Montag, 25. Mai 2020

Lesereise 25.5.20

Heute war die Lesereise relativ kurz führte aber auch in nur zwei Bänden nicht weniger weit.

Zunächst ging es wieder auf die Pfaueninsel, wo Marie den Besuch der königlichen Familie mit Experten als kaum beachtete Randfigur beobachtete. Interessant dabei auch für die weitere Lektüre war ihre Beobachtung des Affen und wie sie über die Ähnlichkeit nachdachte, sich nach dessen Gedanken und Bedürfnissen sehr menschlich fragt.

Nebenbei belauscht sie noch ein Gespräch der Geliebten des Königs mit anwesenden Wissenschaftlern, in dem es primär um Sexualität geht, auch wenn natürlich, des Anstands wegen, die der Tiere, was allerdings ihr ein wenig vorgeschoben scheint.

Gerne reden wir über Sex unter dem Deckmantel der Wissenschaft und ich kann mit meiner zugegeben geringen statistischen Erfahrung bestätigen, dass dies durchaus zielführend sein kann, falls in diesem hochemotionalen Bereich von so ökonomisch klingenden Dingen wie Zielerreichung die Rede sein kann.

Zumindest geht es dann schon um das eine, worüber Menschen auch in Zeiten der Pandemie zu gerne reden und nachdenken. Es ist uns eben relativ naheliegend, berührt den springenden Punkt, zeigt aber zugleich, wie fern es uns aus sittlich moralischen Gründen oft liegt, direkt davon anzufangen, warum wir dabei so gerne Umwege nehmen, bei dem die Wissenschaft und das Tierreich zumindest eine seriöse Basis bieten.

Neben dem Gespräch der herzoglichen Geliebten werden noch die teilweise bereits erwachsenen Kinder des Königs erwähnt, darunter der bereits mit einer bayerischen Prinzessin verheiratete spätere Friedrich Wilhelm IV., der wohl, was hier ja noch ausnahmsweise nur galt, deshalb der Erwähnung wert ist, eine Beziehung voller Liebe führte, die dennoch kinderlos blieb, was gerüchteweise an seiner Impotenz gelegen haben soll, eigentlich egal ist aber an dieser Stelle nicht unerwähnt bleibt, um weiter im sexuellen die Aufmerksamkeit der Leser zu locken, was Hettche literarisch seltener so gut gelingt. 

Auch der jüngere Bruder, der spätere Wilhelm I., der sich 1848 einen Namen als Kartätschenprinz machte, weil er die Revolutionäre alle abschießen, wörtlich kartätschen, wollte und auch von übrigen Prinzen und Prinzessinnen wird gesprochen, sogar von verheiratet abwesenden in Russland, was wieder etwas oberlehrerhaft wirkt aber nett geplaudert wurde für alle Freunde der Hohenzollern, wie die Schwaben in Berlin hiessen. Das ist unterhaltsam und baut Brücken in die preußische Geschichte, wird aber nur erzählt, nicht in die Handlung eingebaut, die für sich sprechen sollte, wollte ich streng darüber urteilen, was ich mir vor dem Ende nicht erlaube.

Zu Ende gelesen habe ich heute aber die Geschichte von Adam und Eva von Stephen Greenblatt und ging dafür wieder mit ihm nach Uganda, Seine Gedanken zum Sozialverhalten der Schimpansen und den entscheidenden Unterschied in der biblischen Geschichte der Menschwerdung sind spannend, zeigen, ohne es je auszusprechen, das absurde der Schöpfungsgeschichte, die der Natur in so vielem und gerade bei der Sexualität widerspricht.

Greenblatt rekapituliert die Gedanken der Geschichte noch einmal im Angesicht der Natur und vor unseren nahen Verwandten den Primaten, weist darauf hin, dass diese eben keine Scham kennen, sich auch nahe dem Lager, quasi öffentlich, sexuell beglücken und betont damit scheinbar den von vielen Gläubigen gern hervorgehobenen Unterschied zwischen Tier und Mensch. Ganz nebenbei erzählt er uns dann, dass dies fragliche, zärtliche Paar von Affen, sich bewusst von den anderen entfernte, in die Nähe des menschlichen Lagers gingen, wo sie sich ungestört fühlen konnten beim geplanten Sex, wovon auf den Bäumen in Nachbarschaft der anderen nicht auszugehen war, vor allem hätte der Primus der Gemeinschaft dann seinen Rang gefordert.

Auf der Suche nach Sex, von Liebe dürfen wir ja mangels Bewusstsein kaum reden, auch wenn die vorsichtigen Zärtlichkeiten, bei denen es nicht nur um den zwölf Sekunden Akt ging, ganz danach wohl aussahen, enthält sich Greenblatt geschickt jeder Wertung, betont lieber den Unterschied aus historischer Sicht. Doch liegt es nicht näher, sich in die Nähe artfremder Wesen, hier eben Menschen, zu begeben, die körperliche Nähe mit irgendwie Zuneigung ungestört zu genießen?

Frage mich, ob Tiere oder andere Menschen mich bei der Suche nach Zweisamkeit mehr störten. Abgesehen mal von den eigenen Allergien, welche etwa die Gegenwart von Katzen zur Hölle machen kann aber nicht muss, wie ich schon verwundert dabei feststellte, stören mich anwesende Tiere dabei weniger als etwa Verwandte, die zusähen oder hörten.

Für körperliche Nähe ungestört sein wollen, dazu auch einen sonst riskanten Platz aufsuchen, um nicht von Artgenossen gestört zu werden, klingt eher ziemlich menschlich, dachte ich bei der Lektüre. Auch die vom hier Voyeur Greenblatt beschriebene Annäherung mit vorsichtig zartem beschnüffeln und lecken der Körperöffnungen, kam mir sehr menschlich vor, schien zumindest verliebt nachvollziehbar.

Die Primaten haben sich dafür keine Götter ausgedacht, vermuten wir zumindest, aber ihr Paarungsverhalten ist dem der Großstädter in Zeiten von Corona nicht völlig unähnlich und ich kann nicht behaupten, dass mich die Anwesenheit von Ratten oder des hiesigen Fuchs dabei gestört hätte, im Gegenteil ließ die tierische Romantik oft sogar noch näher zusammenrücken.

Wie sich das Pärchen von Schimpansen nach dem ersten Austausch oraler Zärtlichkeiten wieder in die Büsche schlug und die neugierigen Beobachter nur mit Mühe folgen konnten, spricht auch für eine klare Verwandtschaft dabei. Ob dies nun bedeutet, sobald es um Sex und vielleicht auch Liebe geht, handeln wir rein triebhaft oder darauf hindeutet wie ähnlich, geplant und teilweise vernünftig auch Affen dabei handeln, nur vermutlich ohne kirchliche Moral, bleibt ein spannendes Thema.

Diese Frage lässt sich, darauf deutet wohl alles hin, nicht völlig eindeutig beantworten und je mehr wir über unsere nahen Verwandten im Tierreich erfahren, desto deutlicher wackelt die Krone der angeblichen Krönung der Schöpfung, die sich gerne überlegen fühlt, weil wir aufgrund anderer Einschränkungen die Macht dazu ergreifen mussten.

Es lohnt sich sowohl für die Beurteilung unseres eigenen Verhaltens wie zum besseren Verständnis des Miteinanders, über diese Fragen und die Auswirkungen der Moral nachzudenken. Was tut uns wirklich gut, was entfernt uns eher von unserer Natur, womit sind wir zufrieden, gibt es nötige Normen oder ist alles austauschbar.

Bei der Suche nach Nähe und Sex verhalten wir uns den Primaten nicht unähnlich. Täte es uns besser, wir wären im Bereich Sex auch so natürlich frei wie diese oder haben gewachsene soziale Regeln, die mit der Scham von Adam und Eva begannen, die uns durch ihre Sünde das Bewusstsein öffneten, einen guten Wert, sind sie biologisch teilweise sinnvoll und nötig wie das Verbot der Inzucht, wo behindern sie die Suche nach Befriedigung mehr als sie die Lust fördern?

Bis heute ist der Bereich Sexualität je nach gerade gesellschaftlicher Mode stark kriminalisiert - was früher die Homosexualität eine Zeitlang war, ist heute die Pädophilie als das große Tabu.

Um die weibliche Sexualität wurden von uns Menschen dabei viele Mythen gesponnen, vielleicht auch weil, was am stärksten anschwillt, der nervus pudendus zwischen Klitoris und Anus, unsichtbar ist - sich nicht mit der Zeugung verbunden zeigt, was manche Sekten, wie die aus Rom, bis heute leugnen. So erfanden Menschen scheinbar wissenschaftlich fundiert den sogenannten G-Punkt, den es überhaupt nicht gibt, der nur das Gebiet beschreibt, in dem der geschwollene nervus pudendus die Vagina berührt, was er, glauben wir neuerer Statistik und eigener Erfahrung nur in wenigen Fällen tut oder jedenfalls erst dann, wenn der innen verlaufende Nerv genug geschwollen ist, was die Frage nach der Notwendigkeit des Vospiels klärt. Technisch nicht nötig, vor allem, sofern durch andere Reize bereits ein Zustand gehöriger Erregung erreicht wurde, der schwellen ließ, aber dennoch eher förderlich vor allem um das, was wir für besonders halten, unser Gefühl, zu genießen, wie es auch, wie oben beschrieben die so paradiesisch lebenden Primaten tun, denen wir ähnlicher sind als wir ahnen.

Über all diese Bereiche offen zu reden, um Sexualität wirklich gemeinsam genießen zu können, wäre ein Schlüssel zu Freiheit und Glück, von dem große Teile der Menschheit noch weit entfernt sind. Wir haben zum Glück das Bewusstsein, uns über unser Handeln im klaren sein zu können, zumindest theoretisch und soweit nicht ungestillte Triebe uns den Rest Verstand völlig vernebeln. Auf diese Chance mit Scham zu reagieren, ist absurd und albern - damit umgehen zu lernen, könnte uns viele Wege zum Glück eröffnen auch in Sexualität und Liebe, die Teil unserer Natur auch ist

Beerdigen wir die alte Geschichte von Adam und Eva endlich, die ihrem ganzen Wesen nach, nichts gutes bewirken konnte - wenden wir uns lieber dem viel älteren Epos von Gilgamesch wieder zu, einer städtischen Kultur, die menschliches gut verstand und schicken wir die Knaben in die Lehre zu ehrlichen und selbständigen Huren, um Liebe und Lust zu lernen, zu der auch Herikat im Gilgamesch-Epos ging. Natürlich gilt für junge Frauen heute das gleiche, womit eine kritische Betrachtung der Gründungsmythen uns im Zusammenleben und der Lust dabei weiter bringen kann. 

So ist die Geschichte von Adam und Eva von Stephen Greenblatt allen Leserinnen und Lesern aus vielfältigen Gründen sehr zu empfehlen - zur Pfaueninsel äußere ich mich lieber erst nach ihrem Ende.

jens tuengerthal 25.5.20

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