Dienstag, 28. März 2017

Berlinleben 032

Mauerblumen

Ein Bilderbuchtag unter blauem Himmel reizt zum Ausflug mit dem Rad. Nach Tee und Müsli wird James mein tiefschwarzer Drahtesel gesattelt oder zumindest fahrbereit gemacht. Nur wo lang soll es gehen, frage ich mich am Helmholtzplatz in die wärmende Frühlingssonne blinzelnd. Na nimm doch mal den Mauerradweg, sagt etwas in mir und ich denke an die vielleicht schon zauberhaft blühenden Kirschen am Ende des Mauerparks.

Schön bepflanzt ist der ehemalige Grenzstreifen der mit Vorliebe lebewurstgrauen DDR heute nahezu überall, wo etwas von ihm blieb, nicht der teure Baugrund schon unter Beton, Asphalt oder andersartigen Denkmälern und ihrer auch eigenwilligen Ästheitk verschwand. Längst gibt es überall auch Hinweise auf den Grenzverlauf, mit einer kleinen ebenerdigen Mauer im Boden auf dem gelegentlich Berliner Mauer vermerkt steht, die im Strom der Massen genauso schnell übersehen werden, wie die reale Mauer unüberwindbar war.

Hätte ich meine ersten 19 Lebensjahre auf der anderen Seite der Mauer verbracht, etwa dort, wo ich jetzt lebe, wäre dies vermutlich völlig anders verlaufen, sagte ich mir manchmal und frage es mich heute, nachdem ich mehr als eine sehr nah kennenlernte, die jenseits der Mauer aufwuchs, immer weniger. Ob ich zu denen gehört hätte, die gegen die totalitäre Dummheit des SED Regimes aufgestanden wären, Mut gehabt hätten, sich zu widersetzen, weiß ich nicht. Bei uns war es leicht gegen etwas zu sein und hipp, wie ich es früher mal tat, sich für Greenpeace zu engagieren, für Frieden zu demonstrieren, über den dicken Kohl zu schimpfen, Atomkraft oder nicht für lebenswichtige Fragen zu halten, weil Strom aus der Steckdose kam. Dort war es schwerer und stellten sich auch aus Mangel viele andere Fragen, die sich im Überfluss keiner mehr stellte. Manches wird tiefer, wenn es schwerer wird, anderes wichtig und doch rechtfertigt auch die geistige Größe der Opposition nicht die vorher Diktatur, nur weil sich deren Gegenteil konstruktive Nischen suchte, was manche Nischenbewohner gern vergessen.

Es gab einmal zwei sich fremde Welten nebeneinander, die trotz politischem Gerede von Versöhnung durch Annäherung, einander fremd wurden. Während mich die Bilder der FDJ Aufmärsche, die ich in der Schule sah, an die HJ erinnerten, das DDR-System klar totalitär war, lernten die Freunde im Osten wie stark die Faschisten und das unterdrückerische System der USA im Westen wirkte, was manche heute bis zu dem Wahn brachte, sie seien noch Reichsbürger.

Symbol für die Teilung der beiden deutschen Staaten war die Mauer in und um Westberlin. Auf einer Länge von 167,8 km umgab sie die drei Westsektoren vollständig und machte so die westlichen Inseln Berlins zu einem paradiesischen Zoo inmitten der Mangelwirtschaft der sowjetischen Zone. Es vermieden die diesseits der Mauer lieber, zu nah an sie zu gehen und hinüber zu sehen, wer wollte schon einen Blick riskieren, der bestraft werden konnte. Dafür gab es eigentlich verbotenes Westfernsehen und unauffälligere Orte den dortigen Wohlstand zu betrachten, dessen verführerische Bedrohung des Ostens durch den antifaschistischen Schutzwall verhindert werden sollte, der sich nach offiziellen Stellungnahmen ständig bedroht und verfolgt sah.

Der Schutz wirkte dabei so stark, dass er zwischen 17. August 1961 und 9. November 1989 wohl bis zu 245 Menschen das Leben kostete, die sich nicht von Mauern auf dem Weg zum Glück aufhalten lassen wollten, was immer dies ominöse Glück dann tatsächlich sein sollte. Die Zahl der Toten schwankt je nach Betrachtung um fast die Hälfte und es wird um die Art und Weise heftig und emotional bis heute gestritten, was mich hier aber weniger interessiert.

Schon seit 1960 galt für alle DDR Grenzsoldaten der Schießbefehl, der allerdings erst 1980 zum Gesetz wurde. Es gibt einen solchen Befehl im Falle einer Bedrohung und als subsidiäres Mittel an jeder Grenze der Welt. Während der Diskussion um die Vertriebenen, die auch Flüchtlinge heißen, forderten einige der AfD Flintenweiber wieder einen Schießbefehl an deutschen Außengrenzen, um uns vor dem Ansturm national zu schützen, was zeigte wie realitätsfern diese Partei bis heute ist und wie sie alles tut, um mit dem Bruch von Tabus Aufmerksamkeit zu bekommen und zugleich wie nah sich die Extremisten von AfD und SED doch wieder sind.

Erstaunlich viel Zustimmung genießen die neuen Rechtsradikalen auch um den AfD vor allem im Osten und dort am stärksten in Sachsen, das zu DDR Zeiten bei Dresden noch das Tal der Ahnungslosen hieß, weil dort kein Empfang von Westfernsehen möglich war. Dort wurde auch die Pegida Bewegung groß, die eine Mauer gegen den Islam errichten wollte, vor dem sie sich fürchtet und was offenbart, wie hoch die Mauern in vielen Köpfen immer noch sind, vor allem aber wie gering das Selbstvertrauen dieser Ossis heute noch ist, wie wenig sie der europäischen Freiheit zutrauen, als überlegenes System den mittelalterlichen Aberglauben ganz natürlich und evolutionär zu erledigen. So entstanden auch im Schutz der Mauer manch geistige Biotope, mit deren Auswirkungen wir auch über 27 Jahre nach dem Fall der Mauer noch zu kämpfen haben, die eine Partei stark machten, die vielfach nicht auf dem Boden der demokratischen Rechtsordnung der Bundesrepublik und Europas steht in ihrem intoleranten Radikalismus.

Natürlich ist dies weniger ein Produkt tatsächlicher politischer Entwicklung oder Folge der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin sondern vielmehr Ergebnis eines neuen Kalten Krieges mit Moskau, der einst zur Errichtung der Mauer geführt hatte und der heute um die Köpfe junger Menschen ohne Orientierung mit nur höchstens halber Bildung geführt wird. Der Kreml finanzierte Pegida so sehr wie den AfD, den Front National in Frankreich und andere Extremisten, die damit im eigentlichen Sinne zu dem werden, was sie ihren Gegnern vorwerfen, Vaterlandsverrätern, da sie sich für russische Gasgelder zur Hetze gegen die tolerante Demokratie bestimmen lassen, Angst verbreiten und Lügen, um Unruhe zu stiften, aus der sie Vorteile ziehen wollen. Auf dieser Seite steht gern auch die radikale Linke und hält die Hand auf.

Aber das hat doch nichts mit der Mauer zu tun, um die es in diesem Kapitel eigentlich gehen sollte wird nun die gelangweilte Leserin vielleicht einwenden, sei nur eben politische Propaganda von der anderen Seite. Frage mich nur, auf welcher Seite steht, wer jenseits aller Parteien nur die Freiheit gegen jede Ideologie verteidigt. Stehe ja gern zwischen den Stühlen - bin fern aller rechten oder linken Ideologie und suche den Weg durch die Mitte - nicht weil dort die Mehrheit steht, was sie tatsächlich meist tut, mir sind Massen eher zuwider, darum läge es wohl näher Sonderwege zu suchen, doch geht es mir darum, zu verstehen, was ein Handeln begründet und welcher Weg am glücklichsten macht, den ich dann immer für den besten halte, weil es im Leben aus meiner Sicht um nichts als Glück je gehen kann, was es mehrt, ist gut, wo es gefährdet wird lauert radikale Gefahr.

Während ich nun im schönsten Sonnenschein radelnd dem Mauerradweg folge, erinnere ich mich, wie ich 2014 zum 25 jährigen Jubiläum des Mauerfalls diesen, den beleuchteten Kugeln folgend, entlang lief. Eine wunderbare Installation, besonders der Aufstieg der Kugeln in den Nachthimmel blieb mir immer in Erinnerung aber auch der Weg von der Grenze zwischen Prenzlauer Berg und dem Wedding an dem berühmten früheren Grenzübergang Bornholmer Brücke ging es los , um dann, den Gleisen folgend, durch den Mauerpark, nach Mitte die Spree entlang bis nach Kreuzberg zu laufen, was natürlich nur ein kleiner innerer Teil der Mauerstrecke war aber einer der wichtigsten zugleich und derjenige in meiner direkten Nachbarschaft. Tat es zweimal, einmal am 9. November an dessen Ende die Ballons gen Himmel stiegen mit einer sehr süßen Westberlinerin und einmal mit einer ursprünglich ich meine Bremerin, die vor Ewigkeiten in Kreuzberg gelandet war. Zwei Flirts über das  Online Netzwerk Finya, die beide die Mauer nur von der Seite kannten, auf der ich auch aufwuchs. Später erst sprach ich mit meinen Liebsten, die auf der anderen Seite der Mauer groß wurden, darüber. Es gab davor und danach einige von dieser und jener Seite der Mauer nur zufällig zur Zeit dieser Installation ergab es sich so, wie es sich ergab, dass der Wessi mit Wessis zusammen erlebte, was eigentlich die Vereinigung feiern sollte. In all der Zeit, in der ich nun im ehemaligen Osten lebe, habe ich, wie ich gerade überrascht feststelle nie mit einer meiner Liebsten von da den 9. November geteilt und tatsächlich die Wiedervereinigung gelebt - was angesichts der historischen Vielfalt dieses Tages vielleicht auch nicht das schlechteste Zeichen bis heute ist und mich dennoch überrascht.

Solange ich nur Freundinnen und längere Beziehungen mit Westfrauen gehabt hatte, waren die Ostfrauen mein Ideal, das so wenig mit der Realität zu tun hatte wie die umgekehrten Vorurteile wohl auch. So kam meine Familie väterlicherseits ja seit Jahrhunderten aus Thüringen, waren mein Vater und seine Brüder noch im Krieg in Mecklenburg geboren, bevor die Großeltern nach Kriegsende vor den Russen gen Westen flohen. Liebte den Osten in ganz vielem vom ersten Moment an, in dem ich ihn entdecken durfte und habe nahezu alle meine Ferien dort infolge verbracht, der ich Urlaub eher lästig finde - an den Stränden Mecklenburgs, auf dem Hof des Onkels in Nordwestmecklenburg, nahe der Küste, im geliebten Weimar, auf der Müritz und den Seen in ihrem Umfeld immer wieder. Fühlte, so sehr ich als echter Wessi einerseits dort fremdelte, eine tiefe Verbundenheit zur ostdeutschen Landschaft, den wunderbaren Alleen, auch wenn sie bald zum Grab nicht nur vieler Trabanten wurden.

Als ich nach Berlin zog, wo ich nie hin wollte, nur zufällig halt einen Job hatte, zog es mich in den wilden Osten, eben nach Prenzlauer Berg, worüber ich viele Gerüchte vorab hörte, ohne eine wirkliche Ahnung zu haben und mein erstes Zimmer, das ich über Nacht mieten müsste, war dann auch noch möbliert in einem Neubau im Westen, also gerade noch Wedding, kurz bevor es über die Mauer ging, die es natürlich, als ich 2000 in Berlin ankam, längst nicht mehr gab. Die Wolliner Straße, in der dieser Bau lag, ging vom Osten, der Zionskirche, an der noch der berühmte Bonhoeffer wirkte und die Arbeiterkinder aus dem benachbarten Wedding unterrichtete, in den Westen. In ihr lag die letzte Häuserreihe vor dem Mauerpark, dem ehemaligen Grenzgebiet. Schaute von meinem Balkon aus nach dem Parkplatz im Hinterhof und dem benachbarten Schrottplatz neben Kohlenhandlung, zumindest wenn ich etwas den Kopf hob, direkt auf das frühere Stadion der Weltjugend, das die obere Grenze des Mauerparks bildet.

Ins Büro ging ich etwas über einen Monat von Westen nach Osten, lief über die nur noch imaginäre Mauer, ging an der Zionskirche vorbei bis zur berühmten Schönhauser Allee an deren Anfang das Bürogebäude mit auch meiner Firma stand. Es wurde mir durch diesen täglichen Spaziergang bewusst, wie fern sich die Welten einerseits noch waren, wie irreal andererseits die Mauer war, die einfach Straßen durchschnitt. zur Vermeidung politischer Konflikte wurde die Mauer im diplomatischen Kontext Sektorengrenze genannt. So hießen auch die Grenzabschnitte zwischen dem französischen, englischen und amerikanischen Sektor im Westen Berlins, die aber real natürlich keine Grenzen waren, sondern höchstens durch ein Schild gekennzeichnet wurden, an deren Überquerung niemand gehindert wurde.

Eigentlich ist dieser scheinbar diplomatische Ausdruck erst wirkliche perfide, weil er klingt, als sei die Zonengrenze nach Ostberlin einfach nur ein weiterer Abschnitt der in Sektoren aufgeteilten Stadt, damit zwar die DDR Regierung und östliche Diplomaten das offizielle Gesicht wahren ließ im eingemauerten Paradies des real existierenden Sozialismus und doch zugleich jedem offenbarte, wie es real um Freiheit und Menschenrechte im Sozialismus stand, der eine Diktatur als Mittel, um ins gelobte Land zu gelangen, verkündete und damit offenbarte wie unmenschlich er schon vom System her war, was manche sozialistische Träumer mit ihrem Ideal der Umverteilung gern heute wieder verdrängen. Marx mag ein brillanter Analytiker gewesen sein, die Konsequenzen waren unmenschlich und sind es bis heute geblieben, führten konsequent zum Stalinismus. Es gibt keinen Grund diesen Denker noch zu ehren.

Die Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszonen nach dem Zweiten Weltkrieg war eines der Ergebnisse der Konferenz von Jalta, zu der Stalin noch im Februar 1945 in den Badeort auf der Krim geladen hatte. Dem Zweiten Weltkrieg folgte der Kalte Krieg, der zur Konfrontation der Supermächte UDSSR und USA führte, in der sich das westliche Europa und die sogenannte freie Welt den USA anschlossen, während die UDSSR über den später Warschauer Pakt, das Gegenstück zur westlichen NATO, ganz Osteuropa und große Teile des Ostens überhaupt kontrollierte, diesen gen Westen abschloss.

Spannend waren die Überschneidungen immer wieder in den Grenzgebieten des alten Handels entlang der früheren Seidenstraße und genau diese Regionen sind bis heute umkämpft. In Deutschland stand infolge eine lange Grenzbefestigung und eine weniger lange Mauer um die westlichen Sektoren Berlins. Der Westen Deutschlands unter britisch, französisch, amerikanischer Besatzung war die BRD geworden, die Wert darauf legte, Bundesrepublik zu heißen, um sich von der nur DDR abzugrenzen, dem Osten, den wir im Westen auch gehässig lange noch SBZ nannten, um trotz Brandts Entspannungspolitik die DDR nicht als Staat anzuerkennen, mit dem wir bei olympischen Spielen und im Fußball tatsächlich konkurrieren mussten.

All dies ist das Umfeld, auf dem die Mauer gedieh, die Deutschland und vor allem Berlin 28 Jahre teilte und also 2017 schon so lange wieder offen sein wird, wie sie je bestand und die noch in vielen Köpfen und Überzeugungen realer existiert, als es sich die strategischen Planer im Kalten Krieg vorstellen konnten. Da gab es Kennedy, den die Berliner lange verehrten für seine gedenglischte Solidaritätsbekundung, die besagte, er sei ein Berliner und alle freien Menschen dieser Welt würden nun die Freiheit Berlins verteidigen, das die Sowjets abredewidrig abgeriegelt hatten. Oder war es eine autonome Entscheidung der DDR Regierung, der langsam alle guten Leute wegliefen?

Direkt nach dem Krieg gab es noch überall die stark kontrollierten Zonengrenzen im Land und ohne triftigen Grund, war es sehr schwer, von einem Bereich in den anderen zu reisen. Auch zunächst in den westlichen Zonen. Denke dabei gerade an die Geschichte, die uns der Vater meines lieben Freundes M neulich so ganz nebenbei erzählte, wie er nach dem Krieg als ältester Sohn mit der Mutter noch einmal zurück auf das schlesische Gut der Familie fuhr. Damals über Berlin und quer durch die SBZ, was für einen noch relativ jungen Mann viel Mut erforderte, er aber so ganz lapidar erzählte, während wir einen Trockner transportierten, als sei es das normalste auf der Welt, wenn der Vater schon als Botschafter unter seltsamen Umständen zumindest verstarb, sich von den Geschwistern zu trennen und durch das Gebiet der nicht zu Unrecht gefürchteten Russen mit der Mutter allein zu reisen, um das vorher natürlich preußische Schlesien aufzusuchen.

Diese ehemals österreichischen Kronländer waren ja nach den zumindest darin erfolgreichen drei schlesischen Kriegen des Großen Friedrich, der darüber so groß wie alt wurde, unstrittig 200 Jahre schon preußisch gewesen, auch wenn sie heute unbestritten nun polnisch sind, auch um des lieben Friedens willen, der Europa endlich eint und der hoffentlich bald wieder von allen Europäern gleich hoch geschätzt wird, statt sich in kleinlichem Konkurrenzdenken ohne Perspektive zu verlieren.

Der Vater meines Freundes wagte die Tour durch die Zonen und er blieb auf dem Rückweg, als sie sehen mussten, dass es bei den Gütern wohl nicht blieb im sich formierenden Ostblock nicht etwa in der sowjetischen stecken, sondern die Briten wollten ihn zunächst nicht weiter zu den Geschwistern reisen lassen, die zu dieser Zeit in einem Internat am Bodensee weilten - ob dies nun in der gerade französischen oder amerikanischen Zone war, habe ich nicht mehr genau im Kopf - und wie er dann schmunzelnd die Geschichten erzählte, die ihm, der aus einer alten Familie mit großem Namen kommt, womit es im Ergebnis auch zusammnehing, doch einen Weg gegen alle damals Verbote bahnte, ist eindrucksvoll und sollte vielleicht noch mal ein Buch werden, weil die Zeitzeugen dieser Erlebnisse ein wichtiges Kapitel der deutschen Geschichte bilden, was uns manches am Blick auf die Mauer und ihre Folgen heute erst verstehen lässt und einen Blick über die Grenzen wirft, die immer nur irgendwann gezogene sind.

Solche Geschichten kannte ich im kleineren Ausmaß auch von meiner Großmutter väterlicherseits, die kurz nach Kriegsende aus dem Siegerland, in das sie sich mit Pferd und Wagen auf ihrem Trek flüchteten, noch einmal ins zuvor heimische Mecklenburg aufbrach, um die zurückgelassenen Schätze der Familie vielleicht noch zu retten. Das Silber, das sie im Garten vergruben oder die handsignierten Ausgaben der großen Weimarer Klassiker aus dem Erbe des Ururgroßvaters, dem Hofbibliothekar zu Gotha einst. Das Silber grub sie aus und schmuggelte es wohl unter ihren Röcken versteckt aus der SBZ. Die Ausgaben der Klassiker aber fand sie nur bei einem Güstrower Antiquar im Regal und als sie dort feststellte, dass seien doch die ihrer Familie, hätte dieser ihr gedroht, die Russen zu rufen, wenn sie nicht schleunigst verschwände, denn wer geflohen war aus der kleinen Stadt Güstrow, blieb kein Geheimnis, auch nicht, dass es bei der lange Gutstochter noch mit einem der letzten bülowschen Wagen und Pferde war und so schwieg sie und verschwand ganz schnell, um wieder zu ihrer Familie mit den vier Söhnen im Siegerland zu kommen, wo sich mein Großvater jahrelang als Holzfuhrmann verdingen musste, weil die Nazis ihn degradiert hatten, der als vertrauenswürdiger Beamter auf den Listen Goerdelers gestanden hatte, weil er dem Regime immer kritisch gegenüber blieb als preußischer Kadett, während sein Bruder der erfolgreicher Nazi war, schnell bei der Kirche als Pastor in der Jugendarbeit Unterschlupf fand.

Es hat oft viele Gründe und Wurzeln, warum das Verständnis und die Toleranz gegenüber totalitären Weltsichten und ihren Mitläufern größer oder kleiner ist, scheint mir inzwischen - als bekämst du die Neigung zum Widerstand oder nicht und der Bereitschaft für die Freiheit einzustehen, schon mit der Muttermilch mit. Aus der Familie meines Freundes M, von dessen Vater ich erzählte, stammen viele der Helden des Widerstandes, natürlich gab es dort auch die Nazis und Mitläufer wie überall und doch umgibt auch jene, die noch nichts  tun konnten in der Haltung zu den Dingen eine Würde, die wir in Krisenzeiten bedenken und anhören sollten, weil sie wichtig für die Zukunft sein könnte, wenn wieder einer die Freiheit beseitigen möchte. Der Dietrich Bonhoeffer, an dessen Wirkungsstätte ich auf dem Weg zur Arbeit vorbeilief war auch so einer. Er wurde nicht nur posthum einer der wichtigsten Theologen der evangelischen Kirche der Nachkriegszeit, er half auch als Opfer den Deutschen mit ihrer historischen Schuld einen Weg zurück zur Verantwortung nach dem Krieg zu finden, auch wenn das rheinische Gemüt des Katholiken Adenauer noch ganz anders an die Dinge heran ging.

Das hat nun alles scheinbar nichts mehr mit der Mauer zu tun und ist doch im Kern ganz wichtig, um zu verstehen, wo und auf welcher Seite wer stand, der mit dieser Mauer leben musste, sie hinnahm, für besser hielt als Krieg und warum Freiheit etwas anderes ist als Sozialismus, dem totalitären Nationalsozialismus östlich ein nicht minder totalitärer real existierender Sozialismus folgte und dessen klare Verurteilung gerade wieder im Relativismus der Geschichte zu verschwimmen droht. Die völlige Verwischung der Schuld und Verantwortung für das sogenannte Dritte Reich wurde durch die bewegte Generation von 1968 im Westen verhindert, die Generation um meine Eltern, die teilweise ihre Eltern zur Stellungnahme erstmals zwangen und auch wenn sie noch wenig erreichte, doch zumindest für ein moralisches Gewissen im besseren Deutschland kämpfte. Was ein gutes Deutschland wäre, wie es mancher George Anhänger im Widerstand noch formulierte, wüsste ich nicht zu sagen und lasse darum das Streben nach dem Besseren als Willen für das Gute zumindest genügen.

Die Mauer war für viele auch die gerechte Strafe für das böse Deutschland, das geteilt wurde, weil es sich am Tisch der Nationen nicht zu benehmen wusste. Heute sieht es nach dem Gegenteil aus, auch wenn Kohl angeblich noch über Merkel lästerte, sie wisse nicht mit Messer und Gabel zu essen, wie wenig erstaunlich viele, die in östlichen Kitas aufwuchsen auch unter meinen Lieben, was mich nur am Anfang verwunderte. Merkel gilt vielen aus guten Gründen als das Gewissen und die Mutter und Verteidigerin des alten Europa an die Obama den Stab der gerechteren Welt übergab.

Vielleicht etwas zu pathetisch, passt nicht zu Muttis preußischem, eher bescheidenen Stil. Zumindest weiß sie sich nicht nur bei der Queen zu benehmen, die beiden schätzen sich offensichtlich, sie isst heute auch fraglos vorbildlich, keiner glaubte Kohls Anekdoten noch, die eher geschwätzig wirkten - durch ihren großen Mut in der Flüchtlingsfrage hat Merkel es geschafft, trotz großem Widerstand in Europa, dass Deutschland wieder zu einer moralischen Instanz wurde, die tat worüber sie redete, was wir gar nicht hoch genug bewerten können. Der Schatten der Mauer verschwindet unter dem Mantel der moralischen Kanzlerin in Europa, die als moralische Instanz sich kritisiert sieht, nicht als imperiale Größe, die sie eher stiller ausüben lässt.

Nie hätte ich es für möglich gehalten zu Kohls Zeiten in meiner Jugend, dass ich eine CDU Kanzlerin loben würde, die den Fall der Mauer auch in persona symbolisiert und die doch den Wandel der CDU von einem konservativen Altherrenverein, den gibt es immer noch, aber der nörgelt eher aus Bayern, zu einer Partei der bürgerlichen Mitte mit einer Politik zu schaffen, die emanzipierter und progressiver ist, als es die SPD real je schaffte, die sich lieber an überholten Formeln festhält und den nächsten Scharlatan als Hoffnungsträger einstimmig erhebt, wo wieder die sozialistischen Wurzeln des Glaubens an die wahre Lehre durchschimmern, die eigentlich fern der Demokratie noch sind und die links zu kuscheln versucht aus Gier nach der Macht, ihre Wurzeln verleugnet und ihre Geschichte vergisst.

Der Streit, der einst zur Teilung führte, resultierte aus der Gier Stalins und seinen Forderungen nach Reparationen. Als er bemerkte, dass seine Zone allein die hohen Ansprüche der UDSSR nicht befriedigen könnte, forderte er zusätzliche Leistungen aus dem Ruhrgebiet, was die Franzosen erlaubt hätten, Britannien und die USA aber strikt ablehnten. Stalins UDSSR gab daraufhin bekannt, unter diesen Bedingungen könnte sie der im Potsdamer Abkommen geplanten wirtschaftlichen Einheit nicht zustimmen und so gab im aufkeimenden Kalten Krieg eine Hand die andere. Bereits bei der Alliierten Sechsmächtekonferenz in London im Februar 1948  wurde die UDSSR ausgeschlossen und zog sich daraufhin beleidigt aus dem Alliierten Kontrollrat zurück. Solche Dinge passieren im Kindergarten oder in der Schule täglich und gut sind diejenigen, die solche Konflikte konstruktiv lösen, statt sich mit Großmäuligkeit zu profilieren. Daran gemessen waren die Alliierten alles eher unbegabt zur Führung im mit vorgestrigen Parolen eskalierenden Kalten Krieg.

Der nächste Schritt war dann die überraschende Währungsreform zum 20. Juni 1948, mit der die DM als Zahlungsmittel die Reichsmark in den Westzonen ablöste, die zugleich plötzlich eine wirtschaftliche Einheit bildeten. Damit spalteten sich Deutschland und auch Berlin in zwei separate Währungsgebiete. Die Separierung wurde faktisch. So führte die sowjetische Führung im Osten die Ostmark ein, worauf die Westberliner Regierung ihrerseits entschlossen die DM West für sich einführte.

Zu ersten Problemen kam es sofern Arbeitsplatz und Wohnort hier in den Währungsgebieten auseinanderfielen. Die Sowjetunion reagierte darauf mit der ersten Berlinblockade, die vom 24. Juni 1948 bis zum 12. Mai 1949 dauerte und erstmals die Spaltung faktisch manifestierte. Gleichzeitig wurde Großberlin im beginnenden Kalten Krieg zu einem zentralen Ort der gegenseitigen Bespitzelung der west-östlichen Nachrichtendienste. Nur 11 Tage nach Ende der Blockade gründete die Trizone im Westen am 23. Mai 1949 die Bundesrepublik neu während die SBZ am 7. Oktober zur DDR wurde.

Theoretisch hatte Berlin den Status einer entmilitarisierten Zone, stand unter Viermächtehoheit und war von den beiden deutschen Staaten unabhängig, was jedoch in der Praxis wenig Bedeutung hatte. West-Berlin hatte de facto den Status eines Bundeslandes, jedoch fanden zumindest im Zuge der Entspannungspolitik keine Bundesratssitzungen mehr in Berlin statt, während die DDR ab den 60er Jahren ganz Berlin zur Hauptstadt der Republik erklärt wurde, wobei der östliche, totalitär regierte sowjetische Teil sich aus Propagandagründen den Namen Demokratischer Sektor gab und damit viel für die Relativität der Begriffe tat unter denen im politischen manche Wirklichkeit bis zur Unkenntlichkeit verschwimmt.

Ab 1952 gab es in der SED Führung Überlegungen die Westsektoren abzuriegeln, was jedoch zunächst aus verkehrstechnischen Gründen nicht sofort möglich war, da die dortige Reichsbahn vor der Fertigstellung des Berliner Außenrings auf Fahrten durch die Westsektoren angewiesen war. Nach dessen Fertigstellung im Mai 1961, war die Situation eine andere. Dennoch blieb die nahezu unkontrollierbare Grenze noch offen über 120km im Außengebiet und 45km in der Stadt und so flohen von 1945 bis 1961 etwa 3,5 Millionen Menschen aus der SBZ und stimmten also mit den Füßen über die dortige Politik ab.

Die Sowjetunion wollte Berlin zwischenzeitlich zu einer freien Stadt machen und eine Anerkennung durch BRD und DDR durch einen Friedensvertrag erreichen, was mit dem Chruschtschow-Ultimatum 1959 durchgesetzt werden sollte, nach dem gedroht wurde ansonsten die Regelung des Zugangs der DDR zu überlassen, was die Bundesregierung entschieden ablehnte. Auch die USA wiesen dies zurück, da sie nicht erpressbar sein. In der Folgezeit kam es durch Misswirtschaft zu einer noch größeren Krise in der DDR, bei der die Sowjetunion diesmal nicht so weitgehend half. Ein weiteres Problem waren die Grenzgänger, die aus beruflichen Gründen nach West oder Ost passieren mussten, weil sie im anderen Sektor wohnten als arbeiteten. Sie wurden in einer Hetzkampagne der SED als Verräter, Schmarotzer und Kriminelle öffentlich verhöhnt. Auch diese Propagande ließ vor dem Mauerbau die Zahl der Flüchtlinge eklatant ansteigen, allein im Ostteil Berlins fehlten bald 45.000 Arbeitskräfte. Vor allem junge und gebildete Leute suchten das Weite und der DDR drohte ein immer schmerzhafterer Aderlaß. Allein im Juli 1961 flohen 30.000 Menschen und am Tag vor dem Mauerbau, dem 12. August 1961 verließen noch 3190 Menschen die DDR.

Die Entscheidung zum Mauerbau war bereits bei einer Besprechung von Chruschtschow und Ulbricht am 3. August 1961 in Moskau getroffen worden. Vorher hatte sich die sowjetische Führung noch lange gegen solch ein Vorhaben gewehrt. Damit sollte die Regierung der DDR die “Abstimmung mit den Füße” beenden können. Die Planung war ein absolutes Staatsgeheimnis und erst am 10. August, also drei Tage vor Beginn, bekam der BND erste Hinweise auf die Planung. Die Mauer wurde auf Geheiß der SED Führung unter Aufsicht von NVA und Volkspolizei durchgeführt.

Noch am 15. Juni 1961 hatte Ulbricht auf einer Pressekonferenz versichert, auf die Frage einer Journalistin der Frankfurter Rundschau hin, niemand habe die Absicht eine Mauer zu errichten, was später zum geflügelten Wort für die Glaubwürdigkeit der Aussagen der SED Führung wurde. Warum aus den Irak begründenden Lügen noch nicht ähnliches wurde, wäre eine interessante Frage, die hier aber zu weit führte. Der BND erfuhr am 12. August von dem Beschluss des ZK der SED den Ostsektor abzuriegeln, um den beständigen Flüchtlingsstrom zu  unterbrechen. Am Abend des 12. August teilte Ulbricht einem kleinen Kreis der Führung mit, dass es in der Nacht zu Grenzsicherungen käme, wörtlich sagte er.

„Zur Unterbindung der feindlichen Tätigkeit der revanchistischen und militaristischen Kräfte Westdeutschlands und Westberlins wird eine solche Kontrolle an den Grenzen der Deutschen Demokratischen Republik einschließlich der Grenze zu den Westsektoren von Groß-Berlin eingeführt, wie sie an den Grenzen jedes souveränen Staates üblich ist. Es ist an den Westberliner Grenzen eine verläßliche Bewachung und eine wirksame Kontrolle zu gewährleisten, um der Wühltätigkeit den Weg zu verlegen.“

Schon vor der Sitzung hatte Ulbricht die Anweisung unterschrieben und Honecker, der den Plan ausgearbeitet hatte, war, während Ulbricht noch die Führung unterrichtete, längst auf dem Weg ins Polizeipräsidium, der Einsatzzentrale der “Operation Rose”.

In der Nacht begann die NVA mit zusätzlich 14500 Kräften aus Grenztruppen, Volkspolizei und Betriebskampfgruppen mit der Abriegelung der Grenze. Alle bestehenden Verkehrsverbindungen wurden unterbrochen. Erich Honecker verantwortete als zuständiger ZK-Sekretär damals die gesamte Umsetzung des Mauerbaus politisch im Namen der SED-Führung. Es kam dabei teilweise zu skurrilen Situationen in den Häusern in der Bernauer Straße, deren Hauseingang im Wedding lag, die aber ansonsten im Ostsektor standen.  Hier konnten die Bewohner nur noch durch die Hinterhöfe in ihre Wohnungen und die Fenster und Türen wurden zugemauert, um jede Flucht zu verhindern. Das Lenné Dreieck am Potsdamer Platz wurde von der Mauer ausgespart, obwohl es eigentlich zu Ost-Berlin gehörte und wurde so die nächsten Jahre zum rechtsfreien Raum.

Es gab in den folgenden Tagen noch zahlreiche teils skurrile Fluchtversuche auch von Grenztruppen. Dennoch rief Adenauer noch am gleichen Tag erstmal zur Besonnenheit auf und verkündete eine mit den Alliierten abgestimmte Reaktion, die später noch erfolgen würde. Nur der Berliner Bürgermeister willy Brandt protestierte auf politischer Ebene energisch ohne damit irgendwas zu erreichen. Adenauer ließ sich bis 22. August Zeit, um Berlin zu besuchen und sich die neue Grenze vor Ort anzuschauen. Die Alliierten reagierten sehr zögerlich und langsam, wenn überhaupt. Kennedy soll bereits im Juni 1961 Chruschtschow die  Zustimmung gegeben haben, dass Maßnahmen ergriffen werden könnten, die Abwanderung zu verhindern, solange weiter der freie Zugang nach West-Berlin gewährt werde.

“Eine Mauer ist verdammt noch mal besser als ein Krieg”, sagte Kennedy wörtlich, bekannte sich dann aber ausdrücklich zum freien Berlin. Dazu reaktivierte er General Lucius Clay, den Vater der Berliner Luftbrücke und schickte ihn mit Vizepräsident Johnson nach Berlin und erhöhte die Zahl der Truppen um 1500 Mann, die aus Mannheim nach Berlin geschickt wurden. Am 27. Oktober 1961 kam es dann zu einer direkten Konfrontation von 30 russischen und amerikanischen Kampfpanzern am Checkpoint Charlie, die aber ohne weitere Folgen blieb und am nächsten Tag zogen beide Seiten wieder ab. Viel Lärm um nichts. Wichtig war dies nur, weil es bewies, dass die UDSSR und nicht Ost-Berlin für den Osten Berlins militärisch allein zuständig war. Keiner wollte die atomare Auseinandersetzung wirklich riskieren.

Im Juli 1963 besuchte schließlich auch Kennedy die geteilte Stadt und hielt am Rathaus Schöneberg seine berühmte Rede, die in den Worten gipfelte: “Ich bin ein Berliner.” Dieser Akt der Solidarität war vielen verängstigten West-Berlinern sehr wichtig, da es vor allem die endgültige Absage an das Chruschtschow-Ultimatum bedeutete und Berlin wie die Leute dort lernten mit der Teilung zu leben, arrangierten sich mit Berliner Humor mit den Dingen, wie sie eben waren.

Die DDR Propaganda stellte die Mauer als notwendigen Schutz vor Unterwanderung, Sabotage, Spionage und Aggression aus dem Westen dar. Dass sich die Sicherung der Grenze und die militärische Überwachung nur gegen die eigenen Bürger richtete, war in der DDR bei Strafe verboten zu thematisieren. Zum fünften Jahrestag der Mauer forderte Ulrich von der Bundesrepublik einen Kredit von 66 Millionen Euro, um zumindest einen Teil des Schadens wieder gutzumachen, der vor dem Mauerbau durch Ausplünderung seitens der BRD entstanden sei. Es sei ein militärischer Angriff auf die DDR geplant gewesen, die sich nur durch den Mauerbau noch schützen konnte und damit den Weltfrieden gerettet habe. Daran sehen wir die Verkündung postfaktischer Wahrheiten ist schon älter als Trump und wurde von allen schwachen aber totalitären Regimen zur Kaschierung eigener Fehler genutzt. Es hat sich wenig je geändert in der Welt.

In den folgenden Jahren gab es viele kleine und größere Sticheleien, die der gegenseitigen Provokation dienen sollten und auf dem Rücken aller von der Teilung betroffenen Menschen ausgetragen wurde. Mit der neuen Ostpolitik durch Willy Brandt wurde die Grenze nach Osten etwas durchlässiger. Dabei sei dahingestellt, ob das auch an den von ihm hochrangig beschäftigten Stasi Mitarbeitern lag, die es bis zum direkten Berater brachten und Brandt schließlich das Amt aufgeben ließen. Es gab zwischen 13. August 1961 und 9. November 1989 noch 5075 gelungene Fluchten nach Westberlin. Davon allein 574 Fahnenfluchten.

Die Mauer fiel endlich in der Nacht von Donnerstag den 9. November 1989 auf Freitag den 10. November 1989. Die vorher Massenkundgebungen hatten die SED Führung dazu gebracht und sie hatten bereits seit Oktober mehr Reisefreiheit geplant, nur verzögerte sich die Durchsetzung wie so vieles im verkrusteten System des real existierenden Sozialismus. Grund war auch die zunehmende Flucht von immer mehr DDR Bürgern über die Botschaften der damaligen Ostblockstaaten. Irgendwas musste sich bewegen. Seit September und Anfang November waren die Grenzen von Ungarn und sodann der Tschechoslowakei bereits geöffnet worden.

Eigentlich sollte das am 9. November noch im Eilverfahren beschlossene neue Reisegesetz erst am 10. November in Kraft treten, doch die Ereignisse kamen dem Gesetz zuvor und die Wirklichkeit war mal wieder schneller als alle Reformen. Die leicht geänderte Vorlage gab Egon Krenz an das ZK-Politbüro Mitglied Günter Schabowski, als dieser zur Pressekonferenz ging, allerdings ohne diesen über die Sperrfrist bis zum nächsten Tag zu informieren. Diese live übertragene und von vielen Bürgern verfolgte Pressekonferenz wurde so unbeabsichtigt zum Auslöser der totalen Maueröffnung.

Ein italienischer Journalist namens Ricardo Ehrmann stellte noch eine Frage zum Reisegesetz, worum ihn vorher ein ZK-Mitglied in einen Anruf gebeten hatte, wie er 20 Jahre später erzählte, was er dann wieder relativierte, so genau wissen wir also nicht, was ihn zu seiner Frage motivierte, bei der er folgendes in etwas gebrochenem Deutsch vorbrachte:

„Sie haben von Fehler gesprochen. Glauben Sie nicht, daß es war ein großer Fehler, diesen Reisegesetzentwurf, das Sie haben jetzt vorgestellt vor wenigen Tagen?“

Auf diese Frage antwortete Schabowski sehr umständlich und ausschweifend. Bis ihm plötzlich wieder einfiel, dass er die neuen Reiseregeln auf der Pressekonferenz ja auch noch vorstellen sollte, die er aber noch nicht gelesen und nur eben in die Hand gedrückt bekommen hatte und er erwiderte:

„Und deshalb haben wir uns dazu entschlossen, heute eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, über Grenzübergangspunkte der DDR auszureisen.“

Auf die Zwischenfrage eines Journalisten, wann das in Kraft trete, begann Schabowski mit den DDR typischen umständlichen Erläuterungen der Planungen, worauf der Hamburger Bild-Reporter Peter Brinkmann nochmal nachhakte, wann es denn nun in Kraft trete antwortete er:

„Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.

Nachdem noch zweimal gefragt wurde, ob das auch für West-Berlin gelte, antwortete ein nervöser Schabowski, die Ausreise könne an allen Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD erfolgen. Er hatte die Mauer geöffnet, ohne es wirklich zu wollen.

Daraufhin verbreiteten die westlichen Medien sofort, die Mauer sei offen, was zu diesem Zeitpunkt noch nicht in die Praxis umgesetzt war. Sofort zogen tausende Ost-Berliner zu den Grenzübergängen, die noch von nichts wussten, und verlangten die sofortige Öffnung der Grenze. Weder die Grenztruppen, noch die Einheiten zur Passkontrolle oder die sowjetischen Truppen waren darüber bisher informiert worden. Um den Druck der Menschenmassen zu mindern wurde am Grenzübergang Bornholmer Straße um 21.20h den ersten Ostdeutschen die Ausreise nach Westen erlaubt. Ab 21.30 brachte auch RIAS erste Reportagen von den offenen Grenzen.

Es sammelten sich immer größere Menschenmassen vor den Grenzübergängen und am Grenzübergang Bornholmer Straße fürchtete der diensthabende Oberstleutnant Harald Jäger einen Sturm auf die Waffenlager warum er um 23.30h eigenmächtig beschloss die Grenze ganz zu öffnen und alle ohne Kontrolle oder Entwertung des Passes ausreisen zu lassen. Zwischen 23.30h und 0.15h reisten allein über diesen Grenzübergang etwa 20.000 Menschen nach West-Berlin - unter ihnen auch mein lieber Freund M, den seine Mutter kurz vorher informiert hatte und machte sich mit 21 zum ersten mal auf in den Westen.

Teilweise wird heute behauptet der Grenzübergang Waltersdorfer Chaussee sei der erste offene gewesen, da sein Kommandant, der die Pressekonferenz im Fernsehen verfolgt hatte, bereits um 20.30. seine Soldaten angewiesen habe, alle durchfahren zu lassen und ihnen die scharfe Munition abgenommen hätte. Bis Mitternacht jedenfalls waren alle Grenzübergänge im Berliner Stadtgebiet offen. Der ganz große Ansturm setzte aber erst am Morgen des 10. November ein, da viele die erste Öffnung in der Frühaufsteherrepublik glatt verschlafen hatten.

Wie auch immer es tatsächlich nun ablief, scheint die Maueröffnung und wie sie ablief, weniger das Produkt strategischer Planung als überraschter und unvorbereiteter Eigenmächtigkeit zu sein. Es war der schlichte Versuch, dem immer mehr Chaos irgendwas entgegen zu setzen. Es mögen die Demonstrationen wie das europäische Picknick in Ungarn und der CSSR dazu beigetragen haben, dass sich eine träge Führung bewegen musste, dennoch ist es letztlich so, der eigentliche Akt war ein Missverständnis, so nicht geplant und ist darum niemandem als Verdienst wirklich zuzurechnen, es ist eben passiert in einem großen Zusammenhang, der sich nicht auf einfache Kausalitäten reduzieren lässt. Wie so oft in der Geschichte hatten kleine Fehler große Folgen und Veränderten Missverständnisse die Welt, ein eigentlich amüsanter Schluss, der viele große Ereignisse der Weltgeschichte eher zum Treppenwitz machte und ihnen damit manches an Ehrfurcht nimmt, es war eben menschlich.

Das Ganze wurde eine riesige Party, es wurde von vielen Wirten Freibier ausgeschenkt und auf dem Ku’Damm gab es Autokorsos, wildfremde Menschen lagen sich weinend in den Armen. Noch in der Nacht gab der damalige Bürgermeister Walter Momper Anweisungen, um dem erwarteten Ansturm gerecht zu werden. Von Begrüßungsgeld durch die Sparkassen bis zu Aufnahmelagern für Übersiedler.

Auch der Bundestag in Bonn unterbrach nach der Pressekonferenz, begrüßte die Ereignisse und am Ende standen spontan alle auf und sangen gemeinsam die Nationalhymne. Später behaupteten ein Staatssekretär und ein Bild-Reporter schon am Vormittag des 9. November von den bevorstehenden Ereignissen erfahren und sofort die Vorbereitungen begonnen zu haben. Die DDR-Führung machte zumindest keinen Rückzieher, egal, ob ihr die Dinge nun zufällig so gerieten wie nie geplant sondern öffnete in den nächsten Tagen immer mehr neue Grenzübergänge. Am Brandenburger Tor wurde die Mauer schließlich am 22. Dezember geöffnet in Anwesenheit des Bundeskanzlers und des Ministerpräsidenten der DDR.

Ab 24.12.1989 durften dann auch Bundesbürger und Westberliner ohne Visum, Beschränkung oder Umtausch in die DDR einreisen. Die Bewachung der Mauer wurde in den folgenden Monaten immer lockerer und die Mauerspechte, die Teile aus den Resten schlugen immer aktiver. Mit Inkrafttreten der Währungsunion am 1. Juli 1990 fielen sämtliche Kontrollen endgültig weg.

Pfingsten 1990 habe ich meinen ersten Urlaub in der gerade noch DDR verbracht, mit meiner damaligen Freundin und meinem besten Freund waren wir zum paddeln an die Müritz gefahren und als unser Kanu sich als undicht erwies - diese Westwaren taugten auch nicht viel scheint es, das Familienstück jedenfalls war durchgefault, - fuhren wir noch auf den Darß und erlebten in Priwall den großen auch FKK Campingplatz mit den Lagerzelten der vielen VEBs, besichtigten mit empörten Ossis die für unseren Geschmack schäbigen Datschen der zurückgetretenen DDR Führung am Darßer Ort, dem angeblichen Naturschutzgebiet mit geheimem Hafen. Es war ein Eintauchen in ein fremdes Land für mich, dass doch mein Land war, die gleiche Geschichte teilte. Besuchte die Geburtsstadt meines Vaters Güstrow und später noch einen Onkel meiner Freundin, der in Meißen Uhrmacher war. Kaufte viele, viele Bücher für billige Ostmark und wir aßen Berge von gedeckten Apfelkuchen bei der nach unserem Dafürhalten süßesten Bäckerin in ganz Mecklenburg in Ahrenshoop, bis meine Freundin meinen Freund und mich ermahnte, nun sei aber langsam gut, wir benähmen uns wie peinliche Wessis.

Bis ich erstmals das nicht mehr geteilte Berlin sehen würde, sollte noch Jahre dauern, die Stadt interessierte mich völligen Ignoranten damals überhaupt nicht.

Schon am 13. Juni 1990 hatte in der Bernauer Straße der offizielle Abriss der Mauer begonnen, die es heute nur noch zu Teilen als Erinnerungsstätte gibt. Es blieben sechs kleine Abschnitte als Mahnmal übrig, einige davon ganz in meiner Nähe eben in der Bernauerstraße. Noch immer rührt es mich irgendwie, wenn ich mit James die Mauer überquere und ich freue mich, was für viele wunderbare Menschen ich seitdem kennenlernen durfte, egal, ob sich nun die große Liebe dabei eher fand oder verlor. Reste und Teile der Mauer finden sich heute an vielen Orten der Welt. Eines sicherte sich die CIA, ein anderes steht in den vatikanischen Gärten und so immer weiter um die ganze Welt. Die Berliner Mauer kostete die DDR Milliarden und war ein ständiger kostenintensiver völlig unproduktiver Faktor, der die Krankheit eines Systems bewies, dass seine Menschen mit beschränkten Mitteln zwingen musste, weil es nie wirklich so funktionierte, wie es sollte, eine totalitäre Diktatur war, auch wenn es viele wunderschöne Erinnerungen der Menschen dort an ihr Leben in dem untergegangenen Staat gibt und manch zauberhafte Idylle mit dem Fall der Mauer unterging.

160 Kilometer mit dem Rad um Berlin, muss ich nicht an einem Tag erledigen, sondern fahre je nach Laune Teilstücke ab und  freue mich an neuen Entdeckungen, auf diesem historischen Weg, der auch die Verantwortung der SED und ihrer Nachfolger heute, die sich immer wieder gern sozial nennen und die anderen als Ausbeuter und Kapitalisten beschimpfen, deutlich macht und wach halten sollte. Die Linke ist keine harmlose Gruppierung sondern die rechtliche Erbin der SED, auch wenn sich die linke Gruppierung WASG mit der längst PDS genannten Ex-SED zur Linken einst vereinigte und auch den ehemaligen SPD Vorsitzenden Lafontaine aufnahm, dessen autoritäre Neigung ihn vermutlich so harmonisch mit seiner letzten Gattin Sahra Wagenknecht sein lässt und der von daher gut in diesen Verein passt. Sicher sind rote Socken Kampagnen nicht ohne Bart und eine gewisse Albernheit, doch sollte sich keiner darüber täuschen, dass der inhaltslose aber bärtige Kandidat der SPD Schulz die Grenze zur Linken aufweicht, was für Demokraten so untragbar sein müsste wie die Aufweichung der Grenze zum AfD durch die CDU, wofür unter Merkel bisher kein Risiko besteht.

Mauern bauen Versager und Extremisten, um die freien Menschen, die sich bei ihnen nicht wohlfühlen, aufzuhalten und fest zu binden. Wer sich an die Ränder zu den Extremisten begibt, sollte sich nicht von sozialen Versprechungen ohne sachliche Finanzierung einlullen lassen oder von vermeintlichem kulturellen Niveau, für dass sie sich einsetzen. Die Demokratie und die Freiheit wird an den Rändern gefährdet. Die Linke mag weniger schlimm sein als der AfD aber auch sie steht am Rand, nutzt Populismus und steht in vielem nicht auf dem Boden der Verfassung in der Überzeugung ihrer Mitglieder, die Enteignungen wohlfeil finden zur Durchsetzung ihrer teils totalitären politischen Interessen. Wer die Demokratie verteidigen und Mauern künftig verhindern will, wird darauf achten müssen, dass Europa mehr in der Mitte als an extremen Rändern steht. Die Freiheit sollte es uns wert sein.
jens tuengerthal 27.3.2017

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