Samstag, 18. März 2017

Berlinleben 023

Alte Liebe

Zwischen Sonne und Wolken im Hinterhof, den zwischenzeitlich Schauer völlig verdunkeln, wird der Frühling spürbar. Das Licht kehrt zurück in die große Stadt und ihre vielen Höfe, scheint auch wieder einige Stunden hell in meine Küche im 3. Stock, zeigt mir wie dringend, wenn mal einen Tag am Stück die Sonne scheint, meine Scheiben nun geputzt werden müssen und weckt verborgene Frühlingsgefühle auch im Mann in Schwarz, der bei seinem Tee sitzt und sich am Licht freut.

Eine lange Zeit von November bis März ist Berlin vielfach grau und die gute Beleuchtung innen wird immer wichtiger, um die dunkle Zeit hier zu überstehen - dabei gibt es einen Ort in der Stadt an dem man das ganze Jahr, außer Montags, im Licht baden kann. Dem Glück das die französischen und deutschen Impressionisten in der Natur entdeckten, in die sie sich zum Malen begaben. Ein Ort der Ruhe und Einkehr, der zugleich voller Lust und Sehnsucht die Lebenskräfte in uns weckt, wenn wir nur als Betrachter geruhsam durch die Räume schleichen.

Natürlich gibt es dort nicht nur Impressionisten sondern die ganze Kunst des 19. Jahrhunderts von dunkler deutscher Romantik, die gern im Kitsch fast schmierig erstickt und doch handwerklich meisterhaft ist, bis zu ersten Versuchen des Expressionismus, die nicht alle der Schönheit förderlich waren, selten in dieser Richtung überhaupt, warum sie hier eher vernachlässigt seien und dann gibt es den Realismus eines Menzel, der Berlin malte oder auch mal nicht malte, wo er sich über den König ärgerte und auch diese Spuren uns sichtbar erhielt. Den antikisierenden Marmor von Schadow und anderen voller Gefühl behauen und poliert - Friederike und Luise zur Begrüßung, preußischstes Prinzessinnendoppel vom einst obotritischen Stamm der Mecklenburger, die in Darmstadt zu Damen wurden, vom frommen Witwer einst als zu erotisch versteckt, stehen sie für das preußische Arkardien, dass jene vergaßen, die es aus rein politischem Entsetzen über den völlig unpreußischen Österreicher einst auflösten als Alliierte mit dem ersten Kontrollratsbeschluss, was aber wieder eine andere Geschichte wäre.

Dieser Ort ist die Alte Nationalgalerie, auf der Museumsinsel gelegen, Teil des Weltkulturerbes, Nachbarin des Neuen Museums, ein Tempel der Kunst nach antikem Vorbild, ähnelt dem für Friedrich den Großen noch einst monumental angedachten Denkmal von Form und Konzept und passt doch als Musentempel viel besser zu diesem vielseitig begabten Genie, der sich eine solche Kultstätte zu Lebzeiten gewisse verbeten hätte, lieber in Ruhe neben seinen Hunden auf dem Weinberg ohne Sorgen liegen wollte.

Zwischen 1867 und 1876 wurde das Gebäude von Stüler geplant und von Strack vollendet. Es steht stilistisch zwischen dem ausgehenden Spätklassizismus  und der beginnenden Neorenaissance, zwei Zeiten also, die sich lieber auf das antike Erbe und seine Schönheit noch besannen als die Welt zweifelhaft neu erfinden zu wollen. Das Äußere des Museums blieb bis heute so erhalten wie von Stüler geplant, dafür kam es im Inneren zu zahlreichen Umbauten und Anpassungen.

Das Gebäude selbst vereinigt in sich architektonische Merkmale ganz verschiedener Gebäudetypen. So sind die Giebelfassade und die umlaufenden Halbsäulen dem Vorbild antiker Tempel entlehnt. Die monumentalen Treppen dagegen einem Schloss oder Theater und die angehängte halbrunde Apsis kommt aus der Kirchenbaukunst. Früher konnte die Nationalgalerie ebenerdig durch die Kutschendurchfahrt erreicht werden, dem heute noch Eingang nur ohne Kutschen oder die große Freitreppe auf der sich das riesige bronzene Reiterstandbild von Friedrich Wilhelm IV. befindet, der das Museum mit plante und entwarf, dass dann sein Bruder Wilhelm I. eröffnen sollte - beide übrigens waren Söhne der Kultfigur Königin Louise, die wenig tun musste, ewig verehrt zu werden, auch weil es keine andere dazu gab.

Zu diesem Denkmal mit ihren irgendwie künstlerischen Sockelfiguren habe ich nicht viel zu sagen. Sind halt da, stören meist nicht zu sehr, die wunderbar lichte Kunst innen entschädigt auch für diesen kurzen Anblick preußischer Staatskunst ohne höheren ästhetischen Wert.

Fassade und Treppen bestehen übrigens aus Nebraer Sandstein, der dem Trias entstammt. Dagegen sind die Kolonnaden aus schlesischem Sandstein und Elbsandstein gefertigt worden, die beide aus der deutlich jüngeren Kreidezeit stammen.

Den antiken Tempel als Denkmal für Friedrich den Großen an dieser Stelle hatte der Lehrer Schinkels mit Namen Gilly schon geplant. Eine Art Akropolis im märkischen Sand. Schinkel und er träumten davon Berlin durch verschiedene tempelartige Bauten nach antikem Vorbild zu verschönern, die fehlende tatsächliche Geschichte durch die nachgebaute zu ersetzen. Friedrich Wilhelm IV. wiederum, der Architekturschüler und Gesprächspartner Schinkels fertigte einige Zeichungen an, die zur Grundlage des Entwurfs von Stüler wurden.

Verschiedene Ideen und Pläne für eine nationale Galerie gab es schon Anfang des 19. Jahrhunderts, die jedoch erfolgreich versandeten, wie so vieles in Berlin bis heute. Als dan 1861 schließlich der Bankier Wagener verstarb und dem König seine umfangreiche Gemäldesammlung mit dem Wunsch schenkte, die Sammlung solle ungetrennt behalten werden und in Berlin ausgestellt werden, wurde es Zeit für konkrete Planungen. Die Sammlung wurde der Grundstock der späteren Nationalgalerie.

Nun ließ Wilhelm I. den Schüler Schinkels Stüler an den Plänen für die neue Galerie arbeiten und stellte die Bilder bis dahin in der Akademie der Künste in Unter den Linden aus. Bis zu seinem Tod im Jahre 1865 entwickelte Stüler nun den Plan der künftigen Galerie, der kurz vorher noch in der dritten Version schließlich genehmigt und dann von seinem Schüler Busse gemeinsam mit Strack vollendet wurde, den sozusagen Schinkel Enkeln. Stüler und später Strack achteten bei ihrer Planung sehr genau auf viele feine Details wie etwa die Verteilung von Licht und deren Wirkung am Gebäude. Die Detailfreude zeigte sich auch bei den von Etage zu Etage variierenden Türen, die alle gesondert gefertigt wurden und zeigten, es wurden keine Mühen für die Kunst der Nation gescheut.

Die schließlich Eröffnung des Gebäudes fand am 22. März 1876 im Beisein des Kaisers statt - es nähert sich also bald wieder ein Geburtstag, der jeden Licht suchenden Berliner zum Besuch verführen wollte. Das Gebäude galt als besonders feuersicher und die neue Dachverglasung in der so nahezu von außen unsichtbaren dritten Etage zeigte den höchsten Stand der damaligen Technik im Bau.

Gründungsdirektor der Nationalgalerie war ab 1874 Max Jordan, der noch eine relativ bescheidene Sammlung zu verwalten hatte. die hauptsächlich aus den 262 Gemälden der Sammlung Wagener bestand. Der Auftrag der Galerie war nun moderne und zunächst hauptsächlich preußische Kunst zu sammeln, da Berlin noch kein Museum für zeitgenössische Kunst besaß. Ab 1896 übernahm dan Hugo von Tschudi das Amt des Museumsdirektors von Jordan. Dieser erwarb und schätzte auch Impressionisten, auch wenn er damit den Konflikt mit dem Kaiser riskierte, der sich auf deutsche Kunst in der Nationalgalerie, nomen est omen, beschränken wollte, dem modernen Zeugs eher abgeneigt war und wir sehen ja immer noch die grausamen Spuren des Geschmacks von Wilhem II. in der entstellten Stadt und ihres abrisswürdigen Berliner Doms.

Die Impressionisten kamen und blieben, bilden heute den größten Schatz und der große Berliner Impressionist Liebermann wurde von Tschudi noch besonders gefördert und gewürdigt. Sein Nachfolger Ludwig Justi ab 1909 wandte sich dann sogar den Expressionisten zu, die Liebermann und ich ja weniger schätzten. Nach der Novemberrevolution von 1918 stellte Justi dann die moderne Kunst im Kronprinzenpalais Unter den Linden aus.

Die Nazis setzten den umtriebigen Justi ab und schickten dafür bis 1937 Eberhard Hanfstaengl auf den Posten, der weitere Umbauten plante. Sein Nachfolger wollte noch weiter planen und bewegte weniger in der Zeit, die ihm bis 1950 blieb, war das Museum doch ab 1939 kriegsbedingt für zehn Jahre geschlossen. Ab 1949 wurden erste Schauräume wieder geöffnet. Die Wiederherstellung zog sich nach kriegsbedingten Schäden bis 1955 hin.

Während Berlin und Deutschland geteilt waren, wurde auch die Sammlung der Nationalgalerie aufgeteilt und hing zu ihrem einen Teil in Schloss Charlottenburg und zum in der SBZ verbliebenen Teil im Gebäude der Nationalgalerie. Dabei wurde auch zeigenössische Kunst der DDR, was deren Führung eben so dafür hielt, ausgestellt, an der besonders ihre Nähe zum Stalinismus und künstlerisch zum Nationalsozialismus interessant ist.

Nach der Wiedervereinigung, ob nun mit Mantel der Geschichte oder nicht, wurden die Sammlungen wieder zusammengeführt und hängen nun gemeinsam auf der Insel, dem schönsten Weltkulturerbe Berlins. Ab 1992 wurden die notwendigen Sanierungsarbeiten am Gebäude vorgenommen, die von der DDR Führung nur seit 1980 zentral geplant wurde, ohne etwas zu tun. Neben einem neu gestalteten Eingangsbereich wurden dann auch zwei eigene Säle für Caspar David Friedrich und die Gemälde Schinkels vorgesehen.  Von 1998 bis 2001 war das Museum wegen der dringend nötigen Arbeiten dann geschlossen.

Wer das Museum über die sehr mondäne Marmortreppe hinter dem fast bescheiden wirkenden Eingang in der Kutschdurchfahrt betreten hat, sieht gleich nach dem ersten Aufstieg schon Louise und Friederike vor sich, muss nur dann leider noch nach rechts abbiegen, um die nötigen Eintrittskarten zu erwerben, außer er besitzt den wunderbaren Luxus einer Jahreskarte, die nur eingescannt sofortigen Zutritt zu den Skulpturen im quasi Vorraum der Gemäldesammlung auf dieser Etage, dem Hochparterre der Nationalgalerie, in dem verschiedene Wege des Realismus gezeigt werden, von Schadows Figuren über Menzels ach so preußische Bilder und Courbets Gemälde ohne den Ursprung der Welt, hin zu Constables Wolken, in denen sich auch weniger romantische Gemüter als der Autor dieser Zeilen schnell im Nichts der Sehnsucht verlieren können. Ein wunderbarer Auftakt, bevor es eine Etage höher ins Bad geht. Ganz berühmt dort sind auch das Flötenkonzert Friedrichs des Großen und das Eisenwalzwerk Menzels, es gibt andere dieses Berliner Meisters, die ich vorzöge ohne dieses darum gering schätzen zu wollen.

In der zweiten Etage werden die schönsten Räume des Impressionismus von den teilweise geschmacklich mehr als grenzwertigen Werken der Romantik und des Realismus umgeben. Kann sich der Besucher ansehen, ist nötig für einen vollständigen Überblick, wenn auch vom Erlebniswert als Betrachter nicht wesentlich weiterführend meist als ein Wimmelbuch, ein Stück Kunstgeschichte halt. Dagegen ist das Bad im Licht des Impressionismus ein Moment tiefen Glücks, der einen die Wärme Frankreichs oder auch Berlins bei Liebermann spüren lässt. Es sind diese Bilder eine sinnliche Erfahrung, nicht nur durch das Betrachten der Betrachter, die so oft glückselig versunken dort stehen, als hätten sie gerade einen Orgasmus hinter sich, noch mehr in der anziehenden Wirkung des Lichts und der Farben - bei Monet, Manet, Renoir, Cezanne, Degas und immer wieder auch Liebermann. Damit werden auch die Spitzwegs, Feuerbachs und Böcklins erträglich, schön muss sie ja keiner mehr finden, nett sind sie oft und von der Sonne des Impressionismus aufgetankt, kann ich immer wieder über sie lächeln. Es war eben auch der Geist der Zeit.

Das dritte Ausstellungsgeschoss am oberen Ende unter dem Glasdach zeigt Werke der Goethezeit und der Romantik, einige sehr schöne Werke von Caspar David Friedrich, wie sein genialer Mönch am Meer, der Turner vorwegnimmt oder auch manches kitschiges aber sehr preußisch exaktes Gemälde von Schinkel. Die Nazarener bemühe ich mich in härtester Konsequenz zu ignorieren. Diese nach Rom abgetriebenen religiösen Eiferer und ihre peinliche Kunstform, die nur nachahmen wollte und nie etwas eigenes außer geistlos und eben religiös wurde. Sehenswert noch das von Schadow geschaffene Grabmal für den Grafen Alexander von der Mark, den unehelichen Sohn Friedrich Wilhelms II., des Dicken und der Encke, die er zur Gräfin Lichtenau erleuchten ließ.

Die erfolgreichste Schau, die je in der Alten Nationalgalerie gezeigt wurde, war die Ausstellung Impressionismus - Expressionismus Kunstwende mit 245.694 Besuchern, bei denen ich zu den allerletzten 10 Besuchern zählte und mich wieder wunderbar bestätigt sah in meiner tiefen Liebe zum Impressionismus, während ich den Expressionismus eher für einen Schrei nach Hilfe und Harmonie halte, der mehr Mitleid als Begeisterung erregen kann und diese Sicht mit Liebermann teile, aber die Deutschen haben diese auch typisch deutsche Kunst für wichtig erklärt und so wurde sie eben auch dort gefeiert. Es gab auch ganz nette und bedeutend wichtige Werke dieser Gattung, die sonst eher unter der Neuen Nationalgalerie, dem Mies van der Rohe Bau im alten Westen, zuhause sind.

Wer durch alle drei Etagen gewandelt ist und erschöpft von Eindrücken wieder im Erdgeschoss anlangt, dem sei dringend der Besuch im Museumsshop im Untergeschoss angeraten, nicht nur der dort gelegenen Örtlichkeiten wegen, so etwas kann ja sehr entspannen, sondern vielmehr, um in einem immer gut preußisch und künstlerisch bestückten Buchladen zu stöbern, dort in den kleinen Erkern und Ecken hervorragenden Tee oder Kuchen zu genießen, auch der Kaffee, habe ich mir sagen lassen, sei mehr als gut, einer der besten in Berliner Museen überhaupt und so bildet die mindestens halbe Stunde am Ende dort stöbernd und genießend für mich den sinnlich schönsten Abschluss eines Gangs durch die Alte Nationalgalerie - selten nur schaffe ich es mit ganz leeren Händen von dort zu gehen, wenn ich noch wie im Rausch in die Kunst verliebt dort unten ankomme und mit vollem Herzen denke, was war das wieder schön.
jens tuengerthal 18.3.2017

Rieslinglust

Golden schimmert es im Glas
Sauer frisch perlt er auf der Zunge
Wie schön scheint die Welt durch ihn
jens tuengerthal 17.3.2017

Freitag, 17. März 2017

Reine Lust

Die reine Lust sucht Erfüllung
Sie findet sie wohl ganz für sich
Und wird erst geteilt Höhepunkt
jens tuengerthal 17.3.2017

Berlinleben 022

Sozi oder Bürger

In meiner Familie galt es als verpönt in eine Partei einzutreten. Die Vorfahren waren kaisertreu und gegen Hitler, der Großvater väterlicherseits wurde nach dem 20. Juli 1944 degradiert, weil er auf den Listen von Goerdeler stand, ein Nazi war er nie, die fand er peinlich, wie seinen Bruder den Pastor, der bei denen Karriere machte und die Urgroßeltern mütterlicherseits hatten im Krieg angeblich ein jüdisches Ehepaar versteckt, der andere Urgroßvater mütterlicherseits, den ich noch kennenlernte, wenn er wie der alte dicke Churchill mit seiner Zigarre im Sessel saß und mit seinen Schildkröten spielte, saß damals einen Tag im Knast, weil er seinen jüdischen Bankier freundlich auf der Straße grüßte, als ihn die SA abführte, war für ihn eine Ehrensache und nur seine Belegschaft hat ihn angeblich wieder aus der Haft gebrüllt. So jedenfalls die Gerüchte der Großmutter. Früher waren sie Nachbarn von Hindenburgs in Hannover gewesen und ähnliche Geschichten mehr bekam ich als Kind zu hören. Sie spielte mit Prinz Louis Ferdinand vierhändig Klavier und mit ihm und Prinzessin Kira zusammen Bridge, kannte die Queen noch als kleines Mädchen aus dem Nachbargarten in London. Wusste zwar nie so genau, wo bei meiner Großmutter die Phantasie anfing und wann sie mit ihr durchging. Auch die Geschichte, als sie mit ihrer besten Freundin als Schulmädchen am traditionellen Bremer Mädchengymnasium Kippenberg zum 1. Mai die schwarz-rot-goldene Fahne einzog und die kaiserliche schwarz-weiß-rote raushängte, erzählte sie immer wieder gern. Sie waren Deutschnational aber nie Nazis oder Sozen. Ähnlich der Großvater väterlicherseits, dessen Kontakte zum Widerstand aus seiner Zeit als Kadett in Lichterfelde resultieren. Er gab sich preußisch und frei. Historisch taugliche Belege für ihre Opposition habe ich nie gesucht, mir privat genügte die erklärte Haltung.

Doch hätten meine Großeltern wohl im Grab rotiert, wenn sie gehört hätten, dass ihr Enkel ein Soze geworden ist. Zum Glück ist niemand mehr nach dem Tod, erfährt nichts je dann und kann einem also egal sein eigentlich, wäre da nicht auch die Ehre der Familie, deren Name ich trage und die für gute Bildungsbürgerlichkeit steht aber nie für linke Opposition, noch leider als große Freiheitskämpfer bekannt wurden. Einmal erzählte mein Großvater mir, ein Vorfahre in Gotha oder irgendwo da hätte das von abgelegt zur Zeit der Revolution von 1848 - habe das eine zeitlang stolz geglaubt, bis ich in den Gotha schaute, das Lexikon des deutschen Adels, in dem keine Spur davon zu finden war. Zumindest aber bezogen sich Teile der Familie wie mein Großvater väterlicherseits, der später Diplomat in Paris und Brüssel für die NATO war und meine Großmutter mütterlicherseits gern auf die großbürgerlichen Vorfahren und die hohen Freunde, wuchs ich in manchem ähnlich auf, wie es noch in den Buddenbrooks geschildert wird, wenn auch um über hundert Jahre in der Zeit versetzt.

Mit den Buddenbrooks hatte ich mich schon beim ersten Lesen identifiziert und wie nah waren sie mir jedesmal an Weihnachten, was wir ganz ähnlich lange zelebrierten. Die Stelle an der Konsul Buddenbrook teilweise auf plattdeutsch zu den aufgeregten Arbeitern sprach und diese Darstellung der Revolution war mir sehr nah. Im Leistungskurs Geschichte noch, stritt ich mich gern mit meinem Lehrer einem überzeugten linken Sozi, der nach 1968 auf den Spuren von Brandt in die Partei eintrat. Da vertrat ich die bürgerlich liberale Position, wie ich sie aus der FAZ, die es bei uns zuhause natürlich gab, kannte.

Kurz gesagt, alles sprach dagegen, dass ausgerechnet ich in die als links geltende Berliner SPD eintrat und dennoch tat ich es, als ich irgendwann als junger Vater, nach verschiedenem mehr oder weniger missglückten Engagement in der Führung der Kinderläden meiner Tochter meinte, mich sozial mehr engagieren zu müssen, in der Stadt, in der meine Tochter aufwuchs, heimisch werden wollte und mir ganz nebenbei noch einen Job erhoffte, die doch so häufig gern im politischen Kontext in Berlin vergeben wurden, wie ich oft hörte.

Warum dann ausgerechnet die SPD, warum nicht die Grünen oder die FDP, vielleicht die CDU?

Die CDU kam für mich als Atheisten nicht infrage, unter Kohl groß geworden war der Verein für mich untragbar und eine Partei mit C kam ohnehin nicht infrage für einen, der sich für Laizismus in Europa einsetzte. Die FDP wurde damals noch von Westerwelle geführt und mehr muss dazu wohl nicht gesagt werden, war peinlich, trat für noch mehr Liberalisierung ein als die Regierung Schröder/Fischer, die ich eigentlich gut fand. Die Grünen wollte ich nicht, auch wenn ich viele wie Joschka noch aus alten Frankfurter Zeiten kannte, von den Demos gegen die Startbahnwest und ähnlichen populistischen Veranstaltungen meiner Jugend voller Überzeugungen, zu denen du als normaler Jugendlicher im Rhein-Main-Gebiet, ich lebte ja als Kind in Schwanheim und später in Bad Vilbel, einfach gingst, ich eine zeitlang sogar bei Greenpeace engagiert war, weil sie mir zu religiös im ökologischen Sinne waren. Sie waren mir in ganz vielem sympathisch aber schienen mir auch eine ganzheitliche Glaubensgemeinschaft zu sein und vor so etwas lief ich schon immer lieber weg.

Wohnte damals umme Ecke vom Kollwitzplatz und Wolfgang Thierse, damals Bundestagspräsident, wohnte quasi über den Friedhof in meinem Rücken, wir kannten uns vom Sehen auf dem Markt - oder besser ich hatte ihn gesehen und erkannt, er mich vermutlich bis dahin nie wahrgenommen. Aber dieser Mann aus der DDR Opposition gefiel mir, dachte er wäre auch so ein evangelischer Pastor, welch Irrtum, er war katholisch. Er war der Grund warum ich online in die SPD eintrat und so schließlich zu einer Veranstaltung meiner Abteilung, wie die Ortsvereine in Berlin heißen, auf einem Spielplatz in der Nähe kam, zu der auch Thierse erwartet wurde.

Ahnte noch nicht, welche Kämpfe in Parteien unter der Oberfläche gären, wie viele sich benachteiligt fühlen und darum immer allen potentiellen Gegnern auflauern, es nichts dringenderes gibt, als sich unter Parteifreunden öffentlich zu schädigen, Misstrauen die sicherste innerparteiliche Währung ist. Fand es freundlich wie Thierse den neuen jungen Vorsitzenden begrüßte und erfuhr erst viel später, dass er zuvor alles getan hatte, was ihm möglich war, dessen Wahl im Bezirk Pankow zu verhindern und also zeigte sich, egal wie hoch einer in der Hierarchie der Partei sitzt, gibt es doch immer noch viele, die alles tun werden, ihm Grenzen aufzuzeigen. War das nun basisdemokratisch schön oder widerlicher Trotz, fragte ich mich?

Dafür lernte ich bald meinen späteren Freund M kennen, der mit Thierse offensichtlich befreundet war, wie dieser ein irgendwie Eingeborener des Prenzlauer Berg war, nur bei ihm tatsächlich, Thierse war ja erst nach der Flucht aus Schlesien über Thüringen später auf dem Berg angekommen, während M tatsächlich hier geboren und mit Blick auf die Mauer aufgewachsen war. Ein waschechter Ostberliner also. Als Kind aus Künstlerkreisen, selbst ein hochbegabter Zeichner hatte er viel für die Sozialdemokratie in Prenzlauer Berg getan in den letzten Jahren, mehr als die allermeisten der Zugereisten und blieb doch immer ein oppositioneller und Preuße in vielem dabei, schätzte den großen Otto Braun. Beide waren wir historisch interessiert, tranken gern guten Wein, er war sogar Mitgründer des besten Weinrestaurants hier am Berg. Es war ein günstiges Zusammentreffen, bei dem die Partei nicht störte und das sich vielfältig gut ergänzte.

Im Grunde ist es M zu verdanken, dass ich dann doch trotz steigendem inneren Widerwillen viele Jahre in der Partei blieb und mich wie er in der Kulturpolitik mit engagierte, in der er für den Bezirk an ganz vielen Fronten vorbildliche Arbeit leistete. Dass diese Partei nicht ihn irgendwann in den Bundestag oder ins Abgeordnetenhaus schickte, ist für mich das beste Zeichen einer fortgesetzten Vetternwirtschaft des Klientels der Flügel einer Partei, die sich intern bekämpfen und deren Methoden mit Stasi Gewohnheiten zu vergleichen, mir teilweise nicht zu hart erscheint, warum ich irgendwann doch unhaltbar die Flucht ergriff, es blieb mir diese Arbeiterpartei, die sich manchmal gerne sozialistisch nennt und dann auch Genosse der Bosse sein will, innerlich immer fremd.

Der Fairness halber sei aber klar gesagt, es gibt in dieser Partei, wie vermutlich in allen, bei denen ich es sonst nicht so gut beurteilen kann, sehr viele unheimlich engagierte Leute, die zum großen Teil ehrenamtlich mehr für ihre Umgebung tun, als diese ahnt. Nehme ich etwa den jetzigen Bundestagskandidaten für Pankow, der Wolfgang Thierse nachfolgte, Klaus Mindrup, mit dem ich auch Nächte plaudernd auf meinem Balkon noch verbrachte,  als es ihm gerade nicht so gut ging, kann ich sagen, ein menschlich 100% zuverlässiger Typ, der sich konsequent für das engagiert, an was er glaubt. Er steht für das, was er sagt und ich halte ihnen für einen absolut integren Mann, dennoch blieben mir seine linke Überzeugungen immer fremd und hätten mir schon früher zeigen können, dass ich vermutlich in der falschen Partei oder genauer eigentlich in einer Partei überhaupt immer falsch war. Betrachte ich, wie er sein Bundestagsmandat gegen Thierse erkämpfte, zeigte sich mir schon, dies war nicht mein Verein und genau daran wollte ich nie teilnehmen, die Notwendigkeiten der Parteipolitik und ihrer Seilschaften blieben mir fremd.

So zeigte sich in vielem in der Parteipolitik  großes auch soziales Engagement auf der einen Seite - was der Bezirk auch Klaus Mindrups Engagement und seiner jahrelangen Arbeit hier verdankt, ist sehr viel, aber im Detail zu langweilig als Geschichte erzählt zu werden. Wie überhaupt Politik immer viel Kleinarbeit ist und das Ringen um Kompromisse auf sehr formalen Weg, bei dem sich wohl in jeder Partei auch die Gräben persönlichen Interesses immer wieder öffnen, die dann zu kleinen oder größeren Intrigen beim Kampf um die Macht führen.

So war ich ein Sozi geworden und fühlte mich nie als ein solcher, wollte es nie sein, sondern blieb ein eher konservativer, realpolitischer Demokrat, der aus pragmatischen Gründen eben in der SPD war, in der er sich so wenig zuhause fühlte, wie es mir vermutlich in den meisten Parteien gegangen wäre, was ich mir zu probieren nun erspare. Die Demokratie braucht zur Meinungsbildung wohl Parteien und ich wüsste auch kein besseres System als die parlamentarische Demokratie, um ein Gemeinwesen vernünftig zu regieren, weil die Fähigkeit der großen Gruppe, ihre Kräfte zu bündeln und die besten an die Spitze zu  wählen, eben noch die größte Garantie gibt, dass sich ein optimales Ergebnis ergibt. Nur ich bin eben nicht parteikompatibel.

Die SPD ist eine Wiedergründung aus dem Jahre 1945 nach dem Zweiten Weltkrieg. Seit ihrem Godesberger Programm von 1959 bezeichnet sie sich als linke Volkspartei. Als erste Vorläufer der Partei gelten der von Ferdinand Lassalle 1863 gegründete Allgemeine Deutsche Arbeiterverein sowie die 1869 gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei, die sich 1875 dann zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands zusammenschlossen. Ihren heutigen Namen gab sich die Partei 1890 nach Außerkrafttreten des bismarckschen Sozialistengesetzes und wird darum oft als die älteste Partei des Landes bezeichnet, was sie aber tatsächlich nicht waren, eine liberale Organisation kam ihnen zuvor. Auf dem Parteitag in Erfurt 1891 nachm sie das gleichnamige Programm an, in dem die von Kautsky und Bernstein entworfenen Leitlinien sich wieder stärker dem Marxismus annäherten. Die frühe SPD stand den Gewerkschaften nahe und war noch am revolutionären Marxismus ausgerichtet.

Spätestens nach dem Ende des Ersten Weltkrieges setzte sich dabei Bernsteins Revisionismustheorie gegen die mehrheitlich revolutionäre Parteibasis durch, nach der die angestrebte sozialistische Umwandlung der Gesellschaft durch Reformen nach der Erringung der demokratischen Mach in Wahlen erreicht werden sollte. Eine weitere wichtige Diskussion zu dieser Zeit war die Massenstreikdebatte insbesondere nach der russischen Revolution von 1905. Die Debatte wurde 1906 mit dem Einknicken vor den Gewerkschaften im Mannheimer Abkommen beendet. Durch die Verfolgung unter Bismarck entwickelte die Partei eine hohe Effizienz in ihrer Organisation. Nach dem Tod Bebels 1913, der noch als Vermittler zwischen dem revolutionären und dem reformistischen Flügel der SPD galt, übernahm der als deutlich gemäßigt geltende Friedrich Ebert die Führung der Partei, die er sich mit Hugo Haase teilte.

Nachdem die SPD erst Großdemonstrationen gegen den drohenden Ersten Weltkrieg organisieren wollte, stimmte die Reichstagsfraktion doch der Gewährung von Kriegsanleihen im Eifer des landesweiten Patriotismus zu, ließ sich von Wilhelm II. einwickeln, da sie einen Krieg für unvermeidlich nun hielt. Einzig Karl  Liebknecht, der Sohn des Gründers Wilhelm Liebknecht stimmte 1914 noch dagegen. Nach einer Antkriegsdemonstration wurde Liebknecht 1916 verhaftet und blieb dann bis kurz vor Kriegsende in Haft. Einige SPD Mitglieder, die gegen die Unterstützung des Krieges waren, gründeten in dieser Zeit die Unabhängige SPD oder USPD.

Der USPD schloss sich dann der von Liebknecht und Rosa Luxemburg gegründete linksrevolutionäre Spartakusbund an und bildete in der USPD den linken Flügel. Zur USPD wanderten schließlich auch Kautsky und Bernstein ab. In der Weimarer Republik gründete sich das von der SPD dominierte überparteiliche Bündnis des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, dass der Verteidigung der Demokratie gegen ihre Feinde am linken und rechten Rand diente. In diesem war etwa der Vater des großen konservativen Publizisten Joachim Fest engagiert. Als mit Ende des Ersten Weltkrieges es zu Matrosenaufständen kam und der Krieg eigentlich schon verloren war, übergab Maximilian Prinz von Baden die Regierung an die Mehrheits SPD unter Friedrich Ebert, die wenig vorbereitet, sich den Ereignissen fügte. Ein Teil der USPD und die Spartakisten wollten die Räterepublik, die Liebknecht auch nach Scheidemanns Ausrufung der Republik etwas später noch am Schloss ausrufen ließ.

Um die von der Mehrheit der revolutionären Truppenteile gewünschte Vereinigung von USPD und MSPD wieder zu ermöglichen, gründeten Ebert und Haase den Rat der Volksbeauftragten. Doch schon Ende 1918 scheiterte die Koalition an der Frage des Militäreinsatzes gegen meuternde Matrosen. Die nun allein regierende MSPD fand das Vorgehen einzelner Räte als Verrat an den demokratischen Prinzipien der Arbeiterbewegung. Als während des Spartakusaufstandes dann die Volksbeauftragtenregierung angegriffen wurde, wendete sich die Regierung an die alte militärische Führung und die Freikorpsführer. Mit der blutigen Niederschlagung des Aufstandes setzte sich MSPD durch und der damalige Reichswehrminister Gustav Noske erhielt infolge den Beinamen Bluthund, den er durch eigene Äußerungen errang. Den Morden in dieser Zeit fielen auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zum Opfer, die bis heute als Heilige der Linken götzenartig verehrt werden.

Die USPD schloss sich später mit ihrem revolutionären Flügel der KPD an und wurde im übrigen zwischen SPD und KPD zerrieben. In der Weimarer Republik stellte die SPD mit Friedrich Ebert bis 1925 den Reichspräsidenten und war bis 1920 an allen Reichsregierungen beteiligt. Später war sie nur noch von 1928 bis 1930 im Kabinett Müller in der Großen Koalition an der Regierung beteiligt. In Preußen stellte sie dagegen mit Otto Braun, einem der verdientesten Sozialdemokraten, von 1920 bis 1932 fast durchgehend den Ministerpräsidenten.

Dem Aufstieg der NSDAP, deren Wähler sich vor allem aus Jung- und Nichtwählern rekrutierte, hatte die SPD wenig entgegenzusetzen, sie konzentrierte sich auf ihr gewerkschaftsnahes Klientel aus Facharbeitern. Während des Nationalsozialismus gehörten die Sozialdemokraten zu den ersten, die verfolgt wurden und der letzte große Akt des Widerstandes war die Ablehnung des Ermächtungsgesetzes, mit dem Hitler seine Macht undemokratisch ähnlich wie heute Erdogan ausdehnen wollte, durch die 88 noch nicht verhafteten Abgeordneten der SPD. Am 22. Juni wurde die SPD aufgrund eines Aufrufs der SPD-Führung zum Sturz des nationalsozialistischen Regimes durch den Reichsinnenminister verboten. In den darauffolgenden Tagen lösten sich alle Parteien bis auf die NSDAP freiwillig auf. Gegen viele SPD Mitglieder erging ein Berufsverbot, zahlreiche kamen in sogenannte Schutzhaft oder landeten in Konzentrationslagern. Einzelne SPD Mitglieder wie Julius Leber, Adolf Reichwein und Wilhelm Leuschner waren an der Planung des Attentats vom 20. Juli 1944 beteiligt oder gehörten dem Kreisauer Kreis an.

Nach dem Krieg gründete Kurt Schumacher von Hannover aus die SPD wieder, gleichzeitig gründete ein Kreis um Otto Grotewohl die SPD in Berlin für die SBZ. Der Gründungsparteitag fand 1946 in Hannover in einem Saal der Hanomag statt. In der SBZ, also in Ostdeutschland erzwang die KPD den Zusammenschluss und wurde dabei durch Druck des sowjetischen Militärs unterstützt und so entstand dort im April 1946 durch Zwangshochzeit die SED als Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, deren auch finanzielle Erbin nach dem Untergang der DDR die heute sogenannte Linke wurde.

In der Bundesrepublik blieb die SPD bis 1966 in der Opposition. Wurde dann zunächst Partner einer großen Koalition unter Kiesinger mit dem vorher Bürgermeister von Berlin Willy Brandt als Außenminister. In dieser Zeit arbeiteten SPD Wirtschaftminister Karl Schiller und der Finanzminister von der CSU Franz Josef Strauß sehr effektiv zusammen und wurden als “Plisch und Plum” bekannt.

Darauf folgte die sozialliberale Koalition erst unter Bundeskanzler Willy Brandt und dann ab 1974, nachdem Brandt über seinen engen Mitarbeiter den DDR Spion Günter Guillaume stolperte oder freiwillig zurücktrat kam Helmut Schmidt der beste und beliebteste Bundeskanzler, der schließlich 1982 durch Helmut Kohl und die fahnenflüchtige FDP wieder gestürzt wurde. In die Zeit Brandts fiel die neue Ostpolitik der Öffnung und Verständigung sowie der Warschauer Kniefall. Helmut Schmidt hatte im Deutschen Herbst mit der RAF zu kämpfen, bei der er sich letztlich mit seiner harten Linie, dass mit Terroristen nicht verhandelt wird durchsetzte.

Von 1982 bis 1998 saß die SPD nun gegen Kohl in der Opposition und scheiterte mit verschiedensten Kandidaten zu denen auch Oskar Lafontaine zählte. Die Macht errang jedoche erst Gert Schröder wieder, der in einer Koalition mit den Grünen regierte, bis Angela Merkel ihn nach der von ihm durch ein verfälschtes Misstrauensvotum erzwungenen Neuwahl im September 2005 ablöste. Schröder leistete durch seine Reform der Sozialpolitik in der Agenda 2010 großes für das Land auch gegen Willen der Partei. Die SPD regierte zunächst in einer Großen Koalition ohne Schröder mit, saß dann von 2009 bis 2013 in der Opposition gegen die CDU FDP Koalition und ist seit 2013 wieder in einer großen Koalition unter Merkel als Juniorpartner geführt noch von Gabriel. Dabei ließ die SPD über den Koalitionsvertrag erstmals ein Mitgliedervotum durchführen, das im Ergebnis wie von Gabriel gewünscht zustimmte, nachdem er als Parteivorsitzender das bisher schlechteste Wahlergebnis eingefahren hatte, was er durch die Abstimmung geschickt vergessen ließ.

Ihre Wurzeln hat die SPD nach ihrer eigenen Überzeugung in Judentum, Christentum, Aufklärung, Humanismus, marxistischer Gesellschaftsanalyse, was schon vom Wort her bei mir immer inneren Widerstand auslöst, und den Erfahrungen der Arbeiterbewegung. Derzeit regiert die SPD im Bund und in 13 Ländern mit, in 9 davon stellt sie auch den Regierungschef. Übernational ist die SPD Teil der SPE, der Sozialdemokratischen Partei Europas und der Progressiven Allianz, dafür lässt sie ihre Mitgliedschaft in der Sozialistischen Internationalen, der sie seit ihrer Gründung angehörte, seit Meinungsverschiedenheiten 2013 ruhen.

Nach den Prinzipien des Open Space finden sich in Parteien verschiedene Flügel  und Interessengruppen wieder, die versuchen ihre speziellen Interessen irgendwie durchzusetzen und werden dabei möglichst noch parteiintern durch ihre Gegner korrigiert, um ein möglichst optimales Ergebnis für die Gemeinschaft zu erreichen. So denke ich beispielsweise, der Kandidat der SPD Pankow ist schon der optimale, den sie finden konnte, auch wenn ich eher meinen lieben Freund M auf diesem Posten gesehen hätte, aber der hatte eben keine Mehrheit hier und nicht die Möglichkeit sie sich dafür zu organisieren. Doch mag ich mich ungern einer Mehrheit fügen, die nicht meine Meinung vertritt und mich dann noch nach außen hin etwa im Wahlkampf für sie engagieren, was zwar gute demokratische Tradition sein mag, bei der ich aber lieber als Beobachter daneben stehe.

Über die Arbeit in der Partei lernte ich einige sehr interessante Persönlichkeiten kennen, wie etwa Klaus Wowereit, den damals regierenden Bürgermeister, seinen Staatssekretär für Kultur André Schmitz oder seinen Nachfolger Müller, der mir vermutlich politisch in vielem näher stand und den ich auch ohne tieferes Wissen aufgrund persönlicher Empfindung und Erfahrung für einen absolut integren Mann halte, der auch schon manche Verwundung in den üblen Grabenkämpfen der Berliner Sozialdemokratie zwischen ihren Flügeln erlitt. Auch den früheren Bürgermeisters meines Bezirks, den ich einen integren, korrekten Beamten eher nennen würde als einen Politiker lernte ich bei meiner Arbeit kenne, die immer mehr persönlichen Überzeugungen folgte als einer Parteilinie oder erwartbaren Mehrheiten. Solches Verhalten ist für denjenigen, der irgendwie hofft vielleicht über die Partei einen Job zu finden, eher unklug.

Besser hätte ich mich angepasst und wäre im Strom der hier linken Mehrheit geschwommen, die eine Koalition mit der SED-Nachfolgeorganisation Linke befürwortete, sehnsüchtig von Lafontaine schwärmte, dem viele von ihnen noch zugejubelt hatten. Letzterer, der nun in der Linken seine neue Heimat fand, war für mich schon immer ein unerträglicher Demagoge, der gerne Massen populistisch bewegte und der sich nicht umsonst mit der an Aufmerksamkeit immer sehr interessierten, intelligenten und bildhübschen Linken Wagenknecht verband. Doch ich war ein naiver Überzeugungstäter auch in der Partei, der sich keine Netzwerke taktisch klug aufbaute, eher verschämt davon sprach eben in der SPD zu sein, auch wenn ich nicht ganz hinein passte in diese ehemalige Arbeiterpartei.

So wurde ich nie viel dort und meine Karriere hielt sich bis auf das Amt des Sprechers des Arbeitskreises Kultur in überschaubaren Grenzen. Dennoch besuchte ich zunächst möglichst alle Parteiversammlungen, diskutierte engagiert und aus Überzeugung und wurde bald in die passende Schublade gesteckt, hatte entschiedene Gegner und wäre ohne die Unterstützung des erfahrenen M vermutlich noch schneller vor die Wand gerannt, als ich es so schon tat.

Die Vereinsfragen langweilten mich unendlich und die organisatorischen Debatten, bei denen vor Wahlen immer politisch korrekt so lange gequotet wurde, bis alle gewünschten Teilnehmer ihren Posten hatten und sich keiner diskriminiert fühlen musste, fand ich geradezu  unerträglich, akzeptierte sie aber als den gesetzlich notwendigen Teil der Demokratie. Wie Churchill dachte ich oft, grauenhaft diese Demokratie aber immer noch das bestmögliche, was wir überhaupt haben können und so fügte ich mich eben in das, was für Parteimitglieder notwendig ist, nahm an den ewigen Wahlen von Kandidaten teil, bei denen immer die Formalien ein vielfaches der Zeit gegenüber der inhaltlichen Debatte einnahmen. Vielleicht sollte es umgekehrt sein, weil es Parteien doch um Inhalte und ihre Durchsetzung geht, dachte ich und machte zunehmend nur noch mit, was mir eher als Beschäftigungstherapie erschien.

Schaute ich mir dagegen an, wie Gabriel an der Spitze der Partei ihren neuen Kandidaten und vermutlich bald Vorsitzenden vorsetzte, wurde mir wieder klar, wie die Demokratie zwar scheinbar von unten durch Wahl organisiert ist, tatsächlich aber in den Parteien durch starke Führer zum gewünschten Ergebnis gebracht wird. Erstaunlich fand ich immer mit welcher Begeisterung das Fußvolk der Parteien diesen Vorgaben fast blind folgt. Der gerade Aufschwung um den Kandidaten Schulz scheint mir ein typisches Ergebnis dieser Volksverführung durch geschicktes Marketing, das einen neuen Führer ohne Diskussion erhält sondern nach einsamer Entscheidung vorgesetzt bekommt, für die der Entscheider dann noch in seiner vermeintlichen Bescheidenheit als besonders großer Demokrat gelobt wird.

Dieser Sigmar Gabriel war auch für mich Grund genug, aus der Partei, in der ich nie heimisch wurde, wieder auszutreten, lange bevor Schulz Kandidat wurde und mich aus der langweiligen Vereinsmeierei völlig zurückzuziehen, auch wenn diese im Detail so wichtiges bewirken konnte, es lag mir einfach nicht, mich zu verbiegen, um als Kompromiss irgendwelche Ziele zu erreichen, falls sich nicht zufällig die Parteifreunde gegen mich verbündeten und blockierten, was sachlich ihnen vielleicht auch notwendig erschien, sie aber aus taktischen Gründen nicht mittragen wollten. So funktioniert die  Parteiendemokratie eben und es gibt viele auch kluge Leute, die sich dem beugen, weil sie die Sache der Demokratie für wichtiger halten, als ihnen die dafür nötigen Kompromisse schwer fielen.

Es ist ehrenwert, sich dafür zu engagieren und dieser persönliche Bericht über meine Zeit in der SPD soll keinesfalls in Politikerschelte ausarten. Im Gegenteil habe ich die meisten Profis auf diesem Gebiet als sehr ehrenwerte und oft auch persönlich engagierte Menschen kennengelernt, die trotz der widrigen Umstände immer auch für Ideale kämpften, um etwas Größeres zu erreichen. Dies ist wichtig und mehr zu loben, als das immer Gemecker der Stammtische und Nörgler, wie sie sich in den Reihen der Pegiden so zahlreich finden, die aber selten von Ahnung über die tatsächlichen Notwendigkeiten im politischen Alltag geprägt ist. Etwas tun, ist besser als nichts tun und nur meckern.

Habe viel gelernt über das tatsächliche Funktionieren der Demokratie, ihre seltsam verwaltete Verwandte in Berlin und die Durchsetzung von Kompromissen, politischen Realismus und zugleich persönliche Auseinandersetzungen, die bei vielem wichtiger sind als die Sache an sich. So gesehen bin ich dankbar, auch gelernt zu haben, wie nötig es ist, sich Netzwerke aufzubauen, um Ziele zu erreichen, was mir noch völlig fremd blieb, der ich eher als Einzelkämpfer über Prinzipien diskutierte, statt erst zu erfühlen und genau zu recherchieren, was überhaupt machbar war, mich aus Prinzip und Überzeugung für Dinge einsetzte. Damit kommst du in Parteien nicht weit, sondern rennst gegen Wände, die mit der Zeit immer stärker werden und du spürst plötzlich, warum die Steigerung von Feind zu Erzfeind ihren Superlativ im Parteifreund findet.

Entsprechend folgte ich auch bei der Mitgründung eines konservativen Oppositionskreises in der Pankower SPD, der sich gegen die linke Mehrheit in Prenzlauer Berg und damit auch den dort gewählten Vorsitzenden wendete, meiner Überzeugung. Verstand erst hinterher, als die Sache als gescheitert aufgegeben wurde, weil alle Revolutionäre mit den Stimmen der Mehrheit wieder von den relevanten Posten verdrängt wurden, dass es immer zugleich um Mehrheiten in der Organisation geht und alle auch taktischen Interessen folgen. Viele der Teilnehmer dieses ehemals Schönhauser Kreises gehörten auch schon in der DDR der Opposition an, hatten sich in Wendezeiten verdient gemacht und einige waren Mitgründer der SDP in Schwante 1989. SDP nannte sich die SPD in der DDR bis 1. Januar 1990, als sie langfristig an Einigung und Aufgehen in der großen SPD interessiert, sich umbenannte, weil von den revolutionären Ereignissen überholt.

In dieser Zeit hatte ich auch die Chance mit einem der Veteranen von damals, einem Abgeordneten und Verleger, ein Buch zum Jubiläum der Wende zu erstellen, in dem Teilnehmer von damals berichteten, wie sie den 9. November 1990 erlebten. Ein für mich als Wessi unheimlich spannendes Projekt, in dem ich viele interessante Geschichten aus der Zeit des Umbruchs zu hören bekam und tolle Menschen kennenlernen durfte. Denke ich etwa an die atemberaubende Geschichte, die ein später Bauunternehmer und Abgeordneter über die Besetzung des Waffenlagers der Stasi in Weißensee erzählte, scheint mir der später um ihn inszenierte Skandal, in dem ihm Vorteilsannahme bei der Auftragsvergabe vorgeworfen wurde, als typisch kleinlich parteilich und ein weiterer Ausdruck  des Machtkampfes des linken Flügels gegen die inzwischen Minderheit der bürgerlicher oder doch konservativer denkenden Gründer der Pankower SPD.

So ist vieles aus der Nähe betrachtet oft kleinlicher und von persönlichen Abneigungen geprägt, als es sein sollte, warum ich immer mehr auch in der Partei in innere Opposition geriet und mich fragte, was wollte ich hier und was machte ich da noch. Wenn ich langfristig ein Amt wollte, müsste ich mich um Mehrheiten bemühen und mich fügen, was ich nicht vorhatte. Auch wurde mir manche Abneigung zu schnell persönlich und intrigenhaft böse, eben typisch politisch auch, als das sie meinen Überzeugungen je entsprechen konnte. Fand etwa den, dem linken Flügel zugehörigen Vorsitzenden, persönlich sehr sympathisch, auch wenn er mich vermutlich als Rechten in der linken SPD ganz furchtbar fand, was ich aber nie erfahren habe und so scheint mir vieles in den Parteien mehr von Zuordnung und Flügeln geprägt als von Überzeugung oder sachlich getragen.

Schaue ich etwa Angela Merkel an, halte ich sie für die beste und fähigste Kanzlerin, jedem Populismus abhold, persönlich unbestechlich erledigt sie ihre Arbeit zuverlässig und sehr  gut, zeigte, als es nötig war, große Menschlichkeit, steht für die Ideale der Aufklärung und übernimmt da Führung und Verantwortung, wo es nötig ist. Vergleiche ich sie mit einem Schulz, scheint mir der Gegensatz zu der erfahrenen Kanzlerin in schwierigen Zeiten noch größer, ohne auf dessen private Defizite oder bisherigen Verfehlungen in seiner Karriere als politischer Millionär weiter eingehen zu wollen.. Dennoch fühle ich innerlich eine große Abneigung je die CDU zu wählen, auch wenn ich fest davon überzeugt bin, dass sie die bestmögliche in diesem Fall ist. So werde ich mich noch bis zur Wahl mit dieser Frage ein wenig quälen als verantwortungsbewusster Bürger und bin froh in keiner Partei mehr zu sein und lieber meine politische Meinung schriftlich zu äußern statt parteilicher Kompromisse.
jens tuengerthal 17.3.2017

Donnerstag, 16. März 2017

Berlinleben 021

Neue Museumslust

Das Neue Museum war auch das Zuhause der bekanntesten weiblichen Schönheit Berlins, der Pharaonin Nofretete und ihrer zauberhaften Büste, es geht hier um Kunst nicht um Brüste, ob es da klug war, sich dort mit einem irgenwie virtuellen Flirt zu treffen?

Wir kannten uns via Facebook, sie war eine echte Europäerin und dabei noch Wienerin und rothaarig - eine Kombination, die mir schon einmalig genug erschien und ich sollte mich nun zurückhalten, nicht mehr von ihr zu schwärmen, damit diese in vieler Hinsicht so einmalige Frau nicht aus versehen offenbar wird, im Schutz der Anonymität bleibt, den ich ihr mit huldvoller Verbeugung in Erinnerung manch schöner Schäferstündchen zu gern gewähre.

Es gab viel, was mich an ihr neugierig machte und als ich sie sah und erlebte, ihr übersprudelndes Temperament, ihre Leidenschaft, die roten Locken, ihre Bildung und ihr noch mädchenhafter Charme - eine Wienerin eben, ich war vom ersten Moment an bezaubert und das setzte sich beim Gang durch das gerade wieder eröffnete Neue Museum fort.

Liebe es ja, wenn Menschen hochdeutsch sprechen, weil ich sie meist besser verstehe und viele Dialekte eher wie Halskrankheiten oder Würgelaute mir vorkommen, es gebildeter doch klingt und meist ist, außer es sind Wienerinnen, da schmelze ich dahin, wenn sie mit der Färbung des Klangs spielen. So war ich schon vom ersten Moment an bezaubert, schon aus familiärer Tradition, schwärmte doch auch mein Vater seit seinen Studienzeiten dort von den Wienerinnen, auch wenn er angeblich seiner Bremerin treu blieb und zumindest immer noch mit ihr verheiratet ist, woraus ganz nebenbei wohl ich zumindest der Bremerin entsprang, warum ich nicht darüber klagen sollte. Wer von uns beiden dann tatsächlich mehr Wienerinnen näher kennenlernte, weiß ich nicht zu beurteilen, weil ich einerseits nicht wüsste, wie sich zwei noch näher kommen sollten als ich und jene Jahre später und ich andererseits nie mit meinem Herrn Papa Details dazu ausgetauscht habe, lassen wir es also dahinstehen.

So ging diesem ersten Treffen schon viel schwärmerische und humorvolle Begeisterung voraus und es hatte nach meinem Gefühl Jahre gedauert, bis wir uns zwischen ihren in Europa verstreuten Heimatorten endlich treffen konnten. Bis auf das wienerische in der Aussprache, dass sie übrigens auch nach Belieben abstellen konnte, schließlich hatte sie auch hier in Preußen mal studiert, was damals noch unter dem Namen West-Berlin lief, meine ich. Eigentlich war sie in ganz vielem, von der Haarfarbe, hier wie dort, bis zu Stil und Bildung wie der exquisiten Küche ohnehin, damit der ähnlich, die ich hatte und vernünftig betrachtet, hätte es keinen Grund für einen Ausflug oder Wechsel gegeben, wären wir in dieser Hinsicht je vernünftig und eigentlich passierte auch nahezu nichts. Zumindest nicht, solange ich in festen Händen war und überhaupt an diesem Tag.

Zu festen Händen könnte ich jetzt auch ein ganzes empörtes Essay schreiben von der Lüger der Besitzverhältnisse und der unerträglichen Leichtigkeit des Seins, von der Relativität der Werte, solange sie einen nicht selbst betreffen und der Größe der Kultur, die mit Liebe Eifersucht überwinder - aber ich erspare es mir hier, wo es doch mehr um ein faszinierendes Museum als die Liebe geht, insbesondere da auch unser späteres Verhältnis zwar immer wieder von intensiver, geradezu eruptiver Zuneigung geprägt war, aber nie eine Beziehung wurde, keine Missgunst kannte.

Aber, der Reihe nach. Von dem Museum und seiner vorsichtig genialen Restaurierung und Wiedererrichtung hatte ich manche Artikel gelesen und schöne interne Geschichten von einem der beteiligten Architekten gehört, der zufällig auch Papa an der Waldorfschule meiner Tochter war und dort in der Baugruppe schon vorher schwärmte. War also, als ich endlich tatsächlich dorthin kam, doppelt gespannt - auf die charmante, schöne Wienerin und das Museum - die beste Voraussetzung also dafür, dass alle völlig erhöhten Erwartungen enttäuscht würden, ich frustriert nach Hause wieder ginge und siehe da, das Gegenteil geschah.

Das Neue Museum, das im Krieg schwere Verwüstungen erlitt und an dem sich lange die Direktoren der Nachbarhäuser auch bedienten, es einfach als Magazin nutzten, gehört zum Weltkulturerbe Berliner Museumsinsel. Der Schüler Schinkels Friedrich August Stüler errichtete den Bau zwischen 1843 und 1855 und es gilt als Hauptwerk eines Architekten, der die Stadt vielfältig prägte - verantwortlich ist er auch für die verglichen geschmacklose Kuppel des Schlosses. Vor den ästhetischen Verbrechen des in jeder Hinsicht wenig bemittelten Wilhelm II. war er jedoch schon über zwanzig Jahre tot.. Das Museum wurde mit Kriegsbeginn 1939 geschlossen und blieb das bis zu seiner Wiedereröffnung am 16. Oktober 2009 noch 70 Jahre lang. Heute beherbergt diese Berliner Schatzkiste das Ägyptische Museum, mit seiner Papyrussammlung und der schönen Nofretete sowie das Museum für Vor- und Frühgeschichte, die beide vorher teilweise in Charlottenburg untergebracht oder sonst verstreut waren. Teilweise sich auch noch im Alten Museum befanden. Nun finden sich wieder die noch älteren Sachen im Neuen Museum, was ahnungslose Besucher verwirren kann, während die erfahrene Berlinerin natürlich weiß, das Alte Museum von Schinkel war einfach das ältere, von dem wir ja schon anlässlich der Gemäldegalerie ein wenig berichteten im Berlinleben erzählten, die dort zuerst auch noch war.

Es liegt westlich von der Alten Nationalgalerie, zwischen dem Pergamonmuseum und dem Alten Museum neben dem bald neuen Eingangsbereich inmitten Berlins schönster Insel der Kultur. Das Neue Museum war bei seiner Errichtung erst das zweite Museum auf der Insel, das erforderlich wurde, die in Schinkels Alten Museum nicht mehr unterzubringenden Schätze des Altertums aufzunehmen. Damals waren die Dinge in Preußen nooch wohl geordnet. Altes Museum und Neues Museum. Das Gebäude zählt in seiner Hinwendung zum Klassizismus zu den wohl bedeutendsten Museumsgebäuden des 19. Jahrhunderts und ist zugleich eines der wichtigsten Denkmäler der Konstruktions- und Technikgeschichte. Es war der erste Monumentalbau in Preußen, der massiv auch Eisenkonstruktionen einsetzte, wie sie erst durch die Industralisierung ermöglicht wurden. So kam schon auf der Baustelle erstmals eine Dampfmaschine mit enormen 5PS in Berlin zum Einsatz - “meine Damen, das ist eine Dampfmaschine” - mit der die nötigen Pfähle in den Inselboden gerammt werden sollten, um Halt im schlechten Baugrund zu finden.

Dies wissend, wurde dennoch eine U-Bahn entlang Unter den Linden bis zum Alexanderplatz, am Rathaus vorbei geplant, bei dem ich jetzt schon darauf wetten kann, wie lange die Fahrten des millionenschweren Stücks wohl dauern werden, bis sich erste Risse im grauenvollen Berliner Dom zeigen werden, der auch nur auf Eichenpfählen im Inselmatsch steht. So könnte diese völlig überflüssige U-Bahn uns doch die Freude bereiten das hässlichste Überbleibsel des grauenvollen Wilhelminismus einstürzen zu lassen und dann werde ich diese überflüssige U-Bahn Linie noch loben.

Das Neue Museum steht ebenfalls auf einem Gerüst von 2344 Gründungspfählen, die eine Länge zwischen 6m und 18m haben. Die Aufzüge zum Transport der Baumaschinen wie die Eisenbahn in der Baustelle wurden ebenfalls mit Dampfmaschinen betrieben und so kam modernste Technik auf der schnell fortschreitenden Baustelle zum Einsatz, die nur 1848 durch die Unruhen der Märzrevolution ein wenig verzögert wurden. Sobald einer der aufwendig gestalteten Räume vollendet war, wurde er eröffnet und so zog sich die Eröffnung von 1850 bis 1859 hin. An den besonders filigranen Wandfresken im Treppenhaus wurde sogar bis 1866 gearbeitet, was 23 Jahre sind und da beschwere sich noch einer über den Berliner Flughafen, auch wenn der kaum Weltkulturerbe außer als Baustelle je wird in funktionaler Hässlichkeit, die ich hoffentlich nie betreten muss.

Bei der Eröffnung befanden sich Ägyptische, Vaterländische und Ethnografische Sammlung im Erdgeschoss. Im ersten Obergeschoss standen Gipsabgüsse von der Antike bis zum Klassizismus also nahezu bis in die Gegenwart. Dafür teilten sich das zweite Obergeschoss das Kupferstichkabinett und die Kunstkammer. Die Gipsabdrücke wuchsen noch zur größten Sammlung davon überhaupt heran, die jedoch später nicht mehr wirklich wertgeschätzt wurde, warum sie 1919/20 der Berliner Universität übergeben wurde, wo sie im Zweiten Weltkrieg verbrannten.

Nach 1945 wurde das Museum eher vernachlässigt. 1986 begann noch zu DDR-Zeiten der Wiederaufbau, hier sollte wiederhergestellt werden, was allerdings erst nach der Wiedervereinigung und dann zwischen 1999 und 2009 unter großem Aufwand durchgeführt wurde. Dies stand im Rahmen des Masterplans für die Museumsinsel und kostete 295 Millionen Euro. Nach Plänen des britischen Architekten David Chipperfield, die sich eng an das Original hielten, wurden dabei der gänzlich zerstörte Nordwestflügel und der Südostrisalit wiederhergestellt. Das Neue Museum als beinahe rechteckiger Bau hat 105 Seitenlänge und ist 40m breit. Mit der erst später erstellten, aber von Stüler bereits vorgesehenen Nationalgalerie ist es durch Kolonnaden mit dorischen Säulen verknüpft.

Unter diesen Säulen war mir die Wienerin mit offenen Armen entgegen gekommen und so bekam unsere erste Begegnung auch noch den unglaublich romantischen Nachhall der Säulengänge dieses bezaubernden Museums Ensembles. Es war also eigentlich alles etwas viel und ziemlich kitschig und dennoch wurde es noch übertroffen von der Wirklichkeit im Museum. Das die Spuren voriger Gewalt und der Kriege neben dem teils mehr teil weniger sanierten Originalzustand sichtbar machen. Im Gegensatz zu Dresdens grauenvoll kitischiger Frauenkirche, die eben wie ein Marzipan Ei ins nicht ganz waschechte Sachsen passt, zeigt dies Berliner Museum die rauhen Spuren seines Vorlebens und glänzt nicht einfach schön und überpinselt, weil wir eine Geschichte haben, derer wir uns hier in Verantwortung bewusst sind, was in Sachsen nicht so sehr ausgeprägt zu sein scheint, wie auch der Umgang mit Denkmälern und Demokratie dort zeigt, sie sind eben etwas zurück  im fernen Osten der Republik, scheint es und den Polen und Ungarn näher.

Die Eisenkonstruktionen in den Decken der einzelnen Etagen ermöglichten es höher zu bauen als beim benachbarten Schinkelbau des Alten Museums und machten es auch leichter mit vielfältigen Deckenformen den jeweils ausgestellten Stil zwischen ägyptisch, griechisch und römisch zu imitieren. So liegt die Bedeutung des Baus und seiner inneren Konstruktion vor allem auch darin auf die Fortschritte der Industrialisierung hinzuweisen.

Stüler hielt sich bei den Fassaden um des Zusammenspiels mit dem Alten Museum wegen sehr zurück und diese bewusst schlicht.  Zwischen Beginn des Baus des Alten Museums und des Neuen Museums liegen nur 17 Jahre und doch stammen sie aus verschiedenen Jahrhunderten - während Schinkel beim Alten Museum noch auf die massive Bauweise des 18. Jahrhunderts zurückgreift, macht Stüler sich auf den Weg die neuen Chancen der Industrialisierung in der Leichtbauweise zu nutzen und mit großen Mengen an Eisen, so dass die Namen der beiden Häuser noch eine tiefere Bedeutung bekommen.

Die Gestaltung der Innenräume sollte die ausgestellten Gegenstände mit tragen und war doch für unseren heutigen Geschmack, der wir eher schlichte Präsentationen gewohnt sind, ein Museum für sich und Stüler zeigte hier seine große Neigung auch zur Kunst und mutig intensiven Farben. So nannten die Berliner die Innenräume bald ein Labyrinth der Symbolik. Die enge Verbindung die dadurch die Ausstellungsstücke mit den Räumen bekamen, erwies sich einer bald nötigen Erweiterung als hinderlich und war so zwar gut gedacht aber auch beschränkend - das Museum wurde weniger zum Ort der Präsentation von Kunst als selbst zum Kunstgegenstand. Auch heute balanciert es, wenn auch wesentlich zurückhaltender an dieser Grenze, wenn es die Besucher schon im Treppenhaus mehr staunen lässt und über die teils restaurierten Wände als über die ausgestellten Kunstwerke. Ob das gut oder schlecht ist, zu beurteilen, hängt sicher auch daran, wie mir gerade der Bau gefällt oder nicht und so ist ein solcher Bau stärker der Mode unterworfen als zeitlosere Bauten wie das Alte Museum Schinkels. Samuel Beckett etwa lästerte in den 20ern über das etwas überladene Drunter und drüber dieses Museums und nannte es “Higgledypiggledy”.

Es gäb über die einzelnen Säle und ihren Schmuck, ihre Bilder, welche die Ausstellungsstücke dort doch nur begleiten sollten, unendlich viel zu schreiben und wen das en Detail interessiert, der möge sich in entsprechende Bücher stürzen, um zu erfahren, wie es einmal war. Fand es ganz nett , aber auch etwas zuviel des Guten und da fehlte Stüler eben Schinkels geniale Zurückhaltung, wie sie dafür Chipperfield wieder in seiner Rekonstruktion zeigte, die nicht einfach nach Dresdner Zuckerbäckermanier wiederaufbaute, sondern gerade auch die Spuren des Schreckens, der Wandlung und der Umbrüche im Gebäude immer wieder vorsichtig sichtbar machte. Wir brauchen keine schlichte Wiederherstellung alter Architektur, die sieht dann eher nach Disney aus und wird peinlich stillos wie Dresden auch sonst oft. Der Entwurf wandelte dabei auf dem schmalen Grat, der den Ausstellungs Gegenständen, die für sich wirken sollen, Raum geben will und dem Wunsch auch das besondere Haus wirken und erzählen zu lassen. Hier wird nichts verkleidet oder verkitscht wie etwa in der Dresdner Frauenkirche, vom grauenvollen Berliner Dom lieber ganz zu schweigen, hier wird wirklich wiederhergestellt und Geschichte in all ihren Elementen begehbar gemacht.

Dabei sind immer wieder die Etagen durchbrochen und wir schauen durch eine genial eingefügte Konstruktion im Innenhof aus dem Untergeschoss auf wunderbare weil bruchstückhafte Wandgemälde. Es ist dies immer unvollendete, was unaufdringlich bleibt und die Dinge so wirken lässt, wie das Gebäude, die dieses Museum zu einer der genialsten Rekonstruktionen der Welt macht und hier zeigt, wie mit Baugeschichte verantwortlich umgegangen werden kann. Wie moderne Elemente sich bescheiden in vorhandenes einfügen, was geehrt aber eben nicht hochglanzpoliert angebetet wird, wie in manchen der Dresdner Zuckerbäckerekonstruktionen in ihrer ganzen Peinlichkeit.

Wir wandelten durch die Etagen und schwärmten über das, was wir sahen an Objekten wie Gebäude so sehr, dass ich unterwegs, gebannt vom Museum, die eigentlich unklare Leidenschaft wieder völlig vergaß, begeistert war und erst nach Stunden, als sie Erschöpfung deutlich zeigte, wieder feinfühliger wurde, sie und mich für den langen Marsch bis zu den ägyptischen Särgen in einem verborgenen Gang mit einem leidenschaftlichen Kuss entschädigte, den spürbar beide genossen.

Mehr wurde es diesmal nicht, sehen wir von dem etwas leidenschaftlicheren Abschiedskuss in der Friedrichstraße ab, bei der mir aber auch der vielleicht sogar beiderseits gewünschte Zugriff in tiefere Regionen außer in sekundenlanger Andeutung durch zahlreiche Passanten verwehrt war. So war die Leidenschaft geweckt und sollte irgendwann - so versprachen wir es uns - Erfüllung finden, nur eben nicht bei diesem Besuch und beim nächsten war ich dann ja schon so etwas wie Single und beim übernächsten ohnehin, zumindest konnte sie sich da immer auf ältere Rechte berufen. So ist das Neue Museum für mich immer mit doppelter Leidenschaft verbunden, was zum Bau passt, der ein preußisch zurückhaltendes Kunstwerk ist, das Geschichte erzählt von sich und wunderbar seine Schätze präsentiert, die dem Genießer mit der Zeit erst sich in aller Schönheit  offenbaren.
jens tuengerthal 16.3.2017

Mittwoch, 15. März 2017

Berlinleben 020

Literaturzuhause

Hat die Literatur ein Zuhause, braucht sie eines oder ist sie in ihrer natürlichen Ortlosigkeit überall, wo gelesen wird Heimat der Leser?

Wo ich bin und lese oder schreibe ist Literatur, wozu also tief in den Westen fahren, ins Literaturhaus in der Fasanenstraße, wenn es Cafés genug in meiner Umgebung gibt, die zum Schreiben und verweilen einladen, was sollte ich unnötig Zeit mit der Reise quer durch die Stadt verbringen, noch dazu in den etwas vorgestrigen Stadtteil Charlottenburg?

So hatte ich mich gefragt, obwohl das Literaturhaus von einem auch Dichter geleitet wird, einen zauberhaften Garten hat, es lag doch etwas weit ab für mich. Einmal führte mich A meine längste Liebe dort hin, vermutlich nachdem wir im KaDeWe irgendwelche Lebensmittel kaufen waren, wie sie es so liebte.

Es war nett, der Garten schon schön, das Café halt ein gutes Café, der Buchladen im Untergeschoss eine Freude, es fand sich dort auch manch ausgefallen Schönes, was die Augen des Bücherliebhabers strahlen ließ. Doch es blieb mir fremd, nie wäre ich dort zum Schreiben hingefahren, dachte ich, bis ich eine zeitlang unter sehr unliterarischen Umständen in einem Hochhaus am Zoo in einem Callcenter arbeitete und mehr als erfolgreich Lose verkaufte.

Fremde Menschen anrufen und ihnen erzählen, sie bräuchten unbedingt etwas, dass kein Mensch je braucht, um ihre Chance auf einen Millionengewinn zu nutzen, die stark übertrieben wurde, war meine dortige Berufung. Die einzige Ausrede war noch, die Klassenlotterien waren ja staatlich und also musste es doch eine gute Sache sein, zumal Überschüsse Zoos oder sozialen Institutionen zugute kam. So verteidigte ich es, der Zoos als Tierknast nicht ausstehen kann.

Konnte auch Glücksspiel noch nie leiden. War einmal mit meinem Großvater im Casino in Bremen und fand es öde, verstand die Faszination vieler Leute nicht, dort ihr Geld zu verwetten für die Hoffnung auf einen günstigen Zufall, der zu selten eintrat, den ich nicht vernünftig beeinflussen konnte. Vielleicht darum war ich in dem, was ich tat, so erfolgreich, verkaufte die größten Lose mit einer 100% Gewinngarantie, die doch dem Spieler bei einem kleinsten Gewinn von 1000,-Euro mit Sicherheit die  Kosten dieser teuersten Lose wieder einspielen würde und verschwieg dabei geflissentlich, dass es sich bei den 100% Gewinnlosen um 1/10 Lose handelt, der garantierte Gewinn also wesentlich weniger meist war.

Rang in dieser Zeit viel mit meinem Gewissen, weil ich einfach zu gut war, zu seriös auf die Menschen am Telefon wirkte, meine Glaubwürdigkeit im Auftreten nutzte, ihnen einen solchen Blödsinn für teures Geld zu verkaufen und dies auch bei Menschen tat, die ihr Geld eigentlich dringend für anderes bräuchten und denen ich nur schöne Hoffnungen mit verführerischer Stimme säuselte, der sie zu gern glaubten, denn welche ältere Dame freut sich nicht an der Vorstellung, dass ein so netter junger Mann ihr dann auch noch den Gewinn persönlich vorbeibringt, wenn sie bald Millionärin würde.

Irgendwann machte mich diese verlogene Tätigkeit krank, ich verdiente zwar so gut, wie nie zuvor im Leben, mehr als ich als Redakteur je bekam und dazu ließ ich mir noch die Prämien, mit denen die anderen gelockt wurden, barauszahlen - finanziell war es eine gelassene Zeit, ich hatte Geld, ich konnte alles verkaufen und wer so dumm ist, sich auf Glücksspiel zu verlassen, soll halt dafür zahlen, wie Millionen Idioten es jede Woche beim Lotto taten.

Trug mein Geld lieber in Buchläden, zunächst war ich vom Zoo aus einige male bei Hugendubel gewesen, doch dies Bücherkaufhaus war mir unsympathisch, zu groß, zu kühl und ich mochte kleine Buchläden. Da erinnerte ich mich des Café Wintergarten im Literaturhaus zu Berlin und des schönen Buchladens dort.

Zu Fuß vom Hochhaus am Zoo zur Fasanenstraße waren es keine zehn Minuten. Aus der tosenden, lärmenden Welt am Zoo tauchte ich in den Garten des Literaturhauses und fand einen Ort der Ruhe. Sobald ich mein Gewinnsoll erfüllt hatte, mehr als drei der ganz großen Lose am Tag zu verkaufen, wäre schon dreist, hatte ich den Durchschnitt in diesem Callcenter schon so weit hinter mir gelassen, dass mehr an Mühe überflüssig schien. Wenn ich Glück hatte war das noch am Vormittag, spätestens jedoch kurz nach Mittag am ganz frühen Nachmittag und dann verschwand ich, ohne weiter zu telefonieren aus dieser ungesunden Atmosphäre, rechnete nach, was ich wieder verdient hatte und freute mich darauf, was ich mir nun gönnen könnte.

Mehr brauchte es nicht zum Glück, dachte ich, als diesen Ort des Rückzugs und das auch wenn mir viele der Damen entweder zu alt oder zu geschminkt waren und ich mir noch nicht klugerweise überlegt hatte, mich auf wohlhabende Charlottenburger Witwen zu spezialisieren - liegt mir zugegeben auch heute noch eher fern, aber dies wäre zumindest der richtige Ort dafür. Die einzig wohlhabende Dame aus Charlottenburg, die ich sehr nah kennenlernte, hielt lieber ihren uralten Ex aus, der sie seit Jahrzehnten um mehr Geld betrog als ich in meinem Leben hatte, fand es befremdlich, dass mich das störte und war im übrigen eher kleinlich und ging ungern ins Café, weil sie keinen Alkohol trank ihrer Migräne wegen.

So sollte ich vielleicht doch noch mal in dieses wunderbare Café fahren, um auch endlich eine geistig aufgeschlossene Sponsorin zu finden, statt im armen Osten um Zonen-Gabis zu jammern, denn Geld hängt da sichtbar genug rum, leider fand ich armer Dichter dies noch nie anziehend und umgab mich lieber weiter mit gleichgesinnten, was ein naiver Fehler sein könnte, wie schon Villon meinte, von dem Brecht, der eitle Dieb und überschätzte Dichter der Proleten, den Text vom Wohlstand, in dem es sich so angenehm lebt, schamlos klaute.

Als schlichter Losverkäufer mit irgendwie einmal großbürgerlichen Hintergrund vor Generationen begab ich mich also in das wunderbare Café Wintergarten. Nie jedoch ohne zuvor, den Buchladen zu besuchen, den ich wiederum seltenst ohne irgendeine natürlich gebundene Neuerwerbung verließ. Viele der schönen Preußen Bücher des gebildeten Hugenotten Günter de Bruyn, Wiebke Bruhns, die Jünger Biografie - wandert mein Blick über meine kleine und bescheidene Bibliothek, sehe ich noch manden Band, den ich dort entdeckte - einige der schönsten Bildbände über Bibliotheken und Bücher, was fand ich nicht alles dort. Sicher gab es das alles auch bei Hugendubel, der aber lagen mitten im Lärm am Platz in einer eher grässlichen Ecke nicht in einem verzauberten Garten.

Sonderangebote bei Büchern haben ja auch ihren Reiz, wollte ich effektiv sein, kaufte ich nur aus großen Kisten auf Flohmärkten oder Antiquariaten, nähme alles mit, was viele Nachbarn um meinen Platz immer wieder aussortieren. Doch wollte ich nicht sparsam und effektiv sein, sondern großzügig, wie einst die Vorfahren, mir eben was gönnen und da die Buchpreisbindung gilt, ist ein so hässlicher Laden wie Hugendubel oder das Kaufhaus Dussmann schlicht überflüssig und Masse macht einen Laden nicht attraktiver, im Gegenteil. So habe ich auch in der Zeit, in der ich richtig viel Geld verdiente, nie Rücklagen gebildet, lieber meiner Liebsten schöne Strümpfe geschenkt, aus dem zauberhaften Wäscheladen direkt vor dem Literaturhaus, die sie nie trug, vermute immer noch, weil sie ihre Schenkel zu fett fand, als gäbe es etwas schöneres als eine Frau mit wohlgeformten Beinen, die nicht nur auf Mikadostäbchen durch die Welt stakst, sie zum Essen eingeladen, den Lebensunterhalt bestritten und mir so oft wie möglich Besuche im Café Wintergarten gegönnt und den Buchladen im Untergeschoss unterstützt.

Denke ich an meinen Großvater, der all sein vieles als Zahnarzt verdientes Geld auf der MS Europa oder in der Traube Tonbach mit meiner Großmutter zusammen durchbrachte, schüttelte ich einerseits den Kopf, andererseits freue ich mich darüber. Gespartes Geld und Rücklagen machen reich und unglücklich auf Dauer. Gelesene Bücher dagegen machten mich meist glücklicher, allein schon sie zu besitzen, erfüllte mich mit Stolz - wozu Geld in Hotels, idiotische Ferien und Reisen stecken, wenn ich es in Bücher investieren konnte oder einen wunderbaren Lesesessel?

Es gab sehr feine und interessante Menschen in diesem Café. Lernte etwa einen Apotheker kennen, der Witze sammelte und mir eines Tages voller Stolz seine schöne Visitenkarte aus feinstem Bütten noch geprägt, statt gedruckt überreichte. Wir wollten in Kontakt bleiben, plauderten einige male sehr nett und verloren uns doch wieder. Empfing dort Freunde und lernte einige neu kennen. Leider schrieb ich damals noch nicht dort, was eigentlich ideal gewesen wäre.

Mein Lieblingsplatz war einer der Tische im Erker, gerne setzte ich mich zu jemandem dazu - las meist in meinen schönen Neuerwerbunge und muss dabei vor Stolz geglänzt haben und konnte nie verstehen, wie jemand das große Glück eines neu gekauften Buches nicht zu würdigen wusste. Andere kauften sich CDs, Schuhe oder elektronischen Schnickschnack, der mich weniger interessierte. Konnte an schönsten Taschenuhren oder feinsten Lederschuhen vorbeigehen, mich an ihrer Schönheit erfreuen, ohne davon je zu träumen, sie besitzen zu wollen, bis zu tausend Euro oder mehr für ein Paar Schuhe auszugeben, schien mir völlig idiotisch, wenn ich für das übrige Geld noch Bücher kaufen könnte, kaufte ich lieber Mokassins bei Aldi.

Eine der Bedienungen mochte ich besonders. Sie ist vermutlich längst irgendwo Ärztin und war damals eine Studentin der Medizin mit langen dunklen Haaren, starken Augenbrauen und einem mehr als bezaubernden Lächeln. Hätte sie immer lieber an meinen Tisch gebeten, statt von ihr bedient zu werden, fand sie sehr jung aber mehr als schön. Nicht weil sie eine große Schönheit gewesen wäre - sie hatte etwas eigenes mit ihren starken Brauen und ihrer schlanken schönen Figur. Sehr harmonische Bewegungen und eine Höflichkeit, die nicht gespielt war, sondern für Familie sprach, wäre neugierig gewesen, zu erfahren, was hinter ihr steckte und wovon sie träumte. Sie arbeitete viel, neben dem immer sehr aufwändigen Medizinstudium und wenn ich sie in der U-Bahn traf, war sie immer konzentriert am Lernen, schien von nichts in ihrer Umgebung etwas zu registrieren und ich konnte sie auf langen Fahrten beobachten, ohne dass sie es bemerkt hätte, wie sie mir später sagte.

Sehr viel näher lernten wir uns aber nie kennenlernen, wie es meist beim netten Geplauder dort blieb und doch war es, von einigen Aufenthalten im Studium abgesehen, meine erste Zeit im Café und ich brachte viele Stunden dort entspannt lesend zu, den Blick in den schönen Garten, am liebsten im Erker, der aber da äußerst beliebt, natürlich oft schon besetzt war, auch wenn ich feststellte, dass die meisten dort diese wunderschöne Ecke, die den Blick durch das Café und in den Garten bot, ein erhobener Beobachtungsposten quasi war, kaum nutzten und einfach miteinander sprachen, als säßen sie dort nicht auf dem besten Platz das Geschehen vor Ort zu beobachten, wäre es nicht eine Pflicht für die dort, alles im blick zu haben und dies mit tiefen Blicken ausgiebig zu genießen.

Genoß es sehr, wenn ich nicht in meinen neuen Büchern schon versank aber auch dabei hoffte ich immer angesprochen zu werden, um ein wenig zum Thema zu plaudern. So hat dieses Café eine gewisse Leichtigkeit, auch wenn sich hier natürlich gelegentlich kleine Dramen abspielten, wenn Mann die Einkäufe der werten Gattin oder Geliebten nicht zu würdigen wusste oder ein Glas umfiel und sich über den neuen Kaschmir ergoß, was immer die echte Größe in der folgenden Gelassenheit offenbarte. Einige Damen plauderten scheinbar völlig belanglos über ihre Männer und nur dem genauen Zuhörer erschloss sich mit der Zeit, dass sie zwischen den Zeilen sich von ihren Liebhabern erzählten, ohne es je auszusprechen. Viele kamen nach dem obligatorischen Schoppen auf dem Ku’damm oder manche auch frisch aus dem neuen Botox to go Laden um die Ecke, was den Betreffenden immer schon am Gang anzusehen war, der sie ihre neue Schönheit voller Stolz präsentieren ließ. Sie sahen nichts außer sich und wer sie alles beobachtete, waren enttäuscht, wenn keiner schaute, was mich häufiger, da ich eben Flaneur manchmal als einziger beobachtete, in das Gespräch mit ihnen brachte.

Nach mehreren dieser inhaltslosen Plaudereien voller Klagelieder über die Vergänglichkeit verstand ich warum manche der Stammgäste beim Erscheinen dieser gebotoxten Damen so konzentriert den Blick senkten. Sie waren nicht nur kein schöner Anblick und auch diese ihre frische Entfaltung hob das fehlende Niveau selten, dass sie durch gut gefüllte Brieftaschen ersetzten. Kaum eine dieser Damen fragte je, was ich da lese, jede aber klagte über irgendwas auf sehr hohem Niveau, als sei diese Insel inmitten der tosenden Großstadt ein Sanatorium für reiche Gattinnen, die alles taten, damit sich ihre Gatten nicht mit jungen Mädchen ablenkten und damit meist erst den Grund dafür legten. Wie hoch die Silikondichte an manchen Tagen dort wohl war, fragte ich mich lieber nicht und freute mich lieber an der natürlichen jugendlichen Schönheit der Medizinstudentin, die manchmal, wenn es keiner sehen konnte, die Augen in meine Richtung verdrehte, wenn eine der Damen wieder zu jammern anfing oder sich über die vielen Kalorien beschwerte.

Solche Menschenstudien waren sehr interessant, eine völlig andere Welt als bei mir auf dem Berg, vor allem viele ältere Menschen und der Durchschnitt eher jenseits der fünfzig aber immer erfreut für den kleinen Flirt mit einem jungen Mittdreißiger aufgeschlossen, der aber dabei ohne jede weitere Absicht blieb - war doch, was mich Zuhause erwartete echter und reizvoller. Vermutlich glichen sich die Lebensläufe vieler der Damen hier, die sich beim Kaffee oder Tee - aber bitte ohne Zucker - war es ein relativ harmonisches Biotop von Menschen, die im Wohlstand leben, alles haben, es sich gut gehen lassen, davon aber angestrengt sind und darum beständig klagen, weil sie sonst zugeben müssten, wie gut es ihnen eigentlich geht.

Genoss ausgiebig, wie gut ich es hatte, hier nach dem Telefonieren im zu lauten Call-Center in Ruhe zu sitzen, mir Zeit zu nehmen, ein wenig zu träumen und machte den klagenden Damen lieber übertriebene Komplimente. Meist weniger ernsthaft, als um die Stimmung zu  heben und zu erfahren, wie sie auf positive Ansprache reagierten. Das Lob des Genusses und der Zeit, die wir uns hier nahmen, verwirrte viele von ihnen eher. Manche taten es als weltfremd und unerfahren ab, andere fragten, was ich mache, wenn ich nicht hier im Café die Stimmung genösse und einigen wenigen erzählte ich dann, was ich wenige hundert Meter von hier grässliches tat.

Die meisten wollten es nicht glauben, begannen über diese lästigen Anrufe zu klagen, die doch verboten gehörten oder fragten wie denn ein so gebildeter und höflicher Mann zu solch einer schrecklichen Arbeit käme. Antwortete dann meist wahrheitsgemäß, dass ich es des Geldes wegen täte, noch nie so viel verdient hätte, weil ich eben so seriös wirke, worauf das Thema meist im gemeinsamen Lachen endete und sie sagten, dass wäre natürlich etwas anderes, aber die meisten wären doch ganz unmöglich und furchtbar unhöflich, was ich nicht bestätigen konnte, wenn ich an die Kollegen dachte. Im Gegenteil als unhöflich offenbarten sich in der Regel eher viele Angerufene, aber manche erzählten mir daraufhin auch ganz vertraulich ihre Lebensgeschichte und ihr Leiden am Nichtstun.

Sie hätten ja so viel vorgehabt im Leben, dann hätten sie sich verliebt und geheiratet, Kinder bekommen, die wären ja nun auch schon groß und aus dem gröbsten raus - wobei ich mich immer fragte, was für diese Damen aus Dahlem, dem Grunewald, Schmargendorf oder Wilmersdorf das Gröbste wohl war. Und dieser ewige Stress mit der Einkauferei, jede Saison das gleiche Theater, sie könnten ja nicht mit den alten Sachen erscheinen, als Gattin von diesem oder jenen, hatten sie gewisse Pflichten, verstünde ich sicher. Gab mich verständnisvoll und fragte, wenn ich sie verwirren wollte, was sie denn glücklich machte, worauf meist ein langes Schweigen oder ein verlegenes zu lautes Lachen folgte.

Glaube diese armen, reichen Frauen litten wirklich mehr an sich und den vielen Aufgaben, die sich in ihrer von niemand gedankten großen sozialen Verantwortung aufluden als viele der arbeitslosen Künstlerinnen bei mir am Berg, die immer höchstens Sorge hatten, wie sie die nächste Miete zahlen sollten oder die Zeit zwischen zwei Engagements mit Hart IV überbrücken würden, ohne zu irgendwelchen schwachsinnigen Arbeiten, die ihre künstlerische Karriere gefährdeten, herangezogen zu werden. Es lebt sich wohl im Wohlstand recht angenehm, wie Villon einst dichtete, doch nur aus Sicht derer, die ihn nicht haben, denn die in ihm leiden mehr daran und an der Sorge um selbigen als jene ohne.

Wollte ich mit ihnen tauschen, fragte ich mich manchmal und wie würde es mich verändern, wenn ich mir Sorgen machen müsste, ob mein Gärtner oder mein Kindermädchen ordentlich arbeitet, meine Köchin sich wirklich an die für mich oder das Herz meines Gatten dringend nötige Diät hielt, ob mich nicht alle betrügen, Freunde nur kämen, weil sie was wollten oder bräuchten. Frei von solchen Sorgen, lebt es sich doch sehr angenehm - wenn ich auch ohne Botox Spitzen zum Elternabend gehen oder mich den Freunden meiner Tochter präsentieren kann. Keinen Ärger mit einem zu teuren Auto zu haben oder sich nicht um die Handwerker im Haus sorgen zu müssen, die meinen Wintergarten endlich abdichten, ob sie wirklich nichts gestohlen haben, weil doch so viele kostbare Dinge herumstehen, die diese ungeschickten Leute einfach aus Versehen mal beschädigen und du ihnen lieber keinen Vorwurf machst, damit sie ihre Arbeit noch halbwegs ordentlich erledigen. Auch die viel zu hohen Steuern, machten mir nicht wirklich große Sorgen. Was nach mir kommt oder mit meinem Erbe geschieht, interessiert mich nicht, weil ich dann nicht mehr bin und die Freiheit des Todes so groß ist, dass sie im nu von allem befreien kann, was für die meisten dieser vermögenden Damen aus manchmal alten wohlhabenden Familien unvorstellbar war.

Leben, um davon zu erzählen, nannte Gabriel Garcia Marquez seine Autobiografie und das lag mir, wurde mir im Gespräch mit diesen gesellschaftlich zumindest in ihrem engeren Kreis so bedeutenden Damen immer wieder bewusst, die sich ständig ihre Bedeutung im Wohlstand beweisen mussten. Durch Wohltaten ihre Größe und Güte noch in Konkurrenz zu  ihrer Umgebung beweisen mussten, permanent im Stress waren, richtig zu wirken und sich für diese Wirkung eben viel antaten, was sie eigentlich furchtbar fanden. Einige waren wirklich gebildet, kamen aus guten Familien, hatten eben eine sehr gute Partie gemacht und erfüllten nun ihre Pflicht als Gattin, was mehr war, als sich vorstellen kann, wer täglich mit Existenzsorgen zu kämpfen hat.

Es gibt an diesem wunderschönen Ort der Ruhe, dem traumhaften Garten in der wuseligen Großstadt seltsamerweise wenige Menschen, die genießen konnten und um ihr Glück wussten. Hörte in den kleinen Kneipen in denen die Künstler verkehren zwar auch manch traurige Geschichten mit, doch wenige sind so besorgt, ständig gestresst und immer unter Druck wie, die im Wohlstand leben. Fragte mich, was getan werden könnte, diese Menschen glücklich zu machen. Zuerst dachte ich, ihnen müsste nur gezeigt werden, wie gut es ihnen geht, damit sie es würdigen könnten. Dann würde ihnen vielleicht ein soziales Praktikum in asozialer Umgebung helfen, doch würde es nichts ändern, erhöhte nur ihren Stress - das auch noch, überforderte sie wirklich, weil zu der vorher schon Angst noch die käme, so zu enden.

Wer glücklich sein will, muss es wollen. Sie sind in ihrer Rolle unglücklich und wollen darin Anerkennung finden, darum leisten sie Dinge, die ihnen widerstreben, für ihre vermeintliche Schönheit und andere Äußerlichkeiten, erhöhen damit den Stress in einer Umgebung, die will, dass sie funktionieren. Ihnen zu sagen, wie glücklich sie sind, wie gut es ihnen geht, führt zum genauen Gegenteil. Ihnen eine Aufgabe oder eine Beschäftigung geben, die sich nicht wie Yoga oder Pilates nur mit ihnen beschäftigt, erhöhte ihre Versagensängste. Dennoch haben sich erstaunlich viele dieser Frauen auch für Flüchtlinge gerade engagiert und fühlten sich erfüllt dabei, was allerdings nur eine Luftblase war, die platzend eine noch größere Leere hinterließ.

Habe einer mal versucht zu erklären, dass es im Leben nicht darum geht, etwas sinnvolles zu tun, weil nichts Sinn hat oder braucht, sondern was ist, zu genießen, weil wir nie mehr können und erntete völliges Unverständnis von dieser Preußin, die eigentlich unglücklich ihre Pflichten erfüllt, um zu funktionieren und ein guter Mensch zu sein. Anzuführen, dass sie sich doch gerade die Pause hier gönne, führte nur zu Orgien der Rechtfertigung, warum dies gerade nötig sei, weil sie vor Erschöpfung nach Botox oder Shopping wirklich nicht gleich fahrtauglich wäre. Sie können sich nicht entspannen und einfach genießen, wenn sie sich entspannen, machen sie das beim Yoga oder wenn sie mit ihren Freundinnen gemeinsam am Telefon über den Stress klagen. Nur falls sie dabei feststellen, dass es der noch viel schlechter geht, fühlen sie sich statt besser noch schlechter, weil sie auch im Leiden noch konkurrieren.

Eigentlich sind diese reichen Gattinnen in ihrer sozialen Gefangenschaft die ärmsten Huren der Gesellschaft, da sie niemandem leid tun, im Gegenteil nur Neider um sich haben, denen sie noch beweisen müssen, wie toll und sozial sie sind, während sie unter vollem Körpereinsatz ihr Leben verkaufen, um eine Rolle zu spielen, die nicht ihre ist und sie meist nie erfahren, was denn ihre gewesen wäre, weil sie ja einfach funktionieren. Tröstlich ist nur, ihren Gatten und den meisten Menschen geht es nicht besser, die noch zusätzlich im Job funktionieren müssen, doch die dürfen sich zumindest noch glaubhaft einreden, sie täten etwas sinnvolles, zahlten zumindest meist viel zu viel Steuern zur Versorgung  derer, die sich vorm Arbeiten drücken.

Solche Gespräche mit den Damen, die im Wohlstand leben und die mühsam ihrer Taschen mit der neuesten Designermode noch zu ihrem Platz erschöpft schleppten, zeigten mir, was ich für ein glücklicher Mensch bin und wie sehr ich mein Leben bisher genossen habe und ich beschloss noch mehr darauf zu achten, nie zum Kläger zu werden. Interessant ist, warum sie hierher kamen, einen literarischen Ort, nicht ins KaDeWe unter ihresgleichen Erholung suchten, wo sich keiner für seinen Reichtum schämt. Sie wollten eben auch dem Anspruch einer gebildeten Frau genügen und waren es teilweise auf ihrem Gebiet auch sehr. Erstaunlich viele ehemalige Kunsthistorikerinnen oder Germanistinnen, die nun klagten, nie etwas daraus gemacht zu haben und jetzt interessiere es ja auch keinen mehr. Dennoch suchten sie bewusst diesen Ort aus der auch für Kultur, Bildung und Literatur stand, die sie eigentlich liebten auch wenn sie zunächst lange von anderem erzählten.

Waren wir dann beim Thema, widmeten sie sich der Kunst oder plauderten sie über ihre Verbindung zur Literatur, hörte zumindest das Klagen auf und nach Erledigung der dort standesüblichen Formeln, von müssen sie unbedingt gesehen haben, dringend auch noch lesen und ähnlichem bis zu muss ich auch noch haben, wurde es manchmal sogar ein interessantes Gespräch, was dann aber dringend abgebrochen werden musste, weil sie ja nur für eine Stunde eingeworfen hätten und die hier so streng wären. So war es im Ergebnis selten wirklich erquicklich aber öffnete mir doch neue Welten und ich genoss, wie gut es mir mit nichts im Vergleich ging.

Das Literaturhaus Berlin ist eine öffentliche Institution des Landes Berlin, so wenig literarisch das auch klingt, und bietet dem literarisch interessierten Publikum verschiedene Möglichkeiten der Information und des Austausches durch Lesungen, Buchpräsentationen, Symposien, Diskussionen, Vorträge, Tagungen, Aufführungen und Ausstellungen. Alles, was das gebildete Publikum von Welt sich gerne so zeigen lässt, um mitreden zu können. In der Fasanenstraße 23 gelegen ist es Teil einer Villa des Historismus, mit Cafébetrieb, mehreren Sälen und einer Buchhandlung. Seit 2003 leitet der Lyriker Ernest Wichner das Literaturhaus. Der in Rumänien geborene, deutsche Schriftsteller siedelte nach dem Studium der Germanistik und der Gründung des Schriftstellerkreises Aktionsgruppe Banat 1975 in die Bundesrepublik über, wo er nochmal an der Freien Universität Germanistik und Politikwissenschaft studierte. Er ist Mitgliedd des PEN-Zentrums und lebt als Autor, Literaturkritiker, Herausgeber und Übersetzer in Berlin. Er begleitete 2004 Oskar Pastior und Herta Müller auf eine Reise in die Ukraine, wo sie die Lager besuchten, in denen Pastior als rumäniendeutscher Zwangsarbeiter zwischen 1945 und 1949 interniert war. Pastiors Erinnerungen beschrieb die Nobelpreisträgerin Müller in ihrem Roman die Atemschaukel.

Die wichtigste Aufgabe des Literaturhauses ist die Vorstellung und damit indirekte Förderung deutschsprachiger und internationaler Autoren sowie die Darstellung literarischer Zusammenhänge und Hintergründe. Im Programm spiegelt sich immer wieder die literarische Moderne, ihre Konflikte und Hintergründe sowie ihr politischer und ästhetischer Kontext. Träger des Hauses, das jährlich rund 80 eigene und zahlreiche Gastveranstaltungen organisiert, ist ein Verein, der sich um die Fördermittel kümmert. Ein Teil der literarischen Produktion sind die im Buchhandel erhältlichen Texte aus dem Literaturhaus Berlin. Gemeinsam mit RBB Kulturradio vergibt es den Walter Serner Preis für Kurzgeschichten, der mit 5500,- Euro dotiert ist. Tut also wirklich was für die Literatur.

Das Café Wintergarten befindet sich in den historischen Räumlichkeiten des Hauses und wird laut Wikipedia überwiegend von kulturell aufgeschlossenem Publikum besucht, warum verständlich wird, wieso der Besuch hier für die Damen, um sich als solche zu zeigen, natürlich Pflicht ist. Das Gebäude, das dem Land Berlin gehört, ist Teil des Wintergartenensembles, das aus drei repräsentativen Stadtvillen und dem sie verbindenden Skulpturengarten besteht. Es wurde 1889/1890 als spätklassizistischer Backsteinbau für das Ehepaar Hildebrandt von den Architekten Albrecht Becker und Emil Schlüter gebaut. Der Korvettenkapitän Richard Hildebrandt war Teilnehmer der ersten beiden deutschen Nodrpolfahrten und später Abgeordneter für Charlottenburg. Im Ersten Weltkrieg wurde das Haus ein Reservelazarett und nach dem Krieg eine Volksküche. Ab Ender der 20er Jahre war es im Besitz der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, die darin ausländische Studenten unterbrachte. Nachdem das Haus später eine zeitlang gleichzeitig Bordell und Disco war, sollte es zunächst zugunsten eines Autobahnzubringers abgerissen werden, was glücklicherweise eine Bürgerinitiative zu verhindern wusste. Nach dem Erwerb durch das Land Berlin und seine umfassende Sanierung wird das Haus seit 1986 als Literaturhaus genutzt.

Damals noch eher wortloser Dichter meist, gerne Flaneur fühlte ich mich an diesem Ort schon sehr wohl - wie es zum Schreiben dort ist, habe ich leider noch nie ausprobiert, was ich dringend ändern sollte, sobald das Wetter die Fahrradtour in den tiefen Westen wieder verlockend erscheinen lässt. Es ist ein literarisch inspirierender Ort, auch wenn Suhrkamp inzwischen aus deren Nachbarschaft in meine auf den Berg zog, von dem sie sich vermutlich bald gen Mitte wenden werden. Charlottenburg ist eigentlich völlig langweilig, überaltert und fern dem aktuellen Geist, dachte ich immer als typisch vorurteilsbehafteter Bergbewohner, gerade als nur Zugereister um hiesige Identität ringend, doch nun schrieb ich schon die dritte Geschichte von dort und nehmen wir die Zeit der Gründung des KaDeWe dazu sogar die vierte - es wird also Zeit auch dem irgendwie musealen alten Westen gegenüber die Vorurteile zu widerrufen, um die Kunst und das Leben dort zu genießen, wo es sich zeigt. Das Literaturhaus ist, zumindest seines Cafés wegen immer mehr als einen Besuch wert und es wird mal wieder Zeit, dort zu verweilen und zu genießen, wer auch immer nun bedient. Vielleicht ist das schöne gediegene Charlottenburg eine Art heimliche Liebe des Bergbewohners, der mit seinem Arbeiterkiez immer etwas fremdelte.
jens tuengerthal 15.3.2017

Dienstag, 14. März 2017

Berlinleben 019

Lustorte

Es gibt einige, ungewöhnliche Orte, um es zu tun in Berlin. Dazu gibt es längst Führer und die immer zahlreicher werdenden Berliner Sex Touristen frequentieren sie regelmäßig, am besten noch, um dabei aufzufallen oder gefilmt zu werden. So sorgen soziale Netzwerke für promsikuitiven Ruhm, der sich zu übertreffen sucht.

Spannender finde ich, wenn sich die gewöhnlichen Orte des Alltags völlig unerwartet plötzlich in Orte der Lust verwandeln und so die normale Umgebung in der Erinnerung ein ganz anderes Gesicht bekommt.

Verliebt tust du alles, auch Dinge, die dich nüchtern eher die Stirn runzeln ließen. Aber ist es wirklich die Liebe, die das Hirn ausschaltet oder sind es nur die Triebe, die uns dann führen und verführen?

Sofern du ein Gefühl füreinander hast, bekommst du irgendwann Lust, alle Grenzen zu überwinden, um dich egal wo, voller Lust zu spüren, zumindest solange du nicht im Beziehungsalltag versunken, dich nur noch im Konkurrenzkampf ergehst oder frigide gehemmt bist, was häufiger vorkommt, als ich lange glauben wollte. Der beste Weg aus diesem immer irgendwann Stumpfsinn aber sind Grenzüberschreitungen, die den alten Kitzel wieder wecken können. Wenn Paaren das noch gelingt, schaffen sie die beste Voraussetzung für dauerhafte Lust und Liebe miteinander.

Hatte mal eine Verlobte, die machte es an, wenn wir es unter eventueller Beobachtung oder an irgendwie einsichtigen Orten taten. Sonst war sie nicht sonderlich außergewöhnlich, eher das Gegenteil, aber dabei wurde sie richtig wild und im nachhinein habe ich mich manchmal geärgert, diese Quelle ihrer Lust nicht intensiver genutzt zu haben, vielleicht hätte es ja noch gut werden können, auch wenn alle Erfahrung dagegen sprach, es bis auf diesen ihren Kitzel am Anfang eher öde bleiben würde, ich nie viel dabei fühlte, weil nix passierte - aber das kann auch an der fehlenden Harmonie miteinander dabei gelegen haben und vielleicht haben andere, die es auch etwas promiskuitiv lieben, nun den besten und aufregendsten Sex mit ihr, den ich im Ergebnis immer langweilig fand, weil mich die Beobachtung durch Dritte nicht anmacht, sondern ein heißes aber harmonisches Miteinander, das zusammen zum Höhepunkt findet, was ihr nie möglich war, sie unwichtig und unmöglich fand.

Vielleicht hätte sie im Swinger Club die wildesten Orgasmen gehabt, weil sie wüsste, es schauen ihr welche zu und genau das machte sie, die ihren Körper mit viel Ehrgeiz trainierte eben an, während ich das eher ablenkend fände. So auch die male, wo sie es bei offenem Vorhang auf ihrem Sofa am Fenster zum Hof tun wollte, das auch die spielenden Kinder nebenan einsehen konnten und die Nachbarn ohnehin, was sie lauter stöhnen ließ, als je wieder.

Um diese Lust ganz zu genießen, schlug ich dann vor, doch ins Schlafzimmer zu gehen, wo wir völlig frei wären - aber da wurde es wieder langweilig wie immer, jeder kam für sich oder auch nicht und von geteilter Lust oder gar Geilheit ihrerseits war nichts mehr vorhanden - sie war eher frustriert, dass mich dies nicht so anmachte, glaube ich inzwischen und ich genervt, dass sie  beim normalen Sex nichts spürte.

Verstanden habe ich nun auch, warum sie sich immer gewünscht hat, ich sollte sie mal in ihrem Büro in der Friedrichstraße besuchen, was ich absurd fand - was sollte ich da? Nachdem ich diese verunglückte Beziehung, die sich sonst leider auch nicht viel zu sagen hatte, irgendwann hinter mir ließ, wurde mir plötzlich klar, was sie da gewollt hatte und wie ich sie hätte reizen können, was es aufregend mit ihr vielleicht doch gemacht hätte. Aber so reagierten wir beide in unseren Schemen, sie träumte vom Cluburlaub in der Türkei, der für mich furchtbarsten Vorstellung Geld und Zeit zu verschwenden, während ich hoffte, sie durch Erfahrung und Technik endlich zu geteilter Lust mit ihr zu bringen, die sie nicht empfand. Sie brauchte vermutlich den Ausbruch, um sich geil zu fühlen, diese Seite zuzulassen und ich, der ja eigentlich alles mitmacht, wollte es erstmal zumindest auf normalem Wege befriedigend mit ihr machen und so kamen wir zu nichts am Ende beide und trenntenn uns lieber obwohl ich so gut neben ihr schlief wie nie zuvor.

Die Orte dort am Fenster zum Hinterhof oder einmal auf ihrem Balkon ein wenig, waren aber nicht so ungewöhnlich, dass sie große Aufregung in mir ausgelöst hätten. Bin beim Sex vermutlich eher ein gelassener Genießer, der weniger die wildesten Ritte oder die extravaganten Orte braucht, als gute Harmonie miteinander, die auch ganz ruhig und langsam sein kann, solange sie nur irgendwie zusammenkommt, sich dabei spürt - andere, jedenfalls alle, die das nicht kennen, suchen sich lieber einen anderen Kitzel. Sie erzählte mir einmal, sie hätte ihr letztes Bett mit einem meiner Vorgänger in wilder Lust kaputt gevögelt, was ich mir bei ihr nun wirklich nicht vorstellen konnte und so blieben wir uns vermutlich überall fremd.

Ein ganz gewöhnlicher und doch besonderer Ort für Sex ist immer noch das Café um die Ecke. In meinem liebsten Café, das Nachts zur Bar wird, war ich schon mit mancher meiner Liebsten und einige schöne Versuche haben sogar dort begonnen, die mehr oder weniger weit führten - wo mehr, hatten sie es zumindest nie weit zu mir in die Horizontale.

Gekommen bin ich noch nie dort, weil ich mir das lieber für den Moment aufspare, in dem beide es ganz genießen können, den Höhepunkt lieber teile. Doch habe ich mehr als einmal außergewöhnliche Erlebnisse mit den Frauen neben mir dort gehabt, die sich von mir, so unauffällig wie eben möglich und nötig in einem Café direkt am Platz, dessen Terrasse der Bürgersteig, über den so viele nebenbei flanieren, wie Autos durch unser Wohngebiet meist auf der Suche nach Parkplätzen kreisen, befriedigen ließen.

Besonders an einmal kann ich mich gut erinnern, als ich mich mit einer befreundeten Buchhändlerin traf, die ich zufällig via Facebook kannte und mit der ich mir schon diverse öffentliche Schlachten in und um Verse geliefert hatte. Sie hatte sich das Treffen gewünscht und ich hatte nichts dagegen gehabt, erwartete jedoch nichts, da ich sie für glücklich verheiratet hielt, wie sie es auch in ihrem Profil gern zeigte, wie die Muttis hier es eben so machen.

Was dann kam war eine außergewöhnlich attraktive Frau, teilweise sehr damenhaft, in Ansätzen. Brünett, schlank mit Rock und relativ hohen Absätzen, die Haare hochgesteckt, hatte sie eine wunderbar sinnliche Ausstrahlung und hätte mir gefallen, wenn ich es nicht vorher für mich ausgeschlossen hätte, da verheiratet und Mutter. Von ihrem Arschgeweih, das sie längst bitter bereute, Jugendsünde eben, wusste ich damals ja noch nichts. Mit verheirateten Frauen hatte ich genug schlechte Erfahrung gesammelt, darauf wollte ich mich nie wieder emotional einlassen und tat es dann doch wieder, unbelehrbar wie ich bin, aber darum ging es hier noch nicht.

Ein großer Fehler, denn du wirst nie etwas anderes als die zweite Geigen spielen, ein Liebhaber bleiben sonst nichts, so viel emotionales Schnickschnack auch drumherum gerankt wird. Mit jener wurde viel Show davor gemacht und viel an Gefühl noch phantasiert und ich wäre völlig in ein kümmerliches Loch gefallen, hätte ich sie nicht umgehend durch irgendwen anders wieder ersetzt, um nicht zu sehr zu leiden. All dies wäre vermeidbar gewesen, hätte ich mir vorher klar gemacht - sie ist verheiratet, was sie auch bleiben wollte - hab Spaß mit ihr und mehr nicht, lass sie nie emotional ganz an dich ran, hoffe nie auf mehr. Dann aber ist es das beste, was dir passieren kann, weil sie dich nie fesselt, dich so will, wie du bist und nicht mit dir darüber streitet, wer nun das Bad putzt oder den Abwasch macht.

Doch alle Theorie ist auch bei Geliebten grau und so endete es weniger schön als es anfing, was aber hier keiner weiteren Rede wert ist, wo es um Orte der Lust geht. Nachdem sie mir sehr deutlich klargemacht hatte, dass sie wusste, was sie wollte, sich nicht ohne Grund verabredet hätte und ich alle Scheu ablegen könne gegenüber ihrer Ehe, küssten wir uns leidenschaftlich auf der damals noch Bank vor meinem Café und meine Hände wanderten ihrer Natur folgend unter ihren Rock, was sie erst vorsichtig, dabei wohl ihrer Natur folgend, dialektisch zu sein, formal ein wenig abwehrte, bis ich doch einen Weg in ihre Feuchtgebiete fand und sie sich augenblicklich meinem Fingerspiel dezent stöhnend ergab.

Habe nie davor und danach eine Frau mit einer solchen Frequenz an Orgasmen erlebt. Sie kam während der Stunden bis gegen halb drei, die wir noch vor meinem Stammcafée umschlungen saßen mindestens zehn mal, irgendwann hörte ich auf zu zählen. Sie bat nach Luft schnappend um kurze Pausen, die ich irgendwann vom sportlichen Ehrgeiz getrieben ignorierte. Uns sie kam einfach immer wieder, mal heftiger, dann nur kurz zuckend, dann wieder sich beim Stöhnen auf die Lippen beißend, um nicht zu schreien, immerhin saßen wir mitten am Platz vor meinem Lieblingscafé, wären eine Störung der öffentlichen Ordnung geworden.

Ob die Bedienung im Café es merkte, was sie über uns an der Bar redeten, weiß ich nicht. Sie war nicht die einzige, die ich dort traf oder küsste, aber dann doch die einzige, die ich so häufig dort befriedigte. Sportlich betrachtet war ich erfolgreich, sie war glücklich, griff zwischendurch auch nach meiner Hose, unterließ aber mehr und äußerte mehrfach, diesmal käme sie nicht mit zu mir. Beim ersten mal ginge das gar nicht, da habe sie feste Regeln, eine Dame müsse darauf achten, ihre Achtung nicht zu verlieren und das ähnliche übliche Gerede vieler Frauen, die gern mal hier mal dort probieren aber eigentlich nicht wissen, was sie wollen. Dass ich mit der Frau, mit der ich am längsten in meinem Leben zusammen war, auch gleich die erste Nacht verbrachte, könnte zwar logisch und praktisch überzeugen, tut es aber faktisch nie, weil es nur um Macht und Gefühl geht, ein Spiel derer, die kaum wissen, was ihre Natur will.

Nahm solche Worte damals noch relativ ernst, weil ich irgendwie dachte, Frau, auch wenn sie deutlich mehr als zehn Jahre jünger war, wüsste, was sie wollte und hatte dennoch die Hoffnung durch weitere erfolgreiche Stimulation ihrer Klitoris in ihrem Höschen, unter ihrem Rock, irgendwo zwischen Bank und Tisch, würde ich sie davon überzeugen können, dass mein Schwanz am Ende besser wäre als nur meine Finger.

Doch genügte Frau, was sie befriedigte, so oft es auch war und besser wurde aus sportlicher Sicht der Beischlaf am Ende auch nicht, zumindest an der Frequenz ihrer Höhepunkte gemessen, zumal sie sich vor dem dann nächsten und unserem ersten mal so mit Wodka besoffen hatte, dass ich fast Sorge hatte, ich würde ein fast willenloses Opfer nur benutzen, als sie sich auf dem kurzen Weg zu mir noch beinahe zweimal übergeben musste. Was dann mein Helfersyndrom des Krankenpflegers weckte, ich mich nur noch besorgt um sie kümmern wollte, worauf sie weiblich dialektisch doch wieder Lust bekam, aber das ist ja gar kein Thema heute. Nur so viel vielleicht am Ende, der Vollzug des lange angekündigten war ok, besser als kein Sex, aber auch nichts, was der endlosen Zahl ihrer multiplen Orgasmen auf der Bank vor meiner Stammbar vergleichbar wäre, nicht der totale Wahnsinn, eher ganz nett.

Nie zuvor und nie danach habe ich eine Frau erlebt, die bei so starker physischer Reaktion im Genitalbereich, sie zuckte wirklich am ganzen Körper dabei zusammen und versuchte nur ihr Gesicht noch einigermaßen unter Kontrolle zu behalten, in so hoher Frequenz Orgasmen bei nie nachlassender Lust unter meinen sie mit verschieden hoher Frequenz taktierenden Fingerspitzen bekam. Als irgendwann auch das Café, das eine Bar nächtens war, schloss, begleitete ich sie noch zum Kiosk, um Zigaretten zu kaufen und befriedigte sie noch mehrfach beim Stehenbleiben unterwegs. Zweimal davon auf und an Spielplätzen und dabei verlor sie beim ersten mal in zuckender Hingebung noch ihren Ohrring, den ich zufällig am nächsten Tag wiederfand und den sie schließlich bei mir abholte.

Warum ich dieses Spiel mitgespielt habe, nachdem sie mir klar sagte, nicht beim ersten mal zu dir, Frau muss auf sich achten und sie dennoch selbstlos ohne eine Aussicht auf Befriedigung in einem Meer von Orgasmen schwimmen ließ, bis meine Finger fast taub wurden von den Tauchgängen in ihren Feuchtgebieten, weiß ich nicht mehr - aber jugendliche Naivität gepaart mit  sportlichem Ehrgeiz taten wohl ein übriges. Nichts erreichte mehr dieses erste mal und alles danach wurde mehr durch Erwartung als Realität aufgeladen und dennoch muss ich noch jedesmal lächeln, wenn ich an die Holzbänke an der Wand denke und diesen ersten Abend der multiplen Orgasmen.

Als eher schlichtes Gemüt genügt mir einmal, wenn es gemeinsam ist und sportliche Rekorde dabei überlasse ich gerne anderen, da sie eher von Ehrgeiz als von Genuss künden für meinen Geschmack. Wollte nicht wirklich von einer Frau vor dem Café befriedigt werden und zöge dann immer die horizontale für ausgelassenen Sex vor, weiß nicht, ob ich mit der Zeit der totale Langweiler wurde, oder die Erfahrung einfach lehrt, was gut tut und gefällt und dann wieder in der Beschränkung die wahre Kunst liegt. Wer sonst nicht kann, mag gern besondere Orte oder fühlt sich öffentlich heißer, wenn es genau nicht geht. Der Kenner und Genießer, braucht kein Spiel und freut sich an der Sache selbst, sage ich mir, um zu verdecken, dass ich vermutlich längst ein öder Sex-Spießer bin.
jens tuengerthal 14.3.2017