Freitag, 26. Juni 2020

Mutterlinien

Wie entwickelten sich die weiblichen Linien im von Männern dominierten System seit dem Mittelalter und wie könnte sich die Zukunft verändern?

Frauen wurden durch das Erstgeburtrecht der männlichen Linie immer weiter aus dem Besitz gedrängt. Älteste Söhne erbten, sofern sie nicht Kirchenämter übernahmen. Frauen wurden möglichst standesgemäß verheiratet, bekamen eine Aussteuer und verschwanden damit aus dem Bereich der Erben, wurden vom Eigentum ausgeschlossen und damit wirtschaftlich quasi ausgeschlossen, auf die Rolle als Mutter der Erben und Ehefrau beschränkt.

Frauen die nicht heirateten, standen nicht besser da. Ihnen wurde in großen Familien teilweise ein Gut zugewiesen, wenn sie nicht in Klöster oder Stifte abgeschoben wurden. Während früher ihr Erbe häufiger an die Kirche ging, schloss die primogenitur Regel dies aus und ihr Besitz fiel wieder ins möglichst ungeteilte Vermögen der Familie zurück.

Eine wichtige Rolle konnten in adligen Familien Frauen spielen, die etwa Äbtissinnen von Stiften mit großem Landbesitz wurden, die damit von der Macht her fast fürstlichen Bischöfen oder den Äbten reicher Klöster nahestanden, doch betraf das eher seltene Ausnahmen.

Praktisch wichtig und unentbehrlich aber waren Frauen von Anfang an für die soziale Stabilität und Integrität der Familie. Das Erbrecht hatte die Frauen und Mütter, die eigentlich nach der Natur die sicheren Vorfahren waren, weitgehend ausgeschlossen und damit das bloße Glaubensrecht zum faktischen gemacht, die männliche Linie mit dem Besitz verbunden - dafür waren Frauen für Ehre und Ansehen eines Hauses verantwortlich und somit die Repräsentanten der Würde eines Geschlechts. 

Was sich nach wenig anhört und für Frauen die Nebenfolge hatte, dass sie anders als die Männer in der Ehe zur Treue verpflichtet waren, auch um die Sicherheit und Kontinuität der Blutlinie zu gewährleisten, wurde mit Beginn des Kreditwesens in der Renaissance zum geldwerten Faktor. Die Ehre der Frauen galt als Stabilitätsfaktor, der mehr oder weniger kreditwürdig machte. Eine gute Ehe mit einer als treu geltenden Frau war eine Sicherheit für einen Kredit, die im täglichen Leben immer wichtiger wurden.

So brachte eine Scheidung nicht nur drohende soziale Ächtung - damals viel mehr als heute - sondern vor allem ein hohes finanzielles Risiko, was beide aneinander kettete. Am finanziellen Risiko hat sich beim Erwerb etwa von Eigenheimen bis heute nichts geändert und auch wenn die Treue einer Frau kein maßgeblicher Faktor für die Kreditvergabe mehr ist, hat doch eine Scheidung schon manchen in den Konkurs gestürzt.

Entgegen dem Frauen ausschließenden Erbrecht haben sich Frauen so über die Zeit eine relevantere Rolle erkämpft und konnten mehr mitbestimmen, hatten im engen Korsett der christlich-patriarchalen Struktur eine wichtige Rolle inne, bei der sie durch ihr Verhalten den Wert des Vermögens mitbestimmten.

Dies Denken blieb bis weit ins 20. Jahrhundert hinein normal. Eine Frau heiratete auch nominell in eine Familie ein, gab dafür ihren Namen und ihr Erbe auf, konnte aber durch ihr Verhalten zumindest indirekt den Wert eines Kredites und dessen Bedingungen mitbestimmen, was angesichts formaler Diskriminierung, die lange noch normal war, zumindest eine stärkere Position gab, als es das patriarchale System vorsah und das ausgerechnet durch das eher konservative Kreditwesen.

Heute sind diese Diskriminierungen zumindest formal abgeschafft. Die Ehe ist keine Versorgungsgemeinschaft mehr, sondern eine Zweckgemeinschaft auf meist emotionaler Basis, entsprechend anfällig und empfindlich. Die frühere Gütergemeinschaft wird häufig formal ausgeschlossen. Zwar ist die Scheidung in Deutschland noch teuer und aufwendiger als etwa in den USA aber nicht mehr sozial geächtet sondern eher normal. Damit hat sich die Bedeutung der Familie und ihre Rolle vollständig gewandelt.

Familie soll dem Vergnügen dienen und möglichst nett sein, sonst wird bald mit Traditionen gebrochen, die ihren Zusammenhang verloren haben. Spannend wäre, welches Modell von Familie der Zukunft in einer egalitären Gesellschaft am ehesten entspricht.

Was können wir vom alten Modell noch übernehmen, was auf keinen Fall und was bleibt ohne das eine oder andere noch übrig?

Wieviel gutes vom alten Modell sozialer Sicherheit sollten wir in die Zukunft retten, was dagegen muss dringend vergessen werden?

Wie oft leben wir im Zwischenraum, der früher wie heute unklar definierte und müssen uns darum neue Orientierung suchen?

Wie kann die Familie der Zukunft aussehen und welche Sicherheit könnte sie bieten?

Geht es von der vielfach gescheiterten romantischen Ehe, die primär nur auf Gefühl basiert, wieder zurück zum Zweckbündnis, das mehr Sicherheit und Stabilität bietet?

Was ist der Schlüssel zum Glück unter den Bedingungen der Gleichberechtigung für die Familie der Zukunft?

Für wen wird es damit schwerer?

Viele Fragen, auf die ich noch keine Antwort habe, aber über die nachzudenken, die Zukunft entscheidend mitgestalten kann, statt sie nur zu erleben.

jens tuengerthal 26.6.20

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