Mittwoch, 5. Juni 2024

Unorthodox

Unorthodox

Alle Orthodoxie liegt mir fern
Lieber bin ich unorthodox in
Dem was ich denke aber doch
In bildungsbürgerlicher Orthodoxie

Einst aufgewachsen mit dem was
An Allgemeinwissen zu erwarten war
Wusstest du etwas dort nicht hieß es
Stets aber das ist doch Allgemeinwissen

Alles Allgemeine musste gewusst werden
Zumindest nicht unbekannt sein was den
Blick auf alle jenseits dieses engen Konsens
Verstellte wie sich nach außen abgrenzte

Die Bewunderung galt dem Wissen allein
Gefühle wurden geachtet aber waren im
Konkurrenzkampf um Geltung völlig egal
Wer nicht mithalten konnte hatte verloren

Bin damit aufgewachsen und habe die
Aufklärerische Achtung vor dem Wissen
Tief in mir verankert weil genau dieses
Dem Bürgertum zur Emanzipation half

Vor dem Untergang hat es dieses nicht
Bewahren können wie Thomas Mann so
Genial ironisch in seinen Buddenbrooks
Einst diese verlorene Welt beschrieb

Eine Welt die nur noch ein Ideal war
In der Realität kaum noch funktionierte
Aber viel Stolz darauf vermittelte denn
Wir die wir dazu gehörten waren ja wer

Nur wer etwas wusste konnte noch etwas
Werden und galt entsprechend auch im
Kreise der bürgerlichen Aufsteiger nur
Die Großmutter fiel aus der Reihe

Sie war quasi unorthodox zu dem
Wissensklüngel der Söhne mit dem
Vater bei dem der Brockhaus noch half
Was folgende Generationen übernahmen

Immer noch konkurrieren wir um Wissen
Wollen gerne besser dastehen aber alle
Schwärmen noch von der Großmutter
Welche die Liebe ganz war was hier

Bewusst kleingeschrieben wie mit z
Am Ende nicht das Tier also meinte
Sondern die Liebe fern bewunderte
Um die mit Wisse konkurriert wurde

Komme also aus einer Großfamilie
Der Besserwisser deren Urgroßväter
Schulrektoren oder noch weiter zurück
Bibliothekare waren also Wissensverwalter

So schrieb mein Urgroßvater Max der
Schuldirektor einer Mädchenschule zu
Hannover war einst eine Bibelkunde
Sachkunde im Glauben zu vermitteln

Leider blieb dieser auf den Feldern vor
Verdun noch liegen im Ersten Weltkrieg
Warum ich nicht beurteilen kann ob der
Oberlehrergestus aller von ihm stammte

Es ist diese Verehrung des Wissens
Was als Allgemeinwissen noch dazu
Einen moralischen Druck erzeugen
Sollte einerseits eine Emanzipation

Von den vorher herrschenden Klassen
Heute ein lächerliches Ritual nur noch
Was sich neue Werte suchen sollte um
Für Gleichberechtigung wieder zu stehen

Bin auch so ein Besserwisser wie alle
Es gerne in der Familie spielen geworden
Noch dazu ein totaler Theoretiker der nur
Ohne Anschauung glaubt was er denkt

Denke ich also über meine Herkunft nach
Wie was diese aus mir machte wäre es
Spannend mal völlig unorthodox zu sein
Statt Wissen dem Gefühl zu folgen

Vielleicht ist es schon unorthodox in
Dieser Familie ein Dichter zu werden
Sich brotloser Kunst hinzugeben wie
Die Frauen geliebt zu haben ohne

Eine je zu heiraten auch wenn dies
Zumindest mehrfach orthodox noch
Versprochen wurde bin ich um die
Ehe bisher noch herumgekommen

Ein Sein jenseits der Konventionen
Als Dichter und Geliebter zu führen
Erlaubt er mir vielleicht dafür sonst
Orthodox preußisch zu denken

Preußen gibt es nicht mehr warum
Keine Gefahr mehr davon ausgeht
Ein historischer Kulturpreuße zu sein
Was staatenlos unorthodox doch ist

Über preußischen Drill lache ich nur
Der wie Felix Krull jahrelang brauchte
Endlich anständig ausgemustert noch
Zu werden was heute keiner mehr kennt

Doch scheint es dem Aussteiger aus
Den Wegen der Familie angemessen
Die Preußenverehrung des Großvaters
Als Erinnerung wach zu halten

Am Ende bin ich unorthodox preußisch
Als Künstler in der Familie akademischer
Besserwisser und lache darüber denn
Besseres bleibt am Ende uns nie

jens tuengerthal 4.6.24

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