und dann wäre ich am Bundeswehr Krankenhaus und Wirtschaftsministerium vorbei fast schon da. Sonst könnte ich auch die Invalidenstraße hinunter radeln von der Zionskirche aus und käme dann noch am Naturkundemuseum vorbei, was mich heute aber nicht interessiert, sondern überquerte noch den Kanal zum Nordhafen.
Nordhafen? Hört sich das nicht fast nach Hansestadt schon an, denkt der geborene Bremer.
Die Hamburger haben ihre nette Kunsthalle am Bahnhof. Berlin hat den ehemals Hamburger Bahnhof zu einem seiner Museen gemacht, den Industriebau des 19. Jahrhunderts zur Heimat der Moderne erkoren. Ursprünglich war dieser Bahnhof der Anfangspunkt der Berlin-Hamburger-Bahn und wurde noch 1846 jenseits der Stadtmauer eröffnet. Er liegt nah der Spree, eben am Kanal zum Nordhafen im Berliner Stadtteil Moabit, der heute zur dicken Mitte gehört.
Das zur Berliner Nationalgalerie gehörige Museum für Gegenwart zählt mit seinen über 260.000 Besuchern zu den erfolgreichsten Häusern für zeitgenössische Kunst. Neben den Ausstellungsräumen befinden sich noch ein Buchladen mit viel zum Thema zeitgenössischer Kunst und ein von Sarah Wiener geführtes Restaurant im selben Gebäude. Wie immer wirkte das Museum auch als Kulturmagnet auf sein Umfeld.
Das ehemalige Empfangsgebäude ist der einzig erhaltene Berliner Kopfbahnhof und zählt zu den ältesten Bahnhofsgebäuden Deutschlands. Bereits 1884 wurde der Bahnhof wieder für den Personenverkehr geschlossen und dieser auf den benachbarten neuen Lehrter Bahnhof verlagert, der an der Trasse durch die Stadt lag und der heute durch den Hauptbahnhof ersetzt wurde. Das Grundstück gehört heute der österreichischen CA Immo Deutschland, welche die Vivico übernahm, die sich vorher um die Veräußerung der Liegenschaften der Bahn im Rahmen der großen Welle der Privatisierung kümmerte, um was sich vermutlich sonst auch keiner kümmert, was aber ein interessantes Schlaglicht auf die tatsächlichen Eigentumsverhältnisse an den Gebäuden einer Nationalgalerie wirft. Es wurde im spätklassizistischen Stil von Friedrich Neuhaus, dem amtierenden Eisenbahngesellschaftsdirektor, und Ferdinand Holz, dem bestellten Architekten, entworfen, was außer den wieder modischen Vornamen vermutlich keinen wirkich noch interessiert, außer Architekturhistorikern.
Vielleicht wird Eigentum als bloßer Titel heute überschätzt - lohnt sich steuerlich schon lange nicht mehr im großen Stil, aber seltsam ist es dennoch, sich vorzustellen, dass eine Nationalgalerie zum Untermieter einer ausländischen Firma wird - aber vielleicht ist diese seltsame Konstruktion so modern wie die Werke in diesem Haus und nur ich verstehe eben nicht immer alles. Warum muss der Staat wie ein Unternehmen Eigentum haben und dieses dann wenn seine staatlichen Aufgaben, wie vorher bei der Bahn, privatisiert werden, weiter veräußern als sei es nicht Volkseigentum, wie es in der DDR hieß oder ein wenig schicker vielleicht öffentliche Sache, auf lateinisch res publica - ich drifte gerade etwas ab, merk es schon, aber irgendwie ist es doch wichtig, zu verstehen, wem was warum gehört und warum, was Gemeinschaftseigentum logisch schien, plötzlich Investoren von irgendwo bereichert, sogar aus Österreich.
Noch bis 1870 besaß der Hamburger Bahnhof auch eine Drehscheibe mit deren Hilfe die Lokomotiven vor dem Gebäude umgesetzt wurden, denen die zwei hohen Rundbogentore als Durchfahrten dienten. Vorne verkehrte eine Stadtbahn zwischen den verschiedenen Berliner Bahnhöfen, Stettiner, Hamburger Potsdamer, Anhalter, Frankfurter oder Schlesischer. Als dann 1870 eine Schiebebühne eingebaut wurde, waren die großen Tore plötzlich überflüssig. In diesem Jahr wurde auch die Verbindungsbahn zwischen den Bahnhöfen, die auf der Straße verlaufend zum Verkehrshindernis wurde, abgerissen. Anstelle der abgerissenen Bahnhofshalle wurde zur Museumseröffnung 1906 die heute noch vorhandene Ausstellungshalle errichtet. Von 1911 bis 1916 entstanden die beiden Flügel zur Straße hin, in deren Mitte grünt der Ehrenhof.
In den Flügeln befindet sich neben Sarah Wieners schicken Museumsbistro, was eigentlich ein gutes Restaurant ist, auf der anderen Seite etwa die Sammlungen von Beuys Werken oder auch wechselnde Ausstellungen. Die teils riesigen Räume eignen sich sehr gut für die Werke der Moderne und geben ihnen faszinierend viel Raum für nahezu nichts, was dem Museum auch eine meditative Ruhe gibt auch wenn sie dann wieder wie bei der großen aber eng gehängten Sammlung Warhols aus der Factory ein etwas sehr großes Gedränge herrschen lassen, dahingestellt, was sie aussagen können. Da wäre deutlich mehr möglich und es scheint fraglich, ob hier die Verhältnisse der Kunst im Lichte ihrer kulturhistorischen Bedeutung gewahrt bleiben, um es mal so ganz geschwollen auszudrücken. Kurz gesagt, für eher nichts, viel Raum, für manch große Werke kaum genug, sie nur in Ruhe und mit Abstand zu sehen, was mir zweifelhaft erschien. Halte es aber für durchaus möglich, dass ich den höheren Sinn dahinter mangels ausreichender Bildung in diesem Bereich übersah. Vielleicht erklärt er mir nochmal eine wunderbare Kunsthistorikerin, die sich des einsam einfältigen Betrachters der Moderne annimmt, der sich dort gelegentlich fühlte, als sei er ein Gast auf einer anderen Welt.
Auch so gesehen ist der Besuch im Hamburger Bahnhof immer lohnend und eine stete Erweiterung des Horizonts, die auch die Blickerfahrungen dadurch schult, dass sie gegen Gewohnheiten provoziert. Eigentlich mag ich Installationen ja nicht so, weil sie immer mehr sein wollen als etwa Gemälde, die als solche wirken. Kunst ist für mich eher still und damit kontemplativ in der Betrachtung, während ich viele Installationen eher dem Fernsehen oder Theater zuordnen würde. Aber vielleicht muss ich auch nichts mehr zuordnen, sondern lasse mich einfach von dem, was ist beeindrucken und schaue, was es mit mir und meinen Gedanken anstellt. Verstehe es nicht immer, häufig überhaupt nicht, manches ärgert mich fast, nervt mich zumindest, provoziert mich und geht mir regelrecht auf den Geist und ist darum so gut, regt zum Denken an.
Ständig von Bildern berieselt in Film oder Fernsehen, auch auf den Rechnern können wir über das Netz kaum noch den bewegten Bildern ausweichen. Während früher noch die Kunst versuchte, den Augenblick fest zu halten, noch durch Tricks mehr Bewegung vortäuschte, bewegt sich heute vieles einfach, bezieht den Beobachter, ein, macht ihn zum Gegenstand der Kunst. Das Betrachten des Betrachters etwa, der zwischen Empörung, Ekel und Erregung auf einer Endlosschleife laufende Pornos auf einem kleinen Bildschirm in einer Installation betrachtet und zugleich dabei aufgenommen sich auf anderen Bildschirmen betrachten kann oder zum Objekt der Betrachtung anderer Subjekte wird, die das Werk nur umstehen und dadurch irgendwann selbst, wenn sie den Blick wagen, zu verändernden Teilnehmern der Installation werden.
Dies in der immer wieder sozial grenzwertigen Situation der Sexualität, die intim erlebt wird und den Erlebenden in seiner irgendwie Erregung zum Teil der Beobachtung macht, die den Raum auch als solche verändert, ist eine geniale Aufhebung aller Grenzen - die Betrachter werden beim Betrachten betrachtet und gezeigt - gestalten selbst in vielen später automatisch frequenzierten Sequenzen mit anderen ein neues Kunstwerk, ohne etwas zu tun, einfach weil sie da waren und mal schauten und diese Blicke uns doch so viel, von uns offenbaren.
Es war dies nur eine Installation aus einer großen Sammlung, die ich zunächst etwas blöd fand - den Porno ganz nett aber nichts, was ich dort sehen wollte, dachte ich, bis ich begriff, wie ich selbst in meiner arroganten Betrachtung Gegenstand des Werkes wurde und dies mitgestaltete und begriff wie lebendig diese Moderne jeden von uns zum Künstler am lebenden Objekt macht und so den berühmten beuysschen Satz eine ganz neue Lebendigkeit gibt. Alles dank eines schlechten Pornos in der Endlosschleife, den die so bürgerlichen Betrachter betrachten, bis sie begreifen, dass sie dabei betrachtet werden, sich so betrachten und am Ende Teil einer endlosen Frequenz werden, in der sie sich in immer mehr Linien auflösen.
Diese Erlebnisse oder die echohaften Schreie der Insassen eines verunglückten Busses, die dich im hölzernen Kreisel immer tiefer intensiv verfolgen, bleiben mir mehr in Erinnerung als die netten Warhols, die ja jeder irgendwie kennt und mal gesehen hat, auch wenn es große Werke aus der Factory sind, was ja nicht umsonst Fabrik heißt, auch wenn der Guru dort auf Kupferplatten pinkelte.
Anselm Kiefer beeindruckte mich auch sehr, doch haben mich dessen Kindergemälde von einer Liebsten und ihren Brüdern damals mehr beeindruckt, wo er auf dem Grat zwischen Moderne und klassischem Gemälde balancierte. Aber auch da müsste ich mich vermutlich mehr einlesen und intensiver damit auseinandersetzen, um wirklich zu verstehen, statt nur Eindrücke wiederzugeben, die gestehen müssten, wie ahnungslos sie doch sind, wollten sie ein ernsthaftes Urteil abgeben.
Das Gebäude ist schon spannend, aber sein Inhalt, kann wirklich bewegen, wo wir es zulassen. Der letzte Umbau erfolgte von 1990 bis 1996 nach Plänen von Josef Paul Kleinhues zum Museum für Gegenwart. Von ihm stammt etwa der Erweiterungsbau mit einer Länge von 80m. Nach der Stilllegung des Sackbahnhofes infolge der Inbetriebnahme des ans Netz angebundenen Lehrter Bahnhofs, diente der Hamburger Bahnhof und seine Gelände noch bis in die 80er Jahre als Teil des Güterbahnhofs. Das Gelände hieß Lehrter Güterbahnhof, West-Berliner Containerbahnhof oder Hamburger und Lehrter Güterbahnhof (HuL). Auf dem Gelände des großen Containerumschlagplatzes siedelten sich zahlreiche Speditionsfirmen an, die auch nach der Stilllegung dieses Teils des Güterbahnhofs in Betrieb blieben. Erst 2007 wurden dessen Portalkräne zum Umladen der Container demontiert.
Ab Dezember 1906 eröffnete im Bahnhofshauptgebäude das königliche Bau- und Verkehrsmuseum, was auch Lokomotivenmuseum hieß. Es war eine Art Vorläufer des heutigen Technikmuseums und sollte Anschauung über die Entwicklung der Technik auch für Beamte geben. Im Zweiten Weltkrieg erlitt das Gebäude große Schäden und von der riesigen Modellbahn im Maßstab 1:43 blieb nichts übrig. Sie verschwand in den Kriegswirren.
Während der DDR Zeit gehörten Gebäude und Gelände der Deutschen Reichsbahn, lagen aber in West Berliner Sektoren, was die Nutzung sehr begrenzte, die sich mit nötiger Erhaltung durch einige engagierte Reichsbahner begnügte. Als aber 1984 die BVG die Betriebsrechte an den in West-Berlin gelegenen S-Bahnstrecken übernahm, ging auch dies Gelände an sie über. Die Ausstellungsstücke wurden an das Deutsche Technikmuseum Berlin und das Verkehrsmuseum Dresden übergeben und werden dort noch teilweise ausgestellt. Dann folgte die grundlegende Sanierung und seit 1987 sind dort diverse Ausstellungen des Museums für Gegenwart zu sehen. So folgt auf die Vergangenheit im DHM nun die Gegenwart und bald können wir uns mit der Zukunft wieder am Gallery Weekend beschäftigen.
Die Sammlung des Hamburger Bahnhof kam Mitte der 80er zusammen, als der Bauunternehmer Erich Marx der Stadt seiner Privatsammlung zur Verfügung stellen wollte. Daraufhin wurde 1987 entschieden, in dem ehemaligen Empfangsgebäude ein Museum für Gegenwartskunst einzurichten. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz erklärte sich sogleich bereit, die Schirmherrschaft zu übernehmen. Im November 1996 eröffnete sie gleich mit einer Ausstellung der Werke von Sigmar Polke. Es wurden im Hamburger Bahnhof als Teil der Nationalgalerie das Museum für Gegenwartskunst und das Joseph Beuys Medien-Archiv untergebracht.
Es sind dort unter anderem Werke von Joseph Beuys, Anselm Kiefer, Roy Lichtenstein, Richard Long, Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Donald Judd und Cy Twombly ausgestellt. Die Bestände setzen sich aus Werken der Sammlung Marx und der Nationalgalerie zusammen. Wobei die Sammlung Marx 150 Bilder und etwa 500 Zeichnungen von Beuys und Warhol beinhaltete. Seit 2004 wurden auch Höhepunkte aus der Sammlung von Friedrich Christian Flick als Ausstellung gezeigt. Diese Sammlung wurde immer wieder in der Öffentlichkeit auch kritisch diskutiert, weil sie mit dem Erbe von Friedrich Karl Flick finanziert wurde, einem verurteilten Profiteur des NS-Regimes. Eigentlich sollte die Sammlung nur bis 2010 gezeigt werden, doch 2008 schenkte Flick 166 Werke seiner Sammlung dem Museum. Diese Schenkung ist angesichts ihrer Qualität und ihres Wertes aus Sicht der Stiftung Preußischer Kulturbesitz einmalig in der Nachkriegszeit.
Daneben lässt das Museum immer wieder Raum für Wechselausstellungen gegenwärtiger Künstler. Leiterin des Museums ist die Kunsthistorikerin Gabriele Knapstein. Die geborene Badenerin studierte in Freiburg, Bochum und an der Humboldt und promovierte über die Event-Partituren von George Brecht. Sie begann als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Hamburger Bahnhof, arbeitete lange und erfolgreich mit der Nationalgalerie zusammen und wurde darum von deren Direktor Udo Kittelmann als Kuratorin für den Hamburger Bahnhof empfohlen. Sie ist auch noch Mitglied im Hochschulrat der Kunsthochschule Weißensee seit 2004. Ihr Vorgänger von 2001 bis 2016 war der deutsche Kurator Eugen Blume. Blume, der aus Bitterfeld stammt, studierte an der Pädagogischen Hochschule Erfurt die Fächer Deutsch und Kunsterziehung und war anschließend einige Jahre am Theater Leipzig tätig. Ab 1981 studierte er an der Humboldt Universität Kunstgeschichte, Archäologie, Ästhetik und Kulturwissenschaften und schloss sein Studium mit einer Diplomarbeit über den Kunstbegriff bei Joseph Beuys ab. In seiner Tätigkeit bei der staatlichen Galerie für Kunsthandel Arkarde, organisierte er dort 1979 die erste Performance der DDR mit Georg-Torsten Schades Schwarzem Frühstück. Ab 1981 arbeitete er an den Staatlichen Museen zu Berlin der DDR, zunächst im östlichen und später im vereinten Kupferstichkabinett. Er galt in der DDR als einer der Vertreter des erweiterten Kunstbegriffs nach Beuys und engagierte sich als theoretischer Kopf im nur inoffiziell betriebenen Aktionsraum Sredzkistraße 64, unweit meines Platzes, im Kollwitz-Kiez gelegen, mitten in Prenzlauer Berg. Ab Juni 89 organisierte er die permanente Kunstkonferenz auch in der Sredzki 64. Er war weiterhin mit Klaus Staeck und Christoph Tannert Organisator der 3. Bitterfelder Konferenz im Bitterfelder Kulturpalast. Dabei ging es um das Spannungsfeld von Kunst und Gesellschaft jenseits aller ideologischen Verklemmungen, die dies Thema oft genug belasten.
Diesen Geist trug er auch in das Museum Hamburger Bahnhof und öffnete durch gerne auch mal provokative Blicke die Grenzen der Bereiche und ließ die Kunst dort zu einem gegenwärtigen Gradmesser der Gesellschaft werden. Was immer einer auch mit manchen Werken dort anfangen kann, es ist stets anregend, dort zu sein und sich in seinem Denken und seinen Konventionen wecken und provozieren zu lassen. So wirkt Kunst gegenwärtig und fließt mit in die aktuellen Diskurse ein, an denen sie durch teils grandiose Werke aktiv teilnimmt. Ein lohnender Gang für alle, die bereit sind, sich anregen zu lassen.
jens tuengerthal 15.4.2017
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