Donnerstag, 23. März 2017

Berlinleben 028

Parallele Welten

In Berlin gibt es viele Welten und sie können meist gut miteinander, existieren nebeneinander, sind kein Problem, bis einer sich gestört fühlt oder irgendwer zu dreist wird, dann gibt es ein wenig Geschrei und pendelt es sich wieder ein. Dann sind wieder alle nett miteinander und irgendwie geht es weiter, muss ja auch oder wie der vorletzte Regierende es sagte, und das ist auch gut so.

Irgendwann entdeckten Konservative und neue Rechte das Thema für sich und begannen es zu problematisieren, wenn es in Wedding oder in Neukölln nur noch höchstens ein deutschsprachiges Kind in der Klasse gibt und warnten vor den Ghettos und den Parallelwelten, die sich bildeten, wenn muslimische Frauen Kopftuch trügen und junge Araber blonde deutsche Mädchen anmachten, weil sie unverhüllt für sie als ehrlose Hure anzusehen wären.

Solche Fälle gibt es bestimmt auch mal, doch weiß ich sicher, dass sie Zahl sexueller Belästigungen und Vergewaltigungen in deutschen Familien höher ist als zwischen den Gruppen, bei denen es an den Rändern mal knirscht, weil sie nur nebeneinander an manchen Stellen leben, nicht miteinander. Überall, wo Dinge nur nebeneinander laufen, gibt es auch Reibung und damit Spannung, weil die Räder nicht ineinandergreifen, so sind große soziologische Probleme physikalisch einfach erklärbar eigentlich.

Gerne behaupten neue Rechte, es gäbe in Berlin zahlreiche No-go-Areas, die nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr betreten werden könnten ohne Gefahr für das eigene Leben. Bin nicht besonders mutig und vermeide lieber jeden Konflikt als mich im Straßenkampf zu bewähren, bin einfach nicht der geborene Schläger. Dennoch gibt es kaum eine Ecke in Berlin, die ich Nachts unbedingt meiden würde und wenn wären es eher die Quatiere, die von radikalen Rechten aufgesucht werden, deren tatsächliches Gewaltpotenzial weit höher ist als alles, was sie Ausländern je unterstellen können.

Zum Glück sind nur wenige Berliner so dumm auf die hetzerischen Parolen des AfD oder anderer Blender hereinzufallen und dennoch ist auffällig, wo die Extremisten mit ihrer Propaganda, die Angst vor Ausländern schürt, besonders stark waren. Etwa in Pankow oder in Lichtenberg, in Marzahn und anderen Regionen mit dem geringsten Ausländeranteil, die rein faktisch nie das Problem hatten, vor dem sie sich fürchten und das sie den neuen Rechten in die Arme trieb.

Fuhr oft genug mit dem Rad nachts durch den Wedding, durch Moabit oder Neukölln - Angst hatte ich da nie. Dennoch gab es Orte, an denen ich mich unwohl fühlte und wo der Riss zwischen den Welten spürbar wurde, sogar für mich als Mann. Frauen berichten da ganz andere Geschichten, wenn sie ohne Kopftuch im muslimischen Supermarkt im Wedding einfach ignoriert werden. Doch finde ich das nun dramatisch und einen Grund zur nachhaltigen Empörung oder erregt solches Verhalten eher mein Mitleid?

Religionen sind für mich nur atavistische Überbleibsel aus unaufgeklärten Epochen, die manche Menschen noch nicht genug ablegen konnten. Der Islam, 600 Jahre jünger als das Christentum, verhält sich genau wie dieses es vor 600 Jahren zu großen Teilen auch noch tat - bedenken wir dann wieviel älter das Judentum noch ist, wundert uns manche Weisheit von da weniger, während uns andererseits viele Kurzsichtigkeit auch erstaunt, als lernten die Menschen nie dazu und hielten an atavistischen Riten, etwa der Beschneidung fest, weil sie es schon immer so taten, ohne alle Vernunft.

Es mag jeder nach seiner Fasson selig werden, sagte schon der Alte Fritz und schrieb über seine Verachtung für die Religion schon als Kronprinz sehr deutlich. Als König hielt er sich dann weise zurück, um die Ruhe nicht zu stören, denn die Menschen werden nicht unbedingt friedlicher und freundlicher, wenn du ihnen sagst, dass du ihren Aberglauben albern und ihre Sitten überholt und unvernünftig findest, auch und gerade wenn du Recht damit hast, diese Erfahrung kenne ich aus der Praxis sozialer Netzwerke zur Genüge.

Opfergaben hielten im Aberglauben gefangene Menschen schon immer für ein taugliches Mittel, die Götter milde zu stimmen - früher waren es Menschen, die geopfert wurden, dann massenhaft Tiere, die teilweise immer noch gegen jeden Tierschutz geschächtet werden, weil der zufällige Aberglaube es so vorschreibt, heute sind es eher Kerzen in Kirchen. Warum Menschen sich einbilden, wenn es wirklich allmächtige Götter gäbe, sich diese quasi bestechlich zeigten und von ihren kleinen lächerlichen Gaben beeinflusst würden, für was für Idioten die angeblich Unsterblichen uns Menschen halten müssen, wenn wir das eine kurze Leben, was wir nur haben, noch für ihre zufällige Laune opferten?

Absolut lächerlich und albern, von Menschen zu glauben die Götter, sollte es sie wirklich in einer Parallelwelt geben, würden sich um unser albernes wechselhaftes Tun kümmern und wir könnten ihren Willen mit unserem Tun beeinflussen. So ähnlich, wenn auch weniger deutlich, um keinen Ärger mit griechischen Gesetzen zu bekommen, schrieb es schon Epikur vor 2250  Jahre und sein geistiger Schüler Lukrez fasste es dann 200 Jahre später in schönste Verse, die endlich zur Pflichtlektüre in der Schule werden sollten für alle, weil sie viele Debatten überflüssig machten.

Berlin hat so halb den Religionsunterricht in den staatlichen Schulen abgeschafft mit dem Fach LER, Lebenskunde Erziehung Religion, was ein großartiger, innovativer und mutiger Ansatz war, der leider doch wieder etwas verwässert wurde. Vor allem ist dies Fach nicht Hauptfach und Pflichtfach für alle, sondern eines für alle, die nicht Religion haben. Dabei sollten wir dort mutig und entschieden die Ideale der Aufklärung vertreten, für die Freiheit von allen Göttern fechten und die Kinder vor dem Einfluss jeder Religion schützen, wenn wir nicht integrierbare Parallelgesellschaften auf Dauer verhindern wollen.

Die größte Gefahr einer solchen besteht unter perspektivlosen rechten Jugendlichen im Osten und einem ähnlichen Klientel im Wedding, die sich zu den Radikalen ihrer Lager hingezogen fühlen, weil sie ihnen eine Perspektive geben, Mut machen und das Gefühl, sie wäre etwas besonderes. Wer etwas ändern will und mehr Sicherheit vor Radikalen möchte, die vom Rand her die Gesellschaft und ihren Erfolg gefährden, muss an diesen Rändern anfangen.

Die Kriminalitätsstatistiken sind übrigens erstaunlich eindeutig da und zeigen auch, die Gefahr geht nicht etwa von Flüchtlingen aus, sondern von Hetzern, die am Rand der einen wie der anderen sich fremden Gesellschaft Menschen zur Gewalt aufrufen. Die Zahl rechter Gewalttaten in Deutschland liegt inzwischen bei über 1000 im Jahr, die der islamistischen Szene bei einer kleinen Handvoll sofern ich dort sage einschließlich der gescheiterten Versuche. Wer etwas tun und ändern will, um die Sicherheit im Land zu gewähren, sollte immer da ansetzen, wo das Problem liegt und nicht wo am lautesten geschrien wird.

Spannend im Verhältnis der Welten ist, wie sehr sie sich in Berlin unterscheiden. Es gibt hier echtes multikulturelles und friedliches Zusammenleben. Etwa in Kreuzberg oder Teilen von Neukölln. Dann gibt es Gegenden, die teilweise an Ghettos erinnern, etwa um den Weddinger Gesundbrunnen oder in Moabit  um das Gefängnis, die aber auch ständig wieder neu durchbrochen werden, von Künstlern und jungen Menschen, die dort hinziehen und das Miteinander dadurch verändern, weil die Mieten dort billiger sind als im Rest der Stadt. So wurde auch Neukölln trotz des hohen Anteils an Migranten wieder sehr schick, weil sich immer mehr junge Leute fanden, die dort eine eigene Szene aufbauten. Im Wedding gibt es mit der Kolonie und anderen Projekten eine starke Künstlerszene, die immer mehr Einfluss gewinnt.

Kenne selbst einige Künstler aus dieser Szene, die auch mit Kindern noch gerne im Wedding leben, der zwar seine Eigenarten manchmal hat, aber das war wohl auch so, als er noch ein rote Arbeiterviertel war und nicht ein AKP türkisch rotes Viertel konservativer Muslime, wie es heute mehr wurde und sich zugleich schon wieder in einer Weise verändert, die uns Morgen schon eine andere Welt dort eröffnen kann. In Moabit muss nur die Straße überquert werden und schon landet der Besucher in den Straßen Richtung Tiergarten in einer vornehmen Parallelwelt, die sich eher am Schloss Bellevue auf der anderen Seite der Spree denn dem dort Knast orientiert. Ganz anders auf der anderen Seite der Straße und auch dort taucht plötzlich wie aus dem Nichts einer der schönsten Blumenläden Berlins auf, in dem wunderschöne Frauen lächelnd arbeiten, während du auf der vielbefahrenen Straße noch deutlich die Knastgeräusche auch hörst. Fast surreal steht das eine neben dem anderen. Besuchte eine zeitlang mal eine vornehme sehr bürgerliche Arztpraxis auf der anderen Seite der Straße mit dem entsprechenden Klientel in einer sehr bourgeoisen Wohnung mit wunderbarem alten Stuck dort, zu der ich immer am Knast vorbei mit dem Auto fuhr und die der Onkel einer Erzieherin meiner Tochter betrieb, mitten in Moabit und doch in einer anderen Welt.

Als meine Tochter mit ihrem Blinddarm oder besser gesagt endlich ohne sein Ende im jüdischen Krankenhaus lag, in das sie auch eher zufällig geriet, staunte ich über die vielen muslimischen Frauen dort, zumindest solange ich mit der Straßenbahn über die Seestraße gekommen war und wunderte mich nicht mehr, als ich auf der Suche nach Knabberzeug für sie um die  Ecken ging und mich in einer Welt voller kleiner arabischer und türkischer Läden fand, die eine Welt um die Brunnenstraße bilden. Fragte mich einen Moment, ob ich Angst haben sollte, weil es schon manchmal sehr düster aussah, die dunklen Augen hinter Gardinen mich misstrauisch anschauten. Es ist eine völlig andere Welt als hier um meine Plätze in Prenzlauer Berg, wo relativ wohlhabende Akademiker mit Kindern leben, viele Touristen flanieren, Luxus seinen Markt hat, es die billigen Ramschläden nur an den großen Ausfallstraßen gibt.

Immer wieder existieren dabei Welten nebeneinander, die nicht zusammen zu passen scheinen und doch ziemlich gut miteinander klar kommen und sich wechselseitig verändern, kein Grund zur Aufregung. Das Problem ist nicht Multikulti und nebeneinander verschiedener Kulturen, die sich wechselseitig beeinflussen - so etwas ist wunderbar und bereichernd, macht Berlin derzeit zu einer der attraktivsten Städte Europas, in der Künstler und Kreative aus dem Zusammenklang der Welten neue innovative Ideen entwickeln, die später zu Lebensmodellen für das ganze Land werden. Hier wird vorgedacht und nicht in der separierten brandenburgischen Provinz, die sich vor Flüchtlingen fürchtet und die Rassisten örtlich zur stärksten Kraft wählt. Der Grund warum solche radikalen Randgruppen mit rechten Hetzern wie der AfD in Berlin Zulauf finden, die türkische AKP hier Anhänger hat, sind nicht die Orte, an denen die verschiedenen Kulturen tatsächlich zusammentreffen, sondern jene, wo sie sich fremd bleiben, nichts voneinander wissen und umso schärfer übereinander urteilen.

Spreche ich mit meinem Kioskbesitzer am Platz, einem Türken aus Kreuzberg über die Türken aus dem Wedding, fängt er so an zu fluchen, dass ich kaum mehr wegkomme, bis er seiner Tirade losgelassen hat. Die seien frauenfeindlich, ungebildet, rückständige Bauern, sorgten für ein schlechtes Bild der Türken im Land. Das gleiche bei einem kurdischen Freund, der schon in Kreuzberg geboren, beide Pässe hat und seinerzeit als junger Ingenieur mit Erdogan, der damals Bürgermeister von Istanbul war, die Wasserversorgung dort baute. Früher meinte er noch, der sei harmlos, nur geldgierig eben und mache gute Geschäfte, warum die Leute ihn wählten. Heute nachdem viele seiner kurdischen Freunde in der Türkei niedergemetzelt wurden, sagt er, die AKP Anhänger gehören rausgeschmissen, die haben in Deutschland nichts verloren, die verstünden das Land nicht und schadeten ihm. Sollen sie doch alle in der Türkei mit ihrem Erdo leben und Kopftuch tragen. Seien alles Idioten aus dem Mittelalter.

Die Positionen werden zunehmend härter und extremer. Manchmal scheint es mir, als sei der Hass der alten Kreuzberger Türken, die friedlich integriert gut hier leben auf jene im Wedding oder in Moabit, die noch wie in Anatolien geistig leben, Erdogan bejubeln und ihre Frauen unterdrücken, größer als die Vorurteile der AfD Wähler in den Randbezirken. Der kurdische Freund spricht sich dafür aus alle AKP Wähler auszuweisen, sie passten nicht hierher. Andererseits sagt er, der früher eher links oder grün dachte, diesmal werde er Merkel wählen, die mache es genau richtig und hätte es begriffen. Ist also auch für eine Stärkung der liberalen Mitte statt radikaler Schreihälse am Rande, äußert sich abgesehen von den Tiraden gegen die AKP Anhänger sehr ausgewogen vernünftig.

Berlin hat kein Multikulti-Problem, wo die Welten parallel existieren, befruchten sie sich wunderbar und verbessern damit Integration und Miteinander. Dafür gibt es ein Randgruppen-Problem. Dies vornehmlich im Osten, wo einige immer noch nicht in der Demokratie angekommen scheinen und sich lieber von Angst als der Realität beherrschen lassen. Das Integrationsproblem in einigen Bereichen wie im Wedding oder Moabit, löst sich teilweise durch die niedrigen Mieten in diesen Gegenden, die wiederum Künstler und ihre Umgebung anziehen, was dann den Charakter ganzer Kieze schnell wieder verändert.

Es gibt einzelne auch libanesische Clans, die kriminelle Strukturen mafiöser Art haben und manchmal dauert es etwas, bis die Polizei dort zugreift. Doch sie tut es immer wieder und dann erstaunlich effektiv. Grund zur Sorge, dass Familien ganze Kieze übernehmen, besteht nicht und wer sie streut, ist eher das Problem als umgekehrt. Wer hier kriminelle Strukturen aufbaut, fliegt bald aus dem Land. Das ist nicht immer sofort möglich und manchmal geht es auch schief, aber gemessen an der Zahl der Delikte und den Erfolgen bei der Aufklärung, besteht hier kein wirkliches Problem, nicht größer als in München oder Stuttgart etwa, die sich gern über das kriminelle Berlin empören.

Besonders den Brandenburgern scheint häufig Berlin als Abgrund der Sünde und Kriminalität, hier, wo nahezu keine Migranten leben, ist die Angst am höchsten und hier wird der Hass am erfolgreichsten geschürt. So gesehen ist Brandenburg längst an vielen Orten eine Parallelwelt zu Berlin, die noch zusätzlich in Potsdam eine Insel der Wohlhabenden hat, die nichts mit beiden Orten gemeinsam hat. Eher könnten sich etwa Dahlem Dorf oder Wannsee mit Potsdam zu einer harmonischen Gemeinde verbinden, als sie es mit anderen Berliner Bezirken tun würden.

Spannend ist, wie die parallelen Welten durch die Bezirksreform plötzlich zu einer Welt unter einem Namen zusammengefügt wurden und was daraus teilweise entstand, wie parallele Welten harmonieren oder nie zusammenfinden, weil sie in ihrer Struktur zu unterschiedlich sind. Nehme ich etwa meinen Bezirk, der Pankow heißt, obwohl diese piefige typisch östliche Vorstadt, die eher an Brandenburg denn an Berlin erinnert, nichts mit meinem Wohnort, der Prenzlauer Berg ist, zu tun hat, die beiden nur zufällig aneinander grenzen. Dazu gehört noch die ebenfalls eher brandenburgische Vorstadt Weißensee und ländliche Dörfer wie Karow, die nichts mehr mit der Großstadt Berlin zu tun habe, in der ich lebe, der ich in 10 Minuten mit dem Rad am Alex bin, denn dort, wo Morgens die Hähne krähen und die Straßen noch gewölbt sind, leben vielfach noch die Menschen, die seit Generationen dort leben, die sich vor einer Moschee fürchten, ohne zu wissen, um was es dabei geht.

Die kurze Zeit in der ich mich politisch hier engagierte, hatte ich die Chance auf Bezirksebene im kommunalen Parlament an manchen Sitzungen teilzunehmen und zu sehen, wo auch politische die Brüche verlaufen zwischen den kulturellen Zonen, wie sich die Menschen auch innerhalb der Parteien völlig entfremden und sich fast feindlich gegenüberstehen. Der Prenzlauer Berg, der von der Bevölkerungszahl die Mehrheit ausmacht, ist tendenziell eher links-grün orientiert und entsprechend versuchen sich auch die dort Sozialdemokraten zu positionieren, was relativ sinnlos ist, da sie die Grünen nie auf ihrem Feld überholen werde, die Linken nie links und die Mitte etwas ratlos gegenüber dieser schwankenden Partei steht, die in den Randbezirken eine vernünftige, teilweise fast bürgerliche Position vertritt, die dem alten Otto Braun ähnelt, während sie in Prenzlauer Berg sich als linke ökologisch korrekte emanzipierte und staatstragende Partei präsentieren möchte in einem Spagat, der nie gut gehen kann und so zu dauernden Konflikten und Zerreißproben führt, die nur um Wahlen herum erfolgreich gedeckelt werden. Die Prenzlauer Berg SPD ist zum allergrößten Teil eine Wessi-SPD von Zugezogenen, die immer genau wissen, was gut und richtig ist, teilweise auch längst professionell im politischen Bereich tätig sind. Bei den anderen Parteien, kann ich es weniger beurteilen, deren Anziehung hielt sich auch für mich bisher in überschaubaren Grenzen, der sich inzwischen lieber ganz aus der Politik zurückzog, um still zu beobachten, was ist, wie es dem Flaneur gebührt.

Wo divergente Interessen aus parallelen Welten künstlich zusammengefügt werden, um im Rahmen einer Bezirksreform größere Effektivität zu erreichen, werden die Konfliktlinien und vor allem die Bruchstellen deutlich, die das Zusammenleben schwer machen. Nicht dort, wo real Multikulti herrscht, sondern da, wo zusammenkommt, was nicht zusammengehört und dann in seiner Scheinselbständigkeit, die immer zu gering ausgestattet wird, damit sie beim Senat betteln muss, mit anderen Bezirken in Konkurrenz ständig ums Überleben kämpft.

Es geht hier nur zur Klarstellung nicht nur um provinzielle Vororte sondern um einen Bezirk mit 385.000 Einwohnern, mehr als viele selbständige Großstädte, der politisch und finanziell am Tropf des Senats hängt und der seine eben Scheinselbständigkeit in der Bezirksverordnetenversammlung eher rituell praktiziert als wirklich entscheiden zu dürfen. Dennoch leisten die meisten der nicht bezahlten politischen Laien hier viel professionelle Arbeit und geben einem divergenten Bezirk zumindest den Anschein demokratischer Prozesse, die real nur ein Schauspiel vor dem Senat sind, um weiter betteln zu dürfen. Vielleicht beschreibt dies Schauspiel in den kommunalen Parlamenten, dass eigentlich eine dauernde Köpenikiade ist, Berlin sehr gut und warum hier manches nicht geht, dennoch alles irgendwie läuft aber keiner allein verantwortlich ist.

Es gibt Parallelwelten in Berlin und sie sind gefährlich für den Zusammenhalt des Landes. Doch laufen die Bruchstellen nicht dort, wo migrantische auf deutsche Bevölkerung trifft, sondern wo vermeintlich homogene Bereiche über andere ihnen fremde urteilen wollen und dabei die jeweiligen Ränder von Extremisten aufgehetzt werden. Die rechten Ränder sind den Islamisten näher als der ganz großen friedlichen Mehrheit in der Stadt, die wunderbar nebeneinander und miteinander lebt. Mein kurdischer Freund, der umme Ecke wohnt und mein Kioskbesitzer umarmen mich immer mit den Worten, Hallo Bruder, und ich fühle mich ihnen in vielem verbundener als dem rechten Metzger aus Karow, der mich am Gorinsee ohne Grund niederschlug und mit dem ich dennoch den gleichen Bezirk teile, auch wenn wir in völlig verschiedenen Welten leben. Berlin kann das und wird es auch in Zukunft können, nur sollte es mehr Aufmerksamkeit den Problemgebieten widmen, in denen die Randgruppen erfolgreich hetzen, um sich nicht auseinander treiben zu lassen.
jens tuengerthal 23.3.2017

Mittwoch, 22. März 2017

Renaissance 004

Natur strebt nach Lust
Sie wollen wird stets gut sein
Wär sie je ohne
jens tuengerthal 22.3.2017

Renaissance 003

Reformation war nur
Zurück im Aberglauben
Keine Renaissance
jens tuengerthal 22.3.2017

Berlinleben 027

Papaleben

Lebe in Prenzlauer Berg und bin Papi, was hier nicht besonderes ist, nur redet und schreibt kaum einer darüber. Die Mamas vom Prenzlberg, die ihre Kinder so sehr behüten, angeblich immer wissen wollen, ob das auch wirklich Öko ist, kennen wir zur Genüge und sie haben ein weites Feld der Aufmerksamkeit - werden auch verspottet, aber mehr noch bewundert und vor allem sie sind ein bundesweites Gesprächsthema, weil sie sich dazu machten - was aber ist mit uns Vätern?

Klar, viele sind ganz normal, gehen arbeiten, helfen Zuhause mit, wo sie können und hüten wenn Mutti zum Yoga geht oder Mädelsabend hat, auch mal die Kinder allein. Kenne diese ganz normalen Papis aus Schule und Kindergarten und habe mich häufiger gefragt, ob sie sich auch manchmal mit ihrer Rolle quälen, es für sie ganz normal ist oder sie sich darin komisch fühlen, als engagierte Pioniere in der noch in unserer Jugend von Müttern dominierten Welt der Elternabende und Spielplätze, die mehr Engagement als Ergebnisse fordert, nüchtern betrachtet nur frustrieren kann.

War viele Jahre hauptberuflich Vater, auch wenn mir die Identifikation mit meinem Job nicht immer leicht fiel, ich gefühlt doch immer Dichter oder Schriftsteller sein wollte, zumindest verkanntes Genie in geheimer Hoffnung. Als unsere Tochter ein halbes Jahr war, wurde abgestillt und ihre Mutter fing wieder an zu arbeiten, irgendwo musste das Geld, von dem wir lebten, ja herkommen.

Bei uns war es noch etwas spezieller, weil es hieß, dass ich die Woche meist allein war, während sie irgendwo in Deutschland Menschen trainierte. Ab da stillte ich und tat es erst mit solchem Ehrgeiz, dass ich die verspotteten Mütter vom Prenzlberg noch übertraf. Trinken ist gut, hatte die Kinderärztin gesagt, soviel sie will und meine Tochter wollte viel, bekam Literweise ihre Milch oder Tee, wenn sie brüllte, pinkelte sich natürlich entsprechend voll und ich war so oft am Milch machen, wie am Wickeln und die Kleine ständig wund. Es nun allein zu tun, war eigentlich keine große Veränderung, vorher stand ihr Korb auch an meiner Bettseite, ich legte sie meiner Liebsten, wenn sie Hunger hatte an den süßen kleinen Busen und wenn diese vom Stillen erschöpft, im wahrsten Sinne des Wortes ausgelutscht war, machte der stolze Papi seine Runde mit unserem inzwischen properen Baby, wickelte danach frisch, legte die Lütte und sich wieder für einige Stunden schlafen, bis eine meiner Damen ein neues Bedürfnis welcher Art auch immer hatte.

Es ist erstaunlich, wie wenig Schlaf am Stück der Mensch wirklich braucht und was wir anstatt alles tun können in all der Zeit, die wir ohne Kinder noch getrost verschliefen. Das zehrt an irgendwann den Kräften und das sexuelle Bedürfnis nimmt vermutlich dadurch stärker ab, als es die Hormone in der neuen Rolle schon von allein reduzieren. Irgendwann ändert sich das wieder und wenn beide dabei ihren Spaß haben, hält es manchmal, andere scheitern trotzdem. Wir hatten, wie ich es heute sehe, eigentlich immer wunderbaren und fast übernatürlich harmonischen Sex, den ich eher noch für ganz normal hielt, wo mich die Praxis längst eines besseren belehrte. Vielleicht etwas zu selten irgendwann, was aber wie in den meisten Beziehungen viele eher kleine Gründe hatte, die weniger mit meiner Vaterrolle zu tun haben, darum hier kein Thema sind.

Unter allen Frauen, die ich vor der Mutter meiner Tochter näher kannte und mit denen ich mehr als einmal im Bett war, waren vielleicht 2-3%, mit denen ich den Spaß dabei nicht teilen konnte, nach ihr war es proportional seltsamerweise eher umgekehrt und ich frage mich, ob das am Alter, meiner Erfahrung liegt oder ein gesellschaftliches Problem ausdrückt, das langsam erst zum Thema wird. Diese später meisten Frauen, waren eher empört, wenn ich den nicht gleichzeitigen Sex als eher langweiliges Vorspiel empfand, immer mehr behaupteten, was ich wolle sei nicht normal und es gäbe kaum eine, die es so mache, sie kenne jedenfalls keine und wenn ich dann auf die vor ihnen verwies, war eine sachliche Diskussion des Themas ohnehin nicht mehr möglich, warum meine Aussagen dazu auch auf einer sehr dünnen meist emotional geprägten Grundlage stehen.

Weiß, dass der Sex nach der Geburt für viele Väter ein Thema ist, weil Mutti geschafft ist, keine Lust hat, sie sich unbefriedigt fühlen und der Sprüche mehr. Das Problem hatte ich nicht, eher war ich übermüdet und der Sex war nach meiner Erinnerung danach so gut wie davor, was nicht heißt, dass es nicht auch besser hätte sein können für beide, alles perfekt war, aber zumindest war es besser als in über 90% der Fälle nach der Mutter meiner Tochter, was aber auch an meiner wirklich empörenden Aufassung zum Sex liegen könnte.

Aus meiner Sicht ist Sex ein Deal von zweien miteinander, die sich gegenseitig Glück und Erfüllung schenken und wenn einer dabei zu kurz kommt, ist das ganze aus dem Gleichgewicht und im Ergebnis schlecht für das Miteinander. Da waren wir relativ einer Meinung und das klappte gut mit uns. Dass dies die Ausnahme und ein gar nicht hoch genug zu schätzendes Glück ist, habe ich erst Jahre später begriffen, nachdem ich genug Ausnahmen im Einzelfall hatte und es eher nach Serie schon aussah, dass viele Frauen es normal finden, dass Männer sich in ihnen befriedigen und sie es halt so hinnehmen, mehr oder weniger freundlich lächelnd oder schauspielernd. Im Gegenteil fiel mir sogar auf, dass unheimlich viele Frauen, sich etwas anderes mit dem Sex erkaufen wollten, was sie dann im Gespräch eindringlich darauf angesprochen auch für sich als wichtiger nennen.

Dabei wurde zuerst Zärtlichkeit genannt, dann ehrlicherweise Liebe, ungefähr so häufig wie Nähe und der Satz, mir geht es dabei nicht um Befriedigung, fiel dabei auch irgendwann immer bei denen, mit denen ich keinen wirklichen Spaß dabei hatte, weil ich fühlte, dass sie nichts empfanden. All diese Erfahrungen haben mich erst schätzen lassen, was mir früher ganz normal erschien und was scheinbar immer noch für die meisten die Ausnahme ist, als habe nicht die Natur uns so gemacht, dass wir die Lust auf ihrem Gipfel teilen können.

So muss ich zu diesem Thema in meiner Vaterrolle eigentlich nichts sagen, war alles in Ordnung, ich war vielleicht doch etwas übermüdet manchmal, um immer Lust zu haben, aber auch das scheint mir normal für diese Zeit im Leben und hätte ich damals die heutige Erfahrung gehabt, wäre ich damit vermutlich noch gelassener umgegangen. Was ich aber allen Vätern sagen kann, sobald sie mehr Verantwortung für das gemeinsame Kind übernehmen, anerkennen, dass Stillen auch erschöpft und harte Arbeit ist, auch wenn es nicht so aussieht, eben an den eigenen Kräften zehrt, lösen sich viele Beziehungsprobleme nach einer Schwangerschaft von alleine. Erstens haben die Männer dann aufgrund größerer eigener Erschöpfung einen geringeren Lustüberschuss und zweitens haben die Frauen mehr Zeit ihre Lust kommen zu lassen, die bei den meisten Frauen, die ich kennenlernte, immer auch im emotionalen Kontext irgendwie steht. Per Knopfdruck funktioniert keine von denen. Wo Frau sich gewürdigt sieht, ergibt sich viel mehr von alleine, als Mann vorher zu hoffen wagte, während es umgekehrt zum genauen Gegenteil eher führt.

Die Mutter meiner Tochter ist zehn Jahre älter als ich, was mir zuerst ziemlich viel erschien, sie vierzig ich gerade dreißig, dann lange egal war, irgendwann vermutlich auch zum Trennungsgrund untergründig wurde, was ich heute auch für völlig unwichtig halte. Ob eine Frau zehn oder zwanzig Jahre älter oder jünger als ich ist, spielt nur für die  Fortpflanzung noch eine irgendwie Rolle, ansonsten kommt es mir nur noch darauf an, ob du miteinander reden kannst, gemeinsam Probleme löst und trotzdem noch Lust aufeinander haben kannst, die du wirklich teilst, weil du sonst von Lust keine Ahnung hast, alles andere verschwimmt im Strom der Zeit zu nichts und du weißt, was gut ist  oder war, erst wirklich zu schätzen, weil du erkennst, wie selten solches ist.

Aber nun genug von diesem kleinen, etwas melancholischen Ausflug in die eigene Geschichte, schön so voller Liebe und zärtlichen Gefühls würdigen zu können, was war, trotz allem, weil es insbesondere das Ergebnis dieser Paarung besonders würdigt und das ist besser als ich es mir je vorstellen konnte. Dieses völlig objektive Urteil eines liebenden Vaters über seine pubertierende Tochter, sollte natürlich total ernst genommen werden, weil es einen wichtigen Punkt betrifft, der dies ganze Vater-Mutter-Kind-Thema betrifft, dass zu  großen Teilen auf Gefühlen beruht, die der Vernunft nicht unbedingt zugänglich sind, aber von der Natur doch ganz vernünftig so angelegt scheinen, da sie auch der Erhaltung der Art dienen. Es geht um Liebe, aber das ist dabei auch gut so und ganz natürlich logisch, wenn wir es nicht verstehen können, ist das nicht schlimm, es scheint in uns angelegt, wie eine Software, die aktiviert wird, sobald wir Eltern werden und das auch zulassen.

Bin kein Psychologe, habe keine Ahnung davon, halte die Psychoanalyse und die erfundene Seele für eine der übelsten Sekten der Gegenwart, die viele Menschen in destruktiver Gefangenschaft hält, weil sie die Freiheit des Einzelnen durch etwas über ihm, was den vorher Gott mit dem Begriff Unterbewusstsein ersetzt, bestimmen will und dies nach normativen Regeln tut. Die Mutter meiner Tochter aber war Psychologin, eine sehr kluge dazu und wir führten viele Gespräche und Diskussionen zu diesem Thema, bei dem es auch um die eigene Rolle und Identität ging und ich entwickelte eine zunehmende Antipathie gegen jede Schematisierung, die ich, wenn ich in eine Schublade gesteckt wurde, als Stigmatisierung empfand, gegen die ich geradezu Abwehrreflexe entwickelte, was genug Konfliktpotential schon an sich bot, dass ich staune, wie lange wir es dennoch aushielten. Vemutlich wussten wir doch, ohne es uns einzugestehen, besser wird es nicht mehr.

Darüber nun friedlich zu schreiben und sie in ihrer auch kritischen Sicht auf den eigenen Berufsstand zu sehen, als reflektierte Frau, die auch ihre Macken hat, wer hätte solche nicht, zu sehen und zu wissen, es war gut so und ich habe viel auch von ihr gelernt für meine heute Haltung zum Leben heute, macht zufriedener als der Unfrieden, den manche um ein Scheitern inszenieren, indem sie ihre vorigen Liebsten als Fehler bereuen - ich will lieber immer sagen können, ich bereue nichts, vor allem nicht, wenn ein solch wunderbares Kind dabei herauskam, womit ich wieder in den hormonell geprägten Papi-Ton falle, der an meiner sonst kritischen Haltung zum Leben vernünftigerweise zweifeln lässt.

So wuchs ich in eine neue Rolle hinein, die für Frauen jahrhundertelang völlig normal schien und für die ich mich aber vor mir rechtfertigen musste, weil das doch nicht mein ganze Sein gewesen sein konnte, was zu geringerer Wertschätzung dessen, was ich tat und tun musste als Papi und Hausmann führte. War mir dessen bewusst und konnte dem doch nicht ausweichen, wenn ich auf dem Spielplatz die anderen Papis sah, die wichtig über Projekte redeten. Mein Projekt war, dass die Wohnung einigermaßen geputzt war, wenn meine Holde am Freitag zurückkam, ich ein schönes Essen auf den Tisch zauberte und mich derweil noch um meine Tochter kümmerte. Darüber zu klagen, schien mir lächerlich, ich tat ja nichts, nur das bisschen Haushalt und sich was nettes zu Essen aus irgendwelchen Kochbüchern raussuchen, um den wirklich gehobenen Geschmack meiner Holden zu befriedigen und sie danach noch voller Lust zu begehren.

Auf dem Spielplatz war ich noch einer der wenigen, Andere Väter kamen eher am Wochenende mit, wenn ich mit Mutti da war und aus meiner sonst Rolle herausfiel, auch keine Lust hatte besonders engagiert zu buddeln und mein Kind zu bespaßen, was ich ja schon sonst jeden Tag um mich hatte und beaufsichtigen musste. Erleichtert denke ich, heute kann ich über Texte wie diesen mit ihr reden, statt Sandburgen und Staudämme zu bauen und damit ist sie mir viel näher, als sie es beim Buddeln je war. Gefühlt ist es dennoch wohl für beide Seiten anders. So spielte ich am Wochenende die Rolle, die sonst die Muttis haben, während sich die Väter als Superpapis und seltene Gäste im Sandkasten beweisen wollen.

Mit dieser bisher sozial eher weiblich geprägten Rolle kam mein Ego weniger gut klar als meine Natur, warum es zwischen beiden zu Spannungen kam, die durch die gesellschaftliche Erwartung an einen Mann, der gefälligst auch ein richtiger Kerl zu sein hat, noch potenziert wurden. Wer war ich in diesem Durcheinander, was war meine Rolle, wo wollte ich hin?

Wusste es nicht so genau und bin da bis heute nicht weiter gekommen. Der Unterschied ist nur, heute nehme ich mich als einen der zwischen den Stühlen steht, viel von beidem in sich hat an und ringe nicht mehr um die Anerkennung der anderen, die mich toll finden sollen aber nicht verstehen. Vielleicht musste ich dazu erst über vierzig werden, um es zu akzeptieren, auch das weiß ich nicht so genau und freue mich nur darüber, heute auf eine solche Zeit in meinem Leben zurückblicken zu können, die vielleicht die wichtigste überhaupt war. Nicht weil ich tolle Sachen geschrieben hätte, der Roman, den ich nächteweise voller Visionen nebenbei schrieb, finde ich heute eher überladen, peinlich und bemüht und freue mich, dass er immer noch eher in der Schublade steckt, trotz der vielen guten Ideen in ihm, sondern weil ich ganz für meine Tochter da sein konnte, wie gut immer ich das war und eine neue Rolle lebte, die mich aus meinen Konventionen ausbrechen ließ. So wenig wir es schafften, dies später noch zu leben, der Versuch war klasse und darüber freue ich mich, weil ich mehr über mich gelernt habe, als all die Jahre vorher, auch wenn ich Jahre gebraucht habe, es zu begreifen, weil ich eben etwas langsam bin, auch im Nachdenken über mich selbst und nur schnell reden und schreiben kann.

Über die Papis in Prenzlauer Berg kann ich also wenig sagen, hatte immer das Gefühl, die meisten seien völlig anders als ich, lebten ein anderes Leben und hätten andere Probleme, darum flüchtete ich mich eher in Bücher, las viel, unter anderem den lieben Montaigne, ein immer guter Ratgeber, den ich in dieser neuen Phase meines Lebens gerade wieder lese und auch wenn mir manches bekannt vorkommt, es mir doch völlig anders scheint und dessen Genie ich noch lange nicht ganz begriffen habe und so freue ich mich darauf, ihn in einer neuen späteren Phase, wieder zu lesen, um darüber nachzudenken, wie er mir heute erscheint.

Lernte einige Mütter kennen, teils auf dem Spielplatz, teils auch in speziellen Kindergruppen wie etwa der PEKiP, dem Prager Eltern Kind Programm, bei dem die Babys in völlig überheizten Räumen miteinander nackt krabbeln durften und zugegeben hätte ich mir manchmal gewünscht, wir Eltern täten dies auch und das nicht nur der Temperaturen wegen. Auch in dieser Gruppe von Muttis, die sich später noch manchmal zum Spielen  oder auf einen Wein traf, hatte ich immer eine Sonderrolle und war weder dabei noch draußen. War eben ein Mann in einer Frauenrunde, der zu den Frauenthemen wie Still-BHs oder Einsetzen der Regel nach dem Abstillen wenig sagen konnte und beim Sex-Thema hielten sich die Damen in meiner Gegenwart sehr zurück. Einzelne stellten mal unter vier Augen eine Frage dazu, aber es wurde eher umgangen. Manches war und doch eigentlich eher nichts.

Belausche ich dagegen heute die Muttis in den Bars oder Cafés umme Ecke, geht es fast immer irgendwann um Sex, dass sie entweder völlig untervögelt sind oder genervt von ihren Typen, die immer nur das eine wollen, manchmal auch darum, wie die Kinder das Sexleben zerstören, wie sie es machten, damit die nichts mitbekommen und ähnliches mehr. Es gibt kaum Details dazu, über die Frauen sich nicht auch wortreich dazu unterhalten könnten. Manchmal habe ich schon gedacht, das Geplauder wurde überhaupt erfunden, damit manche Frauen dem natürlichen Bewegungsdrang ihres Kiefers folgen können, vermute aber auch das griffe vermutlich viel zu kurz, diese komplexen Wesen zu erfassen.

Andere Väter hatten ihre Kinder ausnahmsweise, ich hatte meine Tochter jeden Tag, 24h lang, bis auf die Stunden, die sie schlief, musste ich zumindest irgendwie aufmerksam sein. Die anderen Väter holen alles, was sie in der Woche an Zuwendung verpassen am Wochenende nach und bespaßen ihre Kinder dann mit einem riesigen Aktionismus. Dazu hatte ich weder ein Bedürfnis noch Energie und nie fand ich es je angemessen. Zum Glück sah es die Mutter meiner Tochter ähnlich.

Noch ausgeprägter aber scheint mir das schlechte Gewissen bei den Müttern zu sein, die ständig etwas mit ihren Kindern unternehmen, deren Tage und Wochen völlig verplant sind und die dann noch darüber klagen, wie sich ihre Kinder doch langweilten, wenn sie nichts unternehmen würden. Im Ergebnis sind die Muttis gestresst, die Kinder gestresst, beide genervt und keiner hat etwas von den als Zugewinn gedachten Veranstaltungen. Die genervten Kinder lernten nie, für sich zu spielen und die genervten Mütter beschäftigen sich darum ständig mit diesen, leiten sie auch noch zum Spiel an, wollen dabei noch ihre Fähigkeiten und Talente fördern. Vermutlich sind das auch die Leute, die später die Vereine füllen, um Löcher in ihrer Freizeit zu stopfen, die gefährlich langweilen könnten.

Gemessen an gesellschaftlichen Zielen habe ich nichts erreicht, kein Vermögen, keine Karriere, kein Ruhm und lange litt ich als Vater darunter, der seiner Tochter doch auch Ideal und Vorbild sein wollte und sich fragte mit was, während die Wichtigtuer Papis am Wochenende neben ihren Kindern um die Wette buddelten oder leidenschaftlich mit ihnen Fußball spielten, hoffte ich nur, dieser Krug möge bald an mir vorübergehen. Wenn ich aber nun sehe, dass meine Tochter sogar als fast zu sozial gilt, ihre hohe Empathie überall gelobt wird und ich merke, wie mein natürlich ungetauftes Kind auch in Fragen von Glaube und Philosophie unglaublich kritisch und vernünftig denkt, bin ich stolz wie Oskar, auch wenn ich nichts dafür kann und denke, alles kannst du doch nicht verpasst und falsch gemacht haben. Wie ich als Kind konnte meine Tochter stundenlang alleine spielen, klagte nur ganz selten mal, ihr sei langweilig und so gesehen, denke ich, es ist alles gut, mehr konnte ich nicht erreichen, als ihr diese Freiheit zu geben, nichts machen zu müssen.

Heute sehe ich mehr Väter auf dem Spielplatz, immer noch sind sie für meinen Geschmack zu engagiert im Spiel der Kinder häufig. Die sollen sich miteinander und für sich vergnügen lernen, wenn sie es denn wollen oder einfach in die Landschaft schauen und sich freuen, dass sie da sind, wenn sie das glücklich macht. Freue mich, wenn ich Eltern mit Buch auf dem Spielplatz sehe, die etwas für sich tun, wie die Kinder etwas für sich tun sollen. Habe immer ein Buch mit auf den Spielplatz genommen und daraus hat sich manch gutes Gespräch entwickelt, was mir aber weniger wichtig war, als mir dort etwas gutes zu tun, statt nur meine Tochter zu bespaßen, die ihren eigenen Weg gehen sollte, um herauszufinden, was sie glücklich machte. Dazu mein Kind mit Angeboten an Freizeitaktivitäten zu überschütten, schiene mir unmenschlich und entspricht vermutlich der Haltung von Menschen, die sich auch in ihrem Urlaub gern von einem Animateur bespaßen lassen.

Alle Eltern machen Fehler und kommen irgendwann an ihre Grenzen. Weil sie übermüdet und überfordert nicht mehr weiter wissen. Manche setzen dann die Brut vor den Fernseher, damit sie einen Moment berieselt Ruhe geben. Habe gar keinen Fernseher, wollte nie einen und habe meine Tochter also auch nicht vor diesen gesetzt, als ich noch mit ihrer Mutter zusammenlebte, die immer einen hatte, der aber zum Glück sehr selten nur lief. Ob ich bessere Ideen hatte als den Fernseher, wenn ich genervt war und nicht mehr konnte, weiß ich nicht - mit Abstand scheint ja alles viel gelassener, was in dem Moment so wichtig und ernst ist, dass wir nicht weiter wissen.

Heute beobachte ich manchmal meinen Schwager, der nun in der gleichen Rolle ist wie ich früher nur mit zwei Kindern, der im Unterschied zu mir auch handwerklich sehr begabt ist und gerne mal bastelt und es gibt wenig, was ich weniger mag, vermutlich weil ich um meine begrenzten motorischen Fähigkeiten dabei weiß. Er ist sehr prinzipientreu im Umgang mit seinen Kindern und besteht meist auf eine vernünftige und gerechte Streitlösung. Das nervt manchmal und dauert auch und natürlich geben dann alle hinterher irgendeinen Kommentar dazu ab. Auch meine Eltern, seine Schwiegereltern, die gern meinen er sei zu streng und zu konsequent, aber sich nie einmischen würden.

Das ist gut so, dann können sie als Großeltern großzügiger sein und alle Seiten sind miteinander glücklich in ihrer je Rolle. Finde ihn mutig, wie er seine Rolle lebt, die in dieser Ecke im Südwesten der Republik noch ungewöhnlicher ist, als sie es in Berlin zu meiner Zeit war. Wie er es mit seinen Kindern macht, weiß ich nicht zu beurteilen, wozu auch, nur sehe ich ihn als liebevollen Vater, der aus Überzeugung handelt und das ist für mich das einzige, was zählt. Würde heute sagen, es gibt kein falsch oder richtig in der Kindererziehung, nur mit oder ohne Liebe. Bei ihm spüre ich Engagement und Liebe und also ist alles richtig und gut so und von mehr habe ich ohnehin keine Ahnung, der ich weder Psychologe, noch Pädagoge bin, sondern zufällig beim schönen Sex Vater wurde, was ich jedem Mann nur wünschen kann, weil es eine der wichtigsten Lehren über sich und seine Rolle im Leben ist, du merkst, was Glück ist. Würde es sogar auf das Elternsein überhaupt ausdehnen wollen, dass eine ganz wichtige Erfahrung im Leben darstellt, aber wer wäre ich, zu meinen, ich wüsste, was Frauen gut tut oder was sie wirklich wollten? Zumindest das habe ich von meinen beiden Herzdamen gelernt, zu akzeptieren, keine Ahnung zu haben.
jens tuengerthal 22.3.2017

Dienstag, 21. März 2017

Renaissance 002

Wer auf den Mensch schaut
Verliert Götter aus dem Blick
Manchen ist das mehr
jens tuengerthal 21.3.2017

Renaissance 001

Renaissance heißt Wiedergeburt
Damit hat es am wenigsten zu tun
Sondern besinnt sich aufs Leben
jens tuengerthal 21.3.2017

Berlinleben 026

Bodes Welten

Fahre ich auf die Museumsinsel und nähere mich ihr von vorne, was einen ganz besonderen Reiz hat, die Spree hinauf also, geht mir immer das Herz auf, wenn ich die von den Fluten umgebene Spitze sehe, auf der doppelt bebrückt das Bode Museum steht. Dies Museum beherbergt nicht nur einige der schönsten Schätze der Weltstadt, es tut dies auch im denkbar schönsten Ambiente im gelungensten Gebäude der Insel, sehen wir von Schinkels Altem Museum in seiner Klarheit mal ab, was eben schlicht und eckig nur ist, während sich dies Haus Fluß und Inselspitze anpasst, eins mit ihr wird, Teil der Natur hier ist.

Vom Pergamon Museum durch die Eisenbahn getrennt ist es ein Solitär, der groß zum Eintritt aufmacht, mit dem großen Kurfürst gegossen auf Marmor überlebensgroß reitend, danach schlicht beeindruckt, um im Aufstieg großes Theater um Friedrich zu bieten, für alle die lieber nur geradeaus gehen. Lieber aber biege ich vor dem Theater schon nach rechts ab in die italienische Renaissance, die erst den Hokuspokus der Gotik auf der anderen Seite rein ästhetisch erträglich macht, mit einem Lächeln eben, die menschlich sinnlich ist und nicht wie Gotik und Byzanz noch erfundenes übersinnliches für allein bedeutend hält.

Was ist nicht alles heute Weltkulturerbe, dachte ich manches mal, wenn die Zeche Zollverein neben dem alten Weimar steht oder andere Provinz irgendwo neben der Berliner Museumsinsel, dem wohl schönsten Ensemble an Museen auf so engem Raum in der Welt. Einmalige Sammlungen, die von der Frühzeit bis in die Gegenwart reichen, wenn erst das Humboldt Forum hinter der Fassade des Schlosses vollendet ist. Es findet jeder dort seine Epoche und bei Bode im hinteren westlichen Flügel kommen sogar die Münzsammler noch auf ihre Kosten, zu denen ich mich nie zählte, auch wenn das alte Geld sicher schöne Geschichten aus untergegangenen Welten erzählen kann, von vergangenem Glanz kündet, Welten eröffnet.

Doch bevor ich mich nun ins Detail verliebe, gehe ich nochmal mit den Besuchern vielleicht vom Schiffbauerdamm aus, wo noch eine letzte Saison Peymann das Brecht Theater BE bespaßt, bis er auch seinem Alter gemäß endlich gehen darf. Wann die Zeit zum Abschied gekommen ist oder wäre, was stattdesse noch kam, kann noch eine andere Geschichte werden, wenn ich vom Sommerfest dort erzählen werde. Heute aber ist dies nicht völlig unbedeutende Theater nur Dekoration des Weges zum Bode Museum, das ursprünglich Kaiser Friedrich Museum hieß, wie auch die Spree und ihre Uferpromenade mit ihren vielen Schönheiten, architektonisch und immer wieder ganz natürlich, auch direkt gegenüber von Bode, wo nicht nur im Hochsommer unter freiem Himmel Tango getanzt wird, die mir sonst immer einen Blick oder eine sinnliche Anekdote gern wert sind - mit wem saß ich nicht schon alles in der hier Strandbar - nur begleitendes Geplätscher auf dem Weg in die baulich schönste Welt der Berliner Museen sein darf.

Ein Halbrund inmitten des Flusses öffnet sich zwischen Säulen an schmalest möglicher Stelle, der Spitze eben, zu dem erst die Brücke den gehörigen schmalen Vorplatz schafft. Auch direkt davor ist dies Museum schön und beeindruckend doch wirklich großartig wird die Vorfreude, wenn wir uns ihm, dem Fluß folgend von der Friedrichstraße aus zu Fuß nähern, denn gerade die Lage macht viel vom Charme dieses Hauses aus, von dessen Fenstern du immer ins Wasser schaust, das den Bau an beiden Seiten weit umspült. Wie ein Leuchtturm oder der letzte Ort, steht es an der Spitze mit seiner zweckfreien Kuppel und der gerundeten Empore in dessen Spitze sich das Museums Café mit der allerbesten Lage theoretisch befindet, wenn es diese nur zu nutzen wüsste. Aber das Café möchte ich begleitet von den interessierten Besucherinnen erst im Anschluss besuchen, in dieses stolpern wir dann aus dem Museumsladen.

Zuvor heißt es Karten kaufen am wunderbar fast antik wirkenden Kassenhäuschen mit den Holzfenstern. Durch hohe hölzerne Türen kommen wir zu dem riesigen im kitschigen Stil des 19. Jahrhunderts errichteten Reiterdenkmal für den großen Kurfürsten, dem Urgroßvater des Alten Fritz. Was könnte in dieser gigantischen Halle, die nur der künstlerisch eher sehr zweitrangigen Reiterfigur Obdach bietet nicht an schöner Kunst inszeniert werden, auch wenn sie ein Abguss einer Figur von Schlüter sein mag, passt sie nicht ins Haus - sie dient bis heute der Inszenierung der Hohenzollern, denen wir dies Museum verdanken. Sehenswerter als dieser große Gaul mit kurfürstlichem Reiter im antiken Stil, der galvanoplastisch von WMF hergestellt wurde, die sich besser auf schlichte Töpfe beschränkten, sind dagegen die wirklich sehr schönen Toiletten vor dem Eingang in die Kamecke-Halle, noch rechts und links in Männlein und Weiblein ohne drittes Geschlecht oder ähnliche genderkorrekte Wunder getrennt.

Die Kamecke-Halle heißt nach den dort ausgestellten, sehr viel zarteren Figuren Schlüters, die ursprünglich das Dach des letzten von diesem erbauten Hauses in der Dorotheenstraße zierten. Die Villa-Karmecke in der Dorotheenstraße 74, an deren Stelle heute das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung steht, wurde von Schlüter zu Beginn des 18. Jahrhunderts als Lustgarten in der Dorotheenstadt in der damals Letzten Straße gebaut für Ernst Boglislav von Kamecke. Dieser einem alten pommerschen Geschlecht entstammende Junker war preußischer Staatsminister und Generalpostdirektor, der anfänglich erfolgreich die Schatulle von König Friedrich I. verwaltete, ab 1717 aber in Intrigen geriet, was schließlich 1719 zu seiner Entlassung in Ungnade führte, warum er noch acht Jahre bis zu seinem Tod die schlüterschen Figürlein in Ruhe genießen konnte. Diese Villa wurde ab 1779 der Sitz der Freimaurergroßloge Royal York, in die Friedrich der Große eingeweiht worden war und deren Rituale er in anfänglichem Interesse noch mit prägte. Später zog sich Friedrich wie auch Lessing mehr aus diesem doch nur Verein gelangweilt zurück, was der Autor aus eigener Erfahrung nachvollziehen kann, auch wenn er damals noch wirklich revolutionäres Potenzial teilweise hatte, etwa bei der Boston Tea Party oder dem Ballhausschwur des Bruders des Grand Orient Graf Mirabeau. Jedoch blieb das Haus bis 1935 im Eigentum der Großloge, als die Nationalsozialisten alle Freimauerlogen auflösten und deren Eigentum konfiszierten. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Haus von Bomben getroffen und brannte völlig aus. Vor der Sprengung nach dem Krieg wurden noch Schlüters Figuren abgenommen und stehen seitdem in der Karmenke-Halle, einige plastische Überreste kamen ins märkische Museum, am anderen Ende der Insel ein Stück die Spree hinauf, immer einen Besuch wert und irgendwann auch noch eine Geschichte hier. An Nachbargebäuden lassen sich noch Spuren der etwas zurückgesetzten Villa erkennen, die ansonsten verschwand.

Vor der nun Kapelle im Stil der italienischen Renaissance, die auch manches aus dieser Epoche offenbart, von Medici Wappen bis zur sakralen Kunst ist es für den erfahrenen Besucher an der Zeit nach rechts abzubiegen, statt sich von sakraler Kunst berauschen zu lassen, sich lieber der menschlicheren Kunst der italienischen Renaissance zuzuwenden. Auch hier findet sich natürlich mancher Altar oder eine Kirchenbank, ein Papstkopf dort, doch in allem überwiegt bereits der humanistische Geist der Renaissance, der nach der Natur sucht und aus ihr seine Freude empfängt, den Menschen als Wesen in der Natur begreift und sein lässt, nicht nur im Schatten des übermächtigen Aberglauben.

Durch diese Räume zu schlendern und zu sehen, wie in den Zentren der italienischen Renaissance ein neues Menschenbild entstand, statt alberner Marien- und Christusbilder plötzlich der Mensch im Mittelpunkt stand, auch wenn dies ‘plötzlich’ einige Jahrhunderte dauert und ein langsamer Prozess der Distanzierung und Entfremdung von einer immer dreister werdenden Kirche war. Der Beginn der Renaissance, die nach dem Ideal der Antike suchte, das sie wieder gebären wollte, ist schwer exakt zu terminieren.

Stephen Greenblatt hat es in seinem großartigen Buch die Wende, wie die Renaissance begann auf die Wiederentdeckung des rerum natura, von den Dingen der Natur, von Lukrez durch Poggio gelegt, was sich deutlich nachweisbar in der Kunst und Philosophie auswirkte. Gute These, die den atheistischen Geist der Renaissance auch betont, die eben auf die Natur und den Menschen mehr schaut als auf die erfundenen Götter, wie es Lukrez in seinem Text nahelegt, den Rom bald wieder verbieten ließ, wie sie ihn jahrhundertelang hinter Klostermauern hatten verschwinden lassen. Dieser Text, der viele Denker bis heute beeinflusst, sollte nicht unterschätzt werden, doch denke ich inzwischen, der Geist der Renaissance zeigte sich schon weit früher, eben in der Suche nach solchen Texten, kommt genau das neue Denken zum Ausdruck, das sich auf das antike Erbe bezieht. Jacob Burckhardt lässt es ungenauer und erwähnt auch die erotischen spöttischen Geschichten aus dem Italien des 13./14. Jahrhunderts, in denen sich der Freigeist zeigt, die auch Poggio, der Sekretär des römischen Papstes war, der auf dem Konzil zu Konstanz zugunsten des aus Avignon gemeinsam mit dem spanischen abgesetzt wurde, mit aller Deftigkeit veröffentlichte und schon vor seiner Entdeckung schrieb, weil sie ein gängiges Genre waren, Bestseller einer Zeit vor Erfindung der Druckerpresse. Wer durch die Räume des Bode zur Renaissance lustwandelt - selten passt dies Wort besser in seiner ganzen sinnlichen Schönheit als hier - wird genau dies feststellen, insbesondere wenn er sich danach in die Untiefen des dunklen Mittelalters der Gotik oder des byzantinischen Aberglaubens begibt.

Die Gotik gab grandiosen Handwerkern wie einem Riemenschneider eine Plattform, die meisterhaft, geradezu übermenschlich aus Holz Figuren formten, zur Verehrung Gottes und im ganzen Wesen dem höheren Ideal folgend, an dem nichts menschliches war, wie es sich so deutlich in den erotischen italienischen Geschichten des 14. und 15. Jahrhunderts schon zeigte, wo Pfaffen und Aberglaube verspottet werden. Warum nur kam, als Italien in der Renaissance zu den Vorfahren aus Rom und Griechenland aufbrach als Reaktion aus dem Reich kein Aufbruch sondern nur die Reformation eines antisemitischen Mönchs namens Luther, was wäre aus Europa geworden, wäre es in einer Kirche weiter zur Freiheit gegangen, um sich als ganzes zu befreien, statt sich gegenseitig um des wahren Glaubens willen den Schädel einzuschlagen?

War die Reformation nur die kleingeistig deutsche Antwort auf die Renaissance, die einzig zurück zum wahren Glauben wollte, statt sich in der Renaissance vom Aberglauben zu befreien?

Das 1904 als Kaiser Friedrich Museum eröffnete heutige Bode Museum, zum Gedenken an den legendären Direktor der Gemäldegalerie, der den Bau veranlasste, beherbergt die Skulpturensammlung, das Museum für byzantinische Kunst und das schon erwähnte Münzkabinett, von dem aus der Blick aufs Wasser aber sehr schön ist, besonders am Wochenende, wenn am anderen Ufer Flohmarkt ist. Seit Oktober 2006 dürfen wir Berliner uns wieder an unserem schönsten Museumsbau erfreuen, dem einzigen Haus, das so zärtlich mit seiner Umgebung spielt, sie aufnimmt und einbezieht in seine architektonische Konzeption.

Bis 1945 stand eine protzige Reiterstatue auch noch vor dem Museum zur Verehrung von Kaiser Friedrich III., dem 99 Tage Kaiser und Vater des peinlichen Wilhelm II., der sich noch als Kronprinz ab 1871 massiv für das Kunstmuseum eingesetzt hatte. Konkrete Vorschläge dazu kamen vom Kunsthistoriker Bode, ab 1914 bitte von Bode, dessen Ideen der kaiserliche Hofarchitekt Ernst von Ihne zwischen 1897 und 1904 in den heutigen Bau umsetzte. Bode ließ noch die auf die Kunstsammlung der Kurfürsten zurückgehende Sammlung mit Skulpturen und Gemälden zusammen präsentieren, was einen besseren Eindruck des Geistes der Zeit gab als die heutige strenge Trennung der Kunstwelten, die doch so eng zusammengehören. Aber noch gibt es Hoffnung auf den Masterplan, der für die Museumsinsel Bodes Idee der Einheit wieder umsetzen will.

Der Bau im Stil des Neobarock errichtet, der sonst selten Schönes war, steht auf einem 6000m² großen Grundstück, das ein unregelmäßiges Dreieck bildet. Von 1824 bis 1897 stand hier noch das Berliner Mehlhaus, sowie seit 1876 die Kunstbaracke in der regelmäßig Ausstellungen zeitgenössischer Künstler stattfanden. Trotz der unregelmäßigen Grundfläche auf der gebaut wurde, haben es die Architekten geschafft, den Eindruck völliger Symmetrie zu erwecken. Der Bau wurde mit schlesischem Sandstein aus der Kreidezeit verkleidet. Teile des Gebäudes steigen wie die Schaumgeborene direkt aus der Spree und geben damit dem Kunstpalast seinen ganz besonderen Charme.

Gesättigt und erfüllt vom Geist der italienischen Renaissance, ihrer immer auch Erotik und Lebensfreude, wende ich mich dann der Basilika zu, die deutsche Gotik und Byzanz von der menschlichen Schönheit der Italiener trennt. Der langgestreckte Mittelraum zwischen den beiden Flügeln des Hauses zeigt in Seitenkapellen religiöse Bildwerke und farbige Terrakotten mit teils religiöser Motivik. Eine Kirche mit vielen Altären ohne Apsis und Götzendienste, dem Wissen und der Kunst gewidmet.

Den Abschluss des Mittelschiffs des Museums bildete nach den großen Türen aus der Basilika, die immerhin den religiösen Zeitgeschmack der Renaissance als zentral betont und nicht die wesensmäßig düstere deutsche Gotik und also auch im Zentrum Geschmack bewies, die kleine Kuppelhalle im Rokokostil mit pompöser Marmortreppe, die von Friedrichs preußischen Generälen umstanden wird, auch der König selbst findet sich allerdings bescheiden im Erdgeschoss, gemeinsam mit den Venus und Merkurstatuen von Pigalle, die ursprünglich den Auftakt der Weinbergstreppe in Sanssouci bildeten. Die sechs Generäle Friedrichs standen früher am Wilhelmsplatz und wurden inzwischen museal. In dieser repräsentativen Flucht zwischen großer Halle und kleiner Halle fanden auch Empfänge statt, bei denen die Hofgesellschaft wohlhabende Bürgerliche als Mäzene lud, sie in angemessener Umgebung zu schröpfen.

In den Ausstellungsräumen selbst hatte Bode noch Ensemble aus Gemälden, Skulpturen und kunstgewerblichen Objekten dicht gedrängt aufgestellt, es muss ein intensives Erlebnis auf engem Raum gewesen sein, der die Kunst der Epochen vorführte. Dabei wurde den ersten großen Mäzenen Thiem und Simon der Gefallen erwiesen ihre geschenkten Sammlungen geschlossen nach ihrem Spender zu präsentieren, statt entsprechend der Epochen. Mit vielen zusätzlichen vor allem in Italien zusammen gekauften innenarchitektonischen Details wollte Bode das Erlebnis der Besucher möglichst authentisch gestalten. So verfolgte er mit seinen Stilräumen ein neues museumspädagogisches Konzept, was lange belächelt wurde, auch wenn es erstaunliche Wirkung zeigte und den Gang durch die Geschichte zum kulturellen Erlebnisse machte.

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Haus glücklicherweise relativ wenig beschädigt und nach der Herstellung eines Notdaches gab Johannes R. Becher, der damalige Kulturminister der DDR dem Museum am 1. März 1956 den neuen Namen Bode-Museum, nachdem es zunächst in der SBZ Museum am Kupfergraben genannt wurde, um den kaiserlichen Namen aus der Welt zu tilgen, der nicht zum Arbeiter und Bauern Staat passte. Dennoch zog sich in der DDR die schrittweise Wiederherstellung des Gebäudes bis zum Stadtjubiläum 1987 hin. Jedoch stellen sich ab 1990 immer mehr Mängel der vorigen Arbeit heraus, warum ab 1997/98 die Generalinstandsetzung in Angriff genommen wurde. Sie erforderte die denkmalgerechte Wiederherstellung des Gebäudes, zu der auch die Wiederherstellung des Tiepolo Kabinetts gehörte, in dem 22 Fresken Tiepolos in spätbarocker Umgebung passend inszeniert wurden. Der während des Weltkrieges völlig zerstörte Raum, dessen Bilder glücklicherweise ausgelagert worden waren, konnte nach einem alten Schwarzweiß Foto originalgetreu wiederhergestellt werden.

Im Rahmen des Masterplans der Museumsinsel, der noch manch schönes vorsieht, was derzeit noch im kleingeistigen Geiz sich zu verlieren droht, ist schon der Übergang zum Pergamon-Museum vorgesehen. Die Werkstätten und die Sicherheitstechnik wurde auf den neuesten Stand gebracht. Auf dem Weg zurück zum Original wurden auch manche nachträgliche Einbauten wieder beseitigt und ursprüngliche Farbfassungen wiederhegestellt.

Heute stehen die Kunstobjekte eher locker gruppiert, relativ frei  im Raum, eröffnen gelegentlich überraschende Perspektiven, entsprechen jedenfalls aktuellen Sehgewohnheiten eher als Bodes historisierende Kabinette, die vielleicht eine zu hohe Dichte aufwiesen, auch um noch heutigen Anforderungen an die Sicherheit gerecht zu werden. Der ganze Spaß kostete 152 Millionen Euro und wurde vollständig aus Bundesmitteln finanziert, was im Verhältnis zum Ergebnis verschwindend wenig noch scheint, wo ist ein mit solchen Schätzen bestückter Gang durch unsere Geschichte sonst auf der Welt noch möglich?

So hat die wunderbare Sanierung dieses Museums auch wohl entscheidenden Anteil an der Stellung als Weltkulturerbe, auch wenn dazu im ästhetischen Vergleich zur Zeche Zollverein etwa vermutlich sogar der grässliche Berliner Dom genügt hätte, der besser abgerissen und durch Schinkels schlichten Vorgänger ersetzt würde. Bei der Sanierung zeigte sich, dass die Räumlichkeiten der von den Direktoren Eisenhauer und Parzinger geplanten Verlegung der Gemäldegalerie und die gemeinsame Präsentation, nicht genügen würde. Darum wurde ein schöner Neubau auf dem anderen Ufer der Spree geplant, der durch einen Gang verbunden werden sollte.

Zur Zeit ruht dieses Projekt jedoch aus Kostengründen. Der Optimismus Parzingers ist wohl etwas gebremst, aber noch ist nicht aller Tage Abend und sollten keine größeren Krisen bevorstehen, spricht wenig dagegen langfristig die zusammengehörigen Sammlungen auch räumlich wieder zu vereinen, um die Kulturgeschichte Europas hier ganzheitlich zu präsentieren, wie sie schöner kaum irgendwo je zusammenfand. Dann würde Bodes Plan in zeitgemäßer Form ein wunderbares Staunen realisieren.

Im oberen Geschoss finden sich auf der einen Seite großartige Figuren und Schnitzereien, teilweise aus Elfenbein und Ritterheilige aus der Zeit der Dreißigjährigen Krieges, die teilweise uralte numismatische Sammlung, gehört zu den frühesten Kollektionen im Besitz der brandenburgischen Kurfürsten und ist auf ihrem Gebiet eine der größten und wichtigsten Sammlungen der Welt, wen immer das wirklich mal interessiert hat. Es lässt sich anhand des Geldes aber sicher viel Kulturgeschichte nachvollziehen und manches, was dem Laien nur ein unwichtiges Detail oder schlichter Schmutz zu sein scheint, ist dem Fachmann die Spur zur Rätseln der Geschichte, die uns oft unsere Zeit erst verstehen lassen. Es ist also sicher sehr verdienstvoll und wichtig, sich auch für die Numismatik zu interessieren und zu begeistern, nur ich, aufgrund meiner beschränkten geistigen Fähigkeiten und der relativ geringen Aufnahmekapazität meines zugegeben sehr löchrigen Gedächtnisses habe diesen Teil bisher jenseits des gerade noch Pflichtbewusstseins mal da gewesen zu sein, eher sträflich ignoriert.

Zwar lehrten schon die Römer, dass Geld nicht stinken würde, pecunia non olet hieß das bei ihnen, wobei es eher um Latrinengebühren als um Münzen ging, meine ich, doch nehme ich mir bisher meist die Freiheit eher der Leidenschaft für die schöne Kunst zu folgen und dann am Ende schönster und teilweise auch hocherotischer Elfenbeinschnitzereien, bei denen teilweise, mehrfach verschlungene Paare beim Gruppensex sich auf sehr elegante Art oral befriedigen und, was auf Facebook vermutlich zur Löschung des Account eher führte denn Hass-Propaganda, steht hier im schönsten deutschen Museum jugendfrei zur Unterhaltung aller Besucher herum, die merken, wie vielfältig lustvoll doch die Kunst sein kann, was wir fürs Leben von ihr lernen und wie viel Spaß Menschen auch schon vor mehreren hundert Jahren am Sex hatten, den sie sich als kostbares Kunstobjekt schnitzen ließen.

Von den schönsten Elfenbeinschnitzereien gelange ich in den Museumsshop voller schöner Bücher, der allerdings, seltsamerweise weniger verführerisch dekoriert ist als der im Keller der Alten Nationalgalerie und mich darum meist ohne Folgen wieder in das auf ihn folgende Café entließ. Eine traumhafte Lage, an der Spitze der Insel, Blick theoretisch rundherum, leider nur theoretisch, ist dies Café im schönsten Museum Berlins viel besser gelegen, als es ist und nutzt sein Potential bisher leider nicht wirklich, was mir noch unverständlich blieb. Dort treffen sich immer wieder elegante Gäste mit referierenden Kunsthistorikern und wichtigen Entscheidern mit mehr oder weniger viel sachlicher Ahnung, die angeregt debattieren und sich dabei sehr wichtig nehmen. Diese deutsche Ernsthaftigkeit gebührt der schönsten Gotik Riemenschneiders und den Schätzen aus tausend Jahren byzantinischer Kultur hier ohne Frage - es geht ja um Weltkulturerbe, eine ernste Sache - doch vollkommen schön würde es an diesem aus vielen Gründen geliebten Ort erst, wenn auch im Café die Leichtigkeit und Menschlichkeit voller Lebenslust aus den Räumen der italienischen Renaissance einzöge. Das Mittelalter ist tot, die Religion ein Treppenwitz der Geschichte,  bäumt sich in letzten Kämpfen geistig lächerlich auf, die Kunst ist es, die unsere Kultur trägt, genießen wir sie aus vollem Herzen dort und nehmen wir uns viel Zeit dafür.
jens tuengerthal 21.3.2017

Montag, 20. März 2017

Glücksberechnung

Wieviel Glück genug ist
Lässt sich nie exakt berechnen
Fehlt was sind wir sicher
jens tuengerthal 20.3.2017

Liebesmathematik

Liebe ist das halbe Leben
Ohne fehlt die Hälfte nur ob mit
Mehr wird ist unberechenbar
jens tuengerthal 20.3.2017

Berlinleben 025

Verbindung aus Liebe

Ist es Liebe oder ist es halt einfach da und keinen weiteren Gedanken wert, weil es dazu gehört und was, wenn nicht gerade das, was zu uns gehört, sollten wir lieben?

Mit der BVG hat jeder, der in Berlin ist, mal irgendwann zu tun, manche fluchen, viele schmunzeln, einige lächeln selig. Die Berliner Verkehrsbetriebe selbst werben mit dem Spruch “weil wir dich lieben…”, was auch hart von ihr geprüfte Berliner noch lächeln lässt, wenn sie das Fluchen für einen Moment beenden, weil es ohnehin nichts ändert.

Mal kommt die Bahn zu spät, dann fährt sie zu früh, nie pünktlich, ist so ein typischer Spruch genervter Fahrgäste, die mal wieder einen Anschluss verpassten - als könnte sich keiner darauf einstellen entweder zu früh oder zu spät zu kommen, um pünktlich da zu sein, wenn es denn so wäre. Nach meiner bescheidenen Erfahrung auf wenigen Hauptstrecken allerdings, kam sie nahezu immer pünktlich und war häufiger ich derjenige, der sie weil zu spät verpasste, zumindest nach ihren Uhren, die manchmal anders als meine gingen, als ich noch Uhren trug, was in Berlin völlig überflüssig eigentlich ist, wo es immer bis mindestens 17h Frühstück gibt.

Ein tiefes Gefühl der Liebe habe ich noch nicht wirklich empfunden, dachte ich, als ich die Werbung zum ersten mal las. Wenn einer über eine Werbung nachdenkt, am Ende sogar einer wie ich noch darüber schreibt, dann ist sie gut und wird Teil des kollektiven Gedächtnisses, funktioniert also, wie sie soll. Erleichterung manchmal, wenn sie kam,  Freude über einen Sitzplatz nach einem langen Arbeitstag, eine gewisse Sympathie zu dem vertrauten noch, vielleicht gelegentlich Spaß mit anderen Fahrgästen oder sogar zärtliche Momente mit meinen Liebsten oder bei der ersten Begrüßung eines Blind-Date an der U-Bahn Station, sehnsüchtige Erinnerungen werden wach, auch Fluchen, wenn das W-Lan wieder nicht geht, genervte Erschöpfung auch in zu vollen Bahnen oder Bussen immer wieder, Ekel vor dem neuen Neongelb auch - eine ganze Bandbreite von Gefühlen bringe ich mit der BVG in Verbindung - aber Liebe, auf Liebe käme ich nie zu Bahn, Bus oder Straßenbahn.

Die sind halt da und gehören dazu, wie die Berliner Luft, manchmal zu laut, dann nerven sie, aber eben nötig, darum gut so. Wenn sie mal wieder die Preise erhöhen, regen sich alle Berliner auf, es gibt Demos aber kein Vergleich zu den 60ern oder 70ern, als es noch Lieder darüber gab, aber dazu später, und dann geht es weiter wie immer. Warum Preise erhöht werden, wenn eine Anstalt des öffentlichen Rechts Millionengewinne einfährt, wäre wohl der Frage wert, ist aber gerade nicht mein Thema.

Als ich nach Berlin zog, fuhr ich ein zu großes Auto und fühlte mich toll damit. Nun habe ich seit vielen Jahren keines mehr und bin glücklich ohne. In Berlin brauchst du kein Auto. Die BVG fährt dich überall hin, ansonsten habe ich James, mein Fahrrad, das auch ein vielseitiger Lastesel ist, so seinem Herren ähnelt und diesen noch fitt hält. Wer vom Land kommt, kann sich das nicht vorstellen, aber ich kann alle meine Einkäufe bequem zu Fuß erledigen und wenn ich irgendwo hin muss, verrät mir mein Telefon die beste Verbindung, auch wenn du in Berlin mit seinen vielen Dörfern immer sehr aufpassen musst, weil es manche Straßen in fast jedem Dorf gibt und so schickte mich Google auch schon mit der BVG in völlig abseitige Regionen, was allerding in den meisten Fällen daran lag, weil die S-Bahn, auf die ich als Ringbahn von meinem Platz schnellen Zugriff habe, mal wieder nicht fuhr - aber die gehört ja auch zur Bahn seit kurz nach der Wiedervereinigung, was beiden selten gut tat, außer zur Schuldverlagerung.

Auf den wichtigsten Linien fährt in Berlin immer was, nicht wie in der Provinz, wie etwa Heidelberg, wo ich studierte, dass nach Mitternacht die Bürgersteige hochklappt und den Nahverkehr ins Depot stellt. Hier geht immer was und wenn es schlimmstenfalls ein Nachtbus ist, zu dem du vielleicht mal einige Minuten länger läufst und einen Moment warten musst, der sich aber doch immer wieder mit lustigen Gestalten füllt, was ein eigener Essay wäre, allein über ihr Sein dort und ihre Erscheinung nachzudenken.

Manche müssen, andere wollen irgendwohin, alle ertragen es meist relativ gelassen, es zu nehmen, wie es ist. Die Trennung von S-Bahn und BVG hat den großen Vorteil, dass alles immer vom einen auf den anderen, für den jeder selbst natürlich nichts kann, geschoben wird und sich nichts ändern muss, auch wenn es nicht läuft, weil ja keiner was für die Fehler des anderen kann - was dann in Durchsagen auch die Busfahrer kund tun oder die S-Bahn am Gleis bekannt gibt zur wechselseitigen Beschuldigung und ohne sich entschuldigen zu müssen. Diese Einrichtung ist so typisch Berlin, dass die Wiedervereinigung von BVG und S-Bahn so ökonomisch sinnvoll sie wäre, für das Empfinden aller Beteiligten bald zur Katastrophe würde, denn wer wäre dann Schuld?

Gelassenheit kann gut gelernt werden im öffentlichen Nahverkehr und dazu gibt die Beobachtung der Beteiligten einen tiefen Einblick in das Wesen der Menschen hier, sein sie nun Berliner, Gäste oder Touristen oder irgendwas dazwischen. Hatte lange eine Monatskarte, die mich jeden Tag vom Senefelder Platz mit der U2 bis zum Zoo fahren ließ und mit der ich manchmal auch Umwege noch nahm, die Stadt zu erkunden. Die langen Strecken auf denen die U-Bahn eine Hochbahn ist in ihrem wunderbar dunkelgrünen Metallgerüst, aus denen manchmal noch die älteren orangenen U-Bahnen auftauchen, bevor sie wieder unter der Erde verschwinden, wie es ihr Name ja nahelegt.

Bus fahre ich relativ ungern, auch wenn wir diese schicken Doppelstockbusse haben, die oben eine nette Aussicht bieten können, sofern sich Plätze finden. Ansonsten schwanken und schaukeln sie gerne wie die auch Fähren der BVG bei Seegang, was mein Magen lieber vermeidet, wenn andere Strecken zum Ziel führen. Straßenbahnen schwanken zwar auch ein wenig, wie die U-Bahnen, wenn sie sich in die Kurven legen und quietschen dann in einer Lautstärke, die jedem Neuling große Angst machen muss - aber dies genieße ich völlig gelassen, kann auch gegen Fahrtrichtung lesen und weiß daher, was Schienen hat, ist gut für mich, jenseits des beschienten Bereichs, braucht es sehr lohnende Ziele, mich aus der Stadt zu locken und da finden sich immer weniger.

Wer die Umgebung von Berlin mit ihren zauberhaften Seen, Schlössern und mehr erkunden will, ist gut mit dem Rad unterwegs, die auf den meisten Bahnstrecken transportiert werden können, wenn die ganze Strecke zu weit erscheint. Hier könnte auch mal ein Wagen wohl nett sein, dachte ich schon, wenn mich etwa ein Schauer doch noch erwischte. Gemessen aber an den Tagen, an denen er mir lästig wäre, weil ich in überbelegter Umgebung zu lange nach einem Parkplatz suchen müsste, der ich ohnehin die meiste Zeit in der Stadt zubringe, wird dies nett für Ausflüge so klein, dass ich es lieber genieße die Museumsinsel auch in einer halben Stunde zu Fuß erreichen zu können, ohne über Parkplätze nachdenken zu müssen.

Die BVG macht den Gedanken an einen Parkplatz schlicht überflüssig, die Frage des Alkoholpegels ist nur insofern relevant, als sie entscheidet ob der Mageninhalt in mir bleibt oder ich ihn besser vor Fahrtantritt wieder loswerde, es gefährdet keine Fahrerlaubnis, betrunken im öffentlichen Nahverkehr mitzufahren, unterhält nur gelegentlich die anderen Fahrgäste noch, die meist viel Verständnis zeigen oder sich in ähnlichen Zuständen befinden. Komme mit den öffentlichen Verkehrsmitteln mit einer höheren Sicherheit pünktlich als mit dem privaten PKW und die wenigen Ausnahmen bestätigen die Regel nur - erstaunlicherweise hat auch jeder Gastgeber und die meisten Arbeitgeber mehr Verständnis für Verzögerungen bei der BVG, die eben höhere Gewalt sind, als einen genauso unvorhersehbaren Stau oder Unfall mit dem privaten PKW, auch wenn es im Verhältnis ihres Vorkommens genau umgekehrt sein müsste.

Als Innenstadtbewohner sage ich, dank der BVG braucht hier keiner mehr einen privaten PKW, Car-Sharing genügte und alles andere ist Luxus, der mehr belästigt als angenehm ist - wer schon einmal stundenlang auf der Suche nach dem letzten Parkplatz hier um die Blocks kreiste, wird dies gut verstehen können. Verbieten wäre nur noch alberner und wenn sich ein Teil der Menschen eben noch mit solchem Unsinn quälen will, soll sie es tun, wer meint die Menschheit nur mit Verboten retten zu können, wird selten ein glücklicher Mensch. Dies auch wenn die neue Parkraumbewirtschaftung in meinem Wohnbereich den Bezirk um viele Verbote und Gelder reicher machte und sich so scheinbar zumindest rechnet. Aber hier geht es ja um den öffentlichen Nahverkehr und seinen Berliner Veranstalter die BVG mehr als die Probleme der Autofahrer, die mich nicht mehr interessieren.

Vor der Bildung der Einheitsgemeinde Groß-Berlin gab es auf dem heutigen Stadtgebiet verschiedene voneinander unabhängige Unternehmen, die öffentlichen Personennahverkehr anboten. Seit 1868 etwa gab es die Allgemeine Berliner Omnibus-Actien-Gesellschaft (ABOAG), auch die 1897 entstandene Gesellschaft für elektrische Hoch- und Untergrundbahnen in Berlin war privat organisiert. Daneben gab es noch einige Straßenbahn und Omnibusunternehmen. Es gab jedoch für ganz Berlin weder abgestimmte Fahrpreise noch Fahrpläne, was zu relativ unhaltbaren Zuständen im über 800km² großen Stadtgebiet bald führte.

Als der spätere Bürgermeister Ernst Reuter 1926 das Dezernat für Verkehr und Versorgung im Senat übernahm, setzte er sich für die Beendigung dieser Missstände ein und am 9. März 1927 wurde der erste Vertrag der Interessengemeinschaft geschlossen, der auch einen Einheitstarif von 20 Pfennig für die 3 Verkehrsmittel Hochbahn, Omnibus und Straßenbahn. Heute zahlen wir mehr als das zehnfache und haben darum nicht mehr Platz und nur eine unwesentlich höhere Geschwindigkeit, aber wer wollte schon klagen? Dabei durfte noch einmal umgestiegen werden, was heute weniger beschränkt zumindest ist, soweit ich weiß. Zunächst arbeiteten alle Unternehmen noch selbständig weiter, waren nur unter dem Einheitstarif verbunden. Bald stellte sich jedoch heraus, dass dies ökonomischer Unsinn war. Die private Hochbahn etwa hatte die höchsten Investitionskosten, zahlte am meisten Steuern auf ihr Kapital und hatte dabei eine nur sehr geringe Beteiligung am Umsatz, was sich ergo nicht rechnen konnte. Um diese Probleme unter einem Dach zu beheben, wurde am 10. Dezember 1928 die Berliner Verkehrs-Aktien-Gesellschaft (BVAG) mit 400 Millionen Reichsmark Kapital gegründet.

Die Gesellschaft nahm dann am 1. Januar 1929 den Betrieb auf. Schon wenige Jahre später gehörte der Streik bei den Berliner Verkehrsbetrieben vom November 1932 zu den wichtigsten Arbeitskämpfen, die das Ende der Weimarer Republik noch beschleunigten. Dabei wurde der Betrieb für einen Tag völlig lahm gelegt und dies vor allem gesteuert durch die von der DKP gesteuerte Gewerkschaft, die sich auf Wunsch des Totengräbers der Weimarer Republik Ernst Thälmann hin, mit der Nazi-Gewerkschaft verbündete. Die DKP sah sich damals eher im Kampf mit der SPD, die sie als Sozialfaschisten bezeichneten, als mit der NSDAP, die sie als Bündnispartner gegen die verhasste Weimarer Demokratie fälschlich sahen. Dies hat die DDR viele Jahre vergessen lassen und Thälmann zu einem Opfer der Nazis stilisiert, deren Machtübernahme er mit seiner Politik noch begünstigte.

So sollte dringend eine Niederreißung der Denkmäler für diesen Verbrecher erfolgen, der entscheidend am Untergang der Weimarer Republik beteiligt war. Dass dieser zwielichtige Typ aus dem Hamburger Arbeitermilieu dann wie viele andere auch von den Nazis umgebracht wurde, weil Moskau kein Interesse an dem Großmaul mehr hatte, ist eine andere Geschichte, aber nicht jedes Opfer von späteren Verbrechern, wird darum zum Held, wenn er aktiv zu denen gehörte, die eine Machtübernahme der NSDAP ermöglichten durch die weitere Polarisierung, kann im Fall Thälmann nur festgestellt werden, er bekam, was er gesät hat, was das nationalsozialistische Unrecht nicht rechtfertigt, nur die Verantwortlichkeit für die Entstehung und Polarisierung bei den Extremisten an den Rändern deutlich aufzeigt, von denen Thälmann einer war. Darum heißt diesem Verbrecher und Hetzer Thälmann zu  gedenken, der eben den Streik bei den Verkehrsbetrieben aus rein politischen Gründen instrumentalisierte und damit auch bewusst Menschenleben riskierte, diese Taten, die zum Ende der Weimarer Republik mit führten, relativieren, wogegen sich jede heutige Demokratie ausdrücklich wehren muss.

Das Bild der DDR von Thälmann war eine ideologische Lüge mit der Kinder als Thälmann Pioniere missbraucht wurden. Es gibt keinen Grund, solche Lügen aufrecht zu erhalten. Im Gegenteil, müssen wir die Verbrecher benennen, wo sie sich zeigen und es ist darum auch wichtig die sogenannte Linke weiter als SED-Nachfolgeorganisation zu bezeichnen, weil wer das Erbe der Verbrecher antritt, auch mit ihrem Namen leben muss, was gerade in Kulturkreisen zu sagen, derzeit völlig verpönt ist, weil sie sich von der Linken in Berlin Gelder und mehr erhoffen. Zumindest spielte die Berliner BVG bei dieser Gelegenheit eine wichtige Rolle in der Politik des Reichs, bei der sich die Reichsregierung dann doch mit Gewalt durchsetzte, weil die Forderungen illegal und ein politischer Missbrauch gewerkschaftlicher Macht waren. Den Kämpfen dabei fielen mehrere Menschen zum Opfer, auch dank Thälmanns rücksichtsloser Propaganda.

Am 1. Januar 1938 wurden die Berliner Verkehrsbetriebe ein Eigenbetrieb der Stadt Berlin unter dem Namen Berliner Verkehrs-Betriebe (BVG). Nach der Teilung gründete sich im Osten ein eigener BVG Betrieb, der als VEB Kombinat Berliner Verkerhsbetriebe (BVB) firmierte. Ob allein dieser Name heute mehr Fans brächte, kann dahinstehen, da BVG West und BVB Ost 1992 zur BVG fusionierte, die 1994 zu einer Anstalt des öffentlichen Rechts wurde. Im ganzen Land war die BVG zuvor schon durch ein Lied der Band Ton Steine Scherben bekannt geworden. Auf ihrer LP Keine Macht für Niemand dichtete Rio Reiser in dem Song Mensch Meier den Refrain Ne, ne, ne eher brennt die BVG, um damit zum Schwarzfahren aus Protest gegen eine Fahrpreiserhöhung aufzufordern. Heute ist die ehemalige Managerin der Band Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages und wird wohl eher die Fahrbereitschaft des Bundestages als die BVG nutzen. Bekannt wurde auch das Werbevideo der BVG, bei dem Kazim Akboga seinen Song Is mir egal als Fahrkartenkontrolleur in einer U-Bahn aufführte und der Song sich mit bis zu 10 Millionen Aufrufen viral rasend schnell verbreitete.

Wie viele Unternehmen ist auch die BVG nur noch Mieterin im eigenen Hauptquartier, dass sich seit 2008 in der Nähe des Bahnhofs Jannowitzbrücke befindet. Die BVG gibt ihr Einzugsgebiet mit fast 1000km² an, 200km² mehr also als Berlin, in dem nach ihren Angaben rund 3,4 Millionen Menschen lebten, womit die BVG es schafft die tatsächliche Einwohnerzahl von Berlin, die über 3,52 Millionen beträgt in ihrer Zielsetzung locker zu reduzieren und dennoch seit letztem Jahr Gewinne schreibt, was für einen Betrieb ihrer Art fast ins Märchenreich gehört und also gut zu den irrealen Zahlen passt.

Tatsächlich aber hat die BVG täglich zehn U-Bahn Linien im Betrieb, sowie 22 Straßenbahnlinien, von denen wiederum allein 9 im 24h-Betrieb laufen und auch Nachts mindestens alle halbe Stunde kommen. Nicht so sehr interessieren mich meist die Omnibusse, von denen täglich 152 Buslinien verkehren, zu denen noch 45 Nachtbuslinien kommen. Seit 2015 fahren zwischen Berlin Südkreuz und Bahnhof Zoo auch E-Busse im  Testbetrieb. Warum der abgehängte und überflüssige Zoo und das abgelegene Südkreuz dafür gewählt wurden, statt bedeutende städtische Strecken von Abgasen frei zu halten, lässt sich mit keiner vernünftigen Logik nachvollziehen und darf darum auch laut kritisiert werden. Außerdem hat die BVG noch sechs Fähren über Subunternehmen in Betrieb.

Es könnte dies Unternehmen, das 2015 den Gewinn von 2014 noch mal mehr als verdoppelte also ziemlich zufrieden sein, sehen wir von dem grässlichen Signalgelb ab, was aber vielleicht denjenigen, die nicht mehr Lust zu leben haben, die Lust nimmt sich vor einen so grässlichen Zug zu werfen. Eine andere Erklärung warum die BVG immer mehr von diesem hässlichen Gelb sich abschreckend dominieren lässt, kann ich nicht erkennen und frage mich eher, ob mehr Schönheit und Harmonie in den Farben in der Stadt nicht eher davon abhielte, habe aber, zugegeben, keine Ahnung, warum BVG und S-Bahn dies gräßliche gelb immer weiter verbreiten und in den Innenräumen geschmackloses Plastik statt stilvollem Holz verwenden.

Vielleicht sollte künftig überlegt werden, ob ein städtischer Betrieb, der 18 Millionen Gewinn erwirtschaftet, diesen nicht an die Bürger direkt zurückgeben müsste, statt weiter über ständige Preiserhöhungen diese zu erzürnen. Mehr Schönheit und Individualität in den Wagen hielte auch mehr Menschen von Zerstörungen ab. Vielfahrer könnten Patenschaften für ihre Waggons übernehmen und ähnliches mehr, bräuchte es dort dringender, um dem Werbespruch - weil wir dich lieben - endlich auch Inhalte und Identität folgen zu lassen. Berlin braucht die BVG und die BVG braucht die Berliner. Sie kann ein bloßer Verkehrsbetrieb bleiben, um von A nach B im dicken B zu kommen oder sie wird wirklich zu einer Marke, die sich nicht nur auf kurze Hits beschränkt.
jens tuengerthal 20.3.2017

Sonntag, 19. März 2017

Mr 100%

Mister Hundert Prozent heißt
Jetzt Herr Schulz von nebenan
Wer dächte da an die SED
jens tuengerthal 19.3.2017

Größe 36

Sie trug überall Größe 36
Durfte alles mit ihr machen
Nur kam sie nie mit mir
jens tuengerthal 19.3.2017

Berlinleben 024

Neue Liebe?

Es ist Sonntag und es regnet, beste Gelegenheit ins Museum zu gehen, denken viele Berliner, wenn sie sich nicht lieber über den ins Wasser gefallenen Ausflug ins Grüne klagend ärgern. Wie die Märker klagen können, wusste schon der aus Neuruppin zugereiste Berliner Fontane zu gut, vor allem zeigt sich dabei ihre Fähigkeit aus nahezu nichts ein wahres Weltwunder zu machen, sobald es sie betrifft. Die Grundsätze des alten Moltke, viel leisten und wenig dabei in Erscheinung treten, passten eher in dessen mecklenburgische Heimat, denn nach Preußen oder Berlin, auch wenn es sich mit viel soldatischem Drill seit dem in Kriegsfragen eher zurückhaltenden Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. immer gerne zeigte, nur war das wie beim Vater des Alten Fritz eher viel Lärm um Nichts.

Wenn also die alten Märker, was die Berliner ja auch mal waren, wie die Neu-Berliner nicht nur am Meckern sind, werden sie gern ins Museum gehen, auch - wieder so ein Wermutstropfen - dies die nächsten vermutlich mindestens drei Jahre dort nicht tun können, wo ich heute in meinen Erinnerung aus dem Berliner Leben flanieren will. Möchte lieber nicht darüber nachdenken, ob die Neue Nationalgalerie und ihre Sanierung ein Flughafen oder eine Elbphilharmonie werden, manches klappt ja auch hier und so schreibe ich für alle, die sich erinnern können und mehr noch für jene, die gerade nicht können, weil geschlossen.

Während die Alte Nationalgalerie mit den Impressionisten in der Ersten Etage das Licht im eigentlich dunklen Bau hat, der an antike Zeiten anknüpft, ist es bei der Neuen Nationalgalerie eher umgekehrt. Der Bau ein Traum aus Licht und einer der schönsten Klassiker der Moderne, was drinnen hängt eben die klassische Moderne, einiges nett, zu viel Expressionismus, weniger überragendes und mitreißendes als in der Sammlung Berggruen, sehe ich mal von dem grandiosen Max Ernst am Eingang ab, der mich immer wieder lachen lässt über dessen Humor und aus Freude an dem freien Genie. Am schönsten fand ich sie, als dort die Impressionisten aus dem Metropolitan in New York zu Gast waren und die hellen Räume mit ihrem Tanz ums Licht erfüllten. Das ging, wenig erstaunlich, vielen so, nie war der auffällig geniale Bau besser besucht mit Kunstfreunden aus aller Welt.

Es wird auch meist mehr über den Bau der Neuen Nationalgalerie und die dort stattfindenden Sonderausstellungen erzählt, die als kulturelle Mega-Events zelebriert werden und auch entsprechende Zahlen bringen, als über die ständige Sammlung dort, die  manche gar nicht kennen, weil sie nur zu den großen Festen dort verkehren.

Eine schlichte, filigrane Schönheit von Ludwig Mies van der Rohe, dem größten und wohl einflussreichsten deutschen Architekten des 20. Jahrhunderts, die er in den 60er Jahren bauen ließ und deren Vollendung er gerade noch ein Jahr vor seinem Tod miterleben durfte, wenn er auch bei der Einweihung schon zu krank war, konnte er doch seinen Plan realisieren und wusste darum. Eingerahmt von Philharmonie, Staatsbibliothek und Kulturforum steht die Neue Nationalgalerie unweit des Potsdamer Platzes zumindest direkt umgeben von großen Sternen der Architektur, die sogar den Potsdamer Platz in seiner immer zu gewollten Art eines Einkaufszentrums aus Castrop Rauxel oder Bielefeld ertragen lassen. Das dem Fujiyama ähnliche Dach über den Sony-Center ist zumindest ein amüsanter Hingucker an einer Stelle, an der die vielen Dörfer Berlin gerne Großstadt spielen wollen und doch ungewöhnlich durchschnittlich dabei bleiben, was die Museumsinsel zum Weltkulturerbe noch machte, mit einer Bebauung verspielen, bei der die Versiegelung des Bodens die größte Rolle scheinbar spielt und der Rest kaum der Rede wert ist. Dies Dach des Sony-Centers ist übrigens bezeichnend für die hohle fremde Formensprache dieses Areals. Seine Wirkung erhält es vor allem durch seine Beleuchtung, weniger durch die Architektur an sich, unter der sich wenig bemerkenswertes dafür desto mehr gewöhnliches verbirgt, was eher piefig und vorstädtisch anmutet, nirgendwo den Geist von Berlin trägt, der an vielen anderen Stellen noch von Freiheit und Aufbruch kündet, Dinge vorlebt, die der Rest der Republik erst Jahre später nachmacht.

Wie anders dagegen die Neue Nationalgalerie, die ich allerdings, wenn ich mit der U-Bahn kam, immer vom Potsdamer Platz aus zu Fuß erreichte, was den hier beschriebenen Kontrast zwischen Gebrauchsarchitektur, bei der jeder Aldi irgendwo im märkischen Sand mehr Charme hat, und städtebaulichen Meisterwerken auch mir halbblinden Ahnungslosen in Fragen der Architektur schlicht offenbarte. Gelegen an einer sechsspurigen Straße, eigentlich der Bundesstraße 1, die an verschiedenen Stellen der Stadt, die sie quert unterschiedliche Namen trägt - bei mir umme Ecke heißt sie Greifswalder Straße, dann ein kleines Stück verdienstvoll  Otto Braun Straße und so geht es im munteren Wechsel auf der immer gleichen Verkehrstrasse weiter, die kein Boulevard sondern ein Ort der Fortbewegung ist. Von dort geht der Besucher in den lichten oft völlig leeren Bau, durch den er die Umgebung in wechselndem Licht und mit neuer Perspektive sehen kann.

Fahre ich mit dem Rad, was ich lieber noch tue, wenn es das Wetter zulässt, komme ich von hinten, was hier nur für den Weg besonders schön ist. Aus dem grünen Tiergarten kommend, an Philharmonie und Kulturforum vorbei, lande ich vor der hohen grauen Rückwand des Skulpturengartens, den ich erst von oben wahrnehmen kann oder wenn ich ihn aus den Ausstellungsräumen betrete. Der lichte filigrane Charakter des Gebäudes entgeht denjenigen, die zuerst von unten schauen auch, sie sehen beim Ankommen zuerst hohe graue Wände, die abschirmen und nicht die Kunst der Welt eröffnen. Ein völlig falscher Eindruck, der mich die ersten mal täuschte, kam auch mit dem Auto von unten auf der Suche nach einem Parkplatz und das Kunstwerk ist eben dieser nur von leichtem Metall gerahmte Glasbau, der über der eigentlichen Galerie steht.

Die Neue Nationalgalerie ist das einzige Gebäude, das Mies van der Rohe nach dem Zweiten Weltkrieg noch in Deutschland umsetzte. Als er den Auftrag 1962 erhielt war Mies bereits 76 Jahre, zum Zeitpunkt der Vollendung also 82. Er griff dabei auf zwei vorher nicht realisierte Entwürfe, unter anderem für Bacardi in Jamaica zurück. Diese Entwürfe haben gemeinsam, dass sie von einem auf nur vier Stützen ruhenden Dach über einem völlig freien Innenraum ausgehen. Der Bau begann 1965 und wurde dann plangemäß bis 1968 vollendet, wobei die Umsetzung durch Mies Enkel Dirk  Lohan erfolgte.

Damals  war die Neue Nationalgalerie noch das erste Museum und Kulturgebäude am langsam entstehenden Kulturforum nahe dem Potsdamer Platz, der seit 1961 ja hinter der Mauer in Ostberlin lag oder der SBZ, wie es im Westen vielfach noch hieß, bevor die DDR anerkannt wurde. Das Gebäude realisierte Mies Idee vom Universalraum erstmals in einem Museum. Auf die 105 mal 110 Meter großen Granitterasse, die den leichten Abhang am Ufer des Landwehrkanals ausgleicht, wurde ein quadratischer Stahl-Glas-Pavillon aufgesetzt. Das den ganzen Bau dominierende ebenfalls quadratische Stahldach wurde als Ganzes in neun Stunden von 24 synchron gesteuerten Hebern über die acht Stahlstützen gehoben und von dort auf den vier Seiten auf je zwei Stahlstützen montiet. Der Raum darunter bildet die große völlig stützenfreie Haupthalle, die nur von zwei Versorgungskernen und zwei Treppen ins Untergeschoss strukturiert wird.

Mies lichte Lösung ist die moderne Vergegenwärtigung des antiken Podiumstempels, die  der durch Schinkel geprägten Bautradition entspricht, nur machte er das alte Preußen plötzlich durchsichtig und gab einen beliebig nutzbar großen Raum zur wechselnden Bespielung, neben den Räumen der Sammlung im quasi Untergeschoss unter der großen Granitfläche gelegen. Es ähnelt damit einerseits der Alten Nationalgalerie und ist doch andererseits als offener und frei schwebender Raum deren genaues Gegenteil.

Die Neue Nationalgalerie ist Heimat der Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin in den Bereichen Malerei, Skulptur  und Plastik. Sie reicht von der klassischen Moderne bis zur Kunst der 60er Jahre. Sie knüpft ausdrücklich an die Tradition an, die Ludwig Justi noch von 1919 bis 1937 im Kronprinzenpalais als Neue Abteilung begründete und setzt diese Sammlung fort, die von den Nationalsozialisten mit der Aktion Entartete Kunst zerstört wurde. Hier gingen auch viele Werke der Sammlung unwiederbringlich verloren, die bis heute etwa beim Blauen Reiter und anderen Gruppen eher spärlich denn repräsentativ ausgestattet ist.

Wer war dieser Architekt, von dem nun schon mehr die Rede war, als von der Kunst, die  in seinem Gebäude ausgestellt werden sollte?

Ludwig Mies van der Rohe hieß eigentlich Maria Ludwig Michael Mies und kam aus der Nähe von Aachen, wo der Vater einen Steinmetzbetrieb hatte. Er gilt bis heute als einer der bedeutendsten Architekten der Moderne und sein Ziel war es die Mittel der technischen Zivilisation architektonisch umzusetzen. Seine Baukunst drückt konstruktive Logik in klassischer Form aus. Dazu entwickelte er neue Stahlkonstruktionen, die eine hohe Variabilität bei gleichzeitig größtmöglicher Verglasung ermöglichten. Die Mauern wurden durchbrochen und das Licht sollte in die Gebäude kommen. Dieses rationale Konzept war so universal einsetzbar, dass es auf viele Architekten auf der ganzen Welt großen Einfluss ausübte, der bis heute sichtbar ist und den je technischen Innovationen entsprechend weiterentwickelt wurde.

Ob die Glashäuser den Menschen in ihnen gut taten, genug Rückzugsraum boten, wäre eine eher psychologische als ästhetische Frage, die aber eine immer größere Rolle für viele spielte, die sich wieder nach ihren Hobbit-Höhlen sehnten, den Autor dieser Zeilen eingeschlossen, der lieber im Altbau als im lichten Glaskasten noch lebt.

Berühmt wurde Mies van der Rohe, der sich nach dem Geburtsnamen seiner Mutter und dem niederländischen Namenspräfix ‘van der’ selbst seinen Namen gab, was verständlich war, denn welcher Architekt wollte schon Mies heißen oder sein, als Vertreter des Minimalismus in der Architektur, die er unter Formel “Weniger ist mehr” zusammenfasste, was zu einer nicht endenden Debatte zwischen sich für modern haltenden Minimalisten und barocken Wesen wie etwa auch dem Autor dieser nicht minimalistischen Zeilen führte, ob nicht auch mehr einfach mal wunderbar sein könne, sich daran zu freuen. Der Minimalismus ging über die Mode in alle Lebensbereich, verstärkte das Problem der Magersucht bei vielen vor allem jungen Frauen und führte in manchem auch zu einer Reduktion, die sich manch kostbarer Schätze als Zierrat entledigte, wenn etwa Jugendstil abgeschlagen wurde, um klaren Linien Raum zu geben, als sei die Linie ein Wert an sich.

Zu fragen ob das Bedürfnis nach weniger mit Mies Aufwachsen in einfachen katholischen Verhältnissen im Raum Aachen zusammenhängt, aus dem übrigens auch die neue trockengelegte Kultfigur der Sozis Schulz stammt, wäre mir zu psychoanalytisch und liegt mir als eher religiös daher völlig fern. Als Kontrapunkt zur Enge ist die Weite zumindest auch etwas Schönes - manche fühlen sich in Höhlen geborgen wohl, andere beengt und streben in die Weite - wer dabei glücklicher ist, wüsste ich nicht zu entscheiden. Auffällig ist nur mit wieviel weniger sich die Höhlenmenschen wohl fühlen können an einem Ort. Sie bewahren an ihren Ressourcen orientiert, eher was sie haben, während andere lieber ausbrechen wollen, gern in die Ferne streben, auch wenn das Gute so nahe liegt.

Habe seltsamerweise noch nie eine Höhlenbewohnerin als Partnerin gehabt oder die einzige, die es eigentlich war, lebte es als Architektin anders und blieb irgendwie unnahbar, mir ein Rätsel, bei dem ich nicht zwischen Konvention und Neigung so genau unterscheiden konnte. Aber bevor ich mich hier in solch völlig abseitigen persönlichen Betrachtungen verliere zurück zum Meisterarchitekten Ludwig Mies.

Ab seinem 13. Lebensjahr kam er in Aachen auf die Berufsschule, die heute nach ihm heißt und machte eine Maurerlehre. Seine erste Anstellung erhielt er als Zeichner von Stuckornamenten, schon im elterlichen Betrieb war sein Zeichentalent aufgefallen. Mit 17 wechselte er dann als Zeichner zu einem Aachener Architekten, wo er von einem Berliner Kollegen entdeckt wurde, der ihm riet, doch lieber nach Berlin zu kommen, wer wollte schon damals in Aachen oder in Würselen bleiben.

In Berlin begann Mies bei Bruno Paul zu arbeiten, wo er auch erste Möbel entwarf, für die er später so berühmt wurde. Nebenbei besuchte er Vorlesungen an der Kunstgewerbeschule und der Hochschule für bildende Künste in Berlin. So begegnete er dem Ehepaar Riehl, die sich ein neues Haus errichten lassen wollten und dafür nach einem Nachwuchstalent suchten. Den Zuschlag bekam Mies und baute so einen Erstling das Haus Riehl in Babelsberg, das im Reformstil der Münchner Schule errichtet wurde und das aus heutiger Sicht eher nett und konventionell aber sehr niedlich aussieht aber schöner als vieles, was heute an Glaspalästen in Fertigbauweise die Siedlungen wie Industriegebiete ohne Namen aussehen lässt. Der obige Stil war die Richtung seines damaligen Lehrers und Professors Paul, der den begabten Schüler auch vermittelte und förderte. Vor Baubeginn hatten die Bauherren Riehl, die später enge Freunde wurden, Mies noch eine sechswöchige Studienreise nach Italien ermöglicht, damit das Talent in Florenz, Rom und Vicenza sah, was im Villenbau möglich und denkbar war.

Den Garten des Riehlschen Hauses gestaltete übrigens Karls Foerster, der berühmte Gartereformer, der in der Ahornallee im Westend groß wurde und später in Bornim bei Potsdam sein Staudenreich begründete, der NSDAP-Mitglied war und später Träger verschiedener Staatspreise als Unternehmer der DDR, der aber nichts mit der Neuen Nationalgalerie zu tun hat, den ich nur erwähne, weil es gerade so gut passte und ich an einen Freund in der Ahornallee dachte, der dies lesend, lächeln könnte, mit dem und seinem Vater ich aber mehrfach die Neue Nationalgalerie besuchte und manches von den großen Kunstkennern lernte.

Über die Beziehung zu seinem Bauherren lernte der fleißige Mies später auch seine erste Frau Ada Bruhn kennen, die in der bekannten Gartenstadt Hellerau bei Dresden wohnte, welche er dadurch auch näher kennenlernte und als Ort häufiger besuchte. Wem nun der Spruch mit Sachsens Frauen und den Bäumen nur einfällt, möge bedenken, es war erst die erste Ehe, zumindest hat die Reformsiedlung den späteren Reformarchitekten nicht abgeschreckt. Vermutlich auch über Hellerau entstanden auch seine Kontakte zum Mont Verita in der Schweiz, der Wiege der Alternativbewegung der Moderne, in der sich Spinner wie Aleister Crowley mit etwas seriöseren wie Hermann Hesse und anderen teils Nackttänzern trafen, um die Welt neu zu  denken. Auch Rudolf Steiner lebte hier eine zeitlang sehr ausgelassen.

Ab 1908 wechselte der sich vielseitig bildende Mies zum Büro von Peter Behrens, der als Avantgardist galt und wo er sich an Großprojekten weiterentwickeln konnte, was wohl einer der Gründe war, warum auch Walter Gropius dort tätig war. Exkursionen zu Schinkels Bauten und eine Ausstellung über Frank Lloyd Wright hinterließen einen bleibenden Eindruck bei ihm. Es folgten dann Bauten in Zehlendorf und den Niederlanden, bei dem sie ihn seinem Chef vorzogen, warum er spätestens dann Behrens wieder verlassen musste, auch wenn aus dem großen Auftrag dann doch nichts wurde.

Wieder in Berlin heiratete er seine Freundin Ada Bruhns, die Frabrikantentochter und Tänzerin. Vor und während des Ersten Weltkrieges bekam seine Frau drei Töchter, er selbst war als Bausoldat in die Nähe von Frankfurt geschickt worden, blieb bis 1918 im Dienst, entging aber der Front. Wieder zurück in Berlin ab 1919 gerieten Mies Ehe und die deutsche Wirtschaft parallel in die Krise und er trennte sich 1921, nannte sich ab dann nach seiner Mutter Mies van der Rohe, als die Weimarer Republik eigentlich alle Titel überwunden glaubte.

Nach dem Weltkrieg begann mit der Absetzung des geschmacklosen Kaisers Wilhelm endlich der Aufbruch in die Moderne, dem sich auch Mies stellte. In den folgenden Jahren entwickelte er die ersten Hochhäuser mit seiner Haut-Knochen-Architektur, die ein Stahlgerüst mit einer Glashülle versahen. Mies nahm intensiv an den Debatten in Zeitungen der Architektur teil, favorisierte die Neue Sachlichkeit, ohne sich jedoch einer Gruppe klar zuzuordnen. Ab 1923 baute er die ersten Häuser in der neuen Formensprache. Von 1923 bis 1926 war Mies Mitglied im Bund Deutscher Architekten, BDA, den er nach Auseinandersetzungen über Konventionen wieder verließ. Dafür arbeitete er seit 1925 verstärkt im Deutschen Werkbund, DWB, mit denen er etwa die Weißenhofsiedlung am Stuttgarter Killesberg realisierte, die heute zum UNESCO Weltkulturerbe gehören. Darüber kam Mies wiederum in Kontakt mit Le Corbusier, mit dem er später regen Austausch pflegte, Zugleich lernte er bei einer Ausstellung zur Inneneinrichtung in Stuttgart seine zweite Frau Lilly Reich kennen, die diese Ausstellung als Innenarchitektin leitete.

Aufgrund ihres großen Erfolges wurden Mies und Reich mit der Errichtung des Pavillons auf der Weltausstellung in Barcelona 1929 beauftragt. Dieser fast völlig zweckfreie Repräsentationsbau wurde zur Hauptattraktion der Weltausstellung überhaupt und eröffnete eine ganz neue Debatte, die zeigte, dieser Bau war einer der wichtigsten der modernen Architektur überhaupt und veränderte den Blick auf das Bauen völlig. Mit Bauten leben wir täglich und viel was Mies vordachte, so seltsam es uns heute auch manchmal scheint, wurde lange Zeit zum Maßstab, aus dem sich die Postmoderne noch ohne ein Konzept erst mühsam befreien muss und darum so oft nur unklar herumeiert zwischen kitschigem Historismus wie in Dresden und gesichtsloser Moderne hinter Glaskästen.

Weltkulturerbe wurde auch Mies Haus Tugendhat in Brünn, das 1930 fertiggestellt wurde und indem er wieder die Innenarchitektur gemeinsam mit Lilly Reich schuf. Für Weißensee, Barcelona und Tugendhat entwarf Mies auch eine Reihe von Möbeln, die selbst zu Klassikern der Moderne wurden, etwa die Freischwinger, die Barcelona Sessel, der Brünn-Stuhl und der Tugendhat-Sessel oder die Palisanderliege mit der Nackenrolle, dabei immer auch von Lilly Reich beraten.

Nach der Unsicherheit der Weltwirtschaftskrise von 1929 nahm Mies den Ruf zum Direktor des Bauhauses in Dessau an. So wurde der von Gropius errichtete Bau, der zu DDR Zeiten durch Vorziehung der Fußböden an die Glasfront aus Sicherheitsgründen zum Treibhaus totsaniert wurde, für kurze Zeit seine Wirkungsstätte bis ihn 1932 die Mehrheit der Nazis im Gemeinderat von Dessau wieder absetzte und das Bauhaus aus politischen Gründen schloss. Er versuchte das Dessauer Bauhaus dann noch als Privat Hochschule in Berlin weiterzuführen, was jedoch nach der Machtübernahme der NSDAP spätestens scheiterte. Mies passte sich zunächst dem neuen System an und unterstützte Hitler formal. Jedoch drängten ihn die Nazis bald aus der Preußischen Akademie der Künste.

Spätestens ab 1936 erhielt er Angebote aus Harvard und Chicago, mit denen er 1937 letztlich einig wurde. Damit siedelte er 1938 in die USA über und wurde 1944 auch amerikanischer Staatsbürger. Am Armour Institut wurde Mies Lehrer und arbeitete nebenbei in seinemm Architekturbüro. Ab 1946 lernte Mies noch den Projektentwickler Greenwald kennen mit dem er bis 1969 allein sechs Wohnhochhausanlagen realisierte, neben den anderen öffentlichen und sonstigen Aufträgen. Mit 83 Jahren verstarb der Architekt und Bauhausmeister hochbetagt und hatte mit seinem Enkel auch einen Nachfolger in seinem Büro.

Der Gang in die Neue Nationalgalerie, die gefühlt im Keller unter der riesigen Granitfläche liegt, als ginge es in ein Grab, ist zugleich erstaunlich und erhebend. Öffnen sich doch neben den relativ kleinen Welten der Ausstellungsfläche im Untergeschoss, zumindest im Verhältnis zur sonstigen Fläche geradezu winzig und doch für die bescheidene Sammlung der klassischen Moderne genau richtig groß, ganz neue Welten, wenn der Besucher sich plötzlich wieder zu ebener Erde sieht, sich die großen Glaswände hin zum Skulpturengarten öffnen und offenbaren wie licht auch dies vermeintliche Untergeschoss ist, über dem der sichtbarste Teil der berühmten Neuen Nationalgalerie schwebt.

Es gäbe noch manche Geschichte zu einzelnen Bildern zu erzählen, gerade dem großartigen Max Ernst zur Begrüßung, doch im Verhältnis zu dieser großartigen Architektur verblassen viele Werke dieser etwas schwachbrüstigen Moderne. Anders wirken die Räume bei großen Ausstellungen, die verzauberten Welten von Klee oder so schön wie nie als die schönsten Franzosen aus New York nach Berlin kamen und das impressionistische Licht in diesen Klassiker der Moderne trugen, neben dem die meiste Kunst blass wird. Vielleicht könnten noch die Alten Meister der Gemäldegalerie dort glänzen, weil zeitlos schön, aber die Zeitgenossen des Architekten wirken kaum, zumal es nicht die großen Werke der Sammlung Berggruen sind, auch bedingt durch die Verluste nach der Aktion gegen die entartete Kunst ab 1933 von den unkultivierten Nazi-Idioten, die ihren beschränkten Horizont in alle Bereiche Deutschlands ausdehnten.

Ein großer Bau für grandiose Wechselausstellungen, der zur Zeit wegen Sanierung für Jahre geschlossen ist, sollte in manchem neu nachdenken lassen über die festgefahrenen Konzepte um das Kulturforum und die Museumsinsel, denn aus beiden Standorten ließ sich in harmonischer Nähe mehr machen. Ob die nur mittelklassige Sammlung der klassischen Moderne diakektisch in einem älteren Bau besser wirkte, während es für große Bilder egal ist, wo sie hängen, sollte gut überlegt werden, statt sich zu schnell, zu eng, zu fest zu legen - mit diesem Gebäude des großen Ludwig Mies van der Rohe hat Berlin einen riesigen Schatz, es sollte ihn nur angemessener nutzen als beiden mit der nur mäßigen Sammlung seiner Zeitgenossen keinen Gefallen zu tun. Lieber mehr gewagte Dialektik oder mehr mutige Sonderausstellungen dort und dafür mehr moderne Klassiker ins Kulturforum. Wagen wir die Dinge in der Kunst neu zu denken behält sie ihre Spannung und belebt die Gesellschaft nachhaltiger als sie es bisher konnte.
jens tuengerthal 19.3.2017

Samstag, 18. März 2017

Barerotik

An der Bar herrscht Erotik
Sie erwärmt sich an Eiswürfeln
Blick zwischen Strohhalmen
jens tuengerthal 18.3.2017

Sehnsuche

Sehnsucht sucht Erfüllung
Macht Liebe erst tief fühlbar
Gefunden verliert sie sich
jens tuengerthal 18.3.2017

Liebestraum

Die Liebe ist ein Traum
Kaum wird sie mal Realität
Bleibt wenig davon je
jens tuengerthal 18.3.2017