Vom Hauptbahnhof nach Charlottenburg, durch den Tiergarten und auf den Berg.
Ein kleiner Weg am frühen Morgen sollte mich heute schon in der ersten Dämmerung um sieben Uhr aus dem Haus gen Hauptbahnhof und von dort dann auf der nördlichen Seite an der Spree entlang bis hinter die S-Bahn Station Bellevue führen, wo ich, kurz vorm Spreebogen selbige gen Süden auf der gusseisernen Fußgängerbrücke überqueren wollte. So war zumindest mein grober Plan.
Doch kaum hatte ich die Spree erreicht, wurde aus den gelegentlichen Flocken ein wildes Schneegestöber, das sogar liegen blieb. Für Berliner Verhältnisse zumindest wild, es gab einen leichten weißen Flaum auf dem Weg, in dem Fußstapfen sichtbar waren und ich fühlte mich erstmals in diesem Winter veranlasst den Reißverschluss meiner Jacke zu schließen, was aber auch an der etwas übermüdeten Verfrorenheit gelegen haben könnte, doch auch die entgegen kommenden Jogger waren behandschuht und bemützt, vielleicht waren sogar Küstenbewohner darunter. Lange dauerte der erste Winterzauber nicht, doch blieb der feine Staub bis zur Rückkehr nach Mitte hier und dort sichtbar, ließ die Spuren der Vorgänger erkennen wie die Räder der unermüdlichen Radler.
Schloss Bellevue ohnehin weiß und allein etwas märchenhaft surreal, war von dem zarten Flaum noch nicht verzaubert, das Grün war grün, das Haus dagegen weiß vor der schwangeren Auster und am Kanzleramt, den modernen Ikonen im Tiergarten oder an dessen Rand, wirkte der Hauch von Schnee romantisch - zumindest für Berliner Verhältnisse - eingeborene Bayern oder Schwarzwaldbewohner, lächelten vermutlich nur müde über das, was wir hier schon Schnee nennen.
Ab dem Hauptbahnhof, den ich nun wieder dort von der südlichen Spreeseite betrachtete, klarte es auf. Plötzlich wechselte winterliches grau-weiß, das noch in letzten Spuren glänzend sichtbar blieb, mit strahlendem Sonnenschein vor himmelblau. Es spazierte sich fast frühlingshaft hell unter dem aufgerissenen Himmel über Berlin und ich musste mir gelegentlich die Hand vor Augen halten gegen das gleißende Licht. Wunderbar ruhig war der Spaziergang am Morgen an der Spree entlang, die ich an der Marschallbrücke nördlich gen Charité wieder verließ, womit die Ruhe schnell endete und das Licht nur noch in Streifen und Lücken zwischen die Häuser fiel. Im Tiergarten dagegen kreischten die Motorsägen und Astschreddermaschinen der Gartenbauarbeiter oder heißt es der Mitarbeiter des Gartenbauamts? Wie auch immer erinnerte der manchmal zu nah sicht- und hörbare Lärm eher an Baustelle und Zahnarzt denn an friedliche Landschaftsgärten.
Ein Tag voller Abwechslung also, der vom Wechselspiel lebte - bis ich den heimischen Helmholtzplatz wieder erreichte, blieb es himmelblau bei angenehmer winterlicher Kühle, die jeden Atemzug so frisch macht, als lutsche ich zehn Fishermans auf einmal und von daher auch dem Geschmack von Menthol Zigaretten weit überlegen ist als steuerfreies Naturprodukt.
Erfrischend mit schönem Licht, unterbrochen nur von einem kleinen Tee und einem Ciabatta beim Italiener neben dem wunderbar bestückten Buchladen in der Reinhardtstraße, in dem ich das letzte Wunschbuch meiner liebsten Prinzessin, die ich zwischenzeitlich wieder im Ohr hatte, über Mozart und die Aufklärung, im Angebot entdeckte, auf dessen Öffnung ich aber noch zwanzig Minuten warten musste, ging der kleine Spaziergang von 18km sodann über Reinhardstraße, Friedrichstraße, Linienstraße, Torstraße, Weinbergsweg, Kastanienallee und Oderberger zurück zur Kulturbrauerei führte und von dort nur noch die la Ly hinauf zum heimischen Helmholtzplatz, an dem die Menschen in der gleißenden Sonne, zumindest auf meiner Seite des Platzes, schon wieder, wenn auch warm eingepackt, vor den Cafés saßen und plauderten, während es den Flaneur zum heimischen Tee doch lieber zog mit dem Rucksack voller Essen. Während ich dies schrieb, wurde es oben schon wieder grau, wusch eine Waschmaschine durch und regnete hier und dort in der großen Stadt, die doch nur viele kleine Dörfer ist.
jens tuengerthal 2.2.2018
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen