Donnerstag, 28. August 2025

Lektürentagebuch 27.8.25

Lektürentagebuch 27.8.25

In zwei Flaneure in Berlin ist Gerd-Rüdiger
Erdmann weiter auf den Spuren von
Franz Hessel und Walter Benjamin diesmal
Endlich im Romanischen Café unterwegs

Zuvor aber darf unter der Überschrift
Auguste Viktoria Platz Kaiser Wilhelm
Gedächtniskirche Romanisches Café
Noch von Hessel gelästert werden

Über die neoromanische Architektur der
Kirche wie der anderen beiden Bauten des
Architekten dessen Namen er lieber wieder
Vergisst schon aus Stilgefühl schimpft er

Diese bissige Deutlichkeit die sich gegen
Den Wilhelminismus richtet zeigt Hessel 
Sonst nur beim unmöglichen Berliner Dom
Dieser architektonischen Missgeburt

So hätte zu seinen Kinderzeiten noch ein 
Wunderschöner Baum an der Stelle dieses 
Verkehrshindernisses mit dem zu langen
Namen gestanden wie er traurig anmerkt

In ein Flaneur in Berlin berichtet er in dem
Kapitel Rundfahrt Berlin wie der Führer der
Bustour die Kathedrale als eine der wohl
Schönsten Kirchen Deutschland vorstellt

Daraufhin wird er lieber ganz bescheiden
Freut sich an der rettenden Terrasse des
Romanischen Cafés beschreibt noch das
Innere der Kirche und geht dann ins Café 

Dort traf er Freunde wie überhaupt nach
Dem Krieg die kulturelle Bohéme dort
Verkehrte von Malern über Dichter auch
Mascha Kaleko schrieb dort einiges

Nun kommt ein wenig Namedropping
Der berühmten Künstler dort was alle
Leicht in entsprechenden Artikeln über
Diese Institution nachlesen können

Über die Inneneinrichtung dieses so
Berühmten Cafés mit dem schlechten
Essen lästert Günther Birkenfeld als
Zeitgenosse wunderschön bissig 

So ergänze sich in den farblos frostigen
Räumen des Café Größenwahn die
Architektonische Abscheulichkeit mit
Der kulinarischen Geschmacklosigkeit

Beide könnten es mit jedem Wartesaal
Preußischer Bahnhöfe aufnehmen was
Den ästhetischen Gesichtspunkt betrifft
Der heute allerdings längst Geschichte ist

Das Lokal war dabei viergeteilt es gab
Ein Bassin für Schwimmer mit den 
Bereits bekannten arrivierten Personen
Wie ein Bassin für Nichtschwimmer

Dort verkehrten die hoffnungsvollen
Jungen Talente wie die Galerie wo die
Spieltische standen und schließlich noch
Eine Außenterrasse auch für Touristen

Der Fußboden sei mit Arche und Kippen
Übersät während es im Schwannecke
Lauschige Ecken und Teppiche gab
Wurde im Romanischen Café gearbeitet

Neben den berühmten Malern der Zeit
Verkehrten dort die Cassirer Brüder 
Erich Mühsam Joseph Roth und auch
Hessel und Benjamin natürlich

Das Gebäude stand früher noch am 
Kurfürstendamm 26 wurde nach dem
Krieg durch das Europa Center ersetzt
Was die Hässlichkeit noch steigerte

Walter Benjamin schreibt über das
Café das einst der Bohéme gehörte
Es habe seinen bürgerlichen Schrecken
Inzwischen verloren sei nun Geschichte 

Das Café Größenwahn sei dafür das
Café der Westens an der Ecke von 
Kurfürstendamm und Joachimsthaler
Was heute alles Geschichte wurde

Das zeitweise noch so wunderbare
Café im Literaturhaus im Garten
Wie im Erdgeschoss dort in der
Fasanenstraße wurde inzwischen

An die leicht autoritären Damen 
Osteuropäischer Herkunft die dort
Erledigen was früher Bedienung war
Kampflos übergeben ist Geschichte

So klagt Benjamin im Romanischen
Café stünden nun Bänker und Börsianer
Im Vordergrund womit die Bohéme dort
Auch schon wieder Geschichte sei

So sind viele kulturell spannende Orte
Berlins wenn sie erst bekannt werden 
Schon wieder Geschichte weil dann
Das Vergnügen den Geist ersetzt

Dann kommt das Party Publikum mit
Geld was den Geist ersetzt dafür den
Koks Konsum in die Höhe treibt was
Wieder viele schicke Leute anzieht

Walter Benjamin ging auch gerne
Ins Prinzeß Café was an der Ecke
Kurfürstendamm Joachimsthaler war
Wovon er in der Berliner Chronik erzählt


Über Helen Hessel in der Zeit nach dem
Februar 1933 schreibt Milena Ganeva
Sehr einfühlsam und kenntnisreich wie
Sie ihre Sorgen schon in einem Brief

Vom 1. Februar 1933 an Henri Pierre 
Roché ausdrückte zunächst aber auch
Unter dem Schutz von Friedrich Sieburg
Weiter für die Frankfurter Zeitung schrieb 

Sieburg war damals Paris Korrespondent
Der Frankfurter Zeitung die als eines der
Letzten liberalen Blätter noch seinem Kurs
Wenn auch immer vorsichtiger fortsetzte

Sie entwickelte auch anlässlich eines
Vortrages vor jungen Studentinnen der
Mode in München ihre Philosophie in
Dem Essay vom Wesen der Mode weiter 

Französinnen behielten ihre Weiblichkeit 
Aber spielten mit der Mode auch um ihre
Macht über die Männer mit Lust zu
Behalten was ihr persönlich nahe lag

Nach dem zweiten Vortrag in München 
Über die Beziehung der Frau zu ihrer
Erscheinung hetzte ein Blatt der SS über
Sie und machte sie damit unmöglich

Nach 1936 musste sie sich zum zweiten
Mal von Franz Hessel scheiden lassen
Schrieb noch eine zeitlang für die FZ
Was später Sieburgs Frau übernahm 

Nachdem sie am 9. November 1938 in 
Berlin die Pogromnacht miterlebte
Stellte sie alle journalistische Arbeit ein
Wollte mit ihrer Familie nach Südfrankreich

Die Lektüre über Helen Hessel war ein
Guter Grund Friedrich Sieburg wieder
Zu lesen und sich inspirieren zu lassen
Von jenem großen literarischen Autor

Helen Hessel bleibt eine faszinierend
Spannende Frau die ihrer Zeit weit
Voraus schnell die geistige Enge des
Nationalsozialismus erkannte und floh

Erst 1938 konnte sie Franz Hessel
Von der nötigen Flucht überzeugen
Um ihn dann nochmal zu heiraten
Bei ihm blieb bis er 1941 starb

Gemeinsam mit vielen anderen
Flüchtlingen aus dem literarischen
Deutschland leben sie in Sanary-sur-
Mer unter schwierigen Bedingungen

jens tuengerthal 27.8.25

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