Freitag, 20. Oktober 2017

Friedrichsstraßig

Von Kreuzberg aus ging es am frühen Vormittag wieder in Richtung auf den heimatlichen Prenzlauer Berg, dabei die ganze Friedrichstraße hinunter und über drei Friedhöfe am Wegesrand, des schönen Herbstlaubes wegen. In Summa waren es etwas über 18 km bei immer strahlenderer Sonne ein Flanieren durch die Stadtmitte mit erstaunlich viel Grün dazwischen.

In der Jüteborgerstraße ging ich los, wo ich zuvor noch einen sehr frühen Termin mit meiner wunderbaren Tochter zu erledigen hatte und flanierte von dort oben mitten durch den Bergmannkiez hinab. Verschlafen sahen um diese frühe Stunde wenig nach acht Uhr noch die meisten Gesichter hier aus. Aber anders als auf dem heimischen Berg. Kreuzberg hat die ältere alternative Szene, die lange vor der Wende bestand, dort in der Nische am Rand der Mauer nach Ostberlin ihr eigenes Dasein geführt und teilweise bis heute überlebt,. Es gibt dort mehr Menschen über fünfzig oder älter, die sich noch irgendwie jugendlich fühlen und so leben wollen. Daneben gibt es eine große türkische und arabische Gemeinschaft, die teils daneben einfach ihr eigenes Leben lebt und sich teils an die freie Szene dort angepasst hat, ausgesprochen locker ist.  Es wird sich toleriert und meist freundlich bis liebevoll miteinander umgegangen.

Von der Jüterboger Straße führt die Friesenstraße direkt zur Marheineke Markthalle, die wiederum an der Bergmannstraße liegt, welche dem ganzen Kiez seinen Namen gab. Der Bergmannkiez ist voller Kneipen, Secondhand Läden und anderen Orten der typisch Kreuzberger-Kultur mit ihrem alternativen Flair, der langsam immer schicker und gediegener wird, sich dagegen aber auch wehrt und gerne noch etwas schlampig tut, weil sie ja schon immer die Schmuddelkinder spielen und nicht hipp sein wollen.

Durch die Markthalle zu flanieren, ist auch am Morgen herrlich, wenn die Stände frisch aufgebaut werden, die Anwohner sich ihre belegten Schrippen beim Bäcker holen, der bretonische Käse und die südfranzösische Wurst noch etwas zu intensiv duften, das Obst noch frisch und prall in den Auslagen liegt. Mag dieses Kreuzberg irgendwie, mit seiner alternativen Szene erinnert es mich an ein Museum meiner Kindheit in den 70er Jahren und so fühlt es sich auch in manchem an, dort hindurch zu laufen.

Im Mittelalter noch lag Kreuzberg außerhalb der Doppelstadt Berlin Cölln, die eben die Insel mit einschloss. Es gehört heute neben Neukölln, Friedrichshain, Gesundbrunnen und Prenzlauer Berg zu den am dichtesten besiedelten Gebieten Berlins und die Bebauung erstreckt sich teilweise bis in den vierten Hinterhof. Im 19. Jahrhundert erweiterte sich Berlin südlich um die nördlichen Teile des heutigen Kreuzberg. Namensgeber der großen Straßen waren damals die Helden der Befreiungskriege wie Yorck von Wartenburg und Gneisenau oder die Schlacht bei Waterloo, nach der das Waterloo-Ufer heißt, auch wenn es nur das Hauptquartier von Wellington war, das 1947 erst in Mehringdamm umbenannt wurde.

Wichtig im Städtebau war das 1821 eingeweihte Nationaldenkmal auf dem namensgebenden Kreuzberg. Die damals noch Tempelhofer Berg genannte, immerhin 66 m hohe Erhebung, lag mitten in den Feldern vor der Stadt und auf ihr wurde nach Plänen von Schinkel ein Denkmal in der Form eines Eisernen Kreuzes errichtet, um an die Befreiungskriege gegen Napoleon zu erinnern, die später auch der Beginn von Preußens Aufstieg zur Großmacht waren, wenn auch Friedrich der Große eigentlich die strategische Grundlage dafür mit der Eroberung Schlesiens legte.

Auch nach der Eingemeindung in Groß-Berlin 1920 hieß der Bezirk zunächst Hallesches Tor und wurde erst später nach dem Berg mit dem Kreuz benannt. Im 2. Weltkrieg schlugen sich die verbliebenen Nazis noch lange mit den anrückenden Russen um diesen Bereich, wobei es nur um wenige blutige Tage ging und manche Kommandeure noch Hitlers Politik der verbrannten Erde folgten und so etwa das Kaufhaus Karstadt am Hermannplatz in die Luft sprengten, wie es die dortige SS tat.

Nach dem Krieg wurde ein großer Teil des ehemaligen Bezirks dem amerikanischen Sektor zugeteilt. So war auch der wichtigste Übergang in den Osten der Checkpoint Charlie in der Friedrichstraße - aber dazu, wenn ich später beschreibe, wie ich diese vollständig entlang flanierte oder auch nicht, denn eigentlich ist er nur noch Geschichte, besser nachzulesen. Kurz davor kreuzt die Kochstraße die Friedrichstraße, der östliche Teil heißt heute Rudi Dutschke Straße, um an die studentischen Unruhen zu erinnern, die eine Auslieferung der Springerpresse verhindern wollte, die am anderen Ende der Kochstraße gemacht wurde. Bei den sogenannten Osterunruhen kam es damals zum Anschlag auf den Studentenführer Rudi Dutschke. Aus der Wut darüber radikalisierte sich ein Teil der Studenten weiter, was direkt oder über Umwege in den Untergrund führte, in dem dann der Terror der RAF entstand, der die 70er Jahre prägen sollte und den damaligen Kanzler Helmut Schmidt als unnachgiebig hart zeigte. Wie weit die RAF von der Stasi finanziert, ein Produkt östlicher Geheimdienste war wie es Pegida heute ist und Teile der Linken immer noch lieber ihre Anweisungen und Gelder aus Moskau erhalten, dass aber auch AfD und NPD finanzierte als umfassend radikaler Brandstifter, sei hier dahingestellt, wichtiger war mir auf die vielen brandheißen Stellen in der deutschen Geschichte in diesem kleinen Bereich hinzuweisen.

Heute sind fast ein Drittel der Einwohner Kreuzbergs Migranten. Teils türkischer Abstammung und deren Nachkommen. Ab 1987 war Kreuzberg für seine regelmäßigen massiven Straßenschlachten zum 1. Mai berühmt. Die Gewalt ist eher ritualisiert und ein mediales Ereignis, wurde durch Veranstaltungen wie Myfest aufgefangen. Dabei geht es weniger um politische Motive als um die Suche nach Randale und Abenteuer wie auch in Hamburg - typisch jugendlicher Irrsinn ohne tiefere Bedeutung, nichts was größerer Aufregung noch wert wäre.

Seit 1925 hat sie die Zahl der Einwohner Kreuzbergs ungefähr wieder halbiert und lag 2013 bei 152.000. Regiert wird Kreuzberg durch die traditionell starke alternative Szene in den letzten Jahren Grün, vorher Rot, auch wenn es sogar Bürgermeister aus der CDU gab.

Vom Marheineke Platz aus folgte ich der Zossener Straße Richtung Landwehrkanal, um am Ende die Friedrichstraße, die am Halleschen Tor beginnt, in voller Länge zu laufen. Überquerte dazu die Gneisenaustraße und flanierte weiter, bis mich die Friedhöfe am Halleschen Tor magisch anzogen und nach Westen in den Friedhof abbiegen ließen. Die Friedhofsanlage liegt zwischen Mehringdamm und Zossener Straße. Es sind dort mehrere Friedhöfe noch außerhalb der Berliner Zollmauer auf einem Gelände heute zusammengefasst. Insgesamt sechs Friedhöfe wurden so vereint, von der Dreifaltigkeitsgemeinde bis zu den Herrnhutern. Auf dem Friedhof sind insgesamt 28 Mitglieder der Familie Mendelssohn bestattet worden, die in Berlin und weit darüber hinaus eine große Rolle spielten. Daneben finden sich dort noch die Gräber des Architekten Knobelsdorff, mit Moehsen der ehemalige Leibarzt Friedrichs des Großen und des Geodäten Gauß sowie anderer mehr oder weniger berühmter Berliner. Schön war es, bunt war es und die Sonne schien durch den noch leichten Dunst am Morgen, der über dem Friedhof schwebte, auf dem ich noch wenig andere Besucher traf. Durch die Grünanlage zwischen Blücherstraße und Waterloo Ufer, ging es Richtung Landwehrkanal. An der Stelle, an der sich die Straße von Waterloo Ufer in Tempelhofer Damm umbenennt, überquerte ich sie in Richtung Kanal und die dort gelegene Brücke direkt an der U-Bahn Station Hallesches Tor.

Die U-Bahn ist dort wie im zentralen Prenzlauer Berg eine Ü-Bahn eigentlich, die auf einem Gerüst überirdisch am Kanalufer entlang fährt und sich am Halleschen Tor mit der tatsächlich U-Bahn in Richtung Tempelhof kreuzt. Ging an dieser verkehrsumtosten Stelle über die auf der anderen Seite des Kanals gelegene Straße Hallesches Ufer und kam am Mehringplatz in eine seltsame Siedlung, die das Ende der Friedrichstraße bildet. Das dortige Neubaugebiet ist ein sozialer Brennpunkt und also ein neudeutsch Präventionsgebiet genanntes Viertel. Angelegt wurde der Platz bei der Erweiterung Alt-Berlins um 1730. Von 1734 bis 1815 hieß der Platz noch in alter Schreibweise Rondel am Halleschen Thore - daraus wurde dann nach dem Sieg von Wellington und Blücher bei Waterloo über Napoleon der Belle Alliance Platz.

Belle Alliance und Waterloo meinen die gleiche Schlacht, die nur Blücher und Wellington unterschiedlich nach ihren jeweiligen Hauptquartieren nannten. Der Brite saß bei dem belgischen Dorf Waterloo, der Preuße auf dem Gehöft Belle Alliance und Wellington hoffte noch, dass es Nacht wird und die Preußen kommen, was sie ja bekanntlich taten - aber eigentlich ist es der gleiche Ort um die letzte Schlacht Napoleons bevor er verbannt wurde. Dieser siegreiche nationale Taumel gegen die Franzosen, schien der Regierung von Berlin nach 1945 nicht mehr angebracht und so wurde der die Friedrichstraße abschließende Platz zum Mehringplatz nach Franz Mehring, dem Publizisten Politiker und marxistischen Historiker, was Grund genug heute für eine Rückbenennung in Belle Alliance wohl wäre, zumal Mehring heute als Antisemit gilt.

Auf dem Platz mit den seltsam wechselnden Namen steht eine Viktoriasäule mit dem Namen Friedenssäule, sie wurde nach einem Entwurf von Cantian noch unter der Regentschaft Friedrich Wilhelms III. errichtet, ist so als ein Denkmal für die Befreiungskriege zu sehen, auch wenn der Platz nun nach einem ollen, antisemitischen Marxisten heißt - Berlin eben, wollen sie was verbessern und machen es am Ende noch schlimmer und nichts wirklich.

Aus einem Brunnen erhebt sich die Säule aus schlesischem Marmor, erzählt von der Zeit, als Schlesien noch nicht polnisch war. Die Viktoria, die auf der Säule balanciert, ist ein Abguss von Rauchs zweiter Charlottenburger Viktoria, die wiederum nach dem antiken Vorbild einer 1823 in Pompeji gefundenen kleinen Nike aus Bronze entstand. Eingeweiht wurde die Säule mit deren Bau zugleich das howassergefährdete Gebiet unterkanalisiert und angehoben wurde zum 20. Jahrestag der Schlacht bei Großbeeren, bei der sich die Preußen erfolgreich den Franzosen entgegenstellten am 3. August 1843. Die Spülung der Kanalisation erfolgte durch den Brunnen um die Säule, die so auch einen praktischen Zweck zumindest verfolgte. Die Truppen des preußischen Heeres waren zur Schlacht bei Großbeeren übrigens durch das Hallesche Tor aus der Stadt abgezogen, warum die Erinnerung doppelt passte.

Ende des 19. Und zu Beginn des 20. Jahrhunderts bot der Belle Alliance Platz großbürgerlichen Wohnkomfort vom feinsten. Die Gegend galt damals als vornehm - wie schnell sich Zeiten doch ändern oder verkehren. Nach Ende des Zweiten Welkrieges wurde der Platz als total zerstört eingestuft. Den Wettbewerb für die Bebauung gewann Hans Sharoun, der eine bewohnbare Stadtlandschaft schaffen wollte, was sichtbar wird, wenn du durch das seltsam anmutende Rondel heute läufst. Als der Schüler Scharouns nach dem Tod des Meisters übernahm, hatten sich die politischen Vorgaben vollständig verändert und es ging mehr darum, sozialen Wohnraum zu schaffen, was so manche baulichen und ästhetischen Verbrechen der 60er und 70er begründen sollte, für die kein Politiker oder Architekt je haften musste.

Die Gestaltung ist wieder typisch, nett gedacht aber schlecht gemacht und so wundert der hohe Drogen und Alkoholkomsum dort nicht, um diese für viele vermutlich Wohnhölle zu ertragen, die einst beste bürgerliche Wohngegend am Halleschen Tor war und heute eher 1-Euro-Läden und Spielhöllen neben gammeligen Döner Läden beherbergt am Kreuzberger Ende der Friedrichstraße um die Ecke vom Willy Brandt Haus. Einen der Billigläden mit sehr freundlichem Personal besuchte ich auch und fand erstaunlich gute Schnäppchen. Hier, kurz vor Beginn der teuren Friedrichstraße, noch in Kreuzberg, im alten Westberlin, bevor es in Mitte schick wird.

Die Friedrichstraße wurde übrigens nach dem Kurfürsten Friedrich III. von Brandenburg benannt, dem Großvater des Alten Fritz, der später König Friedrich I. in Preußen wurde und dessen Frau Charlottenburg ihren Namen gab.

Die Friedrichstraße beginnt am Oranienburger Tor, der Kreuzung von Friedrichstraße mit Torstraße und Hannoverscher Straße. Sie überquert die Spree an der Weidendammbrücke und unterquert den Bahnhof Friedrichstraße, sehen wir von dessen großen unterirdischen Areal einmal ab. Dieser Bahnhof, der zu DDR Zeiten auch Bahnhof der Tränen hieß, ist typisch für Berlin, weil er für die perfide Trennung und Teilung Berlins durch die Kader der SED stand, deren Nachfolger heute als sogenannte Linke im Bundestag angeblich für moderne linke Politik stehen wollen - aber das totalitäre Gedächtnis vieler Menschen scheint sehr kurz.

Die letzte Regierung der DDR versuchte noch mit ihren bescheidenen ästhetischen Mitteln die Friedrichstraße zu einem urbanen Boulevard auszubauen, an seine große Geschichte im Berlin der 20er anzuknüpfen. Die Gerüste ihrer Versuche wurden nach der Wende abgerissen. Im übrigen halten sich die durch den Sozialismus verursachten Schäden an der einstigen Prachtstraße, der ich mich von Süden kommend näherte, in überschaubaren Grenzen. Anders als beim vollständig verschandelten Alexanderplatz, der städtebaulich ein toter Aufmarschplatz ist, wie er den Hirnen totalitärer Sozialisten nur entsprungen sein kann und wie wir diesen Ausbund an Hässlichkeit überall im ehemaligen Ostblock finden können.

Diese deutliche ästhetische Kritik ändert nichts an der Anerkennung der Lebensleistung vieler Ossis, es stellt nur den primitiven Geschmack ihrer Führung in die richtige Reihe, der sogar noch den des Nationalsozialismus unterbot, wofür die meisten nichts konnten und der eben systemimmanent war, warum dringend die verbliebenen Sünden dieser Zeit entfernt werden sollten, um wieder mehr Schönheit Raum zu geben, statt sich in Ostalgie zu ergehhen.

Ein Beispiel dafür wäre das grässliche Thälmann Denkmal am Rande des gleichnamigen Parks in Prenzlauer Berg. An Thälmann, den Held der östlichen Pioniere, der real einer der Mörder der Weimarer Republik war, den aber nicht mal Stalin von Hitler wieder wollte, sollte nicht mehr öffentlich erinnert werden und bevor der Denkmalschutz auf die Idee kommt das Grauen der DDR weiter für schutzwürdig zu erklären, sollte der Schönheit wieder Freiraum zur Entfaltung gegeben werden. Wie sehr diese Orte mit größter Erbitterung von Politikern der Linken verteidigt werden, zeigt deren wahre Wurzeln und macht jeden weiteren Diskurs überflüssig. Wir stellen in der Demokratie keine grauenvollen Denkmale ihrer Feinde auf sondern beseitigen die totalitäre Ästhetik vorheriger Diktaturen so schnell wie möglich - doch dieser demokratische Tenor ist in der Berliner SPD, die gern auf Kuschelkurs mit der Linken geht, nicht mehrheitsfähig, was sie logisch unwählbar für mich als ehemaliges Mitglied sogar machte.  Aber genug vom Grauen, wenden wir uns lieber wieder der Geschichte und den Wegen dieses Prachtboulevards zu, der Unter den Linden in ihrer Mitte kreuzt.

Das Viertel bis zum Brandenburger Tor, das Ende des 17. Jahrhunderts in Planquadrate eingeteilt wurde, hieß nach der zweiten Frau des Großen Kurfürsten, Dorothea Sophie von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg, was etwas lang wäre, schlicht Dorotheenstadt. Die zweitwichtigste Straße nach dem längst Prachtboulevard Unter den Linden war die große Querstraße, die zunächst auch genauso hieß. Sie reichte damals von der Weidendammer Brücke bis zur Behrenstraße. Als es um den Ausbau des neuen Viertels ging, beschied der Kurfürst Friedrich III., dass Querstraße kein anständiger Name wäre und sie darum seinen tragen sollte - wörtlich sagte er “ein anständiger Name muss es sein, der meinige.” Sich groß fühlen, scheint zu helfen, einmal Großer genannt zu werden, auch wenn der Alte Fritz weniger dazu neigte.

Danach wurde erweitert, gebaut und aufgekauft in dem neuen Stadtteil, der ab da den Namen Friedrichstadt trug. In diese Gegend waren meist Hugenotten gezogen, die durch ihr hohes handwerkliches Geschick, Reichtum und Ansehen des Herrscherhauses mehrten. Als der Soldatenkönig seinem Vater folgte, forcierte er den Ausbau der Friedrichstadt sogar mit militärischer Gewalt.  So konnte die Friedrichstraße schließlich bis zum Halleschen Tor südlich und bis zum Oranienburger Tor nördlich verlängert werden. Dabei können wir uns vorstellen, dass der Teil nördlich der zu diesem Zeitpunkt noch hölzernen Weidendammer Brücke, noch sehr ländlich eher war. Dafür wurden dann viergeschossige Kasernenbauten für das königliche Husaren Regiment dort gebaut. Infolge ließen sich erste Kontore und Manufakturen in der Friedrichstraße nieder.

Auch im Rahmen der Märzrevolution von 1848 spielte die Friedrichstadt eine Rolle. Hier, nahe der Caféhäuser, in denen zuvor viele Wochen debattiert wurde, fanden wichtige Barrikadenkämpfe ab, die auch den Abzug des königlichen Militärs aus der Stadt erzwangen.

Im 19. Jahrhundert gewann der Abschnitt zwischen der Weidendammer Brücke und dem Halleschen Tor immer mehr an Bedeutung. Es kamen teure Hotel, Restaurants und Künstleretablissments und mit ihnen immer mehr zahlende Gäste. Die Friedrichstraße war um 1900 ein Haupthandelsplatz für Edelsteine und Gold und zugleich ein Zentrum der Berliner Prostitution, wie ich sie, als ich vor 17 Jahren in die Stadt zog noch am 17. Juni und auf der Oranienburger erleben durfte und die der Stadt mehr Flair gaben als die immergleichen Ketten und gefegten Bürgersteige.

Martin Heidegger, der philosphische Lehrer der großen Hannah Arendt, der sich auch mit den Nazis gut engagierte und sie bejubelte, schrieb seiner Frau im Juni 1918 über die Friedrichstraße:

„Eine solche Luft künstlich hochgezüchteter, gemeinster u. raffiniertester Sexualität hätte ich nicht für möglich gehalten, ich verstehe aber jetzt Berlin schon besser – der Charakter der Friedrichstraße hat auf die ganze Stadt abgefärbt […] Die Menschen hier haben die Seele verloren.“
– Martin Heidegger: Mein liebes Seelchen!

Ein Philosoph, der moralisch empört über Seelen schwadroniert, fühlt sich mit Sicherheit bei den eher hausbackenen Nazis wohler als in einer mondänen Weltstadt, in der leider zu oft kleine Geister die Regierung mitbestimmen, die sich mehr fürchten, als der Energie der Stadt, genug Raum zu geben, sich genial hier zu entfalten, wie es allein zu dieser Stadt passte. So viel zu Weltgeist und Enge.

Folgte der Friedrichstraße nun von Süden, also ihrem Ende gen Norden zu ihrem Anfang und kam also zuerst durch die Fußgängerzone mit den meist eher bedürftiges Klientel ansprechenden Läden, die teilweise auch orientalisches Gold und falschen Glitzer anboten, woran wir sehen, wie sehr die Umgebung den Ort auch prägt.

Bis zum Checkpoint Charlie, der alten Zonengrenze, die heute noch museal wach gehalten wird mit als amerikanische Soldaten verkleideten Statisten, wird es, bis auf einzelne Bauten, nicht sonderlich prächtig, dann steigt es von der Wertigkeit ein wenig bis zur Leipziger Straße hin an und macht nach dieser den Sprung nach oben in dem Stück zwischen Leipziger Straße und Unter den Linden. Danach kommt nur noch der Bahnhof Friedrichstraße, das Kulturkaufhaus Dussmann, das ich des Namens wegen für überschätzt halte und das einfach nur auf großer Fläche bietet, was jeder gute Buchladen auf kleinerer schöner präsentiert, einige Hotels und ein Revuetheater aber nicht mehr mit diesem Anspruch auf noble Exklusivität, den der Abschnitt hinter dem Gendarmenmarkt ausmacht, der neben der Galerie Lafayette, zahlreiche mehr oder weniger bekannte Designer und Juweliere beherbergt, bei dem VW mit seiner großen Repräsentanz des bunten Konzerns Unter den Linden den Abschluss bildet.

Viele Konsumtempel und Orte an denen auch wohlhabende schnell viel Geld los werden können, reihen sich aneinander, geben sich edel und wirken doch immer noch ein wenig neureich. Es ist eben nicht gewachsen diese Mitte, sie ist aufgesetzt und glänzt nur so, wie es entsprechende Orte in Paris oder London tun, wer ein wenig an der Fassade kratzt, spürt schnell den Geist der DDR auch hier noch auf, was aber dem kultischen Kapitalismus zumindest ein dialektisches Gegenbild gibt und so auch seine Art ästhetischen Wert wohl hat, zumindest soweit ich darüber nachdenke, wovon ich beim größeren Teil der Besucher nicht ausgehen würde.

Der Flair eines KadeWe fehlt dort einfach und diese viele Tradition kann eine schnell hingeworfene Galerie Lafayette auch nicht künstlich erzeugen, so sehr sie sich bemühen - vermutlich fehlt es auch am gediegen und selbstsicher schauenden Personal dort und sie nahmen stattdessen gut geschminkten, gerade noch ansehnlichen Durchschnitt dafür, der zumindest freundlich lächelt. Allein in der Lebensmittelabteilung des Lafayette kommt ein Gefühl von Weltstadt und internationalem Flair auf, tauchen wir genüsslich in diese edle Welt auch als nur ärmliche Besucher ein oder als betrachtende Flaneure.

Ersparte mir diesmal alle Konsumtempel, hatte ja noch zwei Friedhöfe im Hinterkopf und außerdem schmerzte die Hüfte noch vom unfreiwilligen Salto nahe der Charité am Vortag, als ich vor dem unerwarteten Bus flüchtete. So ging ich vorbei, betrachtete, nahm das eine oder andere Bild auf, ließ mich aber weder beeindrucken noch mitreißen vom Strom der dort angebotenen Gelüste.

Überquerte bald die Linden, genoß den Blick in westlicher und östlicher Richtung, ging weiter bis zu Dussmann, wo sich mein Besuch auf die kleine sehr überschaubare Abteilung schöner Bücher, insbesondere der Anderen Bibliothek beschränkte. Den Rest halte ich dort für völlig entbehrlich für Kulturmenschen, eher für eine Zumutung sogar. Fand den von der Liebsten gepriesenen Band der Brüder Goncourt, der schön aufgemacht wie immer, zumindest einen Reiz zum Konsum auf dieser ganzen Strecke für mich darstellte, sehen wir von dem Schnäppchen im etwas verwahrlosten 1-Euro Laden am Mehringplatz und den Delikatessen in der Markthalle ab, doch widerstand ich diesem und fühlte mich noch besser als die ewige Friedrichstraße am Oranienburger Tor endete und von da an als Chausseestraße weiter lief, was im Unterschied vermutlich nur bemerkt, wer es weiß und darum versteht, dass die Torstraße die Mauer war, hinter der es ins freie Land ging, in dem ursprünglich die Charité noch lag, in der auch viele Arme und Huren verkehrten, von den Soldaten mal abgesehen.

Merke schon, überall tauchen die Huren auf, die Berlin nun so bitterlich fehlen, dass die Stadt in reinlicher Langeweile immer mehr verliert vor allem von dem, was sie mal sexy machte und da mag es Clubs für jeden Sex geben, wie es will. Wer das älteste Gewerbe aussperrt, raubt der Stadt die öffentliche Erotik. Dies sage ich nicht, weil ich sie besuchen oder ihre Dienste konsultieren möchte - bewahre, kein Interesse mehr - sondern weil ich die Veränderung bemerke, die den wunderbaren Geist der Stadt, in die ich 2000 zog langsam unter sauberem Feminismus politisch korrekt erstickt. Berlin wird sterbenslangweilig, wenn es so weitergeht und dann werden Künstler sich neue Orte suchen, um sie zu beschreiben und anziehend zu machen und arm aber sexy ist dann nur noch Geschichte, dann bleibt nur arm aber ungebildet, was keine besonders anziehende Kombination ist.

Genug von den Huren mehr von den Friedhöfen. Als erstes kam nun der Dorotheenstädtische Friedhof in der Chausseestraße westlich gelegen in Richtung der alten Charité, an den noch der Friedhof der französischen Domgemeinde, also der Hugenotten, grenzt. Eigentlich heißt der Friedhof korrekt Friedhof der Dorotheenstädtischen und Friedrichswerderschen Gemeinden, liegt in Mitte und bedeckt 17.000 Quadratmeter. Auf ihm fanden zahlreiche bekannte Persönlichkeiten ihre letzte Ruhe, wie es im Slogan des Aberglauben so schön euphemistisch heißt. Es wurden und werden eben dort die Reste auch und gerade prominenter Toter entsorgt. Von Bertolt Brecht, der mit Helene Weigel noch im Grab kuschelt zu Heinrich Mann, der eher theoretisch dort liegt, bis zu Johannes Rau und Christa Wolf.

Der Friedhof wurde zwischen 1814 und 1826 noch mehrfach vergrößert, dennoch war bereits 1860 Schluss und er wurde wegen Überbelegung geschlossen und es durften nur bereits bezahlte Gräber weiter genutzt werden oder Promis ein Ehrengrab bekommen. So hat etwa die Akademie der Künste dort weiter ein Nutzungsrecht, was etwa Anna Seghers dort hinbrachte, wie immer wir diese Sozialistin ästhetisch beurteilen.. Hegel und Fichte reichen Schinkel und Schadow auf diesem kleinen aber feinen Friedhof die Hand, den ich mit besonderem Blick auf das schöne Laub in der Sonnne durchquerte. Betreten hatte ich den Friedhof übrigens nicht durch den üblichen Gang am Brecht Haus vorbei sondern über den Friedhof der französischen Domgemeinde, der sich allerdings längst weiter draußen an der Chaussee Straße noch erweiterte, wo der gute Theodor Fontane sein Grab neben seiner Frau fand. Dort lief ich an diesem Tag aber nicht mehr hin.  Stattdessen wieder durch das Romantiker Viertel mit Schlegel und Tieck Straße, um an deren Ende über die Bergstraße zum Friedhof Sophien II zu kommen, der direkt zwischen Invaliden und Bernauer Straße liegt und auch mit großen und wunderschön alten Bäumen bunt zu beeindrucken wusste.

Es ruht dort neben Carl Bechstein und Walter Kollo auch Max Stirner, ehemals als Atheist und Anarch in die letzte Reihe gestellt, hinter der nur noch die Nonnen des gegenüberliegenden Klosters kamen, nun nur noch sehr weit hinten gelegen aber kein Solitär mehr, wie es doch so gut zum Autor des Einzigen passt. Sein Grab, das quasi über 30 Jahre direkt an der Mauer stand, besuche ich immer. Nicht um den Toten zu ehren - der Tod geht mich nichts an, wer tot ist, ist nicht mehr und nur noch eine bewegliche Sache, braucht keine Ehre, sondern um mich an seine guten Ideen im Einzigen und seinen Weg zu erinnern, den jener andere Junghegelianer namens Karl Marx, der viel bekannter wurde, obwohl oder vermutlich eher weil er so totalitär wie primitiv dachte, so empfindlich kreuzte und störte.

Vom letzten Friedhof aus besuchte ich nur auf einen Sprung noch den wunderbaren Buchladen Ocelot in der Brunnenstraße zwischen Invaliden und Torstraße, ein wenig zu plaudern und schöne Bücher anzuschauen nach genug Gräbern. Nun ging es durch den Weinbergspark hinauf und zurück auf den heimatlichen Berg, den ich mit dem Überschreiten der Schwedter Straße wieder erreichte.

jens tuengerthal 19.10.2017

Donnerstag, 19. Oktober 2017

Liebesvertrauen

Auf die Liebe zu vertrauen
Ist Bedingung ihres Seins
Darum bin ich lieber sicher
Als ohne Liebe zu leben

Was kann ich schon wissen
Gerade bei einem nur Gefühl
Schon Luft wäre viel sicherer
In dem was wirklich drin ist

Zweifel sind stets der Anfang
Vom Ende des Vertrauens
In der Liebe wie im Alltag
Darum liebe ich zweifellos

Du bist die Beste und Schönste
Dich will ich glücklich machen
Dessen bin ich mir ganz sicher
Alles sonst ist verglichen egal

So liebe ich ohne zu wissen
Weil ich ganz genau weiß wie
Glücklich ich mit immer sein will
Mache ich mir aus nichts etwas

So mache ich mir die Welt stets
Wie sie mir gefällt damit sie auch
Morgen noch meine ist und ich
Das Glück mit dir genießen kann

jens tuengerthal 19.10.2017

Charlottenadel

Nach dem bürgerlichen Charlottenburg gestern im Literaturhaus in der Fasanenstraße ging es heute ins königliche Charlottenburg im gleichnamigen Schloss. Waren hin und zurück, mit kleinen Umwegen der Schönheit wegen, 28,5 km mit einem wunderschönen Ziel immer mit der schönsten Frau in Dublin im Ohr im Ganzen etwas über 5h zu Fuß durch Berlin.

Wie immer am Helmholtzplatz begonnen, die Kastanienallee hinab, die irgendwann in dann schon Mitte zum Weinbergsweg wird. In Mitte der Linienstraße bis zur Friedrichstraße gefolgt, um dann wieder über Reinhard- und Luisenstraße zur Marschallbrücke zu kommen, an der ich rechts Richtung Reichstag abbog und von dort an immer geradeaus zu gehen mit kleinen verkehrstechnischen Umwegen im Tiergarten. Gegenüber dem Parlament folgte das Kanzleramt, das ich rechts liegen ließ, um weiter zwischen Bäumen zu flanieren.

Unerwartet erklang im noch rosa sonnigen Tiergarten das Carillon, neben dem Haus der Kulturen der Welt. Das große von Hand bespielbare Glockenspiel erklang durch die Herbststimmung und begeisterte die Zuschauer mehr als den Flaneur, der sich auf die Ruhe im Tiergarten freute, es aber lächelnd zur  Kenntnis nahm. Von der heute John Forster Dulles Allee, die früher noch ihrer alten Nutzung entsprechend In den Zelten hieß und die vor der Revolution von 1848 eine gewichtige Rolle spielte, bog ich wieder in den Tiergarten ein und genoss neben dem umgebenden dort Grün zwischendurch schöne Blicke auf Schloss Bellevue, das heutige Bundespräsidialamt, das an einigen Wegachsen des Tiergartens durch die Bäume sichtbar wurde. Kurz nach dem Neubau des Amtes überquerte ich den Spreeweg, der dort vom Großen Stern, mit der Goldelse, wie die Siegessäule in Berlin heißt, inmitten, kam und wie der Name unschwer verrät zur Spree führte. Lief grüßend am Feldmarschall Moltke Denkmal vorbei, überquerte den Altonaer Weg und folgte dann im Tiergarten parallel dem 17. Juni bis zum Ende des Tiergartens, durchschritt das Tor nach Charlottenburg und bog direkt danach rechts auf das Einsteinufer ab, jenen Weg, der zunächst den Landwehrkanal entlang und später am Zusammenfluss der Spree folgend, bis zum Schloss Charlottenburg führt, auch wenn ab der Mündung in die Spree, die parallele Straße nicht mehr so heißt, wechselnde Namen führt, ist es doch für den Flaneur ein gleicher immer weiterführender Weg am Ufer bis in den Garten des Schlosses Charlottenburg, den ich in der Erinnerung immer als Ganzes das Einsteinufer nannte, bis mich Google eines besseren belehrte. Wer schaut schon auf Straßennamen oben, wenn er unten die Spree hat und im Ohr die Liebste?

Als ich dort ankam war die Sonne leider bereits verschwunden aber der Park zum Glück noch geöffnet. Das Schloss wie Schinkels Neuer Pavillon waren angestrahlt und boten so genug Gelegenheit zu schönen Bildern, in denen sogar die zauberhafte herbstliche Färbung sichtbar wurde. Das Schloss oder der ursprünglich Landsitz von Sophie Charlotte von Hannover, der Gattin von König Friedrich I sind Namensgeber des späteren Ortsteils von Berlin geworden. Nachdem Sophie Charlotte ihrem Gatten, dem damals noch Kurfürsten von Brandenburg, ihren Landsitz Caputh zurückgegeben hatte, schenkte er ihr 1695 das Dorf Lietze oder Lützow, etwa 7 km vor Berlin mit einem Grundstück.

Noch im gleichen Jahr beauftragte Sophie Charlotte den kurfürstlich brandenburgischen Baumeister Nering mit der Planung einer Sommerresidenz. Als dieser wenige Monate darauf starb übernahm Martin Grünberg die Ausführung. Der erste Bau war noch relativ bescheiden und umfasste nur den mittleren Teil. Außerdem aber wurde, der großen Opernliebe der Königin wegen noch ein kleines Opernhaus errichtet, aus dem später ein Museum wurde, dort war die Vor- und Frühgeschichte wie der sagenhafte Goldhelm zu sehen, bis die Sammlung nach der Restaurierung ins Neue Museum auf die Museumsinsel umzog  und das künftig vermutlich zum Hohenzollernmuseum wird, das vor dem Krieg noch im Schloss Monbijou untergebracht war,was aber ja leider in der Schlacht um Berlin verloren ging, wie so vieles hier.

Von der Oper rührt auch der erste Spitzname des Schlosses her, dass auch Charlottes Musenhof genannt wurde. Die hochmusikalische spätere Königin hatte viele Künstler nach Berlin geholt und eine Menge für die kulturelle Entwicklung der märkischen Provinzstadt getan. Am 11. Juni 1699 wurde das kleine Schloss eingeweiht und seither von Sophie Charlotte als Residenz genutzt. Es hieß zunächst nach dem benachbarten Dorf die Lietzenburg oder Lützenburg.

Da Architekt Grünberg von seinem Amt 1698/99 zurücktrat, hat vermutlich der spätere Schlossbaumeister Andrea Schlüter die Ausführung und Erweiterung übernommen. Als Friedrich  I. sich schließlich 1701 in Königsberg selbst zum König in Preußen krönte und Sophie Charlotte zur Königin wurde Eosander von Göthe der nächste Architekt des Königspaares, die nicht mehr nur Kurfürsten waren. Er erweiterte das Schloss bis zu den Hofgebäuden und ließ sie mit dem Schloss verbinden, so dass der Bau imposanter, eben königlicher wirkte. Dabei war Friedrich in Brandenburg weiterhin nur Kurfürst, denn König wurde er nur in Preußen, also dem Teil des ehemaligen Deutschordenslandes, der den Hohenzollern nach der Auflösung des Ordens im Wege der Erbschaft zufiel, also in Ostpreußen und damit außerhalb des Deutschen Reiches eigentlich, in dem es nur einen König gab, den von Böhmen und einen gewählten Kaiser, der über viele Jahrhunderte auch mit dem böhmischen König identisch war im Hause Habsburg, die Winterkönigsausnahme und die Wahl des Bayern nach Maria Theresias Krönung mal eben ignoriert.

Viel später erst, nachdem sein Enkel, Friedrich der Große, sich Polen das erste mal mit Zarin Katharina und Maria Theresia teilte und es eine Landverbindung zwischen der Mark und Ostpreußen gab, nannten sich die Könige in Preußen auch Könige von Preußen, sogar nachdem die Wiedererrichtung Polens auf dem Wiener Kongreß, das sogenannte Kongesspolen, die Landbrücke längst wieder gekappt hatte. Einmal Könige von Preußen blieben sie es und plötzlich waren die Berliner Preußen und gaben sich preußisch, auch wenn die stolzen Märker früher eher nichts mit den östlichen Pruzzen am Hut hatten, die nicht zum Reich gehörten und sie die gleichen schlechtgelaunten märkischen Großmäuler blieben wie vorher auch, taten sie nun so als seien sie Preußen.

Am 1. Februar 1705 starb dann die schöne kulturbeflissene Königin Sophie Charlotte und der König nahm das zum Anlass das Schloss und die angrenzende Siedlung in Charlottenburg umzubenennen, statt dem ursprünglich namensgebenden Lietzensee. Auch jetzt beauftragte er Göthe mit dem weiteren Ausbau des Schlosses, wie der imposanten Schlosskuppel ab 1709. Außerdem wurde der Bau auf der Westseite noch um eine große Orangerie und eine Kapelle erweitert, erstere diente der Überwinterung der über 500 Zitronen-, Pomeranzen und Apfelsinenbäume aus dem Barockgarten, letztere vermutlich dem Aberglauben, der die Herrschaft von Gottes Gnaden auch rechtfertigte, welchen Hokuspokus auch immer andere dort betrieben.

Eine typisch berlinerische Anekdote zu dem Barockgarten, der nach dem Krieg wiederhergestellt wurde, allerdings vom Original abweichen in einer etwas anderen Form, ist, dass inzwischen dieser aus damals Sparsamkeitsgründen so errichtete Garten heute selbständig unter Denkmalschutz steht und eine Wiederherstellung des Originalzustandes so verhindert, womit wir uns nun weiter mit einem etwas fragwürdigen Gartendenkmal  aus den 50er Jahren herumschlagen müssen, weil auch nicht ganz gelungenes so historisch werden kann, dass es Schutz genießt. Da denke ich nur, wie gut, dass der aufgrund Asbestbelastung völlig entkernte Palast der Republik schon abgerissen ist für das Humboldt Forum genannte Schloss und nicht der Denkmalschutz das Grauen erhielt. Aber vermutlich gilt auch der völlig deplatzierte und verunglückte Berliner Dom längst als geschützt, statt, dass er endlich wie schon von den Zeitgenossen seiner Errichtung Hessel und Kessler gewünscht, abgerissen würde als wilhelminische Peinlichkeit um den bewahrungswürdigen Zustand zu Schinkels Zeit wieder herzustellen. Wer schützt die Schönheit vor solchen Beschützern?

Aber der wunderbare Garten, an dem viele große Gärtner wie auch Lenné noch wirkten in seiner Weite wird durch diesen Ausrutscher an der Rückfront des Schlosses nur wenig beeinträchtigt, auch wenn dieser nicht viel schöner wird dadurch. Die nur gestutzte Natur bleibt eben fragwürdig.

Unter dem Soldatenkönig, nach dem Tod Friedrichs I. 1713, fristete das Lustschloss ein Schattendasein. Den interessierten bekanntlich seine Langen Kerls mehr als jede Kultur, von der er ohnehin nichts verstand. Doch seine Sparsamkeit andererseits führte zumindest dazu, dass der Bestand erhalten wurde. Das Opernhaus jedoch, mit dem er nun gar nichts anfangen konnte, schenkte Friedrich Wilhelm I. seinen Bürgern, auf dass sie eine Schule daraus bauen sollten, ein zumindest ehrenwerter Zweck, wenn auch typisch. Er nutzte den schönen Bau jedoch zu repräsentativen Zwecken. So etwa zur Unterzeichung des Charlottenburger Vertrages mit dem englischen König Georg I., über den Preußen in den Besitz der Grafschaft Jülich-Kleve gelangte und für das Fest als sein Nachbar August der Starke von Sachsen ihm 1728 einen Gegenbesuch abstattete. Berühmter aber ist der vorige erste Besuch auch deshalb, weil Gerüchten zufolge er dort eine seiner Geliebten vor den Augen des jungen Kronprinzen Friedrich nackt auf einem Diwan präsentierte, was den Knaben angeblich genug reizte, sich auf eine wilde Nacht mit ihr einzulassen, auch wenn sein prüder Vater ihm sofort die Augen zugehalten haben soll. Es gibt Vermutungen,
dass Friedrich, der später der Große wurde, sich dort die Syphilis holte und die folgende Quecksilberbehandlung zu einer dauerhaften Impotenz führte, was zumindest erklärte, warum er auch in seiner Rheinsberger Zeit kinderlos blieb, als er seine ihm aufgezwungene Gattin Elisabeth Christine noch relativ häufig auch mal nächtens besuchte.

Ob Friedrich nun schwul oder ein bisschen bi war, weiß ich nicht zu beantworten, spielt aber für die Betrachtung des Schlosses Charlottenburg keine Rolle. Ob er darum so viele Kriege führte am Anfang oder nur, weil er es konnte, da sein Vater ihm volle Kassen hinterließ, bleibt offen. Friedrich II. jedenfalls machte sofort nach dem Tod seines Vaters 1740 Charlottenburg zu seiner Residenz, da er das Berliner Schloss ohnehin nicht ausstehen konnte und er dies seiner Frau gemeinsam mit dem in Pankow quasi allein überließ. Er hielt im Schloss die Tempelarbeiten seiner Freimaurerloge ab, aus der die Großloge ‘Zu den drei Weltkugeln’ entstand, die es als eine Splittergruppe der eher konservativen und überalterten deutschen Freimaurerei bis heute besteht. Der Ort, an dem noch der Geist seiner schöngeistigen Großmutter Sophie Charlotte wehte, die er nie kennenlernte, zog ihn magisch an.

Friedrich ließ nun das Schloss durch seinen Baumeister Knobelsdorff seinen Bedürfnissen entsprechend im Stil des Rokoko, der auch seine spätere Sommerresidenz Sanssouci prägte, erweitern und umbauen. Dabei entstand statt der eigentlich geplanten östlichen Orangerie nun der Neue Flügel. Jedoch war das Charlottenburger Glück mit Friedrich von kurzer Dauer. So begann er bald das Stadtschloss Potsdam umzubauen und sein Lustschloss Sanssouci zu errichten und ab da wurde Schloss Charlottenburg im damals noch Vorort Berlins, Teil Großberlins wurde es erst 1920, nur noch für Familienfeste genutzt.

Was ich heute von dem schönen Schloss sah, auch wenn es diesmal außen blieb, erhielt seine Form mit dem Schlosstheater am Ende des westlichen Flügels und der kleinen Orangerie von Langhans unter dem Dicken, wie die Berliner den Neffen Friedrichs II., Friedrich Wilhelm II., liebevoll spöttisch nennen. Dieser kunstsinnige Monarch, der seiner Liebhaberinnen und Nebenfrauen und geringer militärischer Leistunge in Preußen eher verspottet wurde, auch seiner fülligen Figur wegen, hat vermutlich mehr für die Kulturgeschichte Berlins getan als sein so berühmter Onkel, der Berlin eher nichts ausstehen konnte. Dies auch unter Berücksichtigung der Friedrichstadt und des Neuen Palais in Potsdam, jenem etwas groß geratenen Protzpalast, der die ökonomische Krise nach dem Siebenjährigen Krieg überwinden half und vom Bauherren selbst völlig ignoriert wurde.

Das Theater in Charlottenburg wurde zu einem Spielort für deutsche Literatur, die sein Onkel Fritz noch so sehr vernachlässigte, weil er in der Kunst nur das Französische zu schätzen wusste. Damit wurde es zu einem bedeutenden Ort auch in der deutschen Literaturgeschichte. Ab 1795 gab es sogar freie Karten für Bürgerliche. Der Dicke ließ sich im 1. Stock des Schlosses eine Winterwohnung und im Erdgeschoss mit der Terrasse zum Garten einen Sommerwohnsitz einbauen, was die Entfernungen des Umzugs überschaubar machten.

Eine wichtige Rolle bei der kulturellen Entwicklung Charlottenburgs und Preußens, zumindest Berlins spielte Wilhelmine Enke, die Geliebte des Königs, die schon sein Onkel Fritz toleriert hatte und die der Dicke  später zur Gräfin Lichtenau machte: Sie hatte ein Palais neben Schloss Charlottenburg und Unter den Linden. Manche nennen sie die preußische Pompadour - doch wird ihr Einfluss auf den König weniger groß gewesen sein als jener der Pompadour auf Ludwig XV., zumal sie sich offiziell überhaupt nicht für Politik interessierte, während die Pompadour zu einer der wichtigsten Unterstützerinnen der Enzyklopädisten am französischen Hof wurde und damit den Kern der späteren Revolution zu säen half, zumindest bewusst die Freiheit des Wortes unterstützte gegen die Kirche. Die Enke oder Gräfin Lichtenau hatte dafür fünf Kinder mit dem König, von der allerdings nur eine Tochter die Kindheit überlebte. Besonders tragisch für den König war der Tod des Sohnes, des sogenannten Grafen von der Mark, was bei einer nur Geliebten zumindest nicht dagegen spricht, dass sie Spaß daran hatten. Tragisch dagegen war ihr weiteres Schicksal nach dem Tode ihres Mannes. Es wurde nicht ihr kultureller Einfluss gewürdigt sondern ihr ein Verfahren gemacht und das Vermögen beschlagnahmt, so dass diese kluge und kulturell einflussreiche große Frau eine längere Zeit aus der Erinnerung vertrieben wurde - die beiden Söhne Luises, erst Friedrich Wilhelm IV. und dann Wilhelm II. regierten bis 1888 und würdigten die Enke nicht. Die Spuren ihres Einflusses sind bis heute auch im Schlossgarten Charlottenburg sichtbar und werden zum Glück nicht mehr verschwiegen und so ist ein Teil des adeligen Glanzes in Charlottenburg doch der kunstsinnigen einer bürgerlichen zu verdanken. Wilhelmines Vater war Tambour in einem Regiment des Alten Fritz gewesen.

Sein Sohn, Friedrich Wilhelm III., Könige gehen ja immer gern in Serie irgendwie, wohnte mit seiner Gattin, der besonders später berühmten und verklärten Königin Luise, die ich allerdings für ein überschätztes Opferlamm halte, und den Kindern in Charlottenburg. Nach der Rückkehr aus Königsberg 1810, wohin sie vor Napoleon geflohen waren, wurde nur Luises Schlafzimmer nach Entwürfen von Schinkel neu gestaltet. Da sie noch im selben Jahr starb, hatte sie nicht mehr viel davon.

Nach 14 Trauerjahren heiratete der im Gegensatz zu seinem Vater hochmoralische Friedrich Wilhelm III. nochmal - diesmal war es die eigentlich nicht standesgemäße Gräfin Auguste von Harrach, die er in der Kur in Böhmen kennenlernte, sein südlicher Kurschatten also nach der blonden aus Mecklenburg-Streelitz, die so schön hessisch schwätzte, da Luise bei ihrer Großmutter in Darmstadt aufwuchs. Zwar waren die Vorfahren von Auguste irgendwie Reichsgrafen aber da nicht regierend, genügte dies dem strengen preußischen Hausgesetz eigentlich nicht, warum die Ehe als morganatisch betrachtet wurde von offizieller Seite. Er ließ das gelten, da an eine Luise ohnehin nichts heranreiche. Frage nicht wie Auguste sich dabei gefühlt haben mag als katholische Österreicherin im protestantischen Berlin.

Dafür kam die Gräfin Harras und damit die Nachwelt in den Genuss des Neuen Palais, das FW III. für seine morganatische Ehefrau und sich im Garten noch östlichen des Neuen Flügels von Schinkel im Stile einer schlichten italienischn Villa errichten ließ. Der streng symmetrische weiße Kubus, typisch Schinkel und sein moderner Geist, dessen Fassade lediglich durch eine Säulenloggia und dunkelgrüne Femsterläden aufgelockert wurden, ist bis heute von klassischer Schönheit neben dem bloß barocken Schloss.. Auch bei der Innenarchitektur verwirkliche Schinkel seinen äußerst schlichten typischen Stil, der Preußen berühmt machte.

Die Gräfin Harras musste auch mit dem pompös romantischen Mausoleum im SchlossparK für ihre Vorgängerin, die preußische Heilige Luise, leben. Dies durch eine Tannenallee vom Park separierte Grabmal, in dem später auch FW III. beerdigt wurde, neben seiner Luise, während ihr nur ein Platz ohne Namen am Rand zugestand, steht für tief dunkle Romantik, die keiner mehr schön finden muss, ist aber vielleicht dem trauernden Witwer nachzusehen, der leider König war und die Möglichkeit seiner Frau ein Monument für die Ewigkeit zu schaffen, aber keinen Geschmack oder Stil hatte wie ihn Großmogul Shah Jahan bewies, als er das wunderbare Taj Mahal für seine verstorbene Liebste bauen ließ. Der so deutsche Piefke noch dazu im Geist der Romantik gefangen, trauerte düster, statt die Königin seines Herzens durch Schönheit noch zu erheben aber es ist ja auch nur Charlottenburg und nicht Indien, dieser Stadtteil in dem viele gern mehr wären als sie je sein werden und darauf auch noch stolz sind mit der schon von Fontane frech belächelten märkischen Dreistigkeit, die sich gerne selbst lobt, die nur noch von der peinlichen Hamburger Selbstliebe übertroffen wird, die so gar nicht hanseatisch sondern schlicht gewöhnlich bleibt - vielleicht ein Preis zu langer SPD Regierung die vornehme Zurückhaltung, wie sie alte Bremer Familien noch schätzten, nicht mehr kennt, für die noch Schmidt und von Dohnany standen, aber das ist alles längst Geschichte.

Unter Friedrich Wilhelm IV., dem Sohn der als Toter zur besonderen Kultfigur in Preußen gewordenen Königin Luise, wurden die Wohnräume im Stil des Spätklassizismus und Neorokoko umgestaltet, was zumindest von außen zum Glück unsichtbar blieb.  Nach seinem Tod nutzte noch seine bayerische Witwe Elisabeth einige Zeit die Räume.

Der letzte Nutzer war für ganz kurze Zeit der 99 Tage Kaiser Friedrich III., der lange warten musste, bis sein Vater, der andere Sohn von Königin Luise, Wilhelm I., der erbte weil sein Bruder kinderlos blieb, 1888 endlich starb. Er zog dann jedoch bald zum Sterben ins Neue Palais nach Potsdam umzog, was nicht unbedingt schöner aber zumindest viel größer ist.

Ab diesem Zeitpunkt war Schloss Charlottenburg nur noch ein Museum und blieb es bis heute. Wilhelm II., der ohnehin keinen Geschmack hatte und eine der gräßlichsten deutschen Bauepochen mit seinem Namen prägte, wusste das Kleinod an der Spree nicht zu schätzen, protzte lieber im Stadtschloss mit neuer Kuppel und ähnlichen Geschmacklosigkeiten oder im Neuen Palais auch, dem Trotzbau Friedrichs nach dem Siebenjährigen Krieg, errichtet nach dem Motto, Hurra wir leben noch, den der feinsinnige Friedrich nie bewohnte oder betrat.

Das berühmte Bernsteinzimmer, das nach dem 2. Weltkrieg auf ominösen Wegen verschwand, war ursprünglich auch für Schloss Charlottenburg bestimmt. Jedoch wurde dieses auch als achtes Weltwunder bezeichnete Kabinett, das noch Schlüter entwarf, vom Soldatenkönig, der wenig Sinn für extravagante Kunst hatte, an den Zaren Peter den Großen verschenkt.

Gegenüber dem Museum, das ich nach einem kleinen Picknick bei Brot und Tee am See im Dunkeln noch umrundete befinden sich in den beiden Stüler Bauten, die zum Schlossensemble gehören, zwei der schönsten Kunstsammlungen Berlin. Das Museum Berggruen, mit der Sammlung des aus Berlin stammenden Kunsthändlers Heinz Berggruen, als wunderbare Kollektion der klassischen Moderne um Klee und Picasso und gegenüber die Sammlung Scharf-Gerstenberg, die sich bis in die Moderne hinein mehr auf den surrealen Bereich konzentrierte und so eine prächtige Ergänzung der Sammlung Berggruen ist. Die beiden Häuser, über die ich an anderer Stelle ja schon einiges erzählte, auch von der letzten Begegnung mit Heinz Berggruen und seinen Geschichten im Vorübergehen, zwischen Bildern und Leben, sind eine wunderbare Ergänzung des etwas gravitätischen Schlosses Charlottenburg, das natürlich nett ist, aber eben eine alte Eichengalerie als Ausweis seiner Schönheit hat, was viel über tumbes deutsches Kunstverständnis und wenig über Eleganz verrät, die in dem zauberhaften Garten teilweise durch geniale Sichtachsen Wirklichkeit wird. Doch Berlin hat nun eben zwei geniale Sammlungen dem etwas bescheideneren Kunstgeschmack seines Herrscherhauses gegenübergestellt und das ist auch gut so und typisch für diese Stadt, die nicht immer alles falsch macht.

In dem schönen Schlossgarten befindet sich auch noch das zauberhafte Teehaus Belvedere, das 1788 von Langhans gebaut wurde, der auch das gotische Angelhaus an der Spree errichtete, das sich jedoch als zu anfällig erwies und 1884 mit dem Korbhaus abgerissen werden musste.

Der Schlossgarten ist immer noch das Naherholungsgebiet der Anwohner, die sich gegen Pläne der Schlösserverwaltung wehren, ein Eintrittsgeld zu erheben, was zu erbitterten Streitigkeiten führt, wie die Potsdamer für die Gärten um Sanssouci und Neues Palais gerade bewiesen und natürlich eine Bürgerinitiative gründen ließ.

Ob in Schlösser und Museen nicht ohnehin immer freier Eintritt gewährt werden sollte, ist sehr wohl die Frage, die der Gründungsdirektor des Humboldtforums Neil McGregor, der vom British Museum nach Berlin kam, aus guten Gründen stellte und die nun zu diskutieren sein wird. Wird mehr geschätzt, für was wir bezahlen oder macht es eine Demokratie aus, ihren Bürgern Bildung und Kultur möglichst kostenlos zur Verfügung zu stellen, was angesichts teurer englischer Universitäten und Schulen schon sehr fragwürdig erscheint?

Zurück folgte ich wieder der Spree durch die inzwischen Dunkelheit am Ufer entlang, das ab dem Landwehrkanal nach dem berühmten auch Berliner Physiker Einstein hieß, den die in vieler Hinsicht dumm primitiven Nazis als Juden vergraulten. Durch das Charlottenburger Tor wieder in den Tiergarten, am Großen Stern in Richtung Schloss Bellevue, vor dem ich dann nach rechts Richtung Reichstag abbog, wie ich gekommen war, wollte ich zurück, entschied mich jedoch an dem Schwangere Auster genannten Haus der Kulturen der Welt für einen kleinen Umweg und folgte ab hier der Spree, am Kanzleramt entlang, unter der Moltkebrücke hindurch, gegenüber dem Bahnhof weiter, bis zum Kindergarten des Bundestages, auf dessen Höhe ich die Spree Richtung Reinhardtstraße überquerte - in Richtung Charité, wie passend, ließ ich mich noch beinahe von einem Berliner Bus überfahren, entkam aber gerade noch durch einen etwas ungeplanten Salto - auch datt ist Berlin, besonders das danach der Busfahrer ausstieg und mich anschnauzte, was mir denn einfiele, er hätte schließlich Fahrgäste im Bus, die hätten fallen können, statt zu fragen, wie es mir ginge, der tatsächlich gefallen war. Das musste lieben oder drüber lachen, wenn du in Berlin glücklich werden willst, denke ich manchmal. Hätte er mich erwischt, dächte er vermutlich, was looft der Kerl auch da, wo ich fahren will.

Humpelte mit dem Trost der besorgten Liebsten im Ohr weiter gen Prenzlauer Berg durch Mitte und kam über Linienstraße, Choriner Straße und Kollwitzstraße schließlich nach 28 km wieder zum heimatlichen Helmholtzplatz, reich an Eindrücken vom königlichen Charlottenburg und seiner manchmal sogar spannenden Geschichte, was heute fast unglaublich scheint beim Blick gen Westen, in der sich die Geschichte des königlichen Preußens wiederspiegelt.

jens tuengerthal 17./18.10.2017

Dienstag, 17. Oktober 2017

Sturmliebe

Meine Liebste liebt Stürme
Freute sich auf Ophelia sehr
Die heute über ihre Insel fegte
Kannte dabei keine Furcht

Ophelia war Hamlets innig geliebte Frau
Die es nie werden durfte weil Intrigen am
Dänischen Hof die Liebe zerstörten worüber
Die große Liebe verstarb wie später der Prinz

Fürchtete um sie dabei mehr
Auch wenn es westlich wütete
Weiß keiner was so passiert
Im wilden Hurrikan an Land

Drei starben in Irland bis jetzt
Weniger als beim letzten mal
Was es keinesfalls besser macht
Nur gäbe es etwas gutes dabei

So froh dass sie es gut überstand
Ihr Leben nicht einfach verwehte
Freue ich mich mehr daran warum
Sie die Stürme so sehr liebt wie ich

Weil es dann drinnen bei Buch und Tee
Noch schöner wird voll Leidenschaft stets
Als Spiegel äußerer Stürme in ihr wohl
Freue ich mich an ihrer Rettung so sehr

Die beste aller nur möglichen Frauen
Deren Stürme vielen verborgen sind
Hat den Sturm heil überstanden was
Dichter und Flaneur glücklich macht

So ist am Ende wieder alles gut
Was doch märchenhaft beruhigt
Wäre es nicht gut dann wäre es
Nicht zu Ende und das ist gut so

Manchmal ist es also gut so
Wenn Leben kein Theater ist
Die Bühne für die Schau bleibt
Das Leben lieber lustvoll liebt

jens tuengerthal 17.10.2017

Charlottenbürger

Heute ging es durch den Tiergarten nach Charlottenburg ins Literaturhaus in der Fasanenstraße. Ein Weg, der laut Google auf einer Strecke 9,7 km lang ist und bewältigbar schiem. Am Ende waren es fast 6h für beinahe 27 km hin und zurück, aber dazu nun mehr.

Lief wie üblich am Helmholtzplatz los, durch die Kulturbrauerei und über die Oderberger Straße in die Kastanienallee, um heute nochmal in das gestern längst geschlossene Antiquariat zu gehen und einen Band für die Prinzessin zu erstehen. Kulturgeschichte vom Hof des Sonnenkönigs mit dem Titel ‘Hinter den Fassaden von Versailles, Mätressen, Flöhe und Intrigen, was schon reizvoll genug war, den minimalen Umweg zu nehmen.

Duchquerte am Ende der Kastanienallee, die da natürlich längst Weinbergsweg heißt, um auf den dort früher Weinberg hinzuweisen, den heute Weinbergspark ohne Weinbau, in dem sich bei warmen wunderbaren Herbstwetter die Menschen sonnten und es sich gut gehen ließen und hatte dabei immer die Liebste in Dublin im Ohr, die gerade live den Hurrikan Ophelia ertragen musste, aber zum Glück nicht im am schlimmsten betroffenen Gebiet war. Ein Gegensatz in beiden Naturerlebnissen. Bog in die Ackerstraße ein und fand kurz hinter der Ackerhalle das Antiquariat wieder und den gesuchten Band noch im Schaufenster und erstand ihn sofort zur gemeinsamen Lektüre.

Weiter die Ackerstraße entlang bis zu ihrem Ende, an dem ich links in die Linienstraße einbog. Von der Linie wich ich bei Tucholsky in die nach ihm benannte Straße gen Süden ab, überquerte die Oranienburger mit Blick auf die Neue Synagoge und folgte der nach dem großen Berliner Literaten benannten Straße bis zur Ebertbrücke über die Spree, auf der ich im schon leicht rosanen Licht, den Blick auf das Bode Museum genoss. Nach der Brücke hieß die vorher Tucholskystraße dann nach den Geschwistern Scholl, was ja auch irgendwie passt. Ignorierte diese historisch interessante Folge der Straßennamen mit Münchner und Berliner Geschichte aber und folgte dem Weidendamm bis zur Planckstraße, auf der ich dann an dann am Jacob und Wilhelm Grimm Zentrum, der neuen schönen, zentralen Bibliothek vorbeilief, die direkt an der S-Bahn Linie durch Mitte liegt und damit quasi im Rücken der alten Staatsbibliothek, bis zu der ich aber nicht ganz kam, sah nur ihre Rückseite, da ich bevor die Planckstraße plötzlich Charlottenstraße heißt und zum Gendarmenmarkt führt in die Dorotheenstraße nach rechts gen Bundestag einbog.

Auf der Dorotheen blieb ich, auch wenn die Aussichten dort, sehen wir von ein wenig Dussmann ab, eher mäßig interessant sind, bis zur Wilhelmstraße, um das alte Berlin wieder durch das Brandenburger Tor gen Tiergarten zu verlassen. Der Tiergarten, über den die Meiden gerade so lautstark skandalisierten, weil er ein Hort von Müll und Verbrechen wäre, ist die grüne Lunge früher vor den Toren und heute irgendwie inmitten Berlins und ein Ort der Ruhe, der Schönheit und des Flanierens, sehen wir von den rasenden Radlern ab, die mir blendend hin noch häufiger als zurück entgegen kamen und ignoriere ich den Verkehr  nebenan. Die Huren, die früher am Anfang der Straße noch tief im Westen standen, wurden leider vertrieben, es fehlt ihr damit das großstädtische trotz der mondänen Breite ein wenig. Die Strichjungen gibt es noch, da wir uns nicht füreinander interessierten, kann ich nichts dazu sagen und um Müllberge zu sehen, war es zum Glück schon zu dunkel. Viel Lärm um nichts also mal wieder in Berlin oder nur der Versuch ein wenig Aufmerksamkeit zu heischen? Ich weiß es nicht so genau, denke aber Förderung und Erhaltung des Tiergartens wäre gut und wichtig, warum egal welche Prostitution ihm schadet, weiß ich nicht - mehr Beleuchtung würde da vermutlich mehr helfen als viel Kriminalisierung.

 Lange lief ich parallel zum 17. Juni in der immer stärker werdenden Dämmerung und bog erst kurz vor großen Stern ein wenig nach Süden ab, um dann die alte Hofjägerstraße zu überqueren und zum Landwehrkanal zu kommen. Passend ist der Name Hofjäger dort insofern, dass der Tiergarten früher das Jagdrevier des Hofes im Schloss auf der Insel Cölln wurde, bis er irgendwann zum Lustgarten wurde. Damals gehörte Charlottenburg noch lange nicht zu Großberlin, sondern war ein Städtchen nebenan, später an der Bahnstrecke nach Potsdam gelegen und Anfang des Jahrhunderts der Wohnort von Franz Hessel, Harry Kessler, den Berggruens und vielen anderen berümten und prägenden Gestalten der Berliner Kultur. Benannt wurde es, wie das gleichnamige Schloss, das Ziel des nächsten Gangs des Flaneurs ist, nach Sophie Charlotte von Hannover, der Gemahlin von Kurfürst Friedrich III., der später König Friedrich I. wurde, dem Sohn des Großen Kurfürste. Damals hieß der Flecken und das Vorwerk noch Lützow und das dort errichtete Sommerschloss trug den Namen Lützenburg aber dazu mehr, wenn ich auch da bin und in dem dort wunderbaren Schlosspark flaniere. Als sie schon 1705 mit 31 starb, ließ der König den Ort und das Schloss Charlottenburg nennen.

Fand den Weg quer durch den Tiergarten an Cafe am Neuen See und der spanischen Botschaft vorbei zum Landwehrkanal und folgte mal wieder diesem historisch auch insofern bedeutenden Gewässer, weil in ihm 1919 Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ersäuft wurden. Diese Köpfe des Spartakusbundes, starben in Zeiten als Kommunisten und Sozialdemokraten nach der Novemberrevolution noch um die Macht in Berlin rangen, bis die Regierung aufgrund der hiesigen Unruhen mit den Kommunisten von Spartakus gen Weimar auswich und der dann so genannten Weimarer Republik den Namen gab, die leider nur von kurzer Dauer war.

Der Weg in der schon ziemlich fortgeschrittenen Dämmerung am Landwehrkanal entlang war sehr beschaulich und schön. Menschen saßen auf Bänken oder am Ufer direkt, schmusten oder plauderten, es lag an diesem wunderbaren Herbsttag etwas frühlingshaftes in der hier besonders reinen Berliner Luft. Dem Tiergartenufer folgte ich genüsslich flanierend noch mit hohem Tempo, da ich ja den Buchladen im Literaturhaus gerne noch besucht hätte, bis zur Unteren Freiarchenbrücke, die ich schon im ziemlich dunkeln überquerend am Schleusenkrug vorbeikam.

Erzählte der Liebsten im Ohr dabei die Geschichte, die jüngst den Berliner Boulevard aufheizte, von der genau da ermordeten Schlossbesitzerin und genoss den leicht gruseligen Kitzel der Atmosphäre in den frühen Abendstunden bei genug Dunkelheit, sich zu fürchten, wenn nötig. Im Schleusenkrug war sie gewesen, bis sie danach irgendwann grausam zu Tode kam - mehr weiß ich leider nicht darüber zu berichten, da ich von den bunten Blättern selten mehr lese als die Schlagzeilen im Vorübergehen. Auf dem weiteren Weg sorgte dann der eher unangenehme Geruch nach Pisse, der mutmaßlich aus dem nebenan Tiergefängnis stammte, das sich sonst Berliner Zoo nennt, aber nichts anderes eigentlich ist, nur das bei Gefangenen solche Folter wohl verboten wäre, für Ablenkung.

Versuchte die unangenehmen Gedanken an den dort Tierknast zu vertreiben - ich gebe es zu, ich mag Zoos nicht, weder für Menschen noch für Tiere und finde die Betrachtung von Gefangenen eine für beide Seiten entwürdigende Handlung - mit dem Blick nach vorne zum berühmten Bahnhof Zoo, der heute nur noch ein eher unwichtiger Regionalbahnhof und eine hauptsächlich S-Bahn-Haltestelle geworden ist. Bei Bahnhof Zoo dachte ich an das Buch Christiane F, was zugegeben keine angenehmeren Gedanken weckte und diesen piefigen Bahnhof aus einer anderen Zeit für mich immer irgendwie unangenehm machte. Las dieses Buch in früher Jugend, von meiner Mutter mir wohl zugegeben sehr erfolgreich zum Zwecke der Abschreckung gegeben. Das ist  vermutlich übertrieben aber die Erinnerungen an den Breitscheidplatz, der um die Ecke liegt und die Trauerfeier für Prinzessin Kira in der nahen Gedächtniskirche vor einigen Jahren, taten auch nichts dafür, die Gegend schöner zu finden. Dass ich noch einige Jahre in einem Callcenter im dortigen Hochhaus in der Hardenbergstraße eine eher unangenehme Zeit damit verbrachte Menschen zu teure Lose sehr erfolgreich zu verkaufen, hob die Stimmung auch nicht. Wollte ich noch weiter meckern, schimpfte ich über die dort Straßenführung und ähnliche typisch Berliner Unzulänglichkeiten, die zu vielen Umwegen zwingen und das Flanieren zum Spießrutenlauf zwischen Absperrgittern machen, bis ich endlich zum alten Kudamm kam.

Der Kudamm ist nett und eben altes Westberlin - da ändert sich nicht viel, auch wenn mal Geschäfte neu gebaut wurden und das alte Café Kranzler nun nur noch ein winziger Teil eine Shopping Centers ist. Dort lässt sich gut flanieren und an dem vorhandenen Bestand freuen, die Blicke am Wohlstandskonsum erwärmen, wie gleich zu Beginn bei Käthe Wohlfahrt, wo das ganze Jahr Weihnachten ist. Ignorierte die überreiche Dekoration an diesem wunderbaren Herbsttag, an dem nichts weiter entfernt zu sein scheint als die Adventszeit, auch wenn ich längst wieder Spekulatius genieße. Ging am Altberliner Brauhaus vorbei, vor dem der Altersdurchschnitt der Gäste deutlich im Rentenalter lag und deutlicher macht als in Prenzlauer Berg oder Mitte, was für ein Generationenproblem wir theoretisch längst haben, aber das ist eben Charlottenburg, Heimat der reichen Witwe, die sich schminken als wären sie in Düsseldorf und nicht in Berlin und damit den Standard der Damen im Westen setzten, die durchschnittlich immer angemalter mir erscheinen, was sie nicht unbedingt schöner macht, aber vielleicht manches verdecken hilft, wovon ich noch weniger wissen will.

Von der Konsummeile erlöste mich die endlich Fasanenstraße, die zwar selbst noch genug davon hat, vom Botox to go Laden bis zu sonstigen Boutiquen, in denen sich Charlottenburger Witwen standesgemäß einkleiden und Kleinigkeiten für ihre Enkel kaufen, die aber nach wenigen Metern nur zum Garten des Literaturhauses führt mit dem erhofften Buchladen. Selig ging ich auf ihn zu und ahnte doch schon wenige Meter davor, was mich erwartete, nichts mehr. Dieser schloss leider schon um 19.30h, warum Kohlhaas & Co für diesmal auf ihren wenig solventen Kunden verzichten mussten, ich kam 5 Minuten zu spät und in Charlottenburg wird pünktlich geschlossen. Hatte ja auch schon ein wunderbares kulturgeschichtliches Buch antiquarisch erworben und freute mich nun auf einen feinen Tee oder Wein im Café des Literaturhauses, das ich schon so lange liebe.

Entschied mich für eine günstigere Kanne grünen Sencha statt dem Pfälzer Riesling, es ist ja schließlich schon Oktober, genoss ihn bei der elektrischen Pfeife mit Vanille und schwärmte der Liebsten im Ohr vom letzten gemeinsamen Besuch voller Zärtlichkeit vor. Diesmal leider allein, besuchte ich nach dem Tee nur noch die sehr gepflegten Örtlichkeiten, schaute in die Kaffehausrunde dort, voller vielleicht Literaten, vom einkaufen erschöpften Literaten, wie feiernden jungen, gut gekleideten Erben und machte mich auf den Rückweg durch die Nacht, die eigentlich noch ein früher Abend war.

Ging lieber gleich durch die Fasanenstraße, um mir die Baustellen und den unangenehmen Bahnhof Zoo zu ersparen, am Kempinski vorbei und anderen gediegenen Lokalitäten, die zu gut zu diesem Ort passen, schließlich auch die Universität der Künste als Brutstätte künftiger Musenjünger passierend bis zum wieder Landwehrkanal, durch das Charlottenburger Tor wieder in den Tiergarten und diesem auf geradem Weg folgend, nur den Stern noch kurz notwendigerweise überquerend.

Auf Höhe des Reichstages, den ich vom Gefühl her immer lieber Bundestag nennen möchte, was er ja auch ist, obwohl er im ehemaligen Reichstag des preußischen Deutschen Reiches von nach 1870 tagt, bog ich über den 17. Juni gen Norden zum Parlamentsgebäude ab. Betrachtete den mächtigen aber eher durch Forsters Doppelhelix in der Kuppel schön gewordenen Bau einen Moment ohne übermäßige Andacht und wandte mich dann der Spree zu, der ich bis zur Marschallbrücke folgte, von der an ich die Luisenstraße bis zur Charité flanierte. Luise wird zu Wilhelm nach dem Marschall ist auch so eine lustige Berliner Straßenfolge, die nicht ganz so amüsant ist wie Friedrich, Chaussee, Müller. Die Elite-Uni lebt im DDR-Plattenbau, der nur ein wenig neu  verkleidet wurde. Dabei entdeckte ich die neue Notfallambulanz an der Rückseite und das die Spaziergänger nun wieder leicht die Abkürzung zur Philippstraße nehmen können, die dann über die Hanoversche zur Friedrichstraße führt, die ab dort, ich bog ja gen Wedding nach links ab, Chausseestraße heißt, um sich später nochmal im tiefen, früher links roten Wedding, der heute eher türkisch rot anmutet, in Müllerstraße umzubenennen aber doch immer die gleiche Straße bleibt, die auf der anderen Seite in Kreuzberg zwischen hässlichen Hochhäusern irgendwo nahe dem Willy Brandt Haus im Nichts verendet. Was typisch für Berliner Glanz und Gloria ist - eine Prachtstraße, die sich im hässlichen Nichts der Nachkriegsbauten verirrt und Preußens Glanz der heutigen Lächerlichkeit preisgibt. Ob das an der Wilhelmstraße gelegene nahe Willy Brandt Haus, der manchen werte frühere Kanzler hieß ja auch mal Wilhelm, aber das wäre eine andere Geschichte, zu diesem Ende passt, sei an dieser Stelle dahingestellt.

Von der Chausseestraße ging ich in die Tieckstraße, durch ein romantisch schönes Viertel, wollte noch am Café Honigmond und dem gleichnamigen Hotel vorbeigehen, vielleicht im Café verweilen. Lag dieses doch nach meiner Erinnerung Ecke Novalis, Eichendorff, Tieck Straße und wäre somit der richtige Ort für einen Dichter, auch wenn es tatsächlich an der Borsigstraße lag, was weniger romantisch war, aber auch nichts nutzte, weil es inzwischen Neumond hieß und geschlossen war, wie das Hotel eher gewöhnlich nun aussah, schien das alte Café nun wenig verlockend. Zeiten kommen und Zeiten gehen. Nach der Tieckstraße folgte die Schröderstraße weniger romantisch und die Bergstraße führte mich schließlich zur Invalidenstraße, jenseits aller Romantik, bei der ich an der Ecke Brunnenstraße noch einmal das dortige ehemalige Kaufhaus Jandorf besuchen wollte, das zu Hermann Tietz ab 1929 gehörte, dem später Hertie, das dann von Karstadt übernommen wurde, die sich auch erledigt haben, in dem gerade die typisch peinlich denglische berlin foodweek stattfindet. Viele sich wichtig findende Leute standen davor und rauchten oder warteten schlangenweise, um hineinzukommen - fand weder die Sache noch mich, wichtig genug die Sache weiter zu verfolgen, auch wenn das Gebäude sehr interessant ist. Durch den Verkauf von Karstadt an Nicolas Berggruen, den Starinvestor und Sohn des Berliner Kunstmäzenen Nicolas Bergguen, gab es zumindest einen Moment Berliner Geschichte dem Namen nach, aber das hat sich mit dem Weiterverkauf an einen österreichischen Investor nun auch erledigt.

Die Invalidenstraße ging ich den Berg hinauf, an der Zionskirche vorbei, in der einst Dietrich Bonhoeffer noch Arbeiterkindern aus dem Wedding Konfirmationsunterricht erteilte, während er längst viel weitergehender forschte, bis ihn die Nazis ins KZ sperrten, wo er umkam. Über seine alte Schulfreundin Marion York war Bonhoeffer auch mit dem Kreisauer Kreis verbunden, in dem Helmuth James Moltke und Peter York eine Gruppe des Widerstandes gegen das NS Regime auf dem moltkeschen Gut Kreisau aufbauten. An ihn erinnert ein bronzener Torso an der Südseite der Kirche und so wenig ich mit Gott und Kirche sonst zu tun habe, finde ich die Erinnerung an diesen großen Deutschen immer gern der Worte wert.

Die Kastanienallee entlang bis zur Oderberger, ging ich, wie gekommen, durch Kulturbrauerei und anschließend Lychener Straße, die früher auch la Ly hieß, um ihr zu DDR-Zeiten, als hier alles noch leberwurstgrau und nicht pastellfarben war, ein wenig französisches Flair zumindest nominell zu geben in der Umgangssprache der Bewohner, zum heimatlichen Helmholtzplatz, den ich gewohnheitsmäßig, wenn auch mit ein wenig schweren Beinen nach über 26 Kilometern noch umrundete.

Bei allem immer die wunderbare Liebste im Ohr, die im sturmumtosten Dublin ausharrte, aber sich zumindest für einen Moment vor ihr Schloss wagte, um zu sehen, dass die Schäden sich doch scheinbar in überschaubaren Grenzen hielten - so telefonierte der bisher wärmste und sonnigste Berliner Herbsttag mit dem wildesten Sturm in Irland seit Menschengedenken und zeigte wie seltsam parallel und doch entfernt nah gleiche Welten geteilt sein können und wie unwichtig die Liebe alles Wetter macht, wo doch in ihr ebenso schnell die Witterung wechseln kann.

jens tuengerthal 16.10.2017

Montag, 16. Oktober 2017

Mauerweglein

Eigentlich wollte ich nur einen kleinen Spaziergang durch den Mauerpark unternehmen - Sonntagabend im Dunkeln, mal sehen ob auch im Oktober noch was los ist da, dann wurden es doch wieder 20 km, bis ich zurück war, obwohl es doch nur ein wenig rund ging, zweimal über die Mauer und zurück.

Erreichte die unbeleuchtete Grünanlage über die Oderberger Straße. Der Mauerpark an sich war noch relativ belebt, gleich zu Anfang begrüßte mich ein vermutlich nicht nur leicht bekiffter Jüngling gleich mit Handschlag und vermutlich wäre es auch zur Umarmung gekommen, wenn ich nicht, die Liebste im Ohr, schnell weiter gegangen wäre und mich mit einem breiten Grinsen begnügte. Fing also gut an und ging noch besser weiter.

Im Park saßen verschiedene Gruppen am und um Lagerfeuer oder tanzten und sangen zu Gitarrenmusik, die übliche Mauerpark Partystimmung, leicht berauscht aber gut drauf, während vom Flohmarktgelände nebenan noch vereinzelt helle Scheinwerfer leuchteten, die den Abbau der Reste des tagsüber Flohmarkts spärlich beschienen.

So ging ich beschwingt weiter, wollte noch nicht durch den Gleimtunnel, wusste noch gar nicht genau, wie weit ich laufen wollte und wo es hingehen sollte und lief einfach bis zur Brücke am Ende des Gleimviertels, die gen Wedding oder hintenrum ins Arnimviertel führt. Folgte ihr den schon beschriebenen Weg bis zum Gesundbrunnen, überquerte dort die Straße, um diesmal den Humboldthain, wo ich ja gerade erst auf den Bunkerberg im ehemaligen Flakturm stieg, zu umrunden. Es dauerte länger als ich dachte, aber schließlich kam die Hussitenstraße, der ich dann durch den südlichen Gesundbrunnen bis zu ihrem Ende gegenüber der Mauergedenkstätte folgte.

Zwischen den Stahlstreben, gegenüber der Kapelle, wo, wie wörtlich geschrieben, noch der Schandmauer gedacht wird, grenzt der Stadtteil Mitte an Gesundbrunnen und ich folgte der Gedenkstätte bis zur Ackerstraße, in die ich links gen Zentrum abbog. Schaute noch in schöne Schaufenster hier und dort gemeinsam mit der Liebsten in Dublin, die gerade die Warnungen vor dem Hurrikan Ophelia bekam und schnell noch dort in den sonntäglich geöffneten Supermarkt lief, Vorräte für die Sturmzeit zu kaufen, woran wir sehen das katholische Irland ist weniger bigott als Deutschland mit dem heiligen Sonntag. Etwa des wundervollen Antiquariats in der Ackerstraße, wo wir gleich einen schönen Schatz entdeckten, nach dem ich die nächsten Tage schauen will.

Bis zum wenig bitteren Ende am Koppenplatz folgte ich der Ackerstraße, bog dann ganz langweilig links in die Linienstraße, der ich wiederum bis zur Gorrmannstraße folgte, die außerhalb der nicht mehr existenten Stadtmauer, also jenseits der Torstraße, zur Choriner Straße wird und mich wieder den heimatlichen Berg hinauf führte. Oben bog ich am ‘Lass uns Feunde bleiben’ nach rechts ab, um die nächste links und dann wieder rechts zu nehmen, an der nächsten Ampel dann, logisch die Schönhauser Allee zu überqueren und die Kollwitzstraße bis zum Ende zu laufen und über die Danziger nur zu hüpfen in den Helmholtzkiez und knapp 4h später zuhause anzukommmen. Was ich so lange machte auf dem bisschen Weg durch die Stadt, fragte ich mich auch. Mit der Liebsten gequatscht und so verflog die Zeit wie nichts und plötzlich waren es schon wieder 20km auf dem Telefon, dem ich gerne glaube, wenn es beim Zählen meiner Schritte ein wenig übertreibt.

jens tuengerthal 16.10.2017

Versichert

Versichere dir gerne jeden
Tag wie sehr ich dich liebe
Damit du dir auch sicher bist
Den werd ich nicht mehr los

Zog mit dir das große Los
Obwohl du mich ausgelost
Habe ich mehr gewonnen
Du bekamst ja bloß mich

Siehst du fürchte ich anders
Macht aber nix solange wir
Beide es vom andern denken
Und damit glücklich bleiben

Bin mir dabei ganz sicher
Diesmal Sieger auch zu sein
Mehr kann keiner je haben
Als ich gewann mit dir

So sind wir doppelt versichert
Jeder für sich und zusammen
Dass jeder mehr gewonnen
Und bleiben also in Sicherheit

jens tuengerthal 16.10.2017

Sonntag, 15. Oktober 2017

Mittig

Ab durch die Mitte hieß es in meiner Familie früher, wenn es richtig losging. So entschloss ich mich am Samstagabend, ab durch die Mitte zu gehen, um zu sehen, was los ist im hippen Nachbarkiez und landete am Ende noch bei Tesla am Potsdamer Platz und lief runde 23 km durch die Stadt, wieder ein halber Marathon, wenn ich es denn eilig hätte. Aber der Reihe nach.

Mitte heißt von mir am Helmholtzplatz eigentlich Berg runter, sehe ich mal davon ab, dass rein formell Mitte schon auf der anderen Seite der Schwedter und der Choriner Straße beginnt. Mitte fängt für mich hinter der Torstraße an, wenn ich quasi die alte Stadtmauer überschritt und so ging ich auch diesmal los. Lief über die Dunckerstraße in Richtung Kulturbrauerei, die Choriner Straße von dort hinab und überquerte die früher Stadtmauer und heute vierspurige Torstraße mit der Straßenbahn inmitten, wo die Choriner in sie mündet.

Diesmal folgte ich der quasi Fortsetzung der Chorinerstraße auf der anderen Seite, der Gorrmannstraße, bis zu ihrem Ende, an dem sie auf die Rosenthaler Straße stößt.  Überquerte vorher noch die auch aus Berlin Alexanderplatz von Döblin berühmte Mulackstraße, die heute kein großes Aufsehen mehr macht ohne größere Beachtung und am Ende die Rosenthalerstraße, um auf Höhe der Weinmeisterstraße in die Gipsstraße gegenüber einzubiegen. Die klassische Mitte, Schuhladen reiht sich an Galerie und Whiskygeschäft, irgendwo dann doch immer wieder eine hippe Bar vor der die Raucher oder noch nicht reingelassenen standen und die engen Bürgersteige in der ohnehin engeren Mitte versperrten.

An Clärchens Ballhaus vorbei, dem Berlin Klassiker, in dem neulich auch William und Kate tanzten und plauderten, ging es klassisch durch die kleine Große Hamburger zur breiten Oranienburger Straße, was aber wiederum die Bedeutung und Größe beider Städte umgekehrt proportional wiedergibt, auch wenn ich natürlich wie meist in die Krausnickstraße abbog, um gegenüber dem Bode Museum anzukommen. Die Liebste in Dublin im Ohr wollte ich noch einige Orte des Lichterspektakels ablaufen, insbesondere für sie die Tesla gewidmete 3D Installation am Potsdamer Platz. Schätzt sie noch das kroatische Genie, der sich manchmal wohl auch im Wahn wie im Kapitalismus verlor für seinen Mut sehr.

Bis dahin gab es aber noch die eine oder andere Abwechslung, etwa der Menschenauflauf vor den 12 Aposteln, gegen den der vor der Lichtinstallation am Bode sich sehr bescheiden ausnahm und viel mehr der riesige Menschenauflauf auf dem Bebelplatz, zwischen neuer Staatsoper, von den Lichtkünstlern historisch bespielt, dem bunten Komödchen, wie die juristische Fakultät, die der Alte Fritz noch als Bibliothek plante in seiner damals Friedrichstadt, mit Blick auf die sehr bunte katholische Kirche in der Ecke, was ja vielfältig wieder zur Berliner Toleranz passt und dem wechselnd bunten Hotel du Rome. Der Gendarmenmarkt blieb langweilig, dafür zog mich das Schokoladenhaus unnötig an und war wenig mehr als bunt, warum ich wieder vergaß den guten E.T.A. Hoffmann zu besuchen, den ich immer fälschlich in der Jägerstraße wähnte, wo er nie wohnte.

Dafür gab ich zumindest auf einen Sprung der berühmten Weinhandlung Lutter & Wegner am Gendarmenmarkt die Ehre ohne den ehemaligen Hoflieferanten, der heute, mangels Hof, der noch zu beliefern wäre, zumindest noch eine schöne Weinstube und ein feines Restaurant bietet.

Vom Schokoladen Rausch, der wahrlich einen bildhaften Rausch in Farbe oben und Schokolade unten bot, folgte ich der Mohren statt der Taubenstraße, ignorierte also den guten wie vielfältig genialen Romanitker Hoffman und lief stattdessen an Preußens großen Generälen  in denkmalsform am Ziethenplatz vorbei und grüßte Friedrichs Freunde und Militärs in historischem Angedenken freundlich. Sie machten Preußen einst groß. Ob dies den nachfolgenden Königen und Kaisern je entsprach oder nicht für alles was auf Friedrich folgte viel zu groß war, sei an dieser Stelle dahingestellt. Dank Bismarck und Moltke wurde es leider erst viel später bemerkt und Preußen musste im Guten wie im Schlechten untergehen.

Nach Ziethen huldigte ich ohne große Begeisterung den Göttern des Konsums in ihrem Mall of Berlin genannten Tempel. Wie alle Gotteshäuser relativ gediegen und doch so einförmig langweilig hätte ich dieses Ding ganz ignoriert, läge es nicht gerade auf dem Weg zum Potsdamer Platz, dessen eine U-Bahnstation direkt vor seiner westlichen Tür steht. Vor der östlichen befindet sich die Station Mohrenstraße, womit die Länge dieses ohne Bücher gänzlich unkultivierten Tempels deutlich wird. Die Tempel der Antike oder auch des Mittelalters wiesen zumindest noch große Kunst auf. Hier soll die Ware Kunst sein, als erscheine der dort angebetete Gott und wäre schon das Ding an sich.

Bekanntlich hab ich es ja nicht so mit Göttern und Aberglauben und so durchschritt ich den geschlossenen nur zum Durchgang frei gegebenen Tempel eher desinteressiert und berichtete nur der Liebsten, was ich sah.

Nach kleinem Umweg fand ich am Potsdamer Platz die 3D Lichtinstallation, die an den vielleicht genialen, zumindest ziemlich mutigen Physiker Tesla erinnerte. Es waren von unten irgendwie bunt angestrahlte Bäume und sah für mich erstmal total langweilig aus und ich fragte mich, was es sollte. Konnte auch die Prinzessin am Ohr nicht begeistern, bis ich ihr Fotos schickte auf denen die Show plötzlich sichtbar und geradezu obszön schön war.

Wäre ich klug, hätte ich eine 3D-Brille angezogen, da ich so etwas jedoch weder besitze noch sonst brauche, habe ich nicht daran gedacht und mit bloßem Auge nichts gesehen. Zum Glück war meine Telefonkamera klüger als ich und zeigte die Idee in ihrer ganzen bunten Vielfalt oder doch zumindest mehr als ich so nur mit meiner weniger 3D-Brille sehen konnte.

Zurück zum Brandenburger Tor, war es bei dessen Durchschreiten schon nach Mitternacht, die Lichterschau hatte geendet und der Pariser Platz nur normal voll. Über die Wilhemstraße, die ab der Marschallbrücke dann Luisenstraße heißt und bis zur Charité führt, in der meine Tochter einst geboren wurde, ging es bis zur Marienstraße, durch die ich schon der schönen Böse Buben Bar und des Wohnhauses von Menzel wegen gerne laufe, die in die Reinhardstraße mündet, welche wiederum auf den ostigen Friedrichstadtpalast zu führt, der auch nachts kein besonders erbauender Anblick ist, trotz der überlebensgroßen Werbung mehr oder weniger nackt glitzernder Tänzerinnen, was ich nicht nur dachte, weil ich die schönste Liebste im Ohr hatte, sondern schon immer empfand. Ein Revuetheater eben, dann noch mit östlichem Flair, bleibt gegen Deutsches Theater und Berliner Ensemble, die auch dort spielen, immer nur bemüht und für die Massen, weniger Kultur als Klatsch und Unterhaltung.

Folgte der Friedrichstraße bis zur Oranienburger, an deren Ende zugleich die Linienstraße mündet, der ich dann den Berg hinauf folgte, diesmal nur über die Kastanienallee. Oben dann konnte ich mich wieder an lauten Besuchern aus den Vororten freuen, die ihre trunkene Lächerlichkeit als Freiheit feiern, aber das ist eben der heutige Prenzlauerberg auch, eine Partymeile für manch weniger bemittelte Geister.

Die hier durchlaufenen Teile von Mitte haben jeder für sich ellenlange historische Geschichten zu erzählen, doch möchte ich die werten Leserinnen nicht schockieren oder langweilen und verzichte diesmal für den großen Gang auf alle feinen Details, die ich versprochen irgendwann nachliefere, wenn es gerade passt.

Nur ganz kurz sei etwas zum Verständnis der Stadtgeschichte erzählt. Berlin war früher nur der Teil nördlich des Spreeufers bis zur Akzisen oder Zollmauer, die ich an der Torstraße überschritt zu Beginn der Wanderung durch die Mitte. Das Viertel um den grässlichen Alexanderplatz hieß die Königsstadt, als Preußen noch einen König hatte. Die heutige Museumsinsel, das Prachtstück mit unserem bald wieder wunderbaren Schloss, das noch schöner nun Humboldtforum wird, was zumindest sicher besser ist als der vorige Ballast der Republik, was den gräßlichen Berliner Dom ein wenig ausgleicht zumindest, hieß Cölln. Das Stück vom anderen Spreeufer bis zum Brandenburger Tor war die Friedrichstadt und die Charité für Soldaten und Huren lag natürlich vor der Mauer, bevor sie bürgerlich zivilisiertund stolzer Teil von Mitte wurde.

Am Brandenburger Tor lief zu DDR Zeiten die Mauer, was den vielen Freiraum erklärt, den eine Mall natürlich als Kernsymbol des Kapitalismus gebührend würdigt. Den Potsdamer Platz gab es nicht mehr, das heutige Gedränge irgendwie moderner Bars und schick gemeinter Passagen, war Niemandsland im Zonenrandgebiet. Gut sichtbar auf Bilderreihen bei der Landesvertretung Schleswig-Holstein auf dem Weg vom Brandenburger Tor zum  Potsdamer Platz. Dabei geht es auch am Holocaust Mahnmal vorbei, der von der Jugend Berlins voll in die nächtliche Party-Szene integriert wurde, dort wird gesoffen, Flaschen abgestellt, Selfies gemacht und anderes mehr, wenn auch etwas dezenter als sonst, was schon viel hier heißt. Ob das dem Gedenken würdig genug ist, solches durch Aufsicht unterbunden werden müsste, um einen Ort der Stille zu schaffen, wie es ihm gebührte oder das eben auch Berlin ist, wo jeder macht was er will und alles irgendwie nebeneinander geht, will ich nicht entscheiden - denke zumindest etwas stiller als sonst aber ins Leben integriert ist besser als ein durch Polizeigewalt geschützter Ort der Stille.. Mehr kann ich dazu auch nicht sagen - finde es nicht toll, aber auch kein Problem. Datt is eben Berlin, hier ist irgendwann immer überall Party und Gedenken ist kurz. Zumindest sind die Stelen damit gut integriert, besser als manche es über andere denken. Mitte ist noch viele Reisen wert, keine Frage.

jens tuengerthal 15.10.2017

Arnimkiez

Heute erzähle ich nur von einer kleinen Wanderung quasi nach nebenan in den benachbarten Arnimkiez, den seine Insellage zu etwas besonderem macht.

Von den Schönhauser Allee Arcaden aus, in denen ich noch kurz lästigerweise zur Post musste, um ein Einschreiben aus Tallin abzuholen, was mich zugegeben in größeres Erstaunen versetzte, da ich niemanden dort kenne, nichts von da erwartete und schon vorab anderes schlimmstes befürchtet hatte, doch schließlich waren es nur die Ersatzfilter für meine elektrische Pfeife und ich sah zu, dass ich schnell wieder aus dem Allerweltseinkaufszentrum kam, das mit den Dufgrüften der Douglasketten und den überallgleichen Auslagen zur Konsumverführung von relativ unerträglich klassenloser Durchschnittlichkeit ist und darin auch vollkommen der Mall of Berlin im kleinen gleicht, durch die ich gestern ging, um mich nochmal in meiner Abneigung gegen Einkaufszentren bestätigt zu fühlen, auch wenn diese so praktisch sind, das unsrige zumindest einen Kettenbuchladen hat, während die Mall berlintypisch ganz auf Bücher verzichtet, die in Berlin ohnehin keinen Wert haben, überquerte ich die Schönhauser Allee, damit dieser Satz endlich ein Ende findet und folgte der S-Bahn in das Arnimviertel.

Dies ist nach dem romantischen Dichter Achim von Arnim und nicht seiner Frau Bettina benannt, der geborenen Brentano, die einst einen Flirt mit Goethe hatte wie schon vorher im Jahrhundert ihre Großmutter, die damals eine berühmte Schriftstellerin war. Arnim ist einer der Köpfe der Heidelberger Romantik, der andere war sein Schwager Clemens Brentano, mit dem er zusammen die Liedersammlung des Knaben Wunderhorn herausgab, nachdem er mit ihm eine romantische Rheinreise veranstaltet hatte. Vorher hatte er noch in Halle ganz seriös studiert, bis er dort dem jungen Tieck begegnete, dessen Schreiben er bewunderte, der ihn gemeinsam mit Clemens Brentano und der auf der Reise entflammten romantischen Liebe zu dessen Schwester Bettina zur brachte. Er hat einige nette Stücke hinterlassen, romantisches und sehr phantastisches Zeug halt, dass heutige Freunde von Phantasy Literatur begeistern könnte. Ansonsten war er der Begründer der später zumindest sehr antisemitischen Deutschen Tischgesellschaft in Berlin, warum es nicht schadet auf diesen Sohn eines preußischen Kammerherrn auch kritisch vorsichtig zu schauen, weil ihm scheinbar die nötige Toleranz fehlte.

Seine Ehefrau Bettina, die zusammen mit ihm im Park am Arnimplatz auf dem Denkmal von Michael Klein, dem zeitgenössischen Bildhauer, der in Charlottenburg geboren wurde, aber später in Weißensee studierte und als Restaurator in den Staatlichen Museen zu Berlin arbeitete, bis 1989 dem Verband Bildender Künstler der DDR angehörte, dagegen schrieb auch über die Armut in Berlin und ist für ihre Berichte über die Berliner Zustände berühmt. Sie lebte im Tiergarten, in der Nähe der Straße in den Zelten, die heute nach einem amerikanischen General heißt, der die Berlin Blockade mit überwinden half, mit ihren sieben Kindern während ihr Mann Arnim ganz unromantisch getrennt von ihr den größeren Teil des Jahres auf den Gütern der Familie zubrachte und seine national gesinnten Kolumnen unter anderem für die Vossische Zeitung schrieb.

Vielleicht noch erwähnenswert wäre, dass Arnim Mitglied der Gesetzlosen Gesellschaft Berlins war, die bis heute besteht, wenn es sich dem Namen gemäß um eine irgendwie anarchische oder revolutionäre Vereinigung gehandelt hätte - es war jedoch lediglich der heiße Name für eine Gruppe von Aufklärern in Berlin, die sich 1809 gründete. Sie ähnelte einer typischen Gelehrtengesellschaft, ohne sich deren strenge Struktur aufzuerlegen, wie der Name schon nahelegt. Immerhin wollte sie gänzlich ohne Statuten auskommen, was ja schon ein großer Akt der Freiheit im e.V. Deutschland ist. Die Mitglieder trafen sich zu Tafelrunden, um Debatten zu führen und gut zu essen an wechselnden Orten vom Hotel Savoy bis zum Schlosshotel Steglitz.

Am Arnimplatz liegt ein neuer Rewe Supermarkt, den ich nur deshalb ausdrücklich erwähne, weil er sich von den übrigen unterscheidet, bestens sortiert ist, tatsächlich in Berlin freundliches Personal hat und in den Regalen keine mir sichtbaren Leerstellen. Ein Einkaufsgenuss wie im goldenen Südwesten, in dem meine Eltern in der reichen Kurpfalz wohnen.

Ansonsten zeigt der Arnimkiez geschlossenen Altbau bis zu seinem Ende, an dem die Schievelbeinerstraße, die dort schon längst Behmstraße heißt, am Betriebshof der Abfallwirtschaft, dem Ort zum Sperrmüll abgeben, gen Westen in den halb anatolischen Wedding führt - welch Sinnbild der Geschichte. Im Nordwesten grenzt das Viertel an den Platz des 9. November 1989, an dem es auf die Bornholmer Brücke geht, jener Brücke, die als Grenzübergang an eben diesem Tag als erstes geöffnet wurde und damit den Weg zur deutschen Vereinigung ermöglichte und damit zur wieder Einheit Berlins, zumindest formal und theoretisch, denn praktisch sind wir noch sehr weit davon entfernt in der innerlich tief geteilten Stadt mit zu vielen Beamten.

Es gibt um den Arnimplatz einige schöne Lokale von georgischer bis italienischer Küche, nette auch Sofa Cafés, der Prenzlauerberg Standard eben, der sich nach den entsprechenden Bewohnern richtet wie auch der übrige Einzelhandel dort, Die Straßen tragen irgendwie skandinavische Namen, sehen wir von dem Bildhauer Schievelbein mal ab.

Zurück schlug ich einen großen Bogen über die Prenzlauer Allee, um noch meine über 10 km voll zu bekommen und lief dann über die Dunkerstraße gen Helmholtzplatz. Diese längste der drei Straßen des LSD-Kiezes führte mich fast vor die Haustür.

jens tuengerthal 15.10.2017

Sexordnung

Männer werden steif
Frauen werden feucht
Damit steifes in feuchtes
Einfach flutschen kann

Kaum denke ich an dich
Du schönste Liebste
Bin ich schon nass
Bevor er überhaupt steht

Bin ich nun zu weiblich
Oder erregt mich deine
Weiblichkeit mehr als alles
Sogar gänzlich unsteif schon

Du bist immer nass sagst du
Wenn du an mich nur denkst
Dass es mir genauso geht
Finde ich völlig in Ordnung

Flutscht gut ist schon viel
Lassen wir es fließen
Ineinander umeinander
Es ist gut so und wird was

jens tuengerthal 15.10.2017

Liebeswirren

Manchmal verirren wir uns
In der Liebe nur voll Hoffnung
Angekommen zu sein endlich
Halten wir ein Nichts für alles

Dann vergessen wir besser
Was mit großer Welle begann
Weil was so kommt und geht
Wohl einfach nichts war

Manchmal aber nehmen wir
Zu ernst was nichts nur war
Dann diktieren Launen alles
Zerstören wahre Schönheit

Dann ist es gut sich wieder
Miteinander zu besinnen
Um den Schatz zu schätzen
Den zwei miteinander haben

Wie glücklich bin ich da doch
Sicher zu sein mit der einen
Ein Leben voll Liebe zu teilen
Wie klein wird da alles sonst

Manchmal ist es einfach besser
Dem Glück zu trauen was nie
Einer halten kann ohne es so
Leicht wieder zu vergraulen

Doch wo beide ganz festhalten
Tragen sie das Glück gemeinsam
Sind also nie wieder einsam
Können sich als eins entfalten

Manchmal zweifelt jeder wohl
An allem und doch wie schön
Ist es sich da über allem noch
Sicher zu sein im miteinander

Früher führten alle Wege nach Rom
Heute muss keiner mehr dahin nur
Wenn alle Wirren zwei bloß enger
Zusammenführen ist Liebe groß

jens tuengerthal 14.10.2017

Samstag, 14. Oktober 2017

Wahneifer

Die Eifersucht ist ein Wahn
Der die schönste Liebe uns
Zerstört ohne einen Grund

Manche meinen manchmal
Es gäbe auch Gründe dafür
Sie irren die gibt es niemals

Eifersucht ist eine Krankheit
Die völlig den Verstand raubt
Jedes Ehrgefühl noch nimmt

Warum verfallen Menschen nur
Freiwillig diesem Wahn wenn sie
Doch vernünftig anders könnten

Ist es ein Zwang wie eine Sucht
Oder nur dumme Gewohnheit
Sich Schmerz selbst zuzufügen

Eifersucht macht alle unfreier
Unterwirft das Leben einem Zwang
Zu Kontrolle wie stetem Zweifel

Wer daran ernsthaft leidet ist
Psychisch krank auch wenn es
Leider zu oft als normal gilt

Wenn zwei sich lieben können
Sie dieses Glück für sich genießen
Festhalten dürfen sie es niemals

So schafft die Eifersucht selbst erst
Was sie zu fürchten vorgibt da sie
Das Vertrauen ineinander zerstört

Ohne Vertrauen ist keine Liebe mehr
Nur noch gewohnte Besitzgier bleibt
Ein widerlicher Kampf um Herrschaft

Wer liebt möchte gönnen und schenkt
Das kostbare mit Freiheit dem anderen
Der Rest ist keiner Worte mehr wert

Noch hoffe ich leichtsinnig weiter
Worte könnten die Vernunft wecken
Weiß nicht ob es klug ist

jens tuengerthal 14.10.2017

Fingerspitzen

Nackt liegen deine Linien vor mir
Folge ihnen mit den Fingerspitzen
Ertaste dich mehr als ich berühre
Wie ein Hauch über deine Zartheit

Langsam windest du dich längst feucht
Willst nicht noch länger warten bis ich
Zugreife und nehme dich zu beglücken
Doch ich bleibe hauchzart auf dir

Die Erfüllung auch in fast nichts finden
Ist wohl die höchste sinnliche Kunst
Möchte sie dir langsam schenken
Als einen Höhepunkt aus fast nichts

Leidenschaft haben wir schon perfekt
Mehr und besser geht gar nicht mehr
Nun die Langsamkeit wieder entdecken
Bis die Lust uns wehr und willenlos macht

jens tuengerthal 14.10.2017

Liebesblind

Du denkst ich sehe nicht
Wie du dich bemühst um
Frei und glücklich zu sein

Du glaubst ich liebe dich nicht
Zumindest nicht genug denn
Sonst müsste ich es doch merken

Merken wie du wieder leidest
Merken wie du dagegen kämpfst
Merken wie schwer es für dich ist

Wie wäre es wenn du umgekehrt
Annimmst ich merkte immer alles
Und möchte da sein wie ich kann

Was sonst sollte ich denn tun
Wenn du Streit suchst als gehen
Um allen Streit zu vermeiden

Was sollte ich der dich liebt denn
Wünschen als dir alle Freiheit
Beim Genuss deines Weges

Möchte nicht dass du dich quälst
Will dich immer glücklich machen
Entspann dich einfach und sei es

Mehr haben wir nie als die Chance
Das Glück zu genießen wie es ist
Sich darin üben ist besser als quälen

Wie kann ich dich glücklich machen
Wenn du lieber das Unglück suchst
Frage ich mich ein wenig bedrückt

Aber das wird schon denke ich dann
Wir haben ja ein ganzes Leben Zeit
Genießen wir es einfach pausenlos

Sorgen lohnen nie auf Dauer
Kommen immer von alleine
Besser wir ignorieren sie stets

Mehr als meine Liebe habe ich nicht
Nur was sollte je noch mehr sein
Denke es und genieße weiter

jens tuengerthal 14.10.2017

Friedrichshain

Vom Berg gen Spree in den Friedrichshain laufen führt durch manch düstere Ecken der Großstadt, bei denen ich lieber wegschaue, um von einem Kleinod, dem Helmholtzkiez in dem ich lebe zum Simon Dach Kiez im Friedrichshain zu kommen. Bisher hatte ich den Weg immer per Straßenbahn, Rad oder Auto zurückgelegt, als ich noch ein solch in der Stadt völlig überflüssiges Ding betrieb.

Diesmal zu Fuß und ich wusste, was mich den Weg die Danziger entlang erwarten würde, wäre nicht alles schön wie bei sonstigen Wanderungen des Flaneurs durch seine Stadt. Und es wurde bald erwartungsgemäß hässlich, spätestens ab der Landsberger Allee und den dann Plattenbauten ist die Atmosphäre gruselig und wie tot bei nächtlichen Wanderungen, wie ich es nur wieder zwischen den Platten im Rücken der Karl Marx Allee auf dem Rückweg erlebte.

Ist nicht schön teilweise, kann auch nicht schön geredet werden und die Nacht ist da ehrlicher als der Tag, an dem die nach der Wende zumindest neu gestrichenen DDR-Platten zumindest bunter aussehen. Es offenbart der nächtliche Gang durch diese Platten die ganze unmenschliche Sterilität des DDR Systems. Kalt zurückweisend und lieblos wirken diese Gebäude für die ehemals Privilegierten der DDR, in der heute vermutlich noch ähnliches Denken haust und die Linke hohe Stimmenanteile erobert, weil sich für manche eben nie etwas ändert. Die Gesichter, die mir zwischen diesen Blocks begegnen meist völlig verschlossen und voller Misstrauen, als sei die Einheit und der Untergang der DDR ein einziges Trauerspiel, an dem sie heute noch leiden und an dem der Wessi und hier Eindringling sich schuldig fühlen soll.

Es sind nur kleine Ecken, die so wirken, wie in Paris jenseits des Boulevard péripherique in nördlicher Richtung.. Es ist noch nicht ganz Hohenschönhausen, wo die ehemaligen Stasi Mitarbeiter sich ihre Anekdoten stolz vorm Supermarkt erzählen und die Linke als SED Nachfolgerin und auch nur deshalb noch Direktmandate erringt, aber es fühlt sich auf dem Weg die Danziger Straße stellenweise immer wieder genauso an. Auch die Blicke der Menschen voller Vorwurf und Misstrauen, selten ein Lachen, eher gruselig.

Am Ende stößt die ab der Landsberger Allee schon Petersburger Straße genannte gleiche Hauptverkehrsstraße, die Teil  des Innenstadtrings ist, am Frankfurter Tor auf die stalinistischen Zuckerbäckerbauten der Karl Marx Allee, deren Errichtung noch 1953 unter anderem den Aufstand des 17. Juni 1953 in der DDR auslöste, den russische Panzer niederschlugen, wie den Prager Frühling später auch.

Hier wird die DDR, die ansonsten vielerorts spurlos unterging noch sehr deutlich sichtbar und teilweise auch fühlbar für mein Empfinden, als wehte der kalte Wind der Grauen Männer der Stasi noch durch die Häuserschluchten, denen jeder Stuck und alle Schönheit fehlt. Anders die Karl Marx Allee und das Frankfurter Tor. Obwohl der Name es vermuten lässt, hat dieser Ort, noch für Panzeraufmärsche in typischer Ostblockmanier geplant, nichts mit dem ursprünglichen Frankfurter Thor in der Berliner Stadtmauer zu tun. Dieses lag etwa auf Höhe der U-Bahn Station Weberwiese und verschwand mit dem Abriss der Akzisenmauer ab 1867.

Unter der großen Kreuzung von Petersburger und Warschauer Straße mit der Karl Marx Allee liegt der U-Bahnhof Frankfurter Tor. Der heutige Platz erhielt erst 1957 im Rahmen der Neubebauung seinen heutigen Namen. Vor den DDR Prachtbauten, war es schlicht eine namenlose Kreuzung gewesen. Der Name spiegelt sich in der Architektur des Platzes wieder, die an der Westseite des Platzes, also gen Alexanderplatz, symmetrisch angeordnet in zwei Türmen endet, die ein solches dort nie gewesenes Tor symbolisieren. Die Turmhochhäuser  wurden in der Form der Gontardschen Kuppel am Gendarmenmarkt nachempfunden.  Diese markanten Türme bilden den Anfang des Ensembles der Karl Marx Allee, die bis 1961 Stalinallee hieß, was es nicht besser machte und die Frage warum sie immer noch nach dem Großvater des totalitären Kommunismus Marx heißt, wäre wohl der sinnvoll - allein ist Berlin noch lange nicht soweit solche kritische Betrachtung dieses Junghegelianers ohne Aufschrei zuzulassen. Wenn es schon ein Schüler des maßlos überschätzten Schwaben Hegel sein müsste, wäre der Anarch Max Stirner wohl die bessere Wahl, der wurde zumindest auf einem Berliner Friedhof begraben und hat nicht totalitäre Regime mit hunderten Millionen von Toten zur Folge gehabt, sondern über den Mensch als Einzelnen nagedacht und seine Welt auf sich gestellt, ohne Götter und Gesetze.

Der Entwurf der Bebauung stammte von dem DDR Stararchitekten Hermann Henselmann, dessen Wirken die Architektur der DDR prägte, warum die Frage berechtigt scheint, ob er überhaupt außer als Mahnung erinnert werden sollte. Er prägte die Architekturauffassung des Sozialistischen Realismus, wobei ich den Sozialismus nur als Eigenname hier großschreibe, da das System im freiheitlichen Europa bis auf verbliebene Spinner zum Glück erledigt und nur noch graue Geschichte ist. Er leitete verschiedene Entwurfsbrigaden und das VEB für Typenprojektierung aus dem sich die industriell gefertigte Massenproduktion der Wohnbebauung entwickelte. Als seine Hauptwerke gelten das Haus des Lehrers und der Kuppelbau der Kongresshalle am Alexanderplatz. Beide hat die Bundesrepublik unter Denkmalschutz gestellt, enthalte mich mal jeder Bewertung. Er wurde auf dem Waldfriedhof in Zehlendorf beigesetzt und hat dort sogar ein Ehrengrab, auch wenn das Land dessen Baukultur er prägte ihm die Ausreise in den vornehmen Westen nie erlaubt hätte, doch gab es die DDR bei seinem Tod 1995 schon fünf Jahre nicht mehr.

Der sozialistischer Klassizismus genannte Zuckerbäckerkitsch der DDR dominiert neben Bauten der Schinkelschule aus den 50ern den Teil der Karl Marx Allee in Friedrichshain, während der Abschnitt in Mitte von den DDR üblichen grauenvollen Platten dominiert wird, in denen zu wohnen, damals als Privileg galt. Inwieweit dort heute mehr übrig gebliebene Verlierer der Wende wohnen, weiß ich nicht zu beurteilen und Berlin wird sich hüten solche Zahlen ausdrücklich zu veröffentlichen, lasse es also dahinstehen und denke mir beim Blick in die Gesichter meinen Teil dazu.

Die Straße hieß ursprünglich Große Frankfurter Straße, warum diese Umbenennung durch das totalitäre DDR Regime, erst Stalin dann Marx, bestehen blieb, ist mir bis heute ein Rätsel, wirkt wie ein peinlicher Kotau vor den doch nicht besiegten Geistern der Geschichte, als hätte nicht der Wunsch nach Freiheit gewonnen sondern die schlichte Analyse des Theoretikers, der besser weniger erinnert würde.

Am 21. Dezember 1949, zum 70. Geburtstag Stalins war die Umbenennung der Frankfurter Allee erfolgt. Nachdem zu deutlich wurde, dass der Verbrecher und Massenmörder Stalin Hitler nicht viel nachstand musste dann der geistige Pate des Regimes Karl Marx seinen Namen für die Achse des Aufmarschs leihen und genau darum wäre es höchste Zeit dies zu ändern. Ob dies auch für die harmlose Karl Marx Straße in Kreuzberg gelten muss, wäre der Diskussion wert, die aber auch keiner in dieser Stadt zu führen wagt und da es genug andere kleine Probleme gibt, wird es wohl bei dieser Erwähnung hier in dieser Angelegenheit erstmal bleiben. Der Marx ist in Berlin weder aus den Köpfen vertrieben worden, noch wird die Freiheit so gewürdigt, wie es Kennedy einst tat mit seinen berühmten Worten, als es noch um die Blockade des Westteils durch die Sowjets ging. Dahingestellt, ob die heutige Variante amerikanischen Imperialismus so viel menschlicher ist, freiheitlicher zumindest war sie für viele.

Es ist richtig, dass Deutschland für die Zeit des Nationalsozialismus Verantwortung übernahm und als rechtlicher Erbe dieses Regimes auch für die Entschädigungen verantwortlich ist. Das gilt vom Staat her auch für die angeschlossen und in der BRD aufgegangene DDR. Auch wenn deren Verbrechen die Erben der Täter in der Linken bis heute gern verharmlosen. Es wird sich Antifaschismus auf die Fahne geschrieben, ein rechter Feind gesucht, um einen Kampf auszufechten, der kein Ziel hat, als die eigene Verantwortung zu relativieren, während lokale Größen der Linken wieder in Berliner Kommunalparlamenten laut sagen, sie seien bei der Stasi gewesen uns Stolz darauf.

Doch geht es trotz der so aufdringlichen Architektur in diesem Essays weniger um die DDR und ihre Geschichte als eine Wanderung von rund 20 km von Prenzlauer Berg nach Friedrichshain, durch Licht und Dunkel, nur ist die Schattenseite dieses Weges eben auch ein Gang durch die Geschichte der DDR, die zu verharmlosen immer normaler wird, warum ja auch die SPD heute bedenkenlos mit der Linken koaliert, in der Opposition der Partei sich noch mehr annähern will. Der Sozialismus ist tot, es lebe der Sozialismus, denke ich da, mich gruselnd vor der Geschichte dieser roten Ideologie und der Diktatur der Proleten.

Die Karl Marx Alleé überquerend, bog ich nach wenigen Metern in der Warschauer Straße in die Boxhagener Straße ein, um bis zum gleichnamigen Platz durch den bekannten Kiez zu flanieren, den noch die, der Szene ihren Namen gebende, Simon Dach Straße kreuzend durchquert. Zum Platz kam ich nicht, der liegt nämlich nicht wie ich aus dunkler Erinnerung fälschlich vermutete an der Boxhagener Straße sondern zwischen Grünberger und Krossener Straße. Stattdessen lief ich bis zum S-Bahnhof Ostkreuz durch den ganzen Kiez. Der Boxhagener Straße bis zu ihrem Ende folgend, an dem ich in die Neue Bahnhofstraße abbog, um mich dann über die Sonntagstraße, die beim Nilpferdbrunnen in die Wühlischstraße mündet, auf den Rückweg zu machen. Diese wurde schließlich zur Kopernikusstraße, auf der ich dann die B996a, die hier Warschauer Straße heißt aus dem Kiez heraus wieder überquerte.

Die eine zentrale Straße des Kiezes in Friedrichshain, die Boxhagener Straße, die von der Warschauer Straße bis zur Ringbahn und damit zum Bezirk Lichtenberg führt, war ursprünglich ein Landweg, der über Rummelsburg nach Cöpenick führte. Heute wird sie von der Straßenbahn durchquert und es reiht sich in ihr Bar an Späti und Döner Laden mit einigen schickeren Geschäften dazwischen.

Um 1800 entstand dort die Colonie beim Boxhagen, was den im heutigen Straßennetz ungewöhnlichen diagonalen Verlauf begründet. Der heutige Name taucht erstmals 1870 in Stadtplänen auf. In der Boxhagener 99-101 liegt der Georgen Parochial Friedhof IV mit seiner denkmalgeschützten, gelben, neoromanischen Kapelle, die 1879 von Gustav Knoblauch errichtet wurde. Sie wurde seit 2000 von der Theatergruppe Ostend bespielt, bei deren skurrilen Vorstellungen Puppenspiel mit Schauspiel kombiniert wird. Als sich Ostend zerstritt übernahm die Theaterkapelle bis heute.

Die andere zentrale Straße des Kiezlebens ist die Simon Dach Straße, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts angelegt und nach dem bekannten Liederdichter Simon Dach aus dem 17. Jahrhundert benannt wurde. Sie hat eine noch höhere Dichte an Kneipen und Bars und so einen eigenen Kiez begründet, der zur Touristenmeile wurde, die hier in Scharen einfallen. Sie verläuft zwischen Boxhagener und Revaler Straße, von denen sie jeweils im rechten Winkel abgeht.

Sie lag ursprünglich teilweise im Stadtteil Alt-Berlin und im Vorort Boxhagen-Rummelsburg und liegt heute mitten im Friedrichshain. Die Straße verfügte bereits 1912 über 46 Parzellen mit mehr als tausend Wohnungen. Die dortigen Gründerzeithäuser sind im Zweiten Weltkrieg erhalten geblieben und stehen immer noch. Nach der Wende wurden viele Wohngebäude zurückerstattet, saniert und modernisiert. So wurde die ruhige Wohnstraße in der zweiten Hälfte der 90er zur großen Bar und Gastronomiemeile. Daneben ließen sich noch einige Designer Läden nieder.

Es wird dort eine starke Gentrifizierung beobachtet und es gibt über 1900 Sitzplätze im Freien vor etwa 20 Gaststätten. Durch Streit mit den Anwohnern oder Zugezogenen kam es zu einer starken Beschränkung der Öffnungszeiten. Diese werden jedoch wenig beachtet, von der Polizei, warum meist Betrieb bis in die frühen Morgenstunden dort herrscht. Es kommen im Jahr etwa 1,9 Millionen Besucher in den Kiez, um sich dort zu vergnügen und die Konflikte mit den Anwohnern werden vielfältig zu lösen versucht, was sehr engagiert ohne große Wirkung geschieht. Wie in der Boxhagener Straße findet sich auch hier ein meist wenig beachtetes Schild für einen antifaschistischen Widerstandskämpfer.

Der älteste Teil des heutigen Ortsteils Friedrichshain ist das mittelalterliche Fischerdorf Stralau, das auf der Halbinsel Stralau liegt. Auch Boxhagen und Friedrichsberg sind historische Ortslagen, wobei Boxhagen als Vorwerk seit dem 16. Jahrhundert bekannt war. Der größte Teil des Ortsteils geht auf ehemalige Berliner Vorstädte zurück, zum einen die Königsstadt und zum anderen die Stralauer Vorstadt. Bis zum 19. Jahrhundert wurde im eher ländlichen Stralauer Gebiet vor allem Gartenbau betrieben. Mit dem Bau des Frankfurter Bahnhofs 1842 veränderte sich der Bezirk, es kam zu einer Industrialisierung und dem Bau von Mietskasernen. Am Stralauer Tor ging 1856 das erste Wasserwerk Berlins in Betrieb.  Auf dem Stralauer Platz wurde 1845 die erste kommunale Gasanlage gebaut. 

Der Bezirk Friedrichshain wurde 1920 gebildet und umfasste in etwa das heutige Gebiet mit Teilen der Königsstadt, Boxhagens und Stralaus. Der Name leitete sich von dem Volkspark am Rande des Bezirks ab, den ich auf dem Rückweg noch durchquerte zurück in den Bötzow Kiez. Dieser liegt genau zwischen Prenzlauer Berg und Friedrichshain.

In den 20er und 30er Jahren war Friedrichshain eine Hochburg der Sozialdemokraten und Kommunisten, wie der Wedding, warum es nach der sogenannten Machtergreifung der NSDAP immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen kam mit den Schlägertrupps der SA in deren Folge das SA-Mitglied Horst Wessel getötet wurde, der von den Nazis zu einer ähnlichen Kultfigur erhoben wurde wie später Thälmann in der DDR. Daraufhin wurden viele Andersdenkende ermordet und der Stadtteil erhielt von 1933 bis 1936 den Namen Horst-Wessel-Stadt, wie Chemnitz Karl Marx Stadt hieß. Bis 1945 hieß er dann Verwaltungsbezirk Horst Wessel. Damals hatte der Bezirk rund 340.000 Einwohner, im Vergleich zu 127.000 heute.

Große Teile des Bezirks wurden im Zweiten Weltkrieg durch Luftangriffe zerstört und die Häuserkämpfe beim Kampf um Berlin, gaben ihm den Rest. Friedrichshain lag im sowjetischen Sektor, davon hat sich als Rest der Mauer die East Side Gallery am Spreeufer erhalten. Nach der Wende kamen viele Hausbesetzer aus der linken Szene in die zum großen Teil leerstehenden Häuser. Dies wurde 1990 durch die Straßenschlacht bei der Räumung der Mainzer Straße beendet. Aus der Hausbesetzerszene sind viele der typischen soziokulturellen Einrichtungen und Bars im Bezirk entstanden. Auch dies zog immer mehr Studenten und Touristen an. Es gibt noch einzelne besetzte Häuser.

Der Kopernikusstraße folgend, verlasse ich den Kiez und komme wieder zwischen grässliche DDR Plattenbauten, die sich mit Industriegebäuden bis zum Alex abwechseln, über die Rückseite wieder zur Karl Marx Allee. Diese überquerte ich nördlich in Richtung Friedrichshain, folgte der Lebuser und der Friedensstraße bis zur Landsberger Allee, nach der ich endlich am Friedrichshain entlang laufen konnte. Nach einem anderen gräßlichen Denkmal im typisch sozialistischen Realismus für die Spanienkämpfer bog ich nach der Plansche in den Park ein und durchquerte ihn bis ich am Filmtheater am Friedrichshain wieder herauskam, das aber bereits in Prenzlauer Berg liegt und zwar direkt an der Ecke an der die Namensgebende Bötzowstraße. in die dort Straße am Friedrichshain mündet.

Durchquerte das andernorts schon beschriebene Bötzow Viertel mit seinen vielen schönen Kneipen und Läden, das seine Gentrifizierung schon hinter sich hat. Gleiches gilt für den Winskiez, den ich dann bergauf Richtung Kollwitzkiez durch die Marienburger Straße nur noch auf dem Weg nach Hause durchseilte. Den früher heimatlichen Kollwitzkiez durchquerte ich auch bloß, was angesichts der dortigen gastronomischen Entwicklung und schwäbisieung nach Mitternacht ohnehin einzig angemessen scheint. Mit kurzem Stopp am Bücherbaum kam ich schließlich wieder heim in den Helmholtzkiez, umrundete den Platz zur Hälfte und war nach gut 20 km rechtschaffen müde und verabschiedete mich nur noch vor dem Einschlafen von der Liebsten in Dublin, die mich den ganzen Weg liebevoll und klug begleitete.

jens tuengerthal 12.10.2017