Samstag, 30. August 2025

Lektürentagebuch 30.8.25

Lektürentagebuch 30.8.25

Mit Sebastian Haffner unterwegs im 
Leben der Fußgänger kommt als erstes 
Vorsicht nicht zu neckisch! als kleine
Warnungstafel für Ferienfotografen

Er beginnt mit dem wunderbaren Satz
Zeig mir deine Aufnahme und ich will
Dir sagen wie sie entstanden ist was 
Zugleich prophetisch und komisch klingt

Die meisten Bilder entstünden weil ein
Junger Mann der eine stehende Figur in 
Allen Gesellschaften sei die Kamera zücke
Worauf sich alle noch schön machten 

Dann entsteht das Bild für das alle einen
Moment still standen und wird dann ins
Album gesteckt womit sein Zweck erfüllt ist
Danach wird es eingeklebt und vergessen

Dann gibt es die seltenen Glücksfälle wo
Durch langes Warten wie bei der Jagd ein
Wunderschöner Schnappschuss entsteht 
Sie sind selten und ernten Bewunderung

Solche Bilder können nie gestellt werden
Was leider keine allgemeine Erkenntnis sei
Warum die dritte Gruppe gerne Menschen
In der Natur leicht bekleidet inszeniert

Sie wirkten meist bemüht und taugten
Selten etwas als in der Idee des Fotografen
Die er krampfhaft zu realisieren versuche
Wonach ihre Opfer meist auch aussehen

Natürlich gestellt sind sie die Wachsblumen
Der Fotografie heute werden sie gerne mit
KI bearbeitet in sozialen Netzwerken dem 
Gelangweilten Publikum präsentiert

Sie wirken meint Haffner aufgedonnert 
Freuen niemand als den Fotografen und
Belegen das Hässlichkeit im menschlich
Hässlichen wurzelt Kitsch unmoralisch ist

Eine wunderbare kleine Geschichte die
Noch auf die Entwicklung der Bilder
Warten musste was heute digital sofort
Da ist und aller Welt aufgedrängt wird 

So wurden die sozialen Netzwerke zum
Fotoalbum der Gegenwart und sind nur
Dazu da schnell vergessen zu werden
Besser ist wohl darüber zu schweigen


Über Berliner Gedichte schreibt fein
Franz Hessel und beginnt mit Goethe 
Der einst sagte Oh wie ist diese Stadt
So wenig er fand für Musen keinen Ort

Echt Berlinische Lyrik entstand wohl erst
Wenn das tragische mit dem komischen
Zusammentraf sich die Empfindsamkeit
Unter nüchternen Allüren verbergen will

Als Großstadt hätte Berlin die Dichter nie
Dichten gemacht nur wer die anonymen
Reize dieser trotz alledem Schönheit je
Erlebte den wurde Berlin zum Gedicht

Dann hat der Straßenlärm eine Melodie
Wird die Trauer des Hinterhofs fühlbar
Die Landschaft am Kanal zum Spiegel
Wie Rahmen eigenen Erlebens noch

Dann wird die Stadt lieb gewonnen der
Dichter möchte sie wie Ringelnatz dann
Anziehen wie eine schöne Hose möchte
Mit Lichtenstein die Kaschemmen drücken

Sieht plötzlich die zementene Rose wie
Einst Becher oder haßt die Stadt mit einer
Leidenschaft die sie als Gegenspieler erst
Lebendig macht mit dem der Dichter ringt

Wie ich es mit dem Alex oder dem Berliner
Dom gerne tue die ich abgrundtief hasse
Der Frühling sei den Dichtern wie der
Dichtung gnädig auch in Berlin gelte dies

Doch kommt er nicht im Sturm sondern
Ist mit einmal wieder da schüchtern noch
Wie ein Kind zurückhaltend wie ein Gast
Und wird doch so dankbar hier begrüßt 

Noch der armseligste Balkon zu den 
Stadtbahngleisen füllt sich mit Blumen 
Die Berliner Dichtung erfüllt dann ein
Immer wiederkehrendes Anfangsglück

Die noch etwas frierende unverwüstliche
Daseinslust die selten noch so grandios 
Verzweifelt wie in Baudelaires Versen ist
Hier gedeihen keine Blumen des Bösen 

Dafür blüht manch holde Unschuld noch
Zwischen Unkraut und Gestrüpp wie die
Gräser zwischen Steinen im Hof sprießen
Leben finden in dem bisschen Erde

Allmählich hat was man Poesie nennt
Einige Berliner Orte erobert durch die
Kinderspielplätze im Tiergarten oder der 
Wunderliche Carrefour Potsdamer Platz 

Wo mitten im grau Blumen verkauft werden
Oder der Zoo und das Viadukt am Bahnhof
Wo die Hochbahn den Häuserblock quert
Diese Orte warteten noch auf ihre Dichter 

Da vom Frühling die Rede sei müsse er
Auch auf die Frauen kommen meint Hessel
Schon der Alliteration wegen denn wieviel
Sei noch auf die Berlinerin zu dichten 

Die lebensfleißig eifrig in allem Elend noch
Tapfere um möglichst viel Schönheit dabei
Wacker bemühte die Tucholsky so treffend
Mutterns Beste nannte die aller Worte wert 

Von der Berlinerin und ihrer Stadt dieser
Nomadensiedlung in Deutschlands leerem
Osten in der die Dichter noch heimatlos
Herumlaufen aber wartet nur sie kommt

Die Berliner Poesie schrieb Hessel fast
Prophetisch wenn es mit Europa gut noch
Weitergehe wir richtig inmitten siedeln
Käme bodenständige Berliner Poesie

Las als irgendwie Berliner Dichter die
Worte des großen Flaneur andächtig
Wie voller Freude so mag es weitergehen
Mit Berliner Poesie mitten in Europa

jens tuengerthal 30.8.25

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