Mittwoch, 27. Juni 2018

Verlierkunst

Kann verlieren auch ein Glück sein, dass uns weiterbringt, als schnelle Siege?

Die Kunst zu verlieren, ist wohl die schwerste und es erfordert lebenslange Übung, dabei gelassen zu bleiben. Viele asiatische Kulturen haben die Kunst, das Gesicht auch in der Not zu wahren, zur Höchsten erhoben. Daraus können dann, wenn sie es übertreiben und die Dinge zu Ernst nehmen, übertriebene Eskalationen entstehen, wie die Selbsttötung der Samurai - das ist in meinen Augen keine Kunst, kein Zeichen von Gelassenheit sondern die Flucht ins Nichts. Wo nichts mehr ist und wir nicht mehr sind, geht uns auch nichts mehr an, aber wir haben nicht einmal vorher mehr Gelassenheit bewiesen, sondern sind nur veralteten unmenschlichen Ehrbegriffen gefolgt.

Deutschland hat bei der WM verloren, weil sie nicht gut genug waren und ist darum ausgeschieden. Dies sogar mit dem in vielem noch gleichen Team, das vier Jahre zuvor Weltmeister wurde. Der Bundestrainer hat die Verantwortung für seine Mannschaft übernommen und das ist gut so. Ohne eine Fußballexperte zu sein, bin froh, wenn ich die Regeln einigermaßen verstehe, konnte ich doch erkennen, wie behäbig und mühsam die Mannschaft spielte, ganz anders noch als das junge Team, das unter dem gleichen Trainer im Jahr zuvor den Confed-Cup gegen einen Teil der Weltelite gewann.

Woran das lag und wer dafür alles Verantwortung trägt, ob die anderen einfach besser waren, wird der Analyse von Spezialisten unterliegen, die sich besser damit auskennen als ich, darum bin ich froh dazu ganz gelassen, keine Meinung haben zu müssen.

Natürlich habe ich mit der deutschen Mannschaft gefiebert, die gegen Schweden noch in der letzten Sekunde in einem fast Herzinfarkt Finale der letzten Sekunden verdient gewann und heute am Ende verdient verloren hat. Dann anzuerkennen, dass der andere besser war oder zumindest die eigenen Spieler ihre Qualität nicht entfalten konnten, die sie sonst haben, erleichtert mehr, als die Enttäuschung über die Niederlage nun in Wut gegen Einzelne zu verwandeln.

Ob es tröstend sein kann, von einem Weltmeisterfluch zu reden, nach dem bei den letzten Weltmeisterschaften auch immer die vorigen Sieger in der Vorrunde rausflogen, ist ungefähr so intelligent, wie Orakel oder Sterne zu fragen und auf zuverlässige Antworten zu hoffen - es wären nur die Träume von Geistersehern, von denen uns hoffentlich bereits vor über 200 Jahren unser großer Aufklärer Immanuel Kant befreite und das auch, wenn die Menschen gerade beim Sport seltsamerweise besonders zur Orakelgläubigkeit neigen.

Manche wünschen sich nun schon lautstark den Rücktritt von Weltmeistertrainer Löw und bekunden, sie hätten es ja schon immer gewusst, wünschen sich gleich den Abschied von Merkel noch dazu. Das zeugt weder von Vernunft noch von voriger Überlegung.

Sollte dieser bis dahin sehr erfolgreiche Trainer nun seinen Abschied wünschen, soll er ihn nehmen. Das ist seine Entscheidung. Größe und Gelassenheit bewiese er eher, wenn er versuchte, aus den Fehlern zu lernen und es besser zu machen. Eine ruhige Analyse des ganzen Teams wird ergeben, wo die Mängel lagen und woran sie scheiterten.

Vielleicht fehlte ihnen einfach das kleine Quäntchen Glück, dass es beim Fußball, der auch ein Spiel und trotz aller gegenteiligen Bekundungen keine genau berechenbare Schlacht gegen kalkulierbare Gegner wird, normal und dann ist es auch im Sinne der Verteilungsgerechtigkeit gut so, wenn der vorher Weltmeister mal weniger Glück hat. Lag es mehr am Glück als am Können von Team und Trainer, fände ich jede überstürzte Reaktion nun albern und ein Zeichen mangelnder Reife. Wenn einer erkennen kann, wo es gerade klemmt und was in Zukunft zu tun ist, dann ist es das Team mit seinem Trainer. Sie sollen in Ruhe gemeinsam daran arbeiten, nicht jammern, sondern kritisch analysieren und es besser machen. Verbesserung braucht Zeit und Ruhe. Hektik in hoch emotionalen Momenten scheint mir völlig falsch. Da könnte der Fußball und seine Fans von der Kanzlerin lernen.

Merkel ist momentan auch in einer sehr schwierigen Situation infolge einer sehr menschlichen Entscheidung, die sie einmal getroffen hat und die ich ihr hoch anrechne. Natürlich gibt es Schwierigkeiten und diese wollen in Ruhe gelöst werden. Wem, wenn nicht dieser Kanzlerin aber sollte ich nun Ruhe, Gelassenheit und Erfahrung zutrauen, die Probleme zu lösen?

Populisten, die mit der Angst spielen, verbreiten Panik, die nichts löst, sondern alles nur noch schlimmer erscheinen lässt, als es je war. Dass sie dabei auch auf Lügen setzen und die Furcht der Ängstlichen damit bis zur Hysterie schüren, macht es zu einem Problem, was wir nicht hätten, wenn wir alles mit Abstand und gelassener betrachteten.

Das Spiel mit der Angst ist wie der Fußball nur ein Spiel. Sich dabei in Gelassenheit zu üben und abzuwarten, erscheint mir wichtiger, als gleich zu wissen, was richtig ist und es auszuposaunen, damit alle Welt weiß, wer meiner Meinung nach Schuld ist.

Einen Schuldigen präsentieren und ihn öffentlich vorzuführen, ist leicht. Verantwortung übernehmen und für Lösungen kämpfen, auch wenn es schwer wird und mal ein Spiel oder eine Schlacht verloren geht, dagegen schwer.

Darum sehe ich diese Niederlage nun voller Gelassenheit und hoffe die Verantwortlichen stellen sich ihrer Verantwortung und werden an Lösungen für die Zukunft arbeiten. Der Weltmeister Italien, war diesmal gar nicht dabei, übt sich dafür auf einem anderen Feld in einer Abwehrschlacht auf dem Rücken Dritter.

Europa muss sich nun wie Deutschland gemeinsam der Verantwortung stellen und um Lösungen ringen, die werden nie allen gefallen und jede Seite wird, wie es immer so geht in der Politik, um ihre Positionen mit Vehemenz kämpfen. Darum werde ich, als ohne Wahlen relativ unbeteiligter Zuschauer, das Ganze nun mit möglichst großer Gelassenheit betrachten und hoffe die Verantwortlichen werden sich weiter ihren Aufgaben stellen und sie in Ruhe lösen, statt hektisch irgendwelchen populistischen Schwärmern hinterher zu laufen.

Im Ergebnis wäre das für den Fußball so gut wie für die Politik und so passt diese Niederlage gerade ganz gut in die Zeit. Nun heißt es, abwarten, aus Fehlern lernen, in Ruhe überlegen und dann in die richtige Richtung weitergehen. So gesehen ist alles gut so und wir können uns in Ruhe Zeit lassen.

jens tuengerthal 27.6.2018

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